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ONLINE-EXTRA Nr. 113

Februar 2010


COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe des Textes an dieser Stelle!

© 2010 Copyright beim Autor 
online exklusiv für ONLINE-EXTRA


Online-Extra Nr. 113


Juden, Christen und Muslime vor dem einen Gott.

Trinität im Dialog mit anderen Religionen


ANDREAS GOETZE

„Er ist Allah, ein Einziger, Allah der Ewige. Er hat weder Kinder erzeugt noch ist er erzeugt worden und keiner kann sich mit ihm messen“, so lehrt es die 112. Sure des Koran. Nach islamischer Tradition ist diese Sure an Gewicht so bedeutend, dass sie in ihrem Wert einem Drittel des ganzen Korans gleichzustellen ist. D.h.: die Lehre von Gottes Einheit und Einzigkeit (arabisch: „tawhîd“) ist das Herz des islamischen Selbstverständnisses (Kohlbrugge). Der Glaube, dass Gott einen Sohn haben könnte, bedeutet für gläubige Muslime, dass Gott neben sich noch jemanden brauche – wie aber könne Gott dann noch wirklich frei und souverän sein? Diese Fragestellung gibt es nicht nur im christlich-muslimischen, sondern begleitet schon den jüdisch-christlichen Dialog von Anfang an.


Jüdisches und muslimisches Selbstverständnis

Der Gedanke, dass Gott nicht bei sich selbst bleibt, ist ein zutiefst biblischer Gedanke, dazu bedurfte es des Neuen Testamentes nicht. Nach der Vorstellung des rabbinischen Judentums führt der Weg zu Gott über seine Offenbarung, die sich nicht im Himmel befindet, sondern in Form der Thora (muslimisch: in Form des Koran) den Menschen als Quelle ihres Gottes-, Welt- und Menschenverständnisses gegeben worden ist. Im Islam wie im Judentum offenbart Gott seinen Willen in seinem Wort an die Menschen (vgl. Sure 5, 44-48). Die jüdische Halacha (von hebräisch: „halach = gehen) ist vergleichbar mit der muslimischen Shar`ia (arabisch wörtlich:„der Weg zur Quelle, zu einer Wasserstelle“): beide bezeichnen das religiös begründete Recht und umfassen das ganze Spektrum menschlichen Handelns (inklusive der Regierungsausübung). Beide verstehen sich als Weg, auf dem der Mensch durch Gebotserfüllung zu seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen steht.

Es ist für Juden wie für Muslime nur schwer verständlich, warum Christen ein Ergebnis theologischer Reflexion behandeln können wie eine Offenbarung, d.h. wie ein Zeugnis von Gott selbst. Beide wissen sich einig in ihrer Kritik an der „Trinitätslehre“ als Abschwächung des Monotheismus. Christen müssen sich vergegenwärtigen, dass ihre „Trinitätslehre“ dem Judentum ferner liegt als die Lehre des Islam und dass Juden und Muslime lange Phasen gemeinsamer Erfahrungen verbinden, etwa die der Kreuzzüge oder der Reconquista. Die vorherrschende jüdische Philosophie im Mittelalter ist im islamischen Raum in arabischer Sprache entstanden. Maimonides, der im 12. Jahrhundert die jüdischen Glaubensgrundsätze formulierte, folgte dabei dem Beispiel Mohammeds: „Gott ist einer und einzig, und Moses ist sein Prophet“. Gott ist unverfügbar, Schöpfer, Richter, Offenbarer.


Unterschiedliche religiöse Erfahrungen führen zu unterschiedlicher Rede von Gott

Nicht, dass die christliche Gotteserfahrung den Aspekt der Weltverantwortung nicht kenne oder Gott nicht als Schöpfer, Richter und Offenbarer bekenne. Der Unterschied liegt nach Marquardt in einer religiösen Erfahrung: Das Judentum, so der Berliner Rabbiner Leo Baeck Anfang des 20. Jahrhunderts, rede von dem „einen“ Gott, mit dem sich Israel immer wieder „einen“ könne – ganz praktisch verstanden: in der Zerfalls- und Verfolgungsgeschichte des Volkes Israel blieb oft nur die immer neue Einung Gottes, um so den inneren Zusammenhalt des physisch wie geistig zerstreuten Volkes noch wahren zu können. In diesem Sinn ist der eine transzendente Gott, mit dem sich dieses Volk einen kann, ein Überlebensgeheimnis der Juden in der „Gola“, der Zerstreuung.

Dagegen betont christliche Gotteserfahrung, dass Gott nicht eine ferne Wirklichkeit ist, sondern eine menschlich nahe, die alle Gegensätze zum Sünder überwindet: „Schöpfer, wie kommst du uns Menschen so nah“ (vgl. z.B. Joh.1 oder im Evang. Gesangbuch Lied 66,1). Dahinter steht die Erfahrung der Christen, sich fremd, eben außerhalb des Hauses Israel zu fühlen. Die Christen bemühten sich, ihre eigene fundamentale Unsicherheit (zwischen ihrem Heidentum und ihrer Hinwendung zum Gott Israels, vermittelt durch Jesus) durch die Frage nach der Identität dieses Gottes, nach seinem Wesen, zu beantworten.

Das „ewige Wort“ und die Macht Gottes seien vollkommen in Jesus präsent – diese Bewegung Gottes hin zu den Menschen kommt zum Ausdruck im Bekenntnis „Jesus Christus ist der Sohn Gottes“. Gott offenbart damit in Jesus Christus nicht nur seinen Willen, sondern sein Wesen - als Liebe (1. Joh. 4,16). Diese Erfahrung ist mehrheitlich der jüdischen wie muslimischen Tradition verschlossen (andere Zugänge aber im Bereich der Mystik: der Chassidim im Judentum sowie der Sufis im Islam).


Vor der Lehre steht eine dreifache Erfahrung

Der Glaube an die Dreieinigkeit Gottes ist also eine Antwort auf die existentielle Frage, wie denn Gott und der Mensch zusammenkommen. Ausgangspunkt für die so genannte „Trinitätslehre“ ist ein einmaliges Ereignis, die Begegnung mit Jesus von Nazareth, seine Geburt, sein Leben, sein Wirken, die Kreuzigung, die Auferstehung, die Himmelfahrt. Mit der Betonung, dass sich in Jesus das Wesen Gottes offenbare, wurde Jesus sozusagen in Gott hineingeholt und die aus der Synagoge ausgeschlossenen Judenchristen sowie die „fremden“ Heiden bekamen Anteil am Gott Israels. Diese Erfahrung, die zunächst an die Begegnung mit Jesus und dann an das Erleben der Kraft des Heiligen Geistes verbunden war, führte zur Formulierung eines Lobgesangs auf Gott, der dieses dreifache Erleben Gottes als Vater, Sohn und Heiligen Geist zum Ausdruck brachte.

D.h. nicht eine Lehre stand am Anfang, sondern eine besondere Gotteserfahrung, die eine theologische Reflexion erforderlich machte: So formulierte die Alte Kirche in der Auseinandersetzung mit der hellenistischen Umwelt sowie innerchristlichen Kontroversen erst die „Trinitätslehre“, um die unterschiedlichen Erfahrungen mit dem einen (!) Gott als Glaubensgrundlage festzuhalten. Die „Trinitätslehre“ wurde dabei angesehen als eine klare Absage an die Trennung von transzendenten Schöpfer- und Richtergott und dem menschlich nahen Erlösergott (gegen Marcion schon im 2. Jht.). In Jesus wurde und wird Gott selbst als handelnd geglaubt. Das „biologische Missverständnis“ eines Sohnes Gottes (wie es die islamische Tradition unterstellt) wurde stets zurückgewiesen.

Für die Christen blieb das Bekenntnis zu dem einen Gott stets wesentlich. Und schon die Alte Kirche musste theologisch klären, wie denn der ewige, transzendente Gott seine Souveränität und Freiheit behalten könne, wenn er sich auf die Welt, auf die Immanenz, einlasse. Diese Fragestellung bestimmt jüdische wie islamische Theologie ebenso, was beispielhaft am Verständnis des „tawhîd“ („Eins-heit“, Eins-Sein“ Gottes) gezeigt werden soll.



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Die islamische Lehre des „tawhîd“

In der sunnitischen wie schiitischen Tradition können nach Mutahhari vier Aspekte des „tawhîd“ gefunden und unterschieden werden. Der erste und wichtigste Aspekt ist „al-tawhîd al-dhati“, das ungeteilte Eins-Sein von Gott. Das meint, dass Gott einfach, nicht vergleichbar und ungeteilt ist (Sure 42,11: „Es ist niemand wie ER“). Die schlimmste Sünde ist es, Gott etwas oder jemanden „beizugesellen“ (arabisch: „schirk“).

Der zweite Aspekt ist „al-tawhîd-al-sifati“, die Einheit von Gottes Attributen bzw. Eigenschaften („sifat“). Damit sind alle Beschreibungen Gottes gemeint wie sein (All-) Wissen, seine (All-) Macht, sein Wort, sein Hören, die die Menschen auch erfahren oder wahrnehmen können. Da Gottes „Eins-Sein“ gilt, können diese Attribute nichts zu Gott hinzufügen und werden daher in eins mit Gott gesehen, so eine Richtung der islamischen Theologie. Eine andere widersprach: Gottes Attribute, die die Menschen wahrnehmen, können nicht mit Gott selbst identisch sein. Denn wenn die Attribute mit Gott eins sind, sind es dann noch Attribute? Und wenn die Attribute ewig sind, dann wird Gottes Eins-Sein gefährdet (Gefahr der „Beigesellung“). Die erste Position setzte sich durch und wurde von der sunnitischen Mehrheit übernommen: „Gott hat Attribute, die nicht mit ihm identisch sind, auch wenn die Attribute nichts anderes sind als Gott“. An dieser paradoxen Haltung arbeiteten sich Generationen von islamischen Gelehrten ab.

Z.B.: Wenn der Koran als „Gottes Wort“ ewig ist – ist dann neben Gott noch etwas anderes ewig? Das wäre „schirk“, dann wäre Gott nicht ungeteilt. Ist der Koran (nur) geschaffen? Wie könnte er dann die direkte Offenbarung Gottes aus dem Himmel sein? Diese Problematik lässt sich sehr gut parallel zu der christlichen Fragestellung verstehen, ob der Sohn Gottes geschaffen wurde oder ob er schon von Ewigkeit her, präexistent bei Gott ist. Wenn der Sohn von Ewigkeit her ist, gibt es dann zwei Götter? Ist er der „ewige Logos“ (das ewige Wort) oder ist er bei der Taufe durch den Geist Gottes zum Sohn Gottes geworden? Aber wird dann durch ihn das Wesen Gottes wirklich vollkommen erkennbar?

Der dritte Aspekt ist „al-tawhîd al-af´ali“ (die Einzigartigkeit von Gottes Handeln). Damit möchte man zum Ausdruck bringen, dass Gott z.B. der einzige Schöpfer des Universums ist. Er bestimmt alles, auch das menschliche Handeln. Damit aber stellt sich die Frage nach dem freien Willen des Menschen, seiner Verantwortung und der Möglichkeit, von Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wenn aber „Gott alles in allem ist“ – wie kann der Mensch dann zur Rechenschaft gezogen werden? Diese Frage nach Gottes Allmacht und seine Vorherbestimmung im Verhältnis zur freien Verantwortung des Menschen ist auch in der christlichen Theologie stark diskutiert worden.

Der vierte Aspekt ist „al-tawhîd al-ibadi“ (die ausschließliche Anbetung Gottes). Niemand außer Gott verdient es, angebetet zu werden. Doch gibt es in der islamischen Volksfrömmigkeit zahlreiche Heilige, die verehrt werden. Die Diskussion, wann Verehrung endet und Anbetung beginnt, erinnert an die katholische Debatte zur Heiligenverehrung und zur Rolle der Maria als „Miterlöserin“.

Alle vier Aspekte des „tawhîd“ werden in der islamischen Theologie bis heute diskutiert und immer wieder neu muss das Verhältnis des einen Gottes zu seinen Eigenschaften (Attributen), zum Verhältnis zur Welt und zu den Menschen beschrieben werden. Und stets ist man sich bewusst, dass man sprachlich an seine Grenzen stößt. Vieles erinnert in den Abhandlungen an die „theologia negativa“ christlicher Prägung.


Strukturell gleiche Probleme bei allen drei monotheistischen Religionen

So wie „tawhîd ist auch die „Trinität“ ein Geheimnis. Ein Geheimnis ist nicht irrational oder sinnlos. In Bezug auf Gott sagt es aus, dass die Fülle Gottes nicht mit menschlicher Erkenntnis zu fassen ist. Gott ist eben unbeschreiblich, für den Menschen nicht direkt zugänglich. Das ist der Ausgangspunkt jüdischer, christlicher und muslimischer Theologie (Ex.3,14; Ex.20,2 - Joh.1,18; Röm.12,33f, - Sure 42,11, Sure 112). Aber Gott offenbart sich in der Geschichte, in seinem Wort, durch Propheten. Die Rede von der „Einwohnung Gottes“ im Geist (jüdisch) oder von den Attributen Gottes (muslimisch) ist wie die trinitarische Rede (christlich) der Versuch einer ständigen Selbstkorrektur des Redens über Gott. Es gilt, das eigene Reden über Gott stets an Gottes Selbstoffenbarung zu überprüfen. Juden, Christen und Muslime beten zu einem Gott und zu keinem anderen oder zweiten. Sie beten zu demselben Gott, von dem die drei allerdings nicht in allen Punkten das Gleiche glauben. Christen sind keine Polytheisten. Sie beten den einen Gott an in Jesus Christus – etwas, das Juden und Muslime zurückweisen.


Ausblick: erst auf die gemeinsamen Fragestellungen schauen statt auf die unterschiedlichen Antworten

Diese Andeutungen sollen helfen, unabhängig der Unterschiede zwischen den Religionen, den gemeinsamen Glauben an den einen Gott festzuhalten. Es mag auch im Religionsgespräch deutlich werden, dass die „Trinitätslehre“ ebenso rational ist wie die islamische Lehre des „tawhîd“ oder das jüdische Verständnis der „Schechina“, der „Einwohnung“ Gottes.

Zahlreiche Glaubensinhalte, Werte und sogar Praktiken haben Christen und Muslime und Juden gemeinsam oder sie sind sich genügend ähnlich, um zum Dialog zu drängen. Doch es geht nicht allein um notwendiges Wissen. In der (Wieder-) Entdeckung der spirituellen Dimension des Dialogs kann vor allem ein von Herzen praktizierter eigener Glaube die Verwandtschaft zur Geltung bringen.

Wir haben uns daran gewöhnt, sofort auf unsere unterschiedlichen Antworten zu schauen als erst einmal gemeinsam zu entdecken, wie viele Fragestellungen uns verbinden. Viele der uns aus der christlichen Theologie- und Dogmengeschichte vertrauten Fragen sind ebenfalls in der jüdischen wie islamischen Theologie diskutiert worden oder werden es immer noch. Wie kann ich von dem einen, transzendenten, unsichtbaren Gott in der sichtbaren Welt reden? Wie denken und glauben wir die Vermittlung von Gottes Wort? Wie hängen Glauben und Handeln zusammen?

Sich feindlich oder überlegen geben, den anderen karikieren oder als einheitlichen Block wahrnehmen, die Unterschiede in falsch verstandener Toleranz einebnen, all das sind keine spirituellen Haltungen im Dialog. Im jüdisch-christlichen Dialog haben wir das über die Jahrhunderte völlig außer Acht gelassen – mit den bekannten Folgen des Antijudaismus bis hin zum Antisemitismus. Erst die Bankrotterklärung christlicher Ethik im so genannten „Dritten Reich“ und aus dem Versagen der Kirche vor der Aufgabe, die jüdischen Brüder und Schwestern wirksam vor der Ermordung zu schützen, ergab sich nach dem zweiten Weltkrieg schrittweise ein Ansatz für ein neues Miteinander von Christen und Juden.

Im christlich-muslimischen Gespräch sollten wir nicht so lange warten und heute beginnen, bestehende Feindbilder und Vorurteile abbauen zu helfen. „Allahu akbar“ – Gott ist größer! Es gilt, in aller eigenen Bescheidenheit die Transzendenz Gottes wieder ernst zu nehmen und ihn nicht mit der Gegenwart zu verrechnen. Gott ist immer noch mehr, nicht nur jemand Bekanntes, sondern auch jemand Unbekanntes. Auch in seiner Menschwerdung bleibt Gott ein uns unverfügbares Geheimnis.

D. h.: erst wenn wir beginnen, in unseren Herzen Raum zu geben für die Glaubensgeschichte und die Erfahrungen der anderen und lernen, die Welt mit ihren Augen zu sehen, würde auch der oftmals polemische bzw. apologetische Unterton der Äußerungen einem mehr respektvollen Miteinander weichen. Wir werden uns dann bewusster, dass man auf unterschiedliche Weise auf einem spirituellen Weg mit/zu Gott unterwegs sein kann.



LITERATURHINWEISE

Literatur, die den Gedanken zugrunde liegt und benutzt wurde:

* David Flusser, Das Christentum – eine jüdische Religion, 1990

* Hanna Kohlbrugge, Tawhid: Das Herz der islamischen Theologie, in: Evang. Theologie, 51. Jg., Heft 3, S.271-294

* Friedrich-Wilhelm Marquart, Wie verhält sich die christliche Lehre vom dreieinigen Gott zur jüdischen Betonung der Einheit Gottes?, in: Frank Crüsemann/ Udo Theissmann (Hg.), Ich glaube an den Gott Israels, Gütersloh 2001

* Murtada Mutahari, Understanding Islamic Science, London 2002


Der Autor

ANDREAS GOETZE

Jhg. 1964, Pfarrer in Rodgau-Jügesheim, ehemals Vikar in Jerusalem/Bethlehem, engagiert im jüdisch-christlichen Dialog, lange Jahre im Sprecherkreis des „Islam-Arbeitskreises der EKHN“ (Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau), heute Mitglied der „Konferenz für Islamfragen der EKHN“, Vertrauenspfarrer des Jerusalemsvereins.


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