ONLINE-EXTRA Nr. 188
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Rechtsextreme Tendenzen machen vor Kirchentüren nicht halt. Eine scheinbar ebenso simple wie erschreckende Binsenweisheit. Um so mehr verwundert, dass die spezifischen Probleme, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextramismus im kirchlichen Raum und unter gläubigen Christen stellen, kaum nennenswerte Beachtung und Behandlung in der einschlägigen Literatur finden. Mit ihrem Buch "Rechtsextremen Tendenzen begegnen" möchte die die katholische Theologin Angelika Strube diesem Mangel entgegentreten.
Das Buch will nicht nur leicht verständliche Informationen zum Thema Rechtsextremismus und "Neue Rechte" vermitteln, sondern versteht sich zugleich als "Handreichung für Gemeindearbeit und kirchliche Erwachsenenbildung". Nennt man nur ein paar der einschlägigen Kapitelüberschriften - "Was ist eigentlich „rechts“ und wo ist die Mitte?", "Bin ich links, wenn ich gegen rechts bin?", "Bin ich rechts, wenn ich konservativ bin?", "Was habe ich als Christ/in mit disem 'rein politischen Problem' zu tun?", "Warum sind christlicher Glaube und rechtsextreme Ideologien unvereinbar?", oder "Nächstenliebe auch für Neonazis?" - wird deutlich, wie sehr die Autorin die Problematik gezielt auf ein christliches/kirchliches Publikum bezieht. Eine dem Buch beigelegte CD-ROM enthält darüber hinaus eine Fülle von Materialien, die in Pfarrseelsorge, kirchlicher Erwachsenenbildung und bei entsprechenden Gemeinde- und Gesprächsabenden hilfreiche Dienste leisten kann.
Das heutige ONLINE-EXTRA Nr. 188 stellt eine gekürzte und bearbeitete Leseprobe aus den Kapiteln 2, 3 und 5 zur Verfügung und ist in dieser Form zuerst erschienen in: Rassismus entsteht im Kopf. Offenheit auch. Materialheft der Interkulturellen Woche 2013. Explizit hingewiesen sei auch auf die ergänzende Möglichkeit zum Reinblättern in das Buch, die Sie am Ende des Beitrags finden.
COMPASS dankt der Autorin für die Genehmigung zur Wiedergabe ihres Textes an dieser Stelle!
online exklusiv für ONLINE-EXTRA
Online-Extra Nr. 188
Kein Zweifel: Die Kirchen in Deutschland und viele Christinnen und Christen engagieren sich für Gerechtigkeit und die Unantastbarkeit der Menschenwürde, gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus und gegen verschiedene Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Der christliche Glaube an die Gottebenbildlichkeit aller Menschen ist mit rechtsextremen Positionen schlichtweg unvereinbar.
Dennoch machen rechtsextreme Einstellungen auch vor Kirchentüren nicht halt. Christinnen und Christen sind eine umworbene Zielgruppe rechtspopulistischer Parteien wie beispielsweise »PRO-NRW« sowie der »Neuen Rechten«. Auch gibt es Gruppierungen, die sich selbst »christlich« oder »katholisch« nennen, zugleich aber eine bedenkliche Nähe zu neurechten Medien haben. Im Internet treten sie selbstbewusst auf und versuchen, ein breites bürgerliches Publikum für sich zu gewinnen. Eine solide Information der kirchlichen Öffentlichkeit tut daher not. Das Buch »Rechtsextremen Tendenzen begegnen« (siehe Info und Anzeige weiter unten) gibt engagierten Christen alle notwendigen Hintergrundinformationen sowie Materialien für Gesprächskreise und Infoabende an die Hand.
Nachfolgend eine gekürzte und bearbeitete Leseprobe aus den Kapiteln 2, 3 und 5, zuerst erschienen in: Rassismus entsteht im Kopf. Offenheit auch. Materialheft der Interkulturellen Woche 2013.
»WORTERGREIFUNGEN« IN KIRCHLICHEN VERANSTALTUNGEN
Manchmal kommt die Gefahr von außen. Wer eine Veranstaltung gegen Rassismus und/oder Rechtsextremismus oder vielleicht einfach nur ein interkulturelles Fest plant, muss bisweilen erleben, dass die Veranstaltung von Rechtsextremen gestört wird. »Wortergreifung « – in Anlehnung an »Machtergreifung « – nennen Rechtsextreme eine Strategie, mit der sie Versamm-lungen, Bildungs- und Diskussionsveranstaltungen gezielt stören und zerstören wollen. Zu diesem Zweck nehmen sie an den betreffenden Veranstaltungen teil, um sich zu Wort zu melden und die Diskussion mit ihren Redebeiträgen regelrecht zu »fluten« und zu dominieren. Erklärtes Ziel der Wortergreifungen ist es, eine Diskussion über Rechtsextreme zu unterbinden und die Teilnehmenden zu einer Diskussion mit Rechtsextremen zu zwingen. Dass aber eine echte Diskussion, bei der Argumente ausgetauscht und geprüft werden und Perspektiven sich auf beiden Seiten verändern können, bei einer »Wortergreifung « auf Seiten der Rechtsextremen von vornherein nicht gewollt ist, muss den nichtrechten Teilnehmerinnen und Teilnehmern in einer solchen Situation klar sein.
Erlebt man eine »Wortergreifung«, macht es deshalb wenig Sinn, sich auf die aufgezwungene Diskussion einzulassen oder sich gar in seinen eigenen Positionen verunsichern zu lassen. Bildungsveranstalter können von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und die Rechtsextremen als »Störer« des Hauses verweisen, u. U. durch die Polizei. Darauf, dass Neonazis ihnen dann vorwerfen, sie würden die Meinungsfreiheit unterdrücken, muss man gefasst sein, sollte sich den Schuh aber keinesfalls anziehen. Viele Bildungsträger kündigen im Vorfeld bestimmter Veranstaltungen auf der Einladung bereits an, dass Rechtsextreme von der Teilnahme ausgeschlossen sind. Das gibt Veranstaltern das Recht, entsprechende Personen gar nicht erst einzulassen bzw. im Falle einer »Wortergreifung« des Hauses zu verweisen.
Gerade Christinnen und Christen haben oft Skrupel, solche deutlichen Maßnahmen durchzusetzen und empfinden sie leicht als »zu hart« oder »intolerant«, doch genau genommen sind sie einfach nur klar und konsequent: Sie schützen die Veranstaltung und ihre Teilnehmenden vor Personen, die sich ganz bewusst nicht auf eine echte Diskussion und inhaltliche Auseinandersetzung einlassen, sondern die Diskussion der anderen Anwesenden einfach nur torpedieren, zerstören und unterbinden wollen. Beim Gebrauch des Hausrechts gegen Rechtsextreme geht es um den Schutz der übrigen Veranstaltungsteilnehmenden vor rechtsextremer Intoleranz.
HINTERGRUND: »Scharnierorgane« oder »Brückenmedien«
Deshalb verzichten Scharnierorgane auf grobe Hetze und plakative rechtsextreme Parolen, sondern geben sich bürgerlich, gegebenenfalls intellektuell, was rechte Ideologen selbst als »politische Mimikry« (Verstellung) propagieren.
NEURECHTE MEDIEN BUHLEN AUCH UM CHRISTLICHE LESERINNEN UND LESER
Neurechte Medien haben ein Interesse daran, konservative Christinnen und Christen für sich zu gewinnen, denn Christentum und Kirchen stellen einen wesentlichen Kern der »Mitte der Gesellschaft« dar. Neurechten Zeitungen, Magazinen und Internetseiten wie »Junge Freiheit«, »Blaue Narzisse«, »eigentümlich frei« oder dem rechtspopulistischen islamfeindlichen Weblog »Politically Incorrect« ist gemein, dass sie aktiv um christliche Leser werben. Obwohl diese Medien sich nicht als christlich, kirchlich oder religiös verstehen und obwohl sie eine teilweise aggressiv antichristliche Leserschaft haben, greifen sie immer wieder aktuelle kirchliche, besonders gerne konservativ-christliche oder traditionalistische Themen auf.
Die Leserwerbung gelingt am einfachsten im Internet: Wenn dort jemand nach Artikeln zu aktuellen kirchlichen Themen sucht und ein entsprechendes Stichwort in eine Suchmaschine eingibt, dann erhält er eine lange Liste von passenden Artikeln. Indem neurechte Internetmagazine auch Artikel zu aktuellen kirchlichen Themen veröffentlichen, kommen Internetnutzerinnen und -nutzer über Suchmaschinen auf diese Seiten. Wenn die kirchlichen Artikel sie ansprechen, werden sie auch andere Artikel lesen und die Seiten regelmäßiger besuchen. Auf diese Weise können neurechte Medien auf kirchliche Internetnutzer Einfluss gewinnen. Nicht immer ist den Betroffenen bewusst, dass sie ein neurechtes Magazin lesen; manche würden dies womöglich gar nicht wollen. Hier hilft es, sich und andere über die »Neue Rechte«, ihre Medien, ihre Strategien und ihre Ziele zu informieren.
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„Insbesondere die sogenannte Neue Rechte gibt sich intellektuell und zielt auf konservative Erwachsene, gerade auch in kirchlichen Kreisen“, weiß Autorin und Theologin Angelika Strube. Die Handreichung Rechtsextremen Tendenzen begegnen vermittelt knapp und verständlich wichtige Grundinformationen über Rechtsextremismus: Was ist eigentlich „rechts“? Mit welchen Strategien arbeiten Rechtsextreme? Welche Themen besetzen sie? Bin ich rechts, wenn ich konservativ bin? Gerade für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pfarrseelsorge und in der kirchlichen Erwachsenenbildung gibt das Buch eine anschauliche Hilfestellung, Rechtsextremismus zu erkennen und ihm zu begegnen: Gesprächsabende zum Thema können mit den Materialien auf der CD-ROM vorbereitet werden.
NEURECHTEN MEDIEN UND POSITIONEN BEGEGNET MAN AUCH AUF CHRISTLICHEN INTERNETSEITEN
Allerdings kann es auch passieren, dass man neurechten Medien und neurechtem Gedankengut in einigen sich christlich nennenden Zeitschriften und Internetseiten begegnet. Im evangelischen Bereich sind es vor allem die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) und die ihr nahe stehenden Medien wie »idea« und »medrum«, die sich positiv auf die »Junge Freiheit« und ähnliche Scharnierorgane beziehen. Im katholischen Bereich sind es Internetseiten von extrem konservativen bis hin zu traditionalistischen Gruppen, die der Piusbruderschaft nahe stehen. Die bekannteste und einflussreichste Internetseite dieser Art ist »kath.net«, eine private Initiative aus dem österreichischen Linz – nicht zu verwechseln mit dem offiziellen Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland, »katholisch.de« oder der Seite »kath.de«, einer katholischen Pionierin des Internets.
»Kath.net« macht sich durch Werbung und Berichterstattung regelmäßig zu einer Plattform neurechter Medien und Gedanken. Besonders offensiv wirbt diese sich katholisch nennende Seite für die »Junge Freiheit«: Zum einen durch Werbebanner, zum anderen, indem regelmäßig positiv auf die »JF« Bezug genommen und aus ihr zitiert wird. Auf diese Weise wird die »Junge Freiheit« kath.net-Lesenden als zuverlässige Informationsquelle vorgestellt. Als im Herbst 2010 die Deutsche Bischofskonferenz beschloss, die konservativchristliche Wochen-zeitung »Rheinischer Merkur« einzustellen und als Beilage zur ZEIT zu geben, wo sie heute unter dem Titel »Christ & Welt« erscheint, erschienen auf kath.net mehrere Artikel, die sich dafür aussprachen, sie stattdessen der »Jungen Freiheit« einzugliedern und ihre Leserschaft an dieses neurechte Blatt zu binden. Mehr noch: »kath.net« sympathisierte auch mit extrem is-lamfeindlichen, als volksverhetzend eingestuften Medien wie »Politically Incorrect«. Vier Jahre jedenfalls, vom 04.10.2007 bis Ende September 2011, konnte man auf »kath.net« ein ausgesprochen sympathisierendes Interview mit Stefan Herre, dem Gründer und Betreiber dieses Hetzportals, finden, in dem er Gelegenheit hatte, seine Internetseite und seine islamfeindlichen Thesen ausführlich vorzustellen.
HINTERGRUND "Neue Rechte"
Dabei setzten und setzen sie nicht auf Parteien und den »Kampf um die Parlamente«, sondern sie wollen den »Kampf um die Köpfe« gewinnen. Sie wollen das Denken möglichst vieler Menschen möglichst weitreichend beeinflussen und auf diese Weise die Gesellschaft insgesamt nach rechts verschieben. Der »Neuen Rechten« begegnet man deshalb vor allem in ihren Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Internetseiten.
Historisches Vorbild der »Neuen Rechten« ist die sogenannte »Konservative Revolution« in der Weimarer Republik, die die junge Demokratie mit antidemokratischem Gedankengut nachhaltig untergrub und auf diese Weise zu einem geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus wurde. Deren Vordenker, etwa Oswald Spengler, Ernst Jünger oder Carl Schmitt, werden in neurechten Medien gerne als geistige Gewährsmänner genannt. In Deutschland hat die »Neue Rechte« vor allem seit 1989 an Einfluss gewonnen. In den letzten Jahren ist es zudem durch das Internet sehr leicht geworden, neurechtes Gedankengut zu verbreiten und neurechte Medien mit einander zu vernetzen.
»KREUZ.NET«: EIN RECHTSEXTREMES MEDIUM, DAS SICH SELBST »KATHOLISCH« NANNTE
Das wohl extremste Beispiel einer mit unverhohlen rechtsextremem Gedankengut gespickten Internetseite, die sich »katholisch« nannte, war die im Dezember 2012 vom Netz gegangene Seite »kreuz.net«. Die Betreiber der Seite verschanzten sich in der Anonymität, gaben aber an, »hauptberuflich im kirchlichen Dienst tätig« zu sein. Diese Anonymität und Geheimniskrämerei hatten ihren Grund, denn viele Inhalte dieser Seite erfüllten Straftatbestände. Über die Jahre hatte die Internetseite bereits Ermittlungsverfahren sowie Indizierungen durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf sich gezogen, unter anderem wegen Verwendung des Hitlergrußes. Im Februar 2009 distanzierten sich die Deutsche und die Österreichische Bischofskonferenz erstmals öffentlich von »kreuz.net«.
Im Herbst 2012, nach einer kreuz.net-Hetzkampagne gegen den verstorbenen Entertainer Dirk Bach, gelang es der Initiative »Stoppt kreuz.net«, einige Macher und Autoren der Internetseite namentlich zu ermitteln; tatsächlich gab es darunter Kirchenmitarbeiter und römisch-katholische Priester. Das gesammelte Material wurde im November 2012 an die Staatsanwaltschaft in Berlin übergeben, die derzeit ermittelt. Am 2.12.2012 schließlich verschwand die Seite aus dem Netz. Damit jedoch ist das Problem keinesfalls aus der Welt, sondern die selbstkritische innerkirchliche Auseinandersetzung, wie es zu einer solchen Internetseite und derartigen rechtsextremen Exzessen kommen konnte, hat gerade erst begonnen.
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Die Autorin
Kontakt zur Autorin und/oder Compass:
PD Dr. theol., ist promovierte und habilitierte katholische Theologin (Schwerpunkte: Biblische und Praktische Theologie). Z. Zt. arbeitet sie zum Thema des Buches in der Interdisziplinären Forschungsgruppe „Frieden, Religion, Bildung“ an der Universität Osnabrück.
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