ACHTUNG
ONLINE-EXTRA Nr. 293
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Der Präsident des österreichischen Nationalrates ist der Vorsitzende des Nationalrats, der ersten Kammer des österreichischen Parlaments. Seit 20. Dezember 2017 ist Wolfgang Sobotka (ÖVP) Präsident des Nationalrats. Das Amt ist in Österreich, ähnlich wie der Bundespräsident, eine Institution der Identitätstiftung und der überparteilichen Politik. Die solcherart herausgehobene Stellung des Nationalrats und seines Präsidenten unterstreicht naturgemäß die politische und gesellschaftliche Bedeutung jeglicher Initiativen und Beiträge, die von ihnen ausgehen. Und ohne Frage trifft dies auch auf die vielbeachtete "Antisemitismus-Studie 2018" zu, die Nationalratspräsident Sobotka in Auftrag gegeben hatte und die im März 2019 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. (Siehe dazu die Links zu Berichten und Kommentaren sowie der Studie selbst in der Tagesausgabe des Compass vom 18.03.2019).
Vor dem Hintergrund dieser österreichischen "Antisemitismus-Studie 2018" ist der nachfolgende, längere Text "Die tiefreichenden Wurzeln des (europäischen) Antisemitismus" aus der Feder des österreichischen Politik- und Kommunikationswissenschaftlers Maximilian Gottschlich entstanden, den COMPASS in zwei ONLINE-EXTRA-Ausgaben publiziert. Angefertigt wurde Gottschlichs Analyse ebenfalls im Auftrag des Präsidenten des österreichischen Nationalrats und dient als Teil einer theoretischen Aufarbeitung des Problems, um zugleich auch die präsentierten empirischen Ergebnisse der "Antisemitismus-Studie 2018" besser einordnen zu können.
Um sich der komplexen Frage nach den tiefergehenden Ursachen des Antisemitismus anzunähern, greift Gottschlich auf ein Verständnis von Antisemitismus zurück, das bereits in den 1940er-Jahren von den Pionieren der Antisemitismusforschung – unter ihnen Ernst Simmel, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer – entwickelt wurde. Antisemitismus sei, so schlugen sie vor, als sozio-pathologisches Geschehen zu verstehen, als „soziale Krankheit“, der kollektiv-psychische und psycho-soziale Ursachen zugrunde liegen. Damit werde zugleich deutlich, warum dem destruktiven antisemitischen Vorurteil, der antijüdischen Obsession auf rationalem Wege allein nicht beizukommen ist. Der Antisemitismus entpuppt sich als weitgehend aufklärungsresistent.
Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von Antisemitismus als „sozialer Krankheit“ unterscheidet Gottschlich drei einander überlagernde und miteinander in Wechselwirkung stehende Wurzelstränge, aus denen sich auch der moderne Antisemitismus, also der „Antisemitismus nach Auschwitz“ speist. Zunächst setzt sich der Autor mit den religionspsychologischen Wurzeln des Antisemitismus auseinander, widmet sich sodann den psychopathologischen Mechanismen von Schuldabwehr und Schuldprojektion, und verweist schließlich drittens auf die sozial-psychologischen Wurzeln des Antisemitismus.
Gottschlichs Ausführungen machen insgesamt deutlich, dass es anderer, grundlegenderer Antworten auf den Antisemitismus bedarf, als sie bisher gegeben wurden. Die Macht des destruktiven Vorurteils, des endemisch sich ausbreitenden Hasses in der Gesellschaft ist mit den Mitteln der Aufklärung allein nicht einzudämmen. Wenn Antisemitismus als „soziale Krankheit“ gesehen werden muss, als irrationales Phänomen des Hasses, dann kann – so das Plädoyer des Autors – die einzige nachhaltige therapeutische Antwort nur in einer neuen Kultur des Mitgefühls liegen.
COMPASS dankt dem Autor herzlichst für die Genehmigung zur Wiedergabe seines Textes an dieser Stelle!
Online-Extra Nr. 293
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Einen angenehmen Tag, ein schönes Wochenende und gut Schabbes wünscht
Dr. Christoph Münz
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