ACHTUNG:
Guten Tag!
Die Heftigkeit der Angriffe der Hamas und des israelischen Militärs, aber auch der Gewalt in Israel selbst, die nun seit Tagen schon zu verzeichnen sind, hat viele überrascht. Und dennoch, wie üblich, fragen sich alle die gleichen Fragen, die man sich in solchen Situation schon immer gestellt hat: Wird diese „Runde“ bald vorüber sein? Wer ist verantwortlich? Und wird sich etwas ändern? Jochen Stahnke beantwortet einen Teil dieser Frage in der FAZ so:
"Die Hamas von der Macht zu vertreiben steht dagegen nicht auf dem Plan [der Israelis]. Zumal dies eine mutmaßlich blutige Bodenoffensive nach sich ziehen müsste und selbst im unwahrscheinlichen Falle des Gelingens ein Machtvakuum in dem von radikaleren Milizen bevölkerten Gazastreifen herbeiführen könnte – was kaum im Interesse Israels wäre. Und so erwarten alle, dass auch diese „Runde“ früher oder später wieder zu Ende geht, ohne dass sich an der Ausgangslage in Jerusalem, dem ungleichen arabisch-jüdischen Nebeneinander in Israel oder im Gazastreifen Grundlegendes ändert."
Tessa Szyszkowitz kommt in ihrem etwas längeren Beitrag für das österreichische Nachrichtenmagazin PROFIL, in dem sie sich mit der Frage beschäftigt, warum sich die Spirale der Gewalt im Nahostkonflikt immer weiter dreht, zu der traurigen Erkenntnis: "Den Hardlinern in Israel und dem Gazastreifen ist es gelungen, ihre Haltungen zum Mainstream im Diskurs über den Nahostkonflikt zu machen."
Hannes Alpen, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem und den Palästinensischen Gebieten, betont im Interview mit dem sozialdemokratischen VORWÄRTS, dass durch die kriegerischen Auseinandersetzungen der eigentliche Ausgangspunkt im aktuellen Konflikt überdeckt werde:
"Die Hamas hat durch ihre Raketen auf Jerusalem die Ereignisse dort gekapert und einen Krieg provoziert. Was dadurch in den Hintergrund gerät, sind die erwähnten Proteste in Ost-Jerusalem, die sich unter anderem an geplanten Zwangsevakuierungen von palästinensischen Familien aus ihren Häusern oder der Polizeigewalt auf dem Haram a-Scharif bzw. Tempelberg entzündeten. Außerdem haben wir jetzt noch eine neue Dimension: schreckliche Szenen von ethnisch motivierter Gewalt zwischen jüdischen und palästinensischen israelischen Staatsbürgern in israelischen Städten."
Im Blick auf ein zu erwartendes Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen urteilt er:
"Aber was Leserinnen und Lesern in Deutschland vielleicht überraschend erscheinen mag: In dem Krieg zwischen der Hamas und dem Islamischen Jihad auf der einen Seite und der israelischen Armee auf der anderen Seite scheint es noch am ehesten möglich zu sein, diesen wieder einzufangen, weil zwischen Parteien verhandelt wird, die jeweils die Kontrolle über die Gewaltausübung haben. Bei den Protesten in Ost-Jerusalem und der Gewalt in Israel selbst wird dies deutlich schwieriger sein."
Im Interview mit der ZEIT geht Michael Schmale, Direktor des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen in Gaza, auf die Auswirkungen des aktuellen Konflikts auf die Menschen in Gaza ein und beschreibt deren Stimmungslage wie folgt:
"Ich verstehe, dass es Vergeltung gibt für die insgesamt etwa 2.000 von der Hamas abgefeuerten Raketen auf Israel. Das verstehen auch die meisten Menschen in Gaza. Was ich aber schon beobachte, ist, dass Moderate, die vorher sagten: 'Die Hamas hat den Gazastreifen in Grund und Boden gewirtschaftet', jetzt doch Sympathien für die Hamas entwickeln. Sie sympathisieren zwar nicht unbedingt mit der Gewalt, aber mit der Haltung. Nach dem Motto: Die Hamas tut wenigstens irgendetwas. Viele hier beziehen sich dabei auf die Vorgänge in Ostjerusalem und sehen dort die Ursache für den Konflikt. Die Israelis sind in den Augen vieler Palästinenser zu weit gegangen."
In einem Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kritisiert der Politikwissenschaftler Stephan Grigat, dass in der Berichterstattung vor allem ein Thema "merkwürdig unterbelichtet" bleibe: die Rolle, die das iranische Regime bei der massiven Aufrüstung und Finanzierung der antisemitischen Terrortruppen in Gaza gespielt habe. Ohne ein Zurückdrängen des Regimes in Iran, so schreibt er, blieben alle Bemühungen um eine Entspannung in der Region dauerhaft zum Scheitern verurteilt:
"Es ist eine simple Tatsache, dass die massiven Raketenangriffe der Hamas und des Islamischen Jihad auf die israelische Zivilbevölkerung ohne die kontinuierliche Unterstützung aus Teheran nicht in der Intensität möglich wären, wie die Menschen in Israel sie nun schon seit Tagen erleiden müssen. Das bedeutet: Wer mit dem Ajatollah-Regime in Iran Geschäfte macht, finanziert den Terror gegen Israel. ... Wollte man Israel gegen den Terror der Hamas und des Islamischen Jihad ernsthaft beistehen, müssten Geschäfte mit den iranischen Förderern des antiisraelischen Terrors komplett verboten werden."
In einem instruktiven Beitrag für die WELT weisen Philip Volkmann-Schluck und Clemens Wergin darauf hin, dass auch beim aktuellen Konflikt ein eingespieltes Muster zum Vorschein komme: Die Hamas feuert Raketen auf Israel, Israel schlägt zurück, die Opferzahlen steigen, die Welt ruft nach Waffenstillstand. Und jedes Mal kursieren Annahmen zur schnellen Lösung des Konflikts. Doch viele halten einer Überprüfung nicht stand, wie sie in ihrem Faktencheck zu belegen suchen: „Israel muss nur das besetzte Land zurückgeben?“
Schließlich: In einem bemerkenswerten und unbedingt empfehlenswerten Interview des HUMANISTISCHEN PRESSEDIENSTES mit dem Politologen Armin Pfahl-Traughber fächert dieser die Geschichte und Ideologie der Hamas. Dabei hebt er hervor, dass Gewalt für die Hamas nicht nur gegen Israel zum Program gehöre, sondern "auch nach innen, gegenüber der eigenen Bevölkerung. Beim Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre kann man etwa feststellen, dass bei ansteigender Empörung über die Hamas-Regierung unter den Palästinensern diese dann Raketen nach Israel schickt. Kommt es dann zu Gegenschlägen, zeigt die Hamas-Regierung auf Israel als Schuldigen für viele Probleme."
Links zu Hintergrundberichten und Interviews zum aktuellen Konflikt in den Rubriken ISRAEL UND NAHOST AKTUELL sowie ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.
Wie fühlt es sich an, unter dem Beschuss der Raketen in Tel Aviv zu leben? In einem sehr bewegenden und eindringlichen Text für die BERLINER ZEITUNG beschreibt Katharina Höftmann Ciobotaru ihren Kriegsalltag in Tel Aviv unter dem Bombenhagel der Hamas. Ciobotaru wurde 1984 in Rostock geboren, studierte in Berlin Psychologie und Deutsch-Jüdische Geschichte und arbeitet heute als Schriftstellerin und freischaffende Journalistin. Sie ist deutsche und israelische Staatsbürgerin und lebt seit elf Jahren mit ihrem israelischen Mann und ihren beiden Kindern im Alter von sieben und vier Jahre in Tel Aviv. Wehmütig beschreibt sie zu Beginn ihres Textes, wie sich die Tage vor den gewaltsamen Ausbrüchen, die von dem befreienden Gefühl der überwundenen Pandemie gekennzeichnet waren, für sie anfühlten:
"Wir lebten zwei Monate lang. Zwei Monate Rausch. Zwei Monate Party, jeden Abend. Volle Bars, volle Restaurants, volle Strände, volle Straßen, volle Herzen. Wir gingen wieder auf Konzerte, in Museen, Theater und Clubs. Feierten riesige Kindergeburtstage, bei denen sich alle Eltern zum Abschied umarmten. Der Himmel war blau, die Freiheit zurück. Dann kam der 11. Mai. Dann kam der Krieg."
Und mit ihm die Angst um das eigene Leben und das der Kinder, die im Kellerbunker ihres Wohnhauses Schutz vor den Raketen suchten:
"Ich werde dieses Gefühl, dort in diesem stickigen, stockdüsteren Raum, das ganze Haus am Wackeln, neben mir meine schlafenden Kinder (gesegnet sei ihr tiefer Schlaf), vor mir mein mich beruhigender Mann und in mir eine unmenschliche Angst, niemals vergessen. Ich war getroffen. Tel Aviv war getroffen. Nein, nicht von Raketen, denn zumindest hier in unserer Stadt hatte das Raketenabwehrschild trotz der unfassbaren Menge an Geschossen alle Gefahren neutralisiert, sondern von dem unheimlichen Gefühl, dass wir uns hier in unserer israelischen Bubble, der bestgeschützten Stadt des Landes, vielleicht viel zu sicher gefühlt hatten."
Der Link zu ihren Eindrücken in der Rubrik ISRAEL INTERN.
Aber nicht nur zwischen Israel und der Hamas gibt es Krieg, auch in Israel selbst herrscht seit Tagen ein Straßenkrieg: in Lod, in Aschkelon und anderen Orten mit gemischt jüdisch-arabischer Bevölkerung. Überall dort gibt es Attacken auf Juden und ihre Einrichtungen und umgekehrt Gewalt gegen arabische Israelis. Maria Sterkl, die für den STANDARD aus Lod berichtet, schreibt die Stimmung so:
"Und dann gibt es die, die von der Spaltung leben und alles tun, um sie zu vertiefen. Die Hamas auf der einen Seite, die jüdischen Rechtsextremen auf der anderen. Beide stacheln die Mobs weiter auf. ... Vom "Ende der Koexistenz" sprechen die großen israelischen Medien schon, manche reden gar von Bürgerkrieg. Jene, die nie an Frieden geglaubt hatten, fühlen sich nun bestätigt. Und die, die ihn trotz aller politischen Krisen immer noch erhofft hatten, fühlen sich so erschlagen wie nie."
Tim Aßmann betont in seinem Bericht für TAGESSCHAU.de:
"Die regelrechte Explosion von Hass und Gewalt macht den vorher schon vorhandenen tiefen Riss in der israelischen Gesellschaft und die Spaltung zwischen arabischen und jüdischen Einwohnern überdeutlich. Die Regierung setzt bisher auf Härte: auf massive Polizeipräsenz und Ausgangssperren. Ob die Lage so beruhigt werden kann, ist fraglich. Und selbst wenn wieder Ruhe einkehrt, die Ursachen der Spaltung bleiben bestehen, und auch das Misstrauen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen ist durch die Unruhen größer geworden."
Und auch Steffi Hentschke lässt die Leser in ihrer sehr persönlichen Reportage für die ZEIT spüren, wie depremierend die Situation ist:
"Man kann niemandem mehr trauen, diese Erkenntnis gärt in diesen Tagen in Israel wie ein giftiges Gebräu. Während ein neuer Krieg mit Gaza ausbricht, eskaliert die Gewalt zwischen jüdischen und arabischen Israelis. Akko, Haifa, Lod, Bat Yam, viele Orte, aus denen man bisher Geschichten des Miteinanders erzählte. Juden, Muslime, Christen leben hier seit Generationen zusammen. Nun spielen sich bürgerkriegsähnliche Szenen ab."
Der Münchner Historiker Daniel Mahla versucht im Gespräch mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu erklärern, wie es zu den innerisraelischen Auseinandersetzunge kam, welche Rolle arabische Israelis in dem Konflikt spielen, wie sich die innenpolitische Situation in Israel darstellt und warum die Regierung von Benjamin Netanjahu kein Interesse an einer weiteren Eskalation haben dürfte. Auf die Frage, ob sich die arabischen Israelis im Land immer noch als Bürger zweiter Klasse sehen, antwortet er:
"Einerseits ist man Teil der israelischen Gesellschaft, hat wirtschaftlich und individuell volle Rechte. Sie haben zum Beispiel arabische Israelis in fast allen politischen Parteien, auch im Likud, dem Netanjahu angehört. Andererseits gibt es Diskriminierung, etwa was den Landbesitz angeht oder die Entwicklung von Städten. Arabisch geprägte Städte in Israel erhalten weit weniger Mittel für ihre Infrastruktur. Das betrifft vor allem das sogenannte Dreieck südöstlich von Haifa, dem Teil von Israel, wo der Anteil der Araber an der Bevölkerung am höchsten ist."
Die Links zum Thema in der Rubrik ISRAEL INTERN.
Und Deutschland? In einem nachdenklichen Beitrag für die FAZ schreibt Meron Mendel, Historiker und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, wie vor dem Hintergrund der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen sich das deutsch-israelische Verhältnis zeige. Ausgehend von Angela Merkels Diktum in 2008, dass Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsreäson sei, fragt Mendel, was von diesem Anspruch noch übrig sei - und was gerade in dieser Situation an ihre Stelle treten müsste:
"Die Bedeutung solch einer Deklaration einer Regierungschefin, die den deutschen Staat auf ewig der Sicherheit eines anderen Landes verpflichtet, wiegt schwer. Sie wurde nicht einmal an Bedingungen geknüpft, wie etwa an das Fortbestehen der israelischen Demokratie. Als Israeli hatte mich Merkels Rede gerührt, weil ich ihre guten Absichten zu verstehen meinte. Seither wird aber immer deutlicher, dass dieses Versprechen nicht einzulösen ist. Es wäre vielmehr an der Zeit, sich seiner Unerfüllbarkeit zu stellen und eine neue Grundlage für das deutsch-israelische Verhältnis zu finden, sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene."
Mendel analysiert die verschiedenen Ebenen - Politik, deutsche Bevölkerung, individuelle Äußerungen, mediale und kulturpolitische Ebene -, auf denen sich das deutsch-israelische Verhältnis abbildet und beklagt das "irritierende Phänomen einer geradezu rauschhaften Emotionalität, mit der in Deutschland über die Parteien im Nahost-Konflikt diskutiert wird. Es scheint, dass es hier nur vordergründig um die Fehde zwischen Israelis und Palästinensern geht, während der Konflikt in Wahrheit eine Projektionsfläche darstellt, um sich der eigenen Identität zu vergewissern."
Dem hält er entgegen:
"Wer ernsthaft Frieden in Nahost haben möchte, sollte sich nicht als Erstes hinter Nationalflaggen versammeln. Auch nicht hinter der deutschen als einer qua Staatsräson geläuterten Nation. Das Bedürfnis, diesmal auf der „richtigen“ Seite der Geschichte zu stehen, versperrt den Weg zu einer selbstreflektierten, differenzierten Position."
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Mauthausen, dessen Befreiung am Sonntag zum 76. Mal gedacht wurde, ist eine international bekannte Gedenkstätte. Bis zur Pandemie empfing sie jedes Jahr Hunderttausende von Besuchern. Doch nur wenige Kilometer entfernt standen in Gusen drei Vernichtungslager, die heute weitgehend vergessen sind. Ein Grund dafür ist besonders deprimierend: Die Zahl der Überlebenden war so gering, dass ihre Stimmen kaum hörbar waren. In Österreichs Gedenkkultur fristete demzufolge Gusen über Jahrzehnte ein Schattendasein – ein Zustand, der sich erst jüngst wegen des massiven Drucks aus Warschau und anderen europäischen Hauptstädten geändert hat, wie Ivo Mijnssen in einem Bericht für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG erläutert: «Die einen schwiegen, weil sie Täter waren, die anderen, weil sie schlimme Dinge erlebten»
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Sind Gedenkstättenbesuche von Schülerinnen und Schülern in Auschwitz-Birkenau zielführend? Der Debatte um verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten für alle deutschen Schülerinnen und Schüler fehlt häufig etwas Grundsätzliches: Grundlegende Ergebnisse zum Lernerfolg solcher Schulfahrten. Auf Basis erstmals ausgewerteter Quellen untersucht Christian Kuchler in seiner vor kurzem veröffentlichten Studie "Lernort Auschwitz" schulische Auschwitz-Besuche der letzten vier Jahrzehnte. Deutlich wird dabei, wie Schülerinnen und Schüler ihre Zeit am historischen Ort wahrnehmen und bis in die Gegenwart reflektieren. Thematisiert werden beispielsweise die Ängste der Schülerinnen und Schüler im Vorfeld ihrer Ankunft in Oswiecim und der Umgang der Lernenden mit den von der Gedenkstätte ausgelösten Emotionen. Neben der Wahrnehmung der Gedenkstätte unmittelbar nach dem Besuch nimmt der Autor auch den langfristigen Lernerfolg des Aufenthalts am »Lernort Auschwitz« in den Blick. Holger Thünemann hat das Buch für die FAZ gelesen: "Der schwierige Weg zur Geschichte".
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"Der Kampf gegen den Antisemitismus in Deutschland glaubte sich zu lange zu sicher im Gedenken an die Shoa", merkt Anna Sauerbrey in einem Kommentar für den TAGESSPIEGEL vor dem Hintergrund des jüngsten antisemitischen Furors auf deutschen Straßen an:
"Diese Form des Kampfes gegen den Judenhass dominiert weiterhin die Lehrpläne in Schulen. Statt Lerneinheiten zum Dechiffrieren von antisemitischen Codes auf Verschwörungsblogs oder Aufklärung über die Ursachen des Nahostkonflikts, liest man an deutschen Schulen weiterhin „Damals war es Friedrich“, in der Hoffnung, dass das Gedenken auch gegen die modernen Wiedergänger des alten Hasses immunisieren möge."
Im Interview mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG fordert Gady Gronich, Generalsekretär der Europäischen Rabbinerkonferenz in München, von der Bundesregierung schärfere Gesetze gegen antijüdische Hetzer und kommentiert den aktuell zu beobachtenden Antisemitismus von Einwanderern:
"Nun, das war zu erwarten. Die Frage war nur: Wann wird es geschehen, und was wird der Auslöser sein? Seien wir ehrlich: Der Nahostkonflikt mit all seinen falschen Narrativen hält grosse Teile der muslimischen Gemeinde in geistiger Geiselhaft. Nun wird dieser Konflikt auch auf europäischem Boden ausgetragen. Wir hören solche antisemitischen Parolen in diesem Land ja auch nicht zum ersten Mal, doch sie werden immer brutaler. Aber: Deutschland hat seine Verantwortung für den Schutz des jüdischen Lebens angenommen, auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Trotzdem sehen wir von der Europäischen Rabbinerkonferenz noch einen sehr grossen Bedarf an rechtlichen und präventiven Massnahmen, auch in Deutschland. Das Rechtssystem muss diesen Antisemitismus angreifen."
In islamistischen Organisationen ist freilich der Antisemitismus Programm, meint zumindest Susanne Schröter, Professorin für Ethnologie in Frankfurt, in einem lesenswerten Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG und mahnt eindringlich:
"In Deutschland müsste die Politik endlich zur Kenntnis nehmen, dass die der islamistischen Ideologie nahen religiösen Gemeinschaften eine grosse Gefahr sind. ... Was die Ditib und die Milli Görüs anbelangt, förderten investigative Journalisten immer wieder zutage, dass türkischsprachige Websites für antisemitische Propaganda genutzt wurden. Antisemitische Statements wurden auch für Organisationen unter dem Dach des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) oder für schiitische Einrichtungen im Verband Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland nachgewiesen. Das Wissen ist vorhanden, doch Konsequenzen folgen nicht. Noch immer sind diese Gruppierungen Partner des Staates auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene, arbeiten Kirchen und gesellschaftliche Einrichtungen mit ihnen zusammen."
Und wie bekämpft man muslimischen Antisemitismus an der Basis? Das hat die WELT den Pädagogen Burak Yilmaz gefragt, der die Hilflosigkeit vieler Lehrer im Umgang mit dem Judenhass muslimischer Jugendlicher als gewaltiges Problem betrachtet. Der 33-jährige selbstständige Pädagoge macht Workshops mit Schülern und gehört zum Beraterkreis des Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus, Felix Klein. Vor allem sein Projekt „Junge Muslime in Auschwitz“ sorgt für Aufsehen. Auf die Frage, ober die Ansicht teile, dass es sich bei den Ausfällen auf den Demos etwa in Köln oder in Berlin um einen „migrantischen Antisemitismus“ handele, antwortet er:
"Ich sehe Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem. Natürlich gibt es Judenhass auch in der muslimischen Community. Ich sehe aber die Gefahr, dass man jetzt Judenhass auf die Muslime projiziert und so tut, als hätte die Mehrheit der deutschen Gesellschaft damit nichts zu tun. Da fehlt mir eine differenzierte Debatte. Wir dürfen jetzt keine neue Wir-und-ihr-Debatte schüren. Wir werden Judenhass nicht erfolgreich bekämpfen, indem wir ein neues Feindbild schaffen und Rassismus gegen Muslime fördern. Wir müssen Judenhass in all seinen Auswirkungen sehen. Dazu gehört auch der verschwiegene Judenhass in der Mehrheitsgesellschaft. Das betrifft uns alle, und wir müssen alle etwas dagegen tun."
Viele Links zum Thema in der Rubrik ANTISEMITISMUS.
Beinahe mit stockendem Atem verfolgt man Gesine Dornblüths Bericht für DEUTSCHLANDRADIO, in dem sie von einem weltweiten Netzwerk religiöser Rechter berichtet: "World Congress of Families". Die Mitglieder eint die Überzeugung, gegen eine – wie sie es nennen – „liberale Diktatur“ kämpfen zu müssen, die sich in der Welt ausbreite. In der Bewegung haben sich ultrakonservative Christen in Russland und die „Christian Right“-Bewegung aus den USA miteinander verbunden. Mehrere Treffen fanden bereits statt: jüngst in Verona, davor in Genf, Mexiko, Warschau, Madrid, Sidney, Moskau, Salt Lake City, Tiflis, Budapest und der moldauischen Hauptstadt Chisinau. Der allererste Kongress fand 1997 in Prag statt. Gegründet wurde das Netzwerk 1995 von einem Russen – dem Soziologen Anatoljj Antonov – und dem US-Amerikaner Allan Carlson: "Weltweites rechtes religiöses Netz".
Der Link zum Beitrag in der Rubrik RECHTSEXTREMISMUS.
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Der Bundespräsident sollte alle Bürgerinnen und Bürger repräsentieren, doch Frank-Walter Steinmeier sprach bei der Eröffnung des Ökumenischen Kirchentags als "engagierter Christ", der sich parteiisch auf die Seite der Kirchen stellt und die zunehmende Religionsabstinenz in der Bevölkerung als Gefahr begreift, kritisiert der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon: "Dies lässt Zweifel an Steinmeiers Eignung für das höchste Staatsamt aufkommen". Mehr noch, so heißt es in dem Beitrag des HUMANISTISCHEN PRESSEDIENSTES weitr, der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat auf dem Ökumenischen Kirchentag gesagt: "Ob die Pandemie nicht auch hier als Brandbeschleuniger wirkt, dem Prozess der Säkularisierung zusätzlichen Schub verleiht, die Kirchen aus der Mitte der Gesellschaft drängt." Den Begriff des "Brandbeschleunigers" findet die Giordano-Bruno-Stiftung mehr als deplatziert:
"Offenkundig schätzt der Bundespräsident die Zunahme des religionsfreien Bevölkerungsanteils als bedrohlich ein, denn der Begriff 'Brandbeschleuniger' wird fast ausschließlich für gefährliche Entwicklungen wie das Erstarken von Rechtspopulismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit verwendet."
Der Link zum Beitrag in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.
Der Soziologe Ruud Koopmans forscht schon länger über Fundamentalismus in den Religionen. In seiner jüngsten Studie hat er in sieben Ländern und anhand von 8000 Gesprächen beziehungsweise Fragebögen untersucht, wie sich Glaube auf die Gewaltneigung auswirkt und ob die Lektüre einschlägiger Verse aus Bibel, Koran und Thora darauf Einfluss hat. Die Studie befragte Christen, Muslime und zum Teil auch Juden aus Deutschland, Zypern, USA, Israel sowie Libanon, Palästina und Kenia. Medchthild Klein informiert in einem Beitrag für DEUTSCHLANDRADIO über einge der interessantesten, teilweise überraschenden Ergebnisse der Studie: "Wenn Koran und Bibel aggressiv machen".
Der Link dazu in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.
Im Nahen Osten steigt die Anzahl der Opfer der Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas, die sich mittlerweile zu einen militärischen Konflikt ausgewachsen haben, ständig an. Über 30 Kinder sind dem Beschuss mittlerweile auf beiden Seiten zum Opfer gefallen, klagte das Kinderhilfswerk UNICEF. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, meint dazu im Interview mit VATICAN NEWS: „Wir haben gesehen, dass Gewalt nie die Lösung ist…“. Und auch Papst Franziskus hat mittlerweile bereits zum zwieten Mal in Folge bei seinem Sonntagsgebet gefordert, dass die Waffen im Nahen Osten wieder schweigen müssen. Die Ereignisse im Nahen Osten beschäftigen auch die muslimische und jüdische Gemeinschaft in der Schweiz, wie einem Bericht des SCHWEIZER RUNDFUNKS zu entnehmen ist. Dabei wird das Bemühen spürbar, den Konflikt nicht noch weiter anzuheizen. Betont wird, was eint, nicht was trennt. Und im Interview mit DOMRADIO zeigt sich auch der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Nahost-Experte, Matthias Kopp, tief besorgt: "Die Waffen müssen schweigen".
Links zum Thema in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.
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Die aktuelle Lage in Israel sorgt naturgemäß auch in den jüdischen Gemeinden hierzulande für große Sorgen. Viele in den Gemeinden bangen um Familien und Freunde in Israel. Christine Schmitt hat sich für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG u.a. in Osnabrück und Düsseldorf näher umgehört: »Wir sorgen uns alle um die Verwandten«.
Der Link zu ihren Eindrücken in der Rubrik JÜDISCHE WELT.
Mit einer Jubiläumsshow erinnerte das ZDF vergangene Samstag an den Start von "Dalli Dalli" vor 50 Jahren. Bis 1986 moderierte Hans Rosenthal. Später folgten Remakes mit Andreas Türck und Kai Pflaume. Doch das Original bleibt unerreicht, wie Joachim Heinz in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG meint und an die legendäre Show sowie ihren Macher erinnert. In einem weiteren Beitrag erinnert sich Lorenz Beckhardt daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war. Und im Interview mit der JÜDISCHEN ALLEMEINEN WOCHENZEITUNG kommt schließlich der Sohn von Hans Rosenthal noch zu Wort: "Das wird Spitze".
Die Links zu alledem in der Rubrik JÜDISCHE WELT.
Mit 23 Jahren ist Helene Braun, oder auch „Leni Lafayette“, wie sie auf Instagram heißt, die jüngste Studierende am Abraham Geiger Kolleg – und vermutlich die jüngste angehende Rabbinerin, die es je in Deutschland gab. Als sie kürzlich im neuen WDR-Format „Freitag Nacht Jews“ gefragt wurde, wofür sie sich als Rabbinerin einsetzen will, muss sie nicht lang überlegen: „Nachhaltigkeit, Feminismus und Queerness im Judentum.“ Clara Engelien porträtiert die angehende Rabbinerin in einem Beitrag für DEUTSCHLANDRADIO: "Queer, feministisch, jüdisch".
Der Link dazu in der Rubrik JÜDISCHE WELT.
Julia Bernstein, Professorin auf dem Lehrstuhl für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences, erläutert ein einem längeren Beitrag für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG im Blick auf das aktuell begangene Schawuot, bei dem an die Übergabe der Tora und damit an die Vereinigung des jüdischen Volkes erinnert wird, wie sehr lebenslanges Lernen im Mittelpunkt des Judentums steht. Sie erläutert die Rolle des Lernens im Zusammenhang mit der Thora, geht auf die Quellen im Talmud ein und beschreibt, was dieses Lernen auch für die Gegenwart bedeutet: "Lebenslanges Lernen".
Der Link dazu in der Rubrik JÜDISCHE WELT.
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Menschen, die von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche betroffen sind, können seit Jahresbeginn einen Antrag auf Anerkennung ihres Leids stellen. Eine Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen kann den Betroffenen bis zu 50.000 Euro auszahlen – ein schwieriges Verfahren, das sich Michael Hollenbach für DEUTSCHLANDRADIO näher angesehen hat: "Wie die katholische Kirche Leid in Geld umrechnet".
Der Link zum Beitrag in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.
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April 1945, auf einer Insel in der Mulde. In einem Gebüsch hält sich ein Mann versteckt. Seine Knie sind aufgeschlagen, seine Sachen nass, in der Ferne ist das Geräusch krachender Haubitzen zu hören. Er blickt auf das Pfarrhaus am Ufer, in dem er mit seiner Frau und den Kindern gelebt hat. Aber jetzt sind sie weg. Sie scheinen verschleppt worden zu sein, und er ist sich sicher, dass ihr Verschwinden etwas mit ihm zu tun hat. Dies ist in etwa die Ausgangssituation des neuen Romans von Francis Nenik mit dem Titel „E. oder die Insel“. Nenik beschäftigt sich schon länger mit der Frage, wie sich das gewaltsame 20. Jahrhundert literarisch greifen und begreifen lässt. Mit seinem neuen Roman widmet er sich nun der Rhetorik der Täterschaft im Umfeld der nazistischen Eugenik. Samuel Hamen, der den Roman für DEUTSCHLANDRADIO gelesen hat, zeigt sich beeindruckt: "Die immense Kunstfertigkeit, auch der Wagemut von diesem Roman liegt darin, nicht einfach ein Monster zu portraitieren, das sich leichthin verdammen und abtun lässt."
Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.
Einen angenehmen Tag wünscht
Dr. Christoph Münz
redaktion@compass-infodienst.de
(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)
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