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ISSN 1612-7331
15.02.2024 - Nr. 2057
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Die nächste Tagesausgabe erfolgt am Mittwoch, 28. Februar 2024.


Guten Tag!

Nr. 2057 - 15. Februar 2024



Trotz energischer Warnungen auch von Seiten der USA oder Deutschlands hält Israels Regierung offenbar an einer Militäroffensive in Rafah fest. Ein solcher Vorstoß könnte freilich auch Folgen für die regionale Stabilität haben, warnt beispielsweise Felix Wellisch in der TAZ:
"Das benachbarte Ägypten erwägt laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP, im Falle einer Offensive israelischer Truppen in Rafah, den Friedensvertrag zwischen beiden Ländern auszusetzen. Ägypten hatte mit dem Camp-David-Abkommen als erster arabischer Staat Israel anerkannt und 1979 Frieden geschlossen. Dessen Aussetzung wäre ein schwerer Schlag für Israels Sicherheit. Berichten zufolge verlegte die ägyptische Armee 40 Panzer und Truppentransporter an die Grenze nach Gaza."
Für Ägypten tut sich ein Dilemma auf, wie es Daniel Böhm in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG näher analysiert: "Ägypten will, dass der Krieg in Gaza endet – aber auch den Frieden mit Israel wahren". Ariane Lemme wiederum sieht in der TAZ Ägypten in der Pflicht und fordert die Weltöffentlichkeit auf, Druck auszuüben:
"Wo aber bleibt dann der Druck, den Menschen in Not konkret zu helfen – durch die Öffnung der Grenze in der palästinensisch-ägyptischen Grenzstadt Rafah wenigstens für Frauen und Kinder. Das wäre der direkteste Weg, Leid zu lindern – abgesehen natürlich von einem Ende der is­rae­li­schen Militäraktion, das zum Beispiel durch eine bedingungslose Freilassung aller Geiseln beschleunigt werden könnte. Aber auf Rufe danach – ob aus der arabischen Welt oder auf den Demos von New York bis Berlin – wartet man vergeblich."

Ebenfalls in der TAZ eine bedrückende Reportage aus der südlichen Grenzstadt Rafah, wo die Lage für die Flüchtlinge kaum ertragbar ist. Die TAZ lässt vier Menschen aus Gaza zu Wort kommen, die über ihre "Leben am Limit" berichten. Wie beispielsweise Hatem Medhat Ghoul:
"Die Umgebung hier macht uns ganz krank: Wir haben Allergien wegen des Wassers, unsere Körper sind ausgetrocknet wegen der Unterernährung. Wir haben Glück momentan, weil es nicht mehr ganz so kalt ist. Wenn wir Decken haben, geben wir sie den Kindern, und wir Erwachsenen tragen zwei Hosen und versuchen uns mit unserer Kleidung warm zu halten. Ich bitte die Menschen von außerhalb: Schaut auf uns mit Augen der Barmherzigkeit. Wir verdienen es nicht zu sterben. Wir wollen in Gaza bleiben und nicht emigriere, und dafür bezahlen wir nun den Preis. In der ganzen arabischen Welt sind wir die einzigen Menschen, die diesen Preis bezahlen müssen."

Gemeinsam mit dem Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) hatte die Konrad-Adenauer-Stiftung zwischen dem 22. November und 2. Dezember letzten Jahres im Westjordanland und im Gazastreifen eine Umfrage durchgeführt, der zufolge die Popularität der Hamas seit dem Massaker vom 7. Oktober gestiegen ist. In der FAZ setzt sich Maja El-Safadi mit den Zahlen und Hintergründen dieses Befundes zusammen und zitiert dabei auch Stimmen, die die Popularität der Hamas differenzt sehen:
"Im Sommer 2023 kam es zu Protesten und Versammlungen gegen die Hamas, die mit Polizeigewalt unterbunden wurden. Hier zeigt sich ein Dilemma, in dem die Hamas steckt. Einerseits will sie einen Widerstandskampf gegen Israel führen, andererseits muss sie den Gazastreifen regieren. Die Islamisten seien in dieser Hinsicht immer ambivalent gewesen, meint der Hamas-Fachmann Tareq Baconi. Sie betrachteten das Regieren als 'eine Last, als etwas, was die Widerstandsbewegung fesselte und ihre Handlungsfähigkeit einschränkte', sagte er der New York Times."

Die Links zu den Themen in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

Sie waren vier Monate lang Geiseln der Hamas, nun wurden der 60-jährigen Fernando Simon Marman und 70-jährige Louis Har von der israelischen Armee in einem gezielten Spezialeinsatz im Gaza-Streifen befreit. Die Rettung gelang in der Nacht auf Montag, nachdem israelische Elitesoldaten in das Flüchtlingscamp Shaboura eingedrungen waren. Das Lager liegt mitten in der Stadt Rafah, ganz im Süden des Gazastreifens. Dort sollen Hamas-Terroristen die Geiseln im zweiten Stock eines Gebäudes festgehalten haben. Bei dem Einsatz wurden zahlreiche Menschen getötet. Über erste Details der Rettungsaktion sowie über das emotionale Wiedersehen mit der Familie gibt es mehrere Berichte. Unterdessen streiten viele Angehörige von weiteren Geiseln der Hamas für einen Deal. Dass jedoch noch längst nicht alle Familien dies ebenso sehen, schildert Susana Vera für ZDF Heute: "Nicht alle Geisel-Angehörigen wollen Deal".

Das Leid und die Zerstörung im Gazastreifen sind kaum zu ertragen, auch nicht für israelische Soldaten, die vom Einsatz in Gaza zurückkommen. Im Therapiezentrum Einot Bar, wo bereits Überlebende des Massakers vom 7. Oktober behandelt werden, sollen sie das Erlebte verarbeiten - und nach einem kurzen Aufenthalt ihren Einsatz fortsetzen, wie Bettina Meier in einer Reportage für TAGESSCHAU.de berichet. Die Therapeutin Einat Cohen verfolge dabei einen neuen Ansatz. Sie ist überzeugt, man müsse den traumatischen Krisen sofort begegnen, bevor sie sich verfestigen und sagt:
"Wir sind so etwas wie eine Notaufnahme für Traumata geworden, seit dem 7. Oktober. Wir haben noch nie Menschen mit solchen Symptomen erlebt, in so einem Schockzustand. So hat es das hier noch nie gegeben."

Der 61-jährige Jair Golan war von 2014 bis 2017 Vize-Generalstabschef der israelischen Armee und gehört dem linken, zionistischen Lager in Israel an. Mit dem ehemaligen Premierminister der Arbeitspartei, Ehud Barak, gründete er 2019 die Israelisch-Demokratische Partei, wurde ins Parlament gewählt, wechselte aber 2020 zur linken Meretz-Partei, die allerdings 2022 den Einzug in die Knesset nicht mehr schaffte. Seit Golan am 7. Oktober im spontanen Einsatz Menschen vor der Hamas rettete, gilt er als linker Hoffnungsträger, der die Linksparteien Avoda und Meretz geeint in die nächsten Wahlen führen könnte. In einem bemerkenswerten Interview mit dem TAGESSPIEGEL erweist er sich als ein Mann, der deutliche Worte nicht scheut. So nimmt er u.a. klar Stellung gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und setzt sich für einen friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern ein. Die Rolle Netanjahus im gegenwärtigen Krieg beschreibt er so:
"Ich glaube, dass Benjamin Netanjahu seit vielen Jahren denkt, dass der russische Präsident Putin ein großartiger Führer ist. Sie regieren auf sehr ähnliche Weise. In der Ukraine herrscht Krieg. Und ich denke, dass es aus der Perspektive von Netanjahu nicht so schlecht ist, einen Krieg im Gazastreifen oder entlang der Nordgrenze zu führen. Der menschliche Preis ist für ihn zu vernachlässigen."
Und das Versagen von Geheimdienst und Politik im Blick auf das Massaker am 7. Oktober kommentiert er wie folgt:
"Die Regierung hat militärisch falsch gedacht, weil sie politisch falsch denkt. Sie verfolgte die verrückte Vision, dass es für uns besser ist, die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen und die Trennung zwischen ihr und Hamas zu betreiben. Sie haben aufgehört, zuzuhören."

Zur Zeit ist die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev auf Lesereise und stellt ihren ersten Roman - "Nicht ich" - vor, der nun nach dreissig Jahren auch auf Deutsch erschienen ist. Im Gespräch mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG spricht sie über das Schreiben im Schatten des 7. Oktober, die Verfassung der israelischen Gesellschaft und zeigt sich fassungslost im Blick auf eine politische Linke, die sich mit der Hamas gemein macht:
"Wie kann man sich links nennen und eine Terrororganisation verharmlosen, die schlimmste Kriegsverbrechen begeht, die homosexuelle Leute hängen lässt und Frauen keine Rechte gibt? [...] Mir kommt es vor, als stehe die Welt auf dem Kopf. Was denken sich diese Leute? Sie leben in Sicherheit und Frieden. Niemand attackiert sie, niemand entführt ihre Kinder, niemand vergewaltigt ihre Frauen, niemand schiesst mit Raketen auf sie. Israelische Künstler und Musiker setzen sich für ein friedliches Zusammenleben zwischen Arabern und Israeli ein. Unter ihnen sind viele Friedensaktivisten. Und diese will man nun so bestrafen?"

Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik ISRAEL INTERN.

Seit dem Terrorangriff auf Israel erleben Juden weltweit Hass und Angriffe. Eine Lösung des Nahost-Konflikts ist in weite Ferne gerückt. Bei einer deutsch-israelischen-Konferenz suchten rund 30 Minister, Politiker, Experten, Diplomaten und Journalisten aus beiden Ländern nach Antworten,wie die WELT berichtet. Mit dabei waren u.a. Gideon Sa’ar, der als Minister der Partei „Neue Hoffnung“ Mitglied des Jerusalemer Kriegskabinetts ist, Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, die Knesset-Abgeordnete Sharren Haskel, der Publizist Michel Friedman und Justizminister Marco Buschmann. Vor dem Hintegrund des jüngsten Anschlags auf einen jüdischen Studenten der FU Berlin versicherte Buschmann, solche Straftaten würden mit aller Härte verfolgt. „Antisemiten sind in Deutschland nicht willkommen und sie werden mit Sicherheit keinen deutschen Pass bekommen“, sagte der Justizminister mit Blick auf Straftäter mit ausländischem Pass, die eine Einbürgerung anstreben.

In Israel kannte ihn beinahe jeder Journalist. Und wer sich für Israel interessiert, stieß unweigerlich früher oder später auf ihn. Und mancheiner, der in Israel war, hat ihn vielleicht persönlich kennengelernt, wurde gar von seinen Kochkünsten verwöhnt oder hat ihn auf seinen vielen Vortragsreisen in Deutschland erlebt. Der Nahostkorrespondent und Israel-Kenner Ulrich W. Sahm ist tot. Er verstarb am 7. Februar in Bremen, wo er sich bereits einige Zeit aus gesundheitlichen Gründen befand. ISRAELNETZ und JÜDISCHE ALLEMEINE WOCHENZEITUNG widmen dem auf seine Weise einzigartigen journalistischen Original einen Nachruf und das schweizer Portal AUDIATUR veröffentlicht ein Interview mit ihm aus dem April 2023: "Danke für 50 Jahre Journalismus aus Israel!"

Die Links zu den Themen in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

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Das Brandenburgische Landeshauptarchiv hat mehr als 40.000 Akten der NS-Vermögensverwertungsstelle für Berlin und Brandenburg online veröffentlicht, berichten JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG und ND-AKTUELL. Damit werde der weltweiten Forschung ein bedeutender Aktenbestand über die Verfolgung vor allem von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus zur Verfügung gestellt, sagte Archivdirektor Mario Glauert zum Onlinestart am Dienstag in Potsdam. 600 Millionen Reichsmark erlöste damals die in Moabit ansässige Verwertungsstelle bis 1945 in Berlin und Brandenburg – in heutiger Währung ausgedrückt entspricht das einem Wert in Höhe von vier Milliarden Euro. »Jeder kann nun selbst nachlesen, was damals geschah«, sagt Archivar Dominic Strieder am Dienstag: "Landesarchiv stellt NS-Akten online".

«Stella» verriet im zweiten Weltkrieg Juden an die Gestapo und wurde zur Literatur- und Filmfigur. So auch in dem gegenwärtig in den Kinos zu sehenden, von der Kritik überwiegend verrissenen Film des deutschen Regisseurs Kilian Riedhof. Während Stelle als Jüdin zur Täterin wurde, rettete hingegen ein Bekannter von ihr unzählige Menschen und blieb weitgehend unbeachtet: Cioma Schönhaus. Er fälschte Pässe, um Juden vor dem Tod zu retten. Dann flüchtete er in die Schweiz. Marcel Gyr erzählt in der NEUE ZÜRCHER ZEITUNG seine Geschichte, die voller Husarenstücke ist.

Die Links zu den Themen in der Rubrik VERGANGENHEIT....

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In Kuba musste sie dafür ins Gefängnis. Jetzt sollte die Künstlerin Tania Bruguera mit ihrer Performance - eine viertätige Lesung aus Hannah Arendts Totalitarismus-Buch - im Hamburger Bahnhof in Berlin auftreten. Die die auf über hundert Stunden angesetzte Lesung aus Hannah Arendts "Elemente und Ursprünge des Totalitarismus" wurde von anti-israelischen Aktivisten gestört und musste abgebrochen werden. Etwa 20 Aktivisten beschimpften die Künstlerin, die Lesenden, unter denen jüdische Teilnehmende waren, und bespuckten den libanesisch-stämmigen Direktor des Hamburger Bahnhofs, Sam Bardaouil. Ein Mitglied der Gruppe filmte die Aktion, auf Instagram ist das Video zu sehen. Über fünfzehn Minuten lang schrien die Aktivisten Dinge wie „Zionisten sind Faschisten“ und „Zionismus ist Nazismus“. Einer Frau, die womöglich Israelin war, brüllten sie ins Gesicht: „Israel ist nicht real.“ Ironie der Geschichte am Rande: Bruguera selbst hatte zu Beginn ihrer Lesung beklagt, israelkritische Stimmen würden in Deutschland zensiert. Andreas Kilb nennt den Vorfall in der FAZ ein "Lehrtück" und kommentiert:
"Wer bis jetzt immer noch nicht genau wusste, worauf die BDS-Bewegung eigentlich hinauswill, kann es an diesem Vorgang glasklar erkennen: Ihr Ziel ist das Ende des Denkens, des Dialogs und der Debatte und der Beginn der Herrschaft des Geschreis und der Gewalt. Ihre Elemente und Ursprünge liegen im Hamburger Bahnhof klar zutage."
Deutlich im Urteil auch Christian Meier in der WELT:
"Man kann die Aktion nur als eines einordnen: eine offene Proklamation von Antisemitismus."

Vorfälle wie die abgebrochene Performance-Lesung im Hamburger Bahnhof oder der verprügelte jüdische Student an der FU Berlin demonstrieren auf erschreckende Art und Weise die gewachsene Gewaltbereitschaft psychischer wie physischer Natur anti-israelischer und antisemitischer Gruppierungen insbesondere im künstlerischen und akademischen Millieu. So auch bei einem Vorfall im Rahmen des Eröffnungspodiums der Konferenz "Constitutional Challenges - Judging under Pressure" an der Berliner Humboldt-Universität. Dort sollte auch die israelische Verfassungsrichterin Daphne Barak-Erez sprechen. Hier haben dann aber palästinensische Aktivisten das vorläufige Ende der Veranstaltung erzwungen, berichtet Alexandra Kemmerer in der FAZ:
"Unmittelbar nach Beginn der Veranstaltung ergriff eine palästinensische Aktivistin das Wort und kritisierte die Politik des Staates Israel und die Anwesenheit von Daphne Erez-Barak, die sich in Israel seit Monaten couragiert der Netanjahu-Regierung entgegenstellt und sich dafür von Rechtsextremen anfeinden lassen muss. Die Veranstalter und die Referenten auf dem Podium setzten auf Deeskalation, mehrfach wurde die Störerin ruhig aufgefordert, ihre aggressive Intervention zu beenden. Als diese fast fünfzehn Minuten lang unbeirrt weiterschwadronierte, sekundiert von lautstarken Aktivisten, machte Universitätspräsidentin Julia von Blumenthal vom Hausrecht Gebrauch und verwies die Störer des Saales. Dies zeigte keine Wirkung, es folgte weiteres Geschrei."

Seit das anonyme Projekt „Strike Germany“ die Künstler der Welt dazu aufgerufen hat, Deutschland möglichst zu meiden, auf keinen Fall aber irgendwo aufzutreten, wo der deutsche Staat oder deutsche Institutionen als Geldgeber im Spiel sind, landen immer mehr Absagen in den Postfächern zum Beispiel der Berliner Transmediale, des angeschlossenen CTM-Festivals, der Berlinale und diverser Gruppenausstellungen, berichet Claudius Seidle in der FAZ. Auch wenn er im Blick auf eine mitunter fragwürdige "philosemitische Beflissenheit, ein klezmerunterlegtes Strebertum" hierzulande kritische Worte findet, hält er freilich jenen, die zum Boykott Deutschlands aufrufen, wie etwa Susan Neiman, die in der New York Review of Books von einem neuen McCarthyismus in Deutschland sprechen, recht deutlich entgegen:
"Niemand wird zum Schweigen gebracht; das Schlimmste, was jüdischen wie nichtjüdischen Israelgegnern, BDS-Sympathisanten und Anklägern eines vermeintlichen israelischen Genozids und seiner angeblichen deutschen Mittäter hier geschehen kann, ist, dass es dafür kein deutsches Staatsgeld gibt. Das ist aber zu kompliziert, als dass es sich schon herumgesprochen hätte bei den Israelfeinden in England, in Amerika und im sogenannten globalen Süden, wo die Künstler und Aktivisten sitzen, die jetzt Deutschland boykottieren wollen. So wie es dort offenbar auch unbekannt ist, dass es nicht Palästinenser, sondern Juden sind, die in der deutschen Hauptstadt angespuckt, krankenhausreif geprügelt und an manchen Universitäten gemobbt, beschimpft und aus den Lehrveranstaltungen herausgeekelt werden."

Der Fußball-Experte Marcel Reif, der kürzlich im Bundestag über die Holocaust-Vergangenheit seines jüdischen Vaters sprach (siehe Compass 07.02.2024), ruft in einem sehr beeindruckenden Interview mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG den deutschen Staat dazu auf, beim Thema Antisemitismus härter durchzugreifen:
"Nach dem 7. Oktober haben viele ihre Masken fallen gelassen. Natürlich sind nicht alle AfD-Anhänger Nazis, und natürlich sind auch nicht alle propalästinensischen Demonstranten Hamas-Freunde, die Mörder und Vergewaltiger feiern. Da sind viele, deren Anliegen kann ich sofort teilen. Oder meinen Sie etwa, mir gefallen die Bilder aus Gaza? Viele, die da auf die Straße gegangen sind, sind guten Willens gegangen. Und dann ist das aus dem Ruder gelaufen. Dann sind Dinge passiert, da hat dieser Staat versagt. Es sind Dinge auf deutscher Straße geschehen, da hört jedes Abwägen auf. [...] Zünden Sie sich doch mal in einer Flughafenhalle eine Zigarette an. Machen Sie das. Das dauert keine Minute, da haben Sie das Gefühl, wir leben in einem Polizeistaat. Da bricht die Hölle los. Dann können Sie aber, bitte, auch nicht auf der Straße 'nieder mit Israel' brüllen und Antisemitismus verbreiten."

Traditionell eigentlich ein Verlag mit politischem Profil, der in der Vergangenheit beispielsweise stets Stellung gegen Antisemitismus bezog. Das scheint sich aber nun unter der Leitung von Jonathan Landgrebe verändert zu haben, setze dieser doch "mehr und mehr auf den linken, antijüdischen Zeitgeist und hofft im dortigen Milieu auf finanzielle Erfolge", so Jacques Schuster in der WELT:
"Während das Programm des Jüdischen Verlages immer dünner wird, setzt der Verleger bewusst auf die bekennenden Antisemiten Judith Butler und Annie Ernaux. Er stört sich auch nicht an dem kamerunischen Politikwissenschaftler Achille Mbembe in seinem Programm. Mbembe wirft Israel vor, den 'Platz der Mörder' einzunehmen. Vom Kinderglauben beseelt, wer sich die Augen zuhält, der wird schon nicht gesehen, scheint Suhrkamp darauf zu hoffen, nicht beachtet zu werden. Irrtum! Es ist kaum zu ertragen, dass Siegfried Unselds Haus nach dem 7. Oktober 2023, dem größten antisemitischen Massaker in diesem Jahrhundert, glaubt, keine Stellung beziehen zu müssen."

In der TAZ warnt Nikolaus Lelle vor allzu schnellen historischen Vergleichen, wie sie derzeit auf den Demonstrationen gegen Rechts oft zu hören sind. Beispielhaft erinnert er dabei auch daran, dass der vielfach benutzte Slogan "Nie wieder ist jetzt" seinen Ursprung eigentlich in einem ganz anderen Kontext hatte:
"Die Entkontextualisierung von 'Nie wieder ist jetzt' auf den aktuellen Anti-rechts-Demos birgt die Gefahr, dass die Antisemitismuskritik des Satzes nicht mehr gesehen wird. Denn die Parole wurde nicht als Antwort auf den Rechtsruck in Deutschland eingeführt, wenngleich sie jetzt passgenau erscheint. Sie entstand als Reaktion auf die genozidale Gewalt der Hamas am 7. Oktober in Israel. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern folgte auf diese Gewalt eine Welle des Antisemitismus, die bis heute anhält. (…) Will 'Nie wieder ist jetzt' keine hohle Phrase sein, verlangt es Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Auf den Massendemonstrationen gegen rechts ist dies nicht immer präsent. Teils liefen Israelhasser*innen auf diesen Demos mit, verhielten sich aggressiv gegenüber Ordner*innen und anderen Demoteilnehmenden. Für Jüdinnen und Juden ein fatales Signal."

Im Herbst 1962 nahm Theodor W. Adorno an einer Tagung des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit teil, auf der er über die Bekämpfung des Antisemitismus sprach. Dieser Vortrag hat in seiner dichten und äußerst vielschichtigen Analyse nichts an Aktualität eingebüßt. Auch wenn er letztlich etwas hilflos wirkte, wie Thomas Ribi in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG anlässlich einer Neuausgabe des Vortrags schreibt. Denn, so einer der zentralen Botschaften von Adornos Rede, mit Argumenten lasse sich der Antisemitismus nicht bekämpfen, sondern nur mit Autorität oder Gewalt: "Soll man mit Judenhassern reden?"

Die Links zu den Themen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

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"In der Schweiz", so Simon Hehli in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, "hat sich Epochales ereignet. Die Konfessionslosen haben die Katholiken überholt und sind somit zur grössten religionssoziologischen Gruppe im Land geworden. Dazu zählt heute jede dritte Person, die über 15 Jahre alt ist." Damit gibt es erstmals mehr Konfessionslose als Katholiken. Insgesamt haben sich mithin mehr als drei Millionen Menschen in der Schweiz von den Kirchen abgewandt bzw. waren nie Teil von ihnen. Wer aber sind all diese Menschen? Und was sagt dieses Phänomen über unsere Zeit aus? Anhand verschiedener religionssoziologischer Forschungen versucht Hehli einen genaueren Blick auf die heterogene Gruppe aus Kampfatheisten, Esoterikern und Gleichgültigen zu werfen: "Es gibt erstmals mehr Konfessionslose als Katholiken. Wer sind all diese Menschen?"

Auch in "God's own country", den traditionell religionsstarken USA stellen sogenannte "religiös Ungebundene" mittlerweile eine demographische Gruppe von ansehnlicher Größe: 28 Prozent geben an, sich keiner Religion zugehörig zu fühlen. Eine neue Befragung des Pew Research Institute beleuchtet die Überzeugungen der Ungebundenen und lässt auf ein breites Meinungsspektrum innerhalb dieser Gruppe schließen, wie Adrian Beck für den HUMANISTISCHEN PRESSEDIENST berichtet: "Ein Profil der Konfessionslosen in den Vereinigten Staaten".

Der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff hat Papst Franziskus mangelnde Solidarität mit Israel vorgeworfen. In einem Beitrag für die Zeitschrift COMMUIO kritisiert Hoff in scharfen Worten das Papstschreiben, mit dem Franziskus auf den Ruf nach Solidarität von 400 jüdischen Gelehrten und Rabbinern antwortete. Franziskus verschweige in seinem Antwortbrief, wer im aktuellen Krieg zwischen Hamas und Israel angreife und wer sich verteidige. Franziskus habe mit seinem Brief an die Rabbiner Vertrauen im christlich-jüdischen Dialog verspielt, so Hoffs Urteil. Franziskus versäume es, “Ross und Reiter” zu benennen: “Es ist die Hamas, die Israel den laufenden Krieg diktiert hat und die Logik der Abläufe bestimmt.”

Die Links zu den Themen in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

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Bei einer hochkarätig besetzten Podiumsrunde, die das Dilemma der jüdischen Diaspora-Situation thematisierte, wurde am Freitagabend in den Hamburger Deichtorhallen die komplizierte Stellung der Juden in der Welt debattiert. Mit dabei waren u.a. die stellvertretende CDU-Vorsitzende und Schleswig-Holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien, Israels früherer Botschafter in Berlin, Shimon Stein und Mirjam Wenzel vom Frankfurter Jüdischen Museum. Für die TAGESPOST berichtet Henry C. Brinker von der Debatte: „Wir dürfen auch Israels Regierung kritisieren".

In Deutschland ist noch immer das Stereotyp vom orthodoxen Juden verbreitet: Männer mit langen Bärten und Schläfenlocken. Dabei ist jüdisches Leben vielfältig und zumeist sehr säkular orientiert, wie Ruben Gerczikow in einem Essay für den SPIEGEL deutlich zu machen versucht. Daher räumt er insbesondere mit dem Klischee auf, jüdisch zu sein heiße zwingend und zuvörderst religiös zu sein. In seinen Worten:
"Ein Gros der Jüdinnen und Juden hierzulande lebt säkular, feiert die Feiertage, wie Christen Weihnachten feiern, und besucht die Synagoge lediglich am Versöhnungstag, Jom Kippur. Ein befreundeter Chabad-Rabbiner aus Wien, der die dortige Studierendenorganisation leitet, sagte mir einmal, dass sein Ziel nicht sei, die Teilnehmenden zu religiösen Menschen zu machen. Sie sollen selbstbewusst und stolz jüdisch sein. Dieser Gedanke gefällt mir, er leitet mich vor allem in schwierigen Zeiten."

Zwar leben heute nur noch rund 3500 Juden in ganz Portugal, dennoch soll nun ein Museum für jüdische Geschichte entstehen, um die fast 2000-jährige Geschichte des portugiesischen Judentums nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Im März nächsten Jahres soll Baubeginn sein und bereits im Herbst 2025 ist die Eröffnung geplant. Realisiert wird das auf einem rund 40.000 Quadratmeter großen Fläche angesiedelte Museum durch Star-Architekt Daniel Libeskind, wie die schweizer-jüdische Wochenzeitung TACHLES berichet: "Ort der Hoffnung".

Über den in Wien und Zürich aufgewachsenen jüdischen Religionsphilosophen Jacob Taubes ist unter dem Titel «Professor der Apokalypse» vor gut einem Jahr eine zwar kenntnisreiche und psychologisch differenzierte, aber etwas zu detail­versessene Biografie erschienen. So genau die schillernde Persönlichkeit von Taubes erfasst wird, so wenig wird dem Leser und der Leserin deutlich, worum es ihm intellektuell ging und wie ein Philosoph, der kaum Texte veröffentlichte, weder wissenschaftliche noch populäre, eine derart zentrale Stellung in den intellektuellen Debatten der Nachkriegszeit einnehmen konnte. Dieses Versäumnis versucht Daniel Strassberg in einem längeren und höchst interessanten Beitrag für das schweizer digitale Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur REPUBLIK wettzumachen: "Erlösung durch Zerstörung".

Er hat inzwischen schon eine lange Tradition, der seit geraumer Zeit von Gisela Dachs herausgegebene Jüdische Almanach. "Umbrüche: Neues und Altes aus der jüdischen Welt" lautet der Titel des diesjährigen Bandes, in dem sich die Autoren und Autorinnen auf eine Spurensuche nach jenen Aspekten begeben, die sich mit radikalem Wandel im jüdischen bzw. israelischen Kontext beschäftigen. In den Beiträgen wird unter anderem die talmudische Herkunft des hebräischen Begriffes für Krise beschrieben. Darüber hinaus geht es um die dramatischen Veränderungen innerhalb der ultraorthodoxen Welt, um Umbrüche in der Gedenkkultur nach dem Ende der Zeitzeugenschaft oder den veränderten Umgang mit Humor und Religion nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo in Paris, aber auch um die Entstehung einer queeren Kultur in Israel seit den 1950er Jahren.  Alexander Kluy stellt den neuen Almanach in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG näher vor: "War früher alles besser?"

Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

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Die Philosophen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, die der sogen. Frankfurter Schule angehören, knüpften in ihren Theorien vor allem an Hegel, Marx und Freud an. Ihr Zentrum bildete das 1924 in Frankfurt gegründete Institut für Sozialforschung, dessen 100-jähriges Jubiläum in diesem Jahr gefeiert wird. Neben Theodor W. Adorne war Max Horkheimer einer der führenden Köpfe der Frankfurter Schule, die vor allem durch ihre Kritische Theorie eine große Wirkung entfaltete. Und was hat das Ganze mit Theologie und Religion zu tun? Vielleich mehr als man denkt, meint Stefan Hartmann in der TAGESPOST und zeigt auf, dass von Horkheimer bis Habermas die Frankfurter Schule stets auch gegenüber sich selbst kritisch war und sogar die religiöse Frage nach Transzendenz thematisierte: "Mehr als 'religiös unmusikalisch'"
Apropos Horkheimer: der schweizer Theologe Thomas Staubli macht für FEINSCHWARZ eine paradox anmutende Beobachtung zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Max Horkheimer hat nämlich gleichsam testamentarisch auf seinem Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Bern eine interessante Botschaft hinterlassen. Auf dem Grabstein wird nämlich Vers 9 aus Ps 91 zitiert: «Denn du, Ewiger, bist meine Zuversicht.» Stünde der Satz auf dem Grabstein eines in die Schweiz ausgewanderten schwäbischen Pietisten, wäre er leicht einzuordnen. Was aber hat er auf dem Gedenkstein des Mitbegründers der kritischen Theorie verloren? Diese Frage versucht Staubli zu beantworten: "Keine kritische Theorie ohne Vertrauen auf das Gute trotz allem."

Der Link dazu in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.

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Manès Sperber blieb zeit seines Lebens »der besessene Erbe des Vergangenen«, das nicht aufhört fortzuleben – und sei es in den »Falten der Geschichte«, wie er es einmal formulierte. Lange waren die drei berühmten Bände der Erinnerungsprosa dieses reflektierten Dissidenten vergriffen. Unter dem Titel "All das Vergangene..." finden sich Sperbers Bücher "Die Wasserträger Gottes", "Die vergebliche Warnung" und "Bis man mir Scherben auf die Augen legt" sind sie nun in einem kommentierten, fast 700-seitigen Band zusammengefasst, den Marko Martin für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG gelesen hat: "Der Abtrünnige".

Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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EDITORIAL HIGHLIGHTS

15. Februar 2024

 * Ägypten droht Israel ... mehr

 * Rafah: Leben am Limit ...
mehr

 * Wie stehen Palästinenser zur Hamas? ...
mehr
 
 * Nicht alle Geisel-Angehörigen wollen Deal ... mehr
 
 * Traumavorsorge für israelische Soldaten ...
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 * Zeruya Shalev: "Was denken sich diese Linken?" ...
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 * Nahost-Korrespondent und Israel Kenner Ulrich Sahm ist tot ... mehr
 
 * Landesarchiv stellt NS-Akten online ... mehr
 
 * Eine offene Proklamation von Antisemitismus ... mehr
 
 * Wie Hochschulen mit Antisemitismus umgehen ...
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 * Antisemitismus: Marcel Reif will nicht schweigen ...
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 * Die rückgratlose Gleichgültigkeit des Suhrkamp Verlags ...
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 * Soll man mit Judenhassern reden? ...
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