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Nach der Befreiung von vier israelischen Geiseln durch eine umstrittene Militäraktion reißen die Proteste gegen die Regierung Netanyahu und Forderungen nach einem Deal zur Befreiung aller Geiseln nicht ab. In der FAZ kommentiert Andreas Ross nüchtern: "Für vier israelische Familien und Freundeskreise hat der Krieg am Samstag eine Wendung zum Besseren genommen. Für alle anderen bleibt die Lage nahezu hoffnungslos." Im KÖLNER STADTANZEIGER spricht unterdessen eine der befreiten Geiseln, Noa Argamani, über ihre Geiselhaft. Pikantest Detail am Rande: die WELT und die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG berichten, dass einige der befreiten Geiseln über längere Zeit in der Wohnung des Al-Dschasira-Journalisten Abdallah Aljamal gefangen gehalten wurden. Aljamal soll zahlreiche Artikel für die Zeitschrift "Palastine Chronicle" geschrieben haben, auch während die Geiseln in seiner Wohnung waren. Auch Al Jazeera hatte Aljamal häufiger zu Kommentaren gebeten. Der freie Journalist war aber auch Sprecher des Arbeitsministeriums der Hamas.
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Im Zuge der Befreiungsaktion kamen neben Hamas-Kämpfern auch Zivilsten ums Leben, viele wohl vor allem deswegen, weil die Hamas in dem Wohnviertel, wo die Geiseln gefangen gehalten wurden, ohne Rücksicht auf Verluste zurückschoss. Und wie anders: nun steht wieder Israel in der Kritik, nicht die Hamas, schreibt Thomas Schmid in der WELT:
"Die Hamas hat sich mit ihrer Entscheidung, die Gewalt zur Königsdisziplin ihres Vorgehens zu machen, kompromisslos außerhalb aller Regeln, Konventionen, Übereinkünfte und diplomatischer Gepflogenheiten gestellt. Und weil sie das getan hat, scheint sie gegenüber Kritik immun zu sein. Sie ist, wie sie ist: eine mordende Terrororganisation. Während Israel mit Mäßigungsforderungen überzogen wird, lässt man die Hamas einfach machen."
Ähnlich auch Claus Leggewie, der in der TAZ kommentiert:
"Der Gegenangriff auf palästinensische Zivilisten ist von der Hamas eiskalt einkalkuliert; sie verheizt die Bevölkerung von Gaza, um Israel als Völkermörder und Kriegsverbrecher vorzuführen und zum Aufgeben zu zwingen."
Wer soll Palästina nach dem Krieg regieren? Mit dieser Frage setzt sich Lisa Schneider in der TAZ auseinander und versucht die verfahrene politische Lage in Gaza und dem Westjordanland aufzuschlüsseln. Dabei beschreibt sie insbesondere die Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und ein damit verbundenes Dilemma. Denn die PA könne
"gegen die Hamas und die vielen weiteren inneren politischen Gegner kaum bestehen. Die Hamas genießt mehr Rückhalt in der Bevölkerung, ist aber für Israel und den Westen eine rote Linie. Andere Palästinenservertreter, die regierungsfähig wären, gibt es derzeit nicht. Trotz alldem sehen sowohl Musa Hadid (ehemaliger Bürgermeister von Ramallah, Anm. d. Red.) als auch der Militärhistoriker Seth Frantzman eine Stärkung der PA als derzeit wohl beste Option. 'Sie ist von über 140 Staaten als Vertreter der Palästinenser anerkannt', sagt Frantzman. 'Man sollte mehr tun, um sie vor dem Zusammenbruch zu bewahren.' Und das wäre für die westliche Staatengemeinschaft grundsätzlich möglich, egal ob Netanjahu - wie in Gantz' Ultimatum gefordert - einen Plan vorlegt oder nicht."
Auch der Politikwissenschaftler und Vorsitzende des Palästina-Forums Aref Hajjaj befasst sich mit der Zukunft der Palästinenser. In einem Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG beklagt er, dass man in der Debatte um die Zukunft viel zu wenig über die innere Verfasstheit der palästinensischen Gesellschaft und der darin lebenden Minderheiten wisse. Wäre dies anders, könnte dies die Forderung nach einem palästinensischen Staat zusätzlich stützen. Insgesamt meint er:
"Die Gründung eines Staates Palästina ist aus nationalen sowie regional- und geopolitischen Gründen dringend notwendig. Die vorgängige Anerkennung Palästinas durch Norwegen, Spanien und Irland bewegt sich zwar auf symbolischer Ebene, ist aber dennoch konstruktiv. Ein befriedetes Palästina liegt im Sicherheitsinteresse der gesamten Region und also auch Israels."
Die Links dazu in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.
Der israelische Oppositionschef Benny Gantz ist am vergangenen Sonntag als Minister des israelischen Kriegskabinetts zurückgetreten und verlangt nun vorgezogene Neuwahlen. „Netanjahu hält uns davon ab, zu einem echten Sieg voranzuschreiten“, sagte Gantz in seiner Rede. „Deswegen verlassen wir die Einheitsregierung schweren Herzens.“ Damit gerät Netanyahu verstärkt unter den Druck seiner rechtsextremen Regierungsmitglieder. In der WELT schreibt Christine Kensche dazu:
"Der Austritt von Gantz kommt für den Regierungschef denkbar ungünstig. Ben-Gvir, der beständig für Ärger in der Koalition sorgt, wittert bereits seine Chance und fordert, am Kriegskabinett beteiligt zu werden. Netanjahu will das verhindern. Gleichzeitig steht das Land vor seiner größten Zerreißprobe."
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zitiert den israelischen Politikwissenschaftler Gideon Rahat mit der etwas eigenwilligen Sicht, derzufolge Netanyahu den Druck der Rechtsextremen sogar als grösser darstellen werde, als er eigentlich ist:
«Für Netanyahu ist es sogar besser, wenn der gefühlte Einfluss der Rechtsextremen steigt. So kann er sich als die moderate Kraft in der Regierung präsentieren.»
"Das bislang wichtigste Buch zum 7. Oktober". Ein Buch "von immenser Bedeutung ... klug und ehrlich", dessen "Diagnose der aktuellen Lage...weit über Israel hinaus" geht. Die bislang noch wenigen Kritiken über das seit April in deutscher Sprache vorliegende Buch "Feuer. Israel und der 7. Oktober" aus der Feder des Roman- und Drehbuchautors und ehemaligem israelischen Geheimdienstoffizier Ron Leshem sind sich in ihrem Urteil nahezu einig. Leshem zeichnet in seinem bewegenden Text jenen Tag und die Entwicklungen seither nach – und führt ein zutiefst gespaltenes Land vor Augen. Dabei ist Leshem auch persönlich betroffen: die Hamas ermordete seinen Onkel und seine Tante, verschleppte seinen Cousin, der auch deutscher Staatsbürger war, als Geisel. Marko Martin charakterisiert Leshem minutiöses Protokoll als eine "gebündelte Nachrichtenchronik und Terroranalyse", die u.a. auch die Beteiligung palästinensischer Zivilisten an dem Massaker und die hinter dem Anschlag stehenden iranischen und russischen Strippenzieher beschreibe. Bei alledem bleibe Leshem "präzise und sachlich" in seiner "Verbindung von Kritik, Empathie, Information und Faktenreichtum", so Carsten Hueck im DEUTSCHLANDRADIO. Leshem warne zudem gleichermaßen vor den Ambitionen der Hamas wie auch vor innerisraelischen Bestrebungen, einen "theokratischen, rassistischen" Staat zu schaffen. "Unverzichtbar" nennt Hueck diese Lektüre, auch wenn insbesondere jene Passagen, in denen er den Ablauf der Ereignisse vom 7.Oktober chronologisch, in kleine Absätze gegliedert, mit Datum und Uhrzeit versehen, rekonstruiert, nahezu unerträglich zu lesen seien: "Terror mit Langzeitwirkung".
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In Köln begann am gestrigen Dienstag das größte deutsche Philosophie-Festival, die Phil.Cologne. Zum Auftakt diskutierten der israelische Soziologe Natan Sznaider und der Schriftsteller Navid Kermani die Situation in Israel und Gaza. Dabei machte Sznaider deutlich, dass er in der derzeitigen Kriegssituation keine Empathie für die Opfer im Gazastreifens empfinden könne:
»Das Verlangen nach Empathie im Krieg für die andere Seite ist für mich absurd, sage ich ganz ehrlich. ... Ich weiß nicht, ob das in irgendeiner Weise nachzuvollziehen ist, dass, wenn man im Krieg ist, wenn Enkel und Söhne von Bekannten und Freunden im Gazastreifen kämpfen und dann kommt da diese Empathie-Frage für die andere Seite, ja was bin ich? Mutter Teresa?"
Kermani, der seit Jahrzehnten mit Sznaider befreundet ist, sagte:
»Israel war noch nie so isoliert wie in diesen Tagen, und das hat zu tun mit der Reaktion Israels auf den 7. Oktober, und es läuft 1:1 nach dem Plan der Hamas«. Der Hamas gehe es darum, so Kermani, Israel international in Misskredit zu bringen und eine Solidaritätswelle für die Sache der Palästinenser auszulösen. Genau das sei passiert.
Der Link dazu in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.
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Bundespräsident Steinmeier ist am 10. Juni in die Französische Republik gereist. In Oradour-sur-Glane hat er als erster deutscher Bundespräsident auf Einladung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des dortigen Massakers teilgenommen. Bei dem Massaker haben am 10. Juni 1944 Angehörige einer SS-Division 643 Zivilisten ermordet und den Ort vollständig zerstört. Die Ruinen des Dorfes wurden nach dem Krieg zum historischen Denkmal erklärt und blieben somit erhalten. "An diesem Ort spricht zuerst die Stille. Wer hier spricht, muss dieser Stille gerecht werden", sagte Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede, die er auf Französisch gehalten hat. "Wer hier spricht, spürt die Autorität des Leids, der Opfer und der tiefen Trauer. Hier werden die großen Worte klein – sie müssen standhalten vor der Sprachlosigkeit, die mit großem Leid einhergeht." Steinmeiers Rede liegt inzwischen auch in deutscher Sprache vor. Neben Berichten über die Gedenkzeremonie gibt es Hintergrundreportagen und Beiträge, die an die historischen Ereignisse von damals erinnern: "Das ungesühnte Verbrechen der SS".
Neue Filme über den Holocaust arbeiten mit Bildern, die man gar nicht sieht und die wir nur im Kopf haben, wie etwa zuletzt der Oscar-prämierte und viel diskutierte Film "The Zone of Interest", der das Grauen von Auschwitz allein als Tonspur ‘sichtbar’ macht. In einem Beitrag für GESCHICHTE DER GEGENWART vergleicht die Filmwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg diesen Film mit dem formal ähnlich gestalteten ukrainisch-französische Film Shttl (2022) unter der Regie von Ady Walter. Dieser Film spielt am 21. Juni 1941, am Tag vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, direkt an der Grenze zum deutsch besetzten Teil Polens. Die Deutschen sind auf der anderen Seite des Flusses in unmittelbarer Nähe. Doch bis auf die letzten Minuten des Films bleiben sie und damit die nationalsozialistische Gewalt an den Jüdinnen und Juden unsichtbar. Ist es legitim, das Grauen durch solcher Leerstellen zu demonstrieren? Für von Haselberg stehen beide Filme mit ihren Auslassungen für neue Versuche, sich filmisch der Undarstellbarkeit des Holocaust zu nähern: "Unsichtbare Opfer, unsichtbare Täter. 'The Zone of Interest' und 'SHTTL' als Versuchsanordnungen des Holocaust-Films".
In Osnabrück befasst sich seit Anfang des vergangenen Jahres ein digitales Forschungsprojekt mit NS-Zwangsarbeiterlagern, die auf Fußball- und Sportplätzen angesiedelt waren. Seinen Ausgangspunkt hatte das Projekte, als sich Fans des VFL Osnabrück mit ihrer eigenen Vereinsgeschichte anfingen zu beschäftigen. Uta Niehaus hat sich vor Ort erkundigt und schildert die Ursprünge des Projekts und dessen Stand der Dinge: "Was der Fußball mit Zwangsarbeitern zu tun hat".
Lange Zeit haben sich die deutschen Universitäten vor allem als Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft gesehen. Erst allmählich und widerstrebend setzte sich die Einsicht durch, dass das nicht die ganze Geschichte ist. Inzwischen sind zahlreiche Untersuchungen zu einzelnen Universitäten, Disziplinen, Wissenschaftlern erschienen. Michael Grüttner legt hat nun auf der Grundlage jahrelanger Quellenforschung erstmals eine Gesamtdarstellung zu den Universitäten im Dritten Reich vorgelegt: "Talar und Hakenkreuz:Die Universitäten im Dritten Reich". Hans von Trotha hat es für DEUTSCHLANDRADIO gelesen: "Unter den Talaren".
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Seit dem tödlichsten Angriff auf jüdisches Leben seit der Shoah am 7. Oktober erreicht der offene Antisemitismus auch in Deutschland eine beispiellose Qualität. Dabei nehmen die Berührungsängste zwischen islamistischen, antiimperialistischen und sich selbst als progressiv verstehenden Milieus ab. Es entstehe eine „Allianz aus Islamismus und Antiimperialismus“, die sich beim Hass auf Israel die Hand gäben. Beide Gruppierungen demonstrierten „Seite an Seite, ihre Demosprüche fließen ineinander.“ Es biete sich dabei „eine Gelegenheit, sich über Trennendes hinweg eine gemeinsame Identität zu konstruieren.“ Israelhass wird zu einer identitätsstiftenden Komponente. Im Zuge dessen werde Islamismus immer noch verharmlost und israelbezogener Antisemitismus immer weiter verbreitet. Es komme zu einer folgenschweren Radikalisierung, die insbesondere eine Bedrohung für Jüdinnen und Juden ist. Zu diesem Ergebnis kommt das Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus, das die Amadeu Antonio Stiftung heute in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt hat. U.a. die TAZ und JÜDISCHE ALLGEMEINE fassen die wichtigsten Befunde zusammen und der Bericht selbst steht zum Download zur Verfügung: "Antisemitische Allianzen nach dem 7. Oktober. Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus #13"
Vor dem Hintergrund dieses Befundes, der wachsenden Allianz von Islamismus und linkem Antisemitismus, sowie im Blick auf das jüngste islamistische Attentat in Mannheim gerät die Migrationspolitik und das innergesellschaftliche Verhältnis zum Islam in Deutschland wieder vestärkt in den Fokus. Mehrere Beiträge befassen sich mit dieser Problematik. Lesenswert, mit vielen klug formulierten Gedanken und einer subjektiven Färbung versehen zeichnet der Schriftsteller Michael Kleeberg in der FAZ die historischen Linien des palästinensisch-israelischen Konflikts nach und reflektiert die Zukunft eines "westöstlichen Dialogs". Eingangs betont er zunächst bewußt subjektiv:
"Wenn man wie ich der Überzeugung ist, der Lackmustest für einen lebenswerten Rechtsstaat sei die Frage, ob Juden in ihm ungestört leben dürfen, dann ist die neuerliche Allianz zwischen westlichen Linken und Muslimen in ihrem sich antizionistisch nennenden Antisemitismus eine große Gefahr für unsere Rechtsstaaten und das perverseste Bündnis seit dem Hitler-Stalin-Pakt."
Er ist überzeugt, dass das Verhältnis zwischen Orient und Okzident nicht nur auf internationaler Ebene bestimmt wird, sondern vor allem innerhalb der westlichen Demokratien und deren Umgang mit ihren teils antisemitisch, teils antiliberal geprägten Migranten, denn
"gerade in der dritten Generation der muslimischen Einwanderer ist europaweit eine zunehmende Entfremdung von den politischen Werten der Gastländer zu beobachten sowie eine Identifikation mit islamistischen Werten (also solchen des politischen Islams), die die panarabischen und sozialistischen Bestrebungen der Fünfziger- bis Siebzigerjahre vollständig ersetzt hat."
An manchen Orten, wie etwa in den französischen Banlieus oder Teilen Neu-Kölns gelte "das staatliche Gewaltmonopol de facto nicht mehr", sodass sich die Frage stelle,
"wie lange westliche Linke die europäischen Muslime noch für deren Integrationsdefizite exkulpieren und Entwicklungen des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts (Kolonialismus, Rassismus) als Entschuldigung oder besser Selbstbeschuldigung ins Feld führen wollen. Könnte man doch auch gerade diesen Paternalismus, der die Muslime als ewige Opfer darstellt, die nicht in der Lage seien, sich so wie andere Völker der vormals Dritten Welt (wie zum Beispiel Koreaner, Inder, Vietnamesen) in eine rechtsstaatliche Moderne zu entwickeln, als besonders perfide Form des Rassismus interpretieren."
Wie eine Konkretion von Kleebergs Gedanken liest sich dann das Interview der FAZ mit Güner Yasemin Balci, Integrationsbeauftragter von Neukölln. Auch sie sieht in der beschwichtigenden Haltung gegenüber Islamisten etwas "unangenehm Paternalistisches". Die radikalen Tendenzen des Islamismus in Deutschland seien viel zu lange ignoriert worden. Gleichzeitig betont sie allerdings auch, dass es gerade Muslime sind, die sich dieser Gefahr viel bewusster sind als die deutsche Gesellschaft:
"Die stärksten Stimmen, die sich gegen muslimischen Extremismus positionieren, sind Menschen aus der muslimischen Kultur. Das muss man anerkennen. Sie argumentieren sehr differenziert und aus einem großen Erfahrungsschatz heraus, da können andere gar nicht mithalten. Ich wünsche mir, dass migrantische, progressive, liberale Stimmen viel mehr gehört werden. Das müssten eigentlich die Koryphäen sein, an denen man sich orientiert - statt an der AfD, die ständig unsere Probleme für sich instrumentalisiert."
Ein Deli, das nach antisemitischen Übergriffen umzieht; ein Restaurantleiter, der als "Kindermörder" beschimpft wird; Gäste, die zuerst nach einem Sicherheitsdienst fragen, fliegende Bierflaschen, rund um die Uhr Polizeischutz, Hassanrufe – und dazwischen Gesten der Solidarität. DIE ZEIT hat mit Gastronominnen und Gastronomen jüdischer und israelischer Restaurants in Deutschland über antisemitische Vorfälle nach dem 7. Oktober 2023 gesprochen. Moritz Hackl, Celina Plag, Jakob Pontius und Milena Zwerenz haben ihre Geschichten notiert: "Man muss jemanden wirklich hassen, um so etwas zu tun"
Die Direktoren von Berliner NS-Erinnerungsorten wie der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und vom Dokumentationszentrum Topographie des Terrors haben in einer öffentlichen Stellungnahme gefordert, Antisemitismus auf ihrem Campus zu benennen und geißeln sehr konkrete Beispiele für antisemitische Sprüche, die bei Besetzungen in jüngster Zeit gerufen wurden. Deutlich wenden sie sich auch gegen israelfeindliche Bestrebungen. In der Stellungnahme heißt es u.a.:
"Universitäten und andere Bildungseinrichtungen sollten Orte einer offenen, demokratischen Debattenkultur sein. Von den Protestierenden wurde die Anerkennung eines vermeintlichen israelischen Genozids zur Voraussetzung für weitere Gespräche mit den Universitätsleitungen gemacht, beispielsweise am 22. Mai 2024 gegenüber der Präsidentin der Humboldt-Universität, Prof. Julia von Blumenthal. Hierin zeigt sich deutlich eine israelfeindliche Ideologie, die sich einer kritischen Einordnung der Gegenwart verweigert. In der veröffentlichten Stellungnahme von Berliner Lehrenden zu den Besetzungen an der FU Berlin und anderen Universitäten vom 8. Mai 2024 ging es jedoch vor allem darum, das Recht von Studierenden auf 'die Besetzung von Uni-Gelände' zu verteidigen. Mit keinem Wort erwähnt wurden ihre jüdischen oder israelischen Studierenden oder andere Studierende, die diese Haltungen ablehnen bzw. sich durch die Proteste eingeschüchtert und bedroht fühlen."
Die Links zu den Themen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.
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Die 2023 gegründete Jüdisch-Islamische Forschungsstelle (JIF) an der Universität Tübingen versteht sich als ein Forum für die Erforschung der jüdischen und islamischen Theologien, ihren Hermeneutiken sowie ihren Rechts- und Bildungskonzeptionen. Ein Hauptziel der JIF ist es, die historischen Abhängigkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Traditionen zu beleuchten und ihre Rolle in modernen multikulturellen Gesellschaften zu verstehen. Gegründet und geleitet wird sie von Prof. Dr. Fahimah Ulfat und Rabbiner Dr. Asher J. Mattern. Mit den Beiden sprach kürzlich die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG darüber, wie sich diese Ziele u.a. vor dem Hintergrund der interreligiösen Belastungen durch das Hamas-Massaker am 7. Oktober noch realisieren lassen: »Verquere Wahrnehmungen aufbrechen«.
Der Link dazun in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT
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1907 kommt Walter Kaufmann in Karlsbad zur Welt. Später, in Prag, studiert er Komposition und Musikwissenschaft. In dieser Zeit hat er ein Zimmer bei Franz Kafkas Mutter und freundet sich mit den Resten des Kafka-Kreises an – Franz Werfel, Josef Suk, Willy Haas, dem Erfinder der „Literarischen Welt“. Als die Nazis kamen, floh er nach Indien, wurde Orchesterleiter in Kanada, einer der wichtigsten Musikethnologen - und schrieb erstaunlich gute Musik. Als er vor vierzig Jahren stirbt, bleibt dies nahezu unbeachtet. Hierzulande unbekannt wird er kaum gespielt, vom Musikbetrieb vergessen. Höchste Zeit, ihn und seine Musik wieder zu entdecken, meint Elmar Krekeler in der WELT: "Er war der erste Häuptling von Bollywood".
Vor hundert Jahren, 1924, erschien im gerade mal neu gegründeten Zsolnay-Verlag der Roman "Verdi" des jüdischen Schriftstellers Franz Werfel, der mit seinen expressionistischen Gedichten schon in jungen Jahren gefeiert wurde. Der Roman wird ein Bestseller und verschaft dem Zsolnay-Verlag einen glänzenden Start: Rasch sind 30 000 Exemplare verkauft, bis 1933 erreicht die Gesamtauflage 250.000 Stück. Anlass für die FRANKFURTER RUNDSCHAU in einem schönen, leider nicht namentlich gezeichneten Beitrag an den Roman und vor allem seine Protagonisten - Verdi und Richard Wagner - zu erinnern und der Frage nachzuspüren, was den Roman so erfolgreich machte: "100 Jahre „Verdi“ von Franz Werfel: Götter, Genies und andere Menschen".
In einem langen und recht persönlichen Interview mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG rekapituliert Deborah Fedman noch einmal ihren Weg aus der Enge der ultra-orthodoxen Welt der Satmarer Gemeinde in New York in die Freiheit des multilkulturellen Berlins. Auf die Frage, wie sie heute ihre Identität in Abgrenzung zu ihrer ultra-orthodoxen Prägung versteht, sagt sie:
"Der Punkt ist nicht, dass ich mich vom Judentum lossagen will, aber ich will die Freiheit, zu bestimmen, was Jüdischsein für mich bedeutet. Ich will keine Erwartungen erfüllen müssen, und ich will auch nicht, dass mein Jüdischsein mein Hauptidentitätsmerkmal ist. Ich bin erst Mensch und danach Jüdin auf individuelle Art. Aber das ist in Deutschland schwierig. ... Das Land schafft es nicht, den jüdischen Pluralismus auszuhalten. Es unterscheidet zwischen guten und schlechten Juden und Pseudo-Juden. Ich will dieses System der Einstufungen sprengen, weil es einen differenzierten Blick auf Israel verunmöglicht."
Das in Berlin ansässige Tikvah Institut, das sich als Scharnier zwischen Wissenschaft und Bildung im Bereich der Antisemitismusbekämpfung versteht und ein breiteres Verständnis für jüdische Geschichte und jüdisches Leben fördern möchte, lud kürzlich zu einer »öffentlichen juristischen Fachtagung« ein. Thema war ein in der jüdischen Community weiterhin höchst relevantes: das Feiertagsrecht. Problematisiert wurde mithin der Dickicht von Regeln und Gesetzen, die es Jüdinnen und Juden als Teil der bundesdeutschen Ausbildungs- und Arbeitswelt immer noch schwer macht, ihrem Glauben gemäß Religion und Alltag unter einen Hut zu bringen. Klaus Hillenbrand hat für die TAZ die Tagung verfolgt: "Keine Schabbatruhe".
Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik JÜDISCHE WELT
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Eine Liturgie gibt es nicht nur im Gottesdienst, sondern auch im Fußballstadion. Von der Begeisterung der Fans über gemeinsame Gesänge: Kirche und Fußball passen zusammen, meint Marieke Lohse und erläutert für EVANGELSICH.de weitere Beispiele, die ihre These belegen sollen: "Worin Gottesdienste und Fußballspiele sich ähneln".
Der Link dazu in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.
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Postkoloniale Theorien prägen derzeit den globalen Kultur- und Wissenschaftsbetrieb. Was als Versuch begann, den spezifischen Erfahrungen in kolonial geprägten Gesellschaften Rechnung zu tragen, ist zur großen Erzählung einer Kritik des »westlichen Verständnisses« von Vernunft und legitimer politischer Ordnung mutiert. Das Bild, das prominente Vertreter dieses Ansatzes von Antisemitismus und Holocaust einerseits, Judentum und Zionismus andererseits zeichnen, weist jedoch nach Ansicht von Ingo Elbe systematische Verzerrungen auf, wie er in seinem Buch "Antisemitismus und postkoloniale Theorie" darlegt. Michael Köhler hat das Buch für DEUTSCHLANDRADIO gelesen: "Der „progressive“ Angriff auf die Holocausterinnerung".
Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.
Einen angenehmen Tag wünscht
Dr. Christoph Münz
redaktion@compass-infodienst.de
(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)
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