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Original-Beitrag


Ulrich W. Sahm:
ALLTAG IM GELOBTEN LAND.
kart. 240 S., 90 Abb.,
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
Göttingen 2010


Eine Rezension von Dr. Hans Maaß


Rezension

Dass das Leben eines Menschen aus zwei Teilen besteht, dem, „was er ist und dem, was er daraus macht“, wird gleich im einleitenden gerafften Rückblick auf vierzig Jahre in Jerusalem deutlich, aber auch: wie beides miteinander zusammenhängt.

Einen „Saurier“ nennt ihn Henryk M. Broder im Vorwort. Man könnte auch sagen: ein Urgestein, obwohl er in Bonn geboren, in London und Paris aufgewachsen ist. In bekannt humorvoll anschaulicher Weise bietet „Uri“, wie er sich in Israel wegen der besseren Aussprache nennt, in insgesamt zehn Kapiteln ein Kaleidoskop des Lebens in Jerusalem während dieser Zeit.


Die Hektik im Alltag eines Zeitungs- und Fernsehkorrespondenzen bei Terroranschlägen wird ebenso deutlich wie das Leben mit Gasmasken in abgedichteten Räumen und das eines Nachrichtensprechers im Pyjama, der aus dem Schlaf ins Studio gerufen wurde, während des Golfkriegs. Dass die Gasmaskenausgabe mit allerlei Schwierigkeiten verbunden war, sei nur nebenbei bemerkt. Sahm stellt auch einen Journalisten besonderer Art vor, der als „Ohr Israels“ alle möglichen Rundfunk- und Fernsehnachrichten auswertet und weitergibt.

Terror und Terroropfern ist ein weiteres Kapitel gewidmet und die Behauptung widerlegt, Hamas sei mit Hilfe Israels gegründet worden, der Terror diene aber eher einem Machtkampf mit der Fatah, Selbstmordattentate seien nach Hamas-Äußerungen die »einzige Methode den Israelis Schrecken einzujagen.« Herkunft und allmähliche Idealisierung der Attentäter werden ebenso gezeigt wie ihre Auswirkung auf das Leben in der israelischen Gesellschaft. Der Rezensent kann letzteres durch eigene Erfahrungen bestätigen. Das Verhältnis zwischen Gilo und Beit Jala wird ebenso differenziert dargestellt wie die Rückwirkung der Anschläge auf die israelischen Sicherheitsmaßnahmen, bis hin zu einem grotesken eigenen Erlebnis Sahms.

Sehr umstritten ist in Diskussionen bei uns die „Mauer“. Wer weiß, dass es 1987 Palästinenser waren, die eine solche Mauer forderten? Wir erfahren, was „Intifada“ bedeutet, und wie es zur ersten Intifada kam; aber auch die Anfänge und die Ambivalenz der Absperrung durch Zaun und Mauer als »Anti-Terror-Sperrwall – nicht entlang der »grünen Linie«, sondern nach »militärischen und topographischen Erwägungen« – und die Ungenauigkeit von Karten kommen zur Sprache, die Kürze der Mauerabschnitte, aber auch die z.T. erheblichen Schwierigkeiten, die der übrige Zaun und eine entsprechende Pufferzone palästinensischen Bauern bereitet. Die Mauer in Abu Dis, die nach dem Anschlag auf die Hebräische Universität errichtet wurde, ist besonders augenfällig, die Passkontrollen schikanös. Szenen aus Tulkarem zeigen, wie begründet die israelische Angst vor Terroristen ist, dass es aber auch an Koexistenz interessierte Palästinenser und Israelis gibt. Sahm zeigt die Widersprüchlichkeit der Verhältnisse auf.

Die Person Arafats, der das palästinensische Volk „aus dem Boden gestampft“ hat, wird in ihrer schillernden Undurchsichtigkeit und sprunghaften Unberechenbarkeit deutlich. Dennoch oder gerade deshalb scheint eine charismatische Ausstrahlung von ihm ausgegangen zu sein.

Im Kapitel über Archäologisches und Historisches geht es teils um skurrile, aber wahre Begebenheiten, die sich von dem unterscheiden, was man überall lesen kann, z.B. die hygienischen Verhältnisse im alten Qumran, aber auch die ständigen Reibereien um die Grabeskirche oder die Luftbrücke für äthiopische Juden 1991. Welche freudige Erregung damals in Israel herrschte, konnte der Rezensent mit einer Reisegruppe selbst erleben.

Anschaulich werden dabei auch Schock und Hilflosigkeit der Neueinwanderer in der Begegnung mit der unbekannten Zivilisation geschildert, aber auch Schwierigkeiten ihrer Anerkennung. Unbekannt dürften Zeremonien zu Ehren im 1. Weltkrieg gefallener österreichischer Soldaten sein. Auf andere echte und gefälschte archäologische „Sensationen“ und Pannen kann hier nur hingewiesen werden – bis hin zu Schätzungen über die Bevölkerungszahl in biblischer Zeit.

Im Kapitel über die deutsche Nahost-Politik erfährt man u.a., was Journalisten nicht oder nur andeutungsweise berichten dürfen, um auch künftig zu „Hintergrundgesprächen“ eingeladen zu werden. Problematisch erscheint eine Pressekonferenz der deutschen Entwicklungsministerin, rühmlich Joschka Fischers Verhalten gegenüber Israel. Die stillschweigende Eroberung der Erlöserkirche durch die kleine arabische Gemeinde besitzt dagegen kafkaeske Züge.

Im Kapitel „Deutsche Wurzeln“ erfährt man, wie Schindlers Liste nach Yad Vashem kam und wie eine aus Stutthof Geflohene ihre Retterin fand. Traumatisierte ehemalige Häftlinge kommen ebenso zur Sprache wie Barenboims Wagner-Aufführung in Israel. Steff Wertheimers eindrucksvolle Industrie-Parks werden als „kapitalistischer Kibbuz“ dargestellt, die Aktion Sühnezeichen und die aus Chemnitz stammenden Besitzer der Dan-Hotels (mit eingeflochtenem Interview mit Stefan Heym) vorgestellt. Deutsche Weihnacht mit einer jiddischen Fassung der Weihnachtsgeschichte und ultraorthodoxen Anti-Bräuchen sind ebenfalls etwas besonderes.

Es wäre nicht Ulrich W. Sahm, der Gourmet und Kochkünstler, wenn das Buch nicht mit Kulinarischem abschließen würde, Historisches, Religiöses und Rezepte. Alles in allem ein gut lesbarer Einblick in Land und Leute.




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Online-Extra Nr. 116

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