Deutsche Bibliothek
ISSN 1612-7331
15.09.2016 - Nr. 1666
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Hans Maaß rezensiert: "Basiswissen Judentum"



Flüchtige Begegnung



Von Ludger Fittkau | Das Frankfurter Jüdische Museum zeigt seine Ausstellung auf einem Pop Up Boat. Das Schiff wird einige Wochen vor Anker liegen, zum Laubhüttenfest am 16. Oktober verschwindet es wieder. Ist das ein Versuch, eine neue Lockerheit im Umgang mit jüdischer Geschichte und Kultur zu finden? ...

“Polnisch-jüdische Geschichte ist keine leichte Kost”

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Dariusz Stola leitet seit der Eröffnung im Jahr 2014 das Museum der Geschichte der polnischen Juden (Polin). Ein Interview über das beliebte Museum in Warschau ...

Gettogether in the Ghetto



Von Samuel Mago | War er vor etwas mehr als 70 Jahren noch das jüdische Ghetto von Budapest, ist der siebte Bezirk heute als die größte Partymeile der Stadt bekannt. Beim Flanieren ist vielen Touristen wohl kaum bewusst, wie viele Juden hier die letzten Stunden vor ihrer Deportation verbrachten...

Zwischen Hoffen und Bangen



Von Simone Brunner | Wie junge Juden in Moskau auf die Duma-Wahl am Sonntag blicken...

»Rückzugsraum für Debatten«



Rachel Salamander und Michael Brenner über den Jüdischen Kulturkongress auf Schloss Elmau und kontroverse Debatten. Interview...

Zeit zum Kerzenzünden



Von Rabbiner Elischa Portnoy | Wann genau beginnt der Schabbat? In den Gemeinden gibt es unterschiedliche Regelungen...



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Original-Beitrag



Nachfolgend lesen Sie einen Original-Beitrag des evangelischen Theologen Hans Maaß. Als Schuldekan und Kirchenrat war er über zwei Jahrzehnte im Evang. Oberkirchenrat Karlsruhe für alle Fragen zuständig, die den Religionsunterricht an Grund-, Haupt-, Sonder- und Realschulen betreffen. 1992 - 2003/2004 Lehrauftrag an der PH Karlsruhe für Neues Testament und Judentum. Maaß war u.a. viele Jahre Vorstandsmitglied im Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Wiedergabe
seiner Rezension an dieser Stelle.


Basiswissen Judentum



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„Die Tora zum Glänzen bringen“, überschreibt Rabbiner Dr. Henry G. Brandt, der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands sein Geleitwort zu diesem von zwei weiteren Rabbinern und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Abraham Geiger Kollegs herausgegebenen Werkes und hebt dabei Lernen und Lehren als Essenz des Judentums hervor, für das die Taten eines Menschen stärkerer Ausdruck des religiösen Lebens sind als Glaubensbekenntnisse. Darum geht es bei diesem „Basiswissen“.



In einem ersten Großkapitel mit dem Titel „Die Lehre“ wird daher die Frage behandelt „Wer ist Jude?“; dabei kommen sowohl biblische als auch halachische und moderne Definitionen zur Sprache. Dabei werden auch Charakteristika der Jüdischkeit u.a. anhand von Texten Leo Baecks und Grundsätzen der Union progressiver Juden dargestellt. Die Frage des Verhältnisses von Diaspora und Heiligem Land wird knapp, aber auch für Nichtjuden verständlich behandelt. Auch die „erstaunliche Diversität“ des Judentums wird angesprochen und als wesentlicher Unterschied zwischen liberalem und orthodoxem Judentum der Offenbarungsbegriff bezeichnet. Dies hätte man sich noch etwas ausführlicher gewünscht. Sehr knapp – es geht ja um Basiswissen – wird auch auf das jüdische Gottesbild, die Unaussprechlichkeit des Gottesnamens, die verschiedenen biblischen Gottesbezeichnungen und dessen Eigenschaften nach Ex 34 eingegangen, die allerdings als „Verhaltensweisen Gottes“ bezeichnet werden. Beachtlich ist auch, was bei aller Knappheit über Gotteserkenntnis „im Spannungsfeld von Vernunft und Offenbarung“ gesagt wird.

Als „Herzstück“ der Hebräischen Bibel wird die Tora herausgestellt und auf die Wortbedeutung dieses Begriffs verwiesen, mit dem zugleich die 5 Bücher Moses bezeichnet werden. Nach kurzer Inhaltsangabe der einzelnen Bücher und deren hebräischen Bezeichnungen, kommen die Autoren auf die Propheten zu sprechen, die aber nach jüdischer Terminologie bereits mit dem Buch Josua beginnen, nicht erst mit den „großen Schriftpropheten“. Warum das Zwölfprophetenbuch unerwähnt bleibt, ist nicht ersichtlich. Die „Schriften“ oder „Hagiografen“ werden kurz aufgezählt, auf die Psalmen näher eingegangen, sogar die Kantillationszeichen erwähnt. Außerdem heißt es über die Gesamtkomposition, es handle sich nicht um willkürlich zusammengesetzte Einzeltexte, sie seien vielmehr „mit theologischem und dramaturgischem Sinn zusammengefügt.“ Ein tabellarisches Schema verdeutlicht dies, wenn auch eher für die ersten Teile der Sammlung. Ein Kapitel ist auch Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Hebräischer Bibel und dem christlichem „Alten Testament“ gewidmet, sodann der gottesdienstlichen Toralesung mit den Wochenabschnitten, dem vierfachen „Wortsinn“ sowie Torakommentaren, insbesondere Raschi, einem Akronym des vollen Namens dieses mittelalterlichen Gelehrten. Wichtig für das Gesamtverständnis der Tora ist auch der Hinweis: „Am Ende des Lesungsgottesdienstes wird die Tora von einem Beter emporgehalten 5…] und die Gemeinde ruft aus: „Dies ist die Lehre, die Mose den Israeliten auf Befehl des Ewigen vorgelegt hat“.

Mit einem Zitat aus den Sprüchen der Väter, das gleichermaßen von Christen und Juden beherzigt werden sollte, beginnt das Kapitel über Halacha und Talmud: „Ben Bag Bag sagte: Wende und wühle in ihr, denn in ihr [der Tora] ist alles; schaue in sie und werde in ihr alt und verbraucht und weiche nicht von ihr, denn es gibt nichts besseres als sie.“ Sehr gut wird erklärt, dass es dabei um „Rechtsfragen des Lebens in all seinen Erscheinungen“ geht inclusive des Verhältnisses zum Recht der Staaten, in denen Juden in der Diaspora leben. Aber auch Begriffe wie Mischna, Tosefta, Gemara und Talmud werden knapp, aber gut verständlich dargelegt und durch kennzeichnende Zitate belegt. Insbesondere für Pfarrer(innen) und Religionslehrer(innen) sind diese Kapitel wichtig; denn auf diesem Gebiet herrschen weithin unklare Vorstellungen. Auch die beiden Talmudcorpora werden kurz charakterisiert, wobei eigentlich in neuerer Zeit der Begriff „Jerusalemer Talmud“ geläufiger geworden ist, als der hier verwendete „Palästinischer“ neben dem „Babylonischen“, der meistens gemeint ist, wenn ohne nähere Bezeichnung vom Talmud die Rede ist. Dass auf die beiden hauptsächlichen rabbinischen Schulen Hillel und Schammai eingegangen wird versteht sich von selbst. Im Kapitel „Halacha und Aggada“ geht es u.a. um rabbinische Methoden, das Recht veränderten Verhältnissen anzupassen, ohne gegen den ursprünglichen Sinn zu verstoßen. Allerdings ist dem „jüdischen Recht in der Moderne“ ein eigenes großes Kapitel gewidmet, nachdem zuvor nochTalmudkommentare und Kodifikationen, Verbote und Verbrennungen, aber auch der „Schulchan Aruch“ besprochen wurden. Unmittelbar vor dem Kapitel über das Recht in der Moderne steht noch ein relativ kurzes Kapitel über das jüdische Bildungswesen – bis hin zu einer Abbildung der ersten Rabbinerin und einen Überblick über die Bedeutung des hebräischen Sprache als heilige Sprache, aber auch als Alltagssprache in Israel. Welche Rolle das jüdische Recht in der Moderne spielt, wird nach den verschiedenen Strömungen, orthodox, liberal und konservativ unterschieden. Besonders wird dabei jedoch auf das „jüdische Recht im Staat Israel“ eingegangen und abschließend das „Recht als Inbegriff jüdischer Ethik und Gerechtigkeitssuche“ herausgestellt. Dabei ist vor allem für Christen – aber auch für Journalisten – wichtig: „Das Jüdische Recht will die Mittellinie finden zwischen strengem Anspruch und gütigem Nachgeben“, so dass „die Anwendung des Rechts zum Leben führen soll, nicht aber zu seinem Untergang“, so wird aus der Tosefta zum Traktat Sanhedrin zitiert. Sehr interessant sind die praktischen Beispiele der Auswirkung dieses Grundsatzes.

Das zweite Großkapitel trägt die Überschrift „Das Leben“. Wer erwartet, hier Anweisungen für die Lebensgestaltung zu finden, wird überrascht sein: es geht um jüdische Lebensgestaltung, um Gebet, Schabbat, Synagoge, Jahreskreis, Tod und Trauer. Die Lebensgestaltung wird im dritten Großkapitel „Die Gebote“ behandelt.

Im jüdischen Alltag gibt es bestimmte Gebetszeiten; sie und bestimmte Gebetsformeln haben sich seit der Zeit des Zweiten Tempels herausgebildet und finden sich bereits in Mischna und Talmud. Auch die Grundbedeutung des hebräischen Wortes für Gebet, tefilla, wird erklärt. Nach der Tempelzerstörung traten diese Gebete an die Stelle der Opfer. Sehr ausführlich werden die verschiedenen geprägten Gebete wie Amida, Schma und Kaddisch beschrieben. Auch dies gehört zum „Basiswissen“ Judentum. Neben dem Gebet in Gemeinschaft, zu dem mindestens zehn Personen erforderlich sind, tritt das persönliche Gebet. Auch die Problematik von „Konzentration und Routine“ wird angesprochen. Nicht allgemein bekannt dürfte sein, dass nach der Mischna sogar das Schma Jisrael in der jeweiligen Landessprache gesprochen werden kann. Dennoch wurde das Hebräische „als verbindende Gebetssprache des jüdischen Volkes trotz dieser Freiheiten nie aufgegeben“. Andererseits gibt es auch bestimmte Gebetshaltungen sowie Verbeugungen und Kleidungsstücke wie Kippa sowie Gebetsschal und Tefillin. Da die Fülle der gebräuchlichen Gebete über die Jahrhunderte zunahm, wurden Gebetssammlungen erstellt. „1870 äußerte sich Abraham Geiger zu den Qualitäten eines Einheitsgebetsbuches“. Man sieht, wie von ihm Tradition und Gegenwart in einen sinnvollen Ausgleich gebracht werden sollten. Ein längeres Zitat von Abraham Joshua Heschel über das Gebet schließt dieses Unterkapitel ab, ehe das nächste über den Schabbat folgt; er ist „der wichtigste jüdische Feiertag“. Dies wird von der Wortbedeutung her und an Gebetstexten verdeutlicht, ehe auf die „Schabbatvorschriften“ und ihre Darlegungen im Traktat Schabbat und spätere Interpretationen eingegangen wird. Es folgen Ausführungen über Beginn und Beendigung des Schabbat mit den entsprechenden Bräuchen – wichtig für alle, die etwa im Unterricht dies behandeln wollen. Danach wird ausführlich auf den Gottesdienst am Freitag-Abend samt der traditionellen Gebete und Lieder eingegangen.

Ein eigenes Unterkapitel wird den dreizehn „Glaubenslehren“, den „Ikkarim“, der „Prinzipien“ des Maimonides gewidmet, der damit „gewissermaßen das Minimum an Erkenntnis definiert“ habe. Allerdings war er nicht der erste und einzige „mittelalterliche jüdische Denker“. Auch der Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Synagoge (und des entsprechenden hebräischen Begriffs „bet-ha-knesset“, "Versammlungshaus") macht sowohl die Heiligkeit dieses Ortes deutlich als auch die Tatsache, dass es kein „Tempel“ ist, obwohl auch diese Bezeichnung im 19. Jh. allmählich in Gebrauch kam. Aufbau und Ausgestaltung der Synagoge werden bis ins Detail beschrieben. Wichtig ist auch der Hinweis auf Synagogen nach der Zerstörung durch die Nazi-Pogrome, die (meist) erst infolge der Zuwanderung von Juden aus der früheren Sowjetunion zu repräsentativeren Synagogenbauten führten. Diese „dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich derzeit noch viele kleine jüdische Gemeinden mit Gottesdiensträumen in Büroetagen, in umgestalteten Wohnhäusern oder in Räumlichkeiten von Kirchengemeinden oder sozialen Einrichtungen begnügen müssen, die ihren sozialen und religiösen Bedürfnissen kaum gerecht zu werden vermögen.“ Ein Abschnitt ist der Synagogalmusik und bedeutenden Kantoren gewidmet, ehe das nächste Unterkapitel über „Zeit und Ewigkeit“ beginnt, in dem sowohl der jüdische Kalender, die Jahreszählung als auch die Feste (bis hin zu Tu Bi‘Schwat, dem „Neujahrsfest der Bäume“) ausführlich beschrieben werden. Einen besonderen Raum nimmt selbstverständlich das Pessachfest ein mit Sederabend und Haggada. Das sieben Wochen später gefeierte „Wochenfest“ wird in seinem allmählichen Wandel vom Fest der Weizenernte zum Fest der Toragabe (chag matan tora) beschrieben und weitere gebräuchliche Bezeichnungen benannt. Natürlich darf der Hinweis auf Brauchtum und die traditionelle Lesung des Buches Rut (einer der 5 Festtagsrollen) nicht fehlen. Auch die Bedeutung der drei „finsteren Wochen“ vor dem 9. Aw, dem Gedenktag der Tempelzerstörung, an dem allerdings auch anderer Leiden bis ins Mittelalter gedacht wird. Interessant und nicht allgemein bekannt dürfte sein, dass der Monatserste den Frauen gewidmet ist, weil sie (so aufgrund des grammatikalischen Geschlechts) einst ihren Schmuck nicht zur Herstellung des goldenen Kalbes abgeliefert hätten. Abschließend wird noch auf die Feiertage im Staat Israel eingegangen. Zeiteinteilungen gibt es jedoch nicht nur im Kalender, sondern auch im Leben, so wird in einem weiteren Unterkapitel der Lebenskreis abgeschritten von der Eheschließung über die Beschneidung bis hin zum Tod und der Friedhofskultur und Jenseitsvorstellungen von der Bibel bis zur Neuzeit.

Das dritte Großkapitel widmet sich den Geboten. Hier geht es zunächst um das „ethische Profil des Judentums“, um Gerechtigkeit und Solidarität, um das Verhältnis von Offenbarung und Ethos, dann aber auch, was nicht sofort zu erwarten wäre, um den jüdischen Haushalt, die verschiedenen biblischen und nachbiblischen Speisevorschriften einschließlich Schlachtung sowie um das Fasten als „Demütigung der Seele“ jedoch in begrenztem Umfang. Auch Fragen der Kleidung in Kultus und Alltag werden hier verhandelt, die Geschlechterrollen im traditionellen und modernen religiösen Judentum, sogar die Homosexualität von der Bibel über den Talmud, das Mittelalter bis hin zum modernen Progressiven Judentum.

Sehr umfangreich ist das vierte Hauptkapitel „Die Geschichte“ – wie könnte es auch anders sein! Es beginnt mit dem Kapitel über das „verheißene Land“ und der Aussage: „Der Gott Israels, das Volk Israel und das Land Israel, Erez Jisrael, stellen im traditionellen jüdischen Verständnis eine Einheit dar. […] Der Begriff Erez Jisrael (»Land Israel«) wurde und wird jüdischerseits als Alternative zu dem von den Römern festgelegten Namen Palästina gebraucht.“ Stellt es womöglich eine Einschränkung der modernen Siedlerideologie dar, wenn darüber hinaus festgestellt wird: „Nach religiösem Verständnis ist die Landgabe aber abhängig von der Erfüllung der Gebote durch das Volk Israel.“? Eine Abbildung David Ben Gurions mit dem Original der Unabhängigkeitserklärung leitet einige kurze Abschnitte über Zion, Jerusalem, Ererbung des Landes und Rückkehr nach Erez Jisrael ein, die mit der Rückkehr jüdischer Bewohner spätestens ab der Mitte des 5. Jh. beginnt. Herzl und der politische Zionismus werden zwar nicht übergangen, aber äußerst knapp gestreift, ausführlicher die mit dem Ende des 19. Jh. einsetzenden Aufbauleistungen der Einwanderung, des Jischuw. Wichtig erscheint der Hinweis auf eine grundlegende Fragestellung, die Leo Baeck aufgeworfen hat und die hier wörtlich wiedergegeben werden soll: „Für Palästina gilt die Frage: Wie soll sich dort das jüdische Leben entwickeln: Soll Palästina übergeben werden einerseits der Orthodoxie, andererseits dem russischen Nihilismus? Hier erwachsen dem religiösen Liberalismus wichtige Pflichten.“ Die Frage stellt sich mittlerweile zwar modifiziert, ist aber keineswegs gelöst. Über die Balfour-Erklärung und die Irrfahrt der „Exodus“ reicht diese „Basisorientierung“ bis hin zur Staatsgründung 1948. Über die unterschiedlichen Lebensformen sefardischer und aschkenasischer Juden im Mittelalter und die bedeutenden Zentren der „Schum-Städte“ Speyer, Worms und Mainz gelangt die Darstellung in groben Zügen zum Thema Ghetto zwischen Autonomie und Gefängnis. Es geht um Basiswissen, nicht um eine ausführliche Geschichte des Judentums! Wichtig ist auch der Abriss über Messianismus und Messiaserwartungen im Judentum bis hin zum „Lubawitscher Rebbe Menachem Mendel Schneerson“. Der Rezensent erinnert sich an Plakate in Zefat (Safed), die nach seinem Tod mit geradezu christlich klingenden Worten verhießen: „hu jawo“ – „er wird wiederkommen“. Selbstverständlich darf ein kurzer, dennoch detaillierter Hinweis auf die Kabbala und den neuzeitlichen Chassidismus nicht fehlen. Sogar dem Jiddischen ist ein Unterkapitel gewidmet, weil es sich zu einer Art Nationalsprache entwickelte, aber auch in die deutsche Umgangssprache Eingang gefunden hat.

Die rechtlich-politische Emanzipation wird hinsichtlich ihrer geistigen Vorbereiter ins Auge gefasst, das preußische Emanzipationsedikt von 1812 behandelt, aber wie meist übergangen, dass Juden im Großherzogtum Baden schon 1807 als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt wurden. Dass die Gleichbehandlung erst mit der Weimarer Verfassung mit der Religionsfreiheit garantiert wurde, die mit dem Nationalsozialismus bereits ein knappes Vierteljahrhundert danach schon wieder zu Ende war, wird zunächst knapp dargestellt, sehr viel ausführlicher dagegen die „Wissenschaft des Judentums“ von Leopold Zunz über Abraham Geiger bis Marin Buber inklusive der wissenschaftlichen Rabbinerausbildung. Den Juden in der Weimarer Republik in Theater, Film und Malerei sowie in‚ jüdischen Verbänden ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet – samt einem Zitat von Benno Jacob über Deutschsein und Jüdischsein.

„Verfolgung und Selbstbehauptung“ im „Dritten Reich“ mit Boykott, Arierparagraf, Bücherverbrennung und „Nürnberger Gesetzen“, dem Abriss der Münchener Hauptsynagoge noch vor der Pogromnacht 1938, Arisierung jüdischen Vermögens und Zwangskennzeichnung der Juden markieren neben dem eigentlichen Novemberprogrom einige weitere Stationen auf dem Weg zur Schoa, dem „Mord an den Juden Europas“, einem eigenständigen Unterkapitel. Die kurz umrissenen Sachverhalte regen selbstverständlich zum gründlicheren Nachlesen in einschlägiger Literatur an, auf die im umfangreichen Registerteil - neben einem Glossar, einem Bibelstellen- und Namensregister sowie einem „Service-Teil“ mit wichtigen Anschriften - am Ende des Buches verwiesen wird.

Trotz der Knappheit von 8 Seiten bietet das Unterkapitel 10 Schoa grundlegende Informationen. Zunächst werden die Begriffe Schoa und Holocaust charakterisiert, eine Seite mit Teilnehmern der Wannseekonferenz sowie der Auschwitz-Personalbogen des Vaters einer der Autoren abgebildet, wodurch dieses Kapitel besonders konkret und eindrücklich wird. Wie sich aus den Überlebenden bereits „wenige Wochen nach der Befreiung Deutschlands durch die alliierten Truppen“ in den vier Besatzungszonen wieder einzelne jüdische Gemeinden bildeten, ist bewundernswert. Dazu trug sicher auch die Überzeugung von Rabbiner Leo Baeck bei, der Theresienstadt überlebt hatte, solange „Juden in Deutschland Lebten, müssten hier auch jüdische Gemeinden bestehen“. Probleme der nach dem Krieg in der Bundesrepublik lebenden Juden und in der DDR werden benannt, die Integration der nach 1990 aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Juden allerdings nur in sozialer Hinsicht. Dies gilt auch für den „Staatsvertrag als Integrationshilfe“. Ehe das Buch auf jüdisches Leben in den USA zu sprechen kommt, wird unter dem Titel „Einheit in der Vielfalt“ auf die verschiedenen Strömungen im religiösen Judentum sowie auf die auch staatlich unterstützten Bildungseinrichtungen eingegangen. Abbildungen von Charlotte Knobloch als langjähriger Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern sowie von Rabbiner Leo Baeck, einem Repräsentanten „des liberalen deutschen Judentums“ verleihen diesem Kapitel buchstäblich ein Gesicht. Das amerikanische Judentum wird nur kurz gestreift, ehe dieses Kapitel mit der Frage, „Was heißt »liberal«? abschließt. Hier erfährt man, dass diese Richtung „weltweit die stärkste religiöse Bewegung darstellt“, aber sich in ihrem „Ursprungsland Deutschland […] immer wieder erklären und gegenüber Ahnungslosigkeit und Besserwissen behaupten muss“. Demgegenüber wird festgestellt: „Das liberale Judentum glaubt an die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Entwicklung der jüdischen Religion in Bezug auf Form und Inhalt“. Was dies im einzelnen bedeutet, wird verständlich dargestellt. Während für jüdisches Leben meist Berliner Verhältnisse beispielhaft angeführt werden, fällt es angenehm auf, dass für das liberale Judentum ein Bild aus der liberalen Synagoge in Hannover gezeigt wird, auf dem mindestens drei Frauen im Gebetsschal zu sehen sind.

Das 5. Großkapitel unter dem Titel „Im Gespräch“ widmet sich zunächst dem Verhältnis von Christen und Juden. Dabei wird auch die zunächst sicher bahnbrechende Auffassung korrigiert, das Judentum sei die ältere, gar reinere Religion, auf die das Christentum aufbaue. Gemäß neuer Forschungen jüdischer Gelehrter wird auf die vielfältigen Wechselbeziehungen in der Entwicklung beider Religionen verwiesen. Sehr sachlich und dennoch subtil gehen die Autoren mit mancherorts praktizierten „christlichen Pessachfeiern“ um, die eine scheinbare Authentizität des christlichen Abendmahls herzustellen versuchen. Lesenswert!

Das Verhältnis von Christen und Juden wird in einem Längsschnitt von der Spätantike bis zu den beiden christlichen Konfessionen nach der Schoa verfolgt. Dabei wird auch Luther nichtausgespart. Der Bekennenden Kirche im „Dritten Reich“ wird zwar „Widerstand gegen das Naziregime“ attestiert, sie „interessierte sich bis auf wenige Ausnahmen aber nicht für die Juden. Selbst getaufte Juden wurden von den Kirchen weitgehend im Stich gelassen. Eine Ausnahme war Pfarrer Heinrich Grüber, der 1938 in Berlin eine Hilfsstelle für evangelische Rasseverfolgte einrichtete“. Zum Glück gab es noch eine ganze Reihe – wenn auch viel zu wenige – anderer.

Dass im „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ von 1945 „die Juden mit keinem Wort erwähnt“ sind, ist nicht sein einziger Mangel. Es ist überhaupt kein Schuldbekenntnis, sondern lediglich eine Erklärung gegenüber der Ökumene. Die übrigen theologischen Nachkriegserklärungen werden ebenfalls sehr wohlwollend beurteilt. Ähnliches gilt auch gegenüber katholischen Dokumenten. Immerhin ist für die Langsamkeit der Fortschritte bezeichnend: „Papst Johannes Paul II. setzte die Konzilsgedanken in Worten und Taten um, als er 1986 als erster Papst in Rom eine Synagoge besuchte.“ Auch die jüdische Seite musste sich auf die neue Gesprächslage einstellen. „Zu den Lichtblicken im interreligiösen Dialog im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils gehört die Erklärung Dabru Emet (»Redet Wahrheit«), eine jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum“. Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Aktion Sühnezeichen werden zwar erwähnt, leider nicht die Berliner Erklärung als Fortschreibung der Seelisberger Thesen. Für die allmähliche Rezeption des „jüdischen Jesus“ wird auf Abraham Geiger und Leo Baeck und in deren Nachfolge auf Schalom Ben-Chorin verwiesen, der sicher die größte Breitenwirkung in der Öffentlichkeit erzielte.

Zum Schluss dieses Großkapitels „Im Gespräch“ gehen die Autoren auf das Verhältnis von Juden uns Muslimen ein. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Tora und Koran und deren mündlicher Tradition in Talmud und Sunna werden herausgestellt – bis hin zu der Formulierung des Maimonides „Gott ist einer und einzig, und Mose ist sein Prophet“, die an das muslimische Grundbekenntnis anklingt. Dass einige Sultane Juden gegenüber toleranter waren als christliche Herrscher wird ebenso erwähnt wie die Beschreibung der Alhambra in Granada in ihrer Beziehung zum Salomonischen Tempel durch den spanisch-jüdischen Dichter und Philosophen Salomo ibn Gabirol. Dass dieses sog. „Goldene Zeitalter“ nur von relativ kurzer Dauer war, wird nicht erwähnt. Die heutigen politisch bedingten Spannungen werden in einem Abschnitt über „Interreligiöse Begegnung“ thematisiert und anhand des Aufrufs des amerikanischen Reformjuden Eric Yoffie, die amerikanische Gesellschaft solle ihre Diskriminierung von Muslimen überwinden und helfen eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten voranzubringen, illustriert. Abschließend wird nochmals Leo Baeck zu einem gemeinsamen Weg der drei Monotheistischen Religionen zitiert: „Dann werden gute Tage kommen. Menschen und Völker und Bekenntnisse werden geschieden bleiben, werden in ihrer Besonderheit weiterleben, aber sie werden wissen, dass sie zusammengehören, Teil der einen Menschheit sind, zusammenleben sollen auf dieser unserer Erde, einander sehend und einander verstehend, und, wenn es nottut, einander helfend.“

Wer dieses umfangreiche Werk durchgearbeitet hat, wird ahnen, worüber es sich über dieses Basiswissen hinaus noch zu informieren lohnt.

Andreas Nachama/Walter Homolka/Hartmut Bomhoff:
Basiswissen Judentum.

Herder Verlag
Freiburg 2015
685 S., zahlr. Abb., geb.
Euro 40,-
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Dr. Hans Maaß




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