ONLINE-EXTRA Nr. 196
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"Theodor Heuss war ein Glücksfall für Deutschland" - so formuliert es der jetztige Bundespräsident Gauck am gestrigen Donnerstag, dem 50. Todestag des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Als einer der Väter des Grundgesetzes prägte der FDP-Politiker Heuss mit seiner Persönlickeit nicht nur das neue Amt des Bundespräsidenten, sondern gab auch der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft in politischer und moralischer Hinsicht Halt und Richtung.
Doch ein Aspekt, eine Dimension seines Lebens und Wirkens ist bislang beinahe unbeachtet geblieben: sein einzigartig freundschaftliches Verhältnis zu vielen jüdischen Zeitgenossen, zum Judentum überhaupt – und insbesondere sein Engagement um eine wahrhaftige Erinnerungskultur, für eine »Wiedergutmachung« der Verbrechen am jüdischen Volk und die Aussöhnung mit Israel. Heuss ist der Mann, der früh nach dem Krieg das Wort von einer »Kollektivscham« der Deutschen zu prägen wagte und damit vehement gegen die Rede von einer »Kollektivschuld« stritt wie auch gegen diejenigen, die schon einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit ziehen wollten. Vor diesem Hintergrund spielte Heuss auch eine gewichtige Rolle im beginnenden christlich-jüdsichen Gespräch nach dem Krieg und insbesondere bei der institionellen Geburt des christlich-jüdischen Dialogs, wie sie ab 1948 durch die Gründung erster Gesellschaften für chrisltich-jüdische Zusammenarbeit sowie des Deutschen Koordinierungsrates ihren Niederschlag fand.
Diesen gesamten Aspekt systematisch zu beleuchten, zu analysieren und zu würdigen hat nun der emeritierte Tübinger Theologie-Professor Karl-Josef Kuschel in seinem vor wenigen Wochen erschienen Werk unternommen: "Theodor Heuss. Die Schoah, das Judentum, Israel. Ein Versuch" (Vlg. Kloepfer & Meyer; siehe die Anzeige weiter unten im Text). Kuschel zeichnet in seinem Buch ein ebenso faszinierendes wie differenziertes Bild des Engagements von Heuss und legt damit erstmals eine brillante Analyse seines Engagements für den christlich-jüdischen Dialog vor, die im Anhang noch mit drei Schlüsselreden von Theodor Heuss ergänzt wird.
COMPASS freut sich sehr, Ihnen mit vorliegendem ONLINE-EXTRA Nr. 196 das umfangreiche Vorwort von Kuschel - "Ein Stück ungeschriebener Geschichte" - im Wortlaut präsentieren zu können, das eine hervorragende Einfühung in die Thematik sowie einen guten Überblick zu Inhalt und Konzeption des Buches bietet. Wenn Sie noch ein Buch etwa als Weihnachtsgeschenk suchen, das glänzend geschrieben, ungemein interessant und mit großem Lektüregewinn versehen ist, sei Ihnen dieses Buch ohne Vorbehalte ans Herz gelegt!
COMPASS dankt Autor und Verlag für die Genehmigung zur Wiedergabe des Textes an dieser Stelle!
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Online-Extra Nr. 196
»Es begann, als die ersten Exzesse gegen die Juden erfolgten. Sie haben vielen Leuten nicht gefallen. Aber sie haben gesagt: ›Ist ja bloß ein Jude.‹ Und dieses ›Ist ja bloß ein Jude‹, das war derAnfang. Von dort an ist die deutsche Seele krank geworden, weil sie im Menschen nicht mehr das Menschliche, die Würde des Menschen sah.«
Aus der Berliner Rede, 18. März 1946
»Wir dürfen nicht vergessen die Nürnberger Gesetze, den Judenstern, die Synagogenbrände, den Abtransport von jüdischen Menschen in die Fremde, in das Unglück, in den Tod. Das sind Tatbestände, die wir nicht vergessen sollten, die wir nicht vergessen dürfen, weil wir es uns nicht bequem machen dürfen.«
Aus der Wiesbadener Rede, 7. Dezember 1949
»Wie konnte es dazu kommen, dass ein Volk dieser Geschichte, dieser Leistungen in diese Zeit der zwölf Jahre hineinging? Schuld, Schuld aller Deutschen? Schuld der Passivität?Wir sind alle in dieser Zeit und durch diese Zeit schmutzig geworden. Wenn man in ein Volk hineingeboren ist, in seiner geistigen Luft aufwuchs und seine Geschichte weiß, seine Landschaft kennt, dann liebt man dieses Volk…So entstand, ohne dass wir plump und vertraulich dem Beethoven oder Kant auf die Schulter klopften, das Bewusstsein, dass wir stolz darauf waren, Deutsche zu sein. Und das war das Scheußlichste und Schrecklichste, das uns der Nationalsozialismus antat, dass er uns zwang, uns schämen zu müssen, Deutsche zu sein…und dass wir Sehnsucht haben müssen nach dem Tag, wieder mit freier Seele stolz darauf sein zu dürfen, Deutsche zu sein. Das ist ein schwerer Weg der Selbstreinigung, den wir gehen müssen.«
Aus der Berliner Rede, 18. März 1946
»In zahlreichen Unterhaltungen mit Deutschen jüdischen Glaubens, mit solchen, die aus der Emigration zu Besuch hier weilten, mit solchen, die in Deutschland leben, aber auch mit Juden anderer Nation ist von mir der ganze Problemkreis oft durchgegangen worden, und ich blieb auch immer bemüht, auf diesem von Bosheit und Schuld so verwüsteten Gelände an dem Bau gangbarer Wege mitzuarbeiten.«
An Prof. Hans-Joachim Schoeps, 18. Juni 1951
»Es darf nicht beim Abbruch des Gesprächs mit Israel bleiben. Und wenn gerade der furchtbare Ausbruch der Tragik des Sich-Nichtverstehens in Hass, in Verachtung und Schändung zu unserer Zeit geschehen ist und auch an Leo Baeck, dem stillen, alten Mann, nicht vorüberging, sondern ihm furchtbare Wunden schlug, so ist sein 80. Geburtstag ein erschütternder Weckruf für die christliche Kirche.«
Zum 80. Geburtstag von Rabbi Leo Baeck 1953
»Denken Sie, ich habe mein Leben lang dasWort ›Toleranz‹ nicht leiden können, den anderen dulden, vielleicht sogar erdulden: das ist einmalAnmaßung, dann aber hat es auch den Unterton des Schwächlichen, ja Weichlichen gewonnen.«
Aus der Friedenspreis-Rede 1959"
Ein Stück ungeschriebener Geschichte
Er hat nicht nur die Gründungsurkunde dieses Staates, das Grundgesetz, maßgeblich mitgestaltet, er hat als erster Bundespräsident dieses Land geistig mitgeformt, will sagen: in ungezählten programmatischen Reden öffentlich formuliert, wozu dieses Land – kontaminiert mit dem Gift der braunen Ideologie, traumatisiert vom totalitären Terror und zerrüttet durch einen verlorenen Krieg – gegründet wurde: auf welche politischen und ethischenWerte es sich verpflichtet hat, in welcher Verfassung es sich befindet und bleiben soll, wie es mit seiner jüngsten Vergangenheit umzugehen gedenkt, kurz: woraufhin sich dieses Land in nachfaschistischer Zeit ausrichten soll.An Theodor Heuss erinnern, heißt ohne alle Idealisierung und Stilisierung sich an einen »founding father« der Bundesrepublik Deutschland erinnern, der Grundlagen gelegt, auf denen wir Nachgeborene stehen, und der Maßstäbe politischen Urteilens und Handels niedergelegt hat, die auch uns verpflichten.
»Nie wieder Diktatur«, »Nie wieder Krieg von deutschem Boden aus« und »Nie wieder Rassismus und Antisemitismus«: Wenn es wahr ist, dass diese drei Sätze ausgesprochen-unausgesprochen zu den »Gründungsaxiomen« dieses Landes gehören, dann hat mit anderen Demokraten der Ersten Stunde Theodor Heuss dafür die Richtung gewiesen. Daran lohnt sich zu erinnern. Über Theodor Heuss schreiben, heißt in aller Nüchternheit einen Akt demokratischer Selbstvergewisserung vollziehen und Gründungsvoraussetzungen freilegen, auf denen dieses Land gebaut ist. Hat Heuss doch nach einem Wort des Soziologen Ralf Dahrendorf (2003) wie kaum ein anderer auf seine Art »dazu beigetragen, deutsche Demokratie dieses Mal auf feste Grundlagen zu stellen«. Er, der »wohl als erstes deutsches Staatsoberhaupt seit Menschengedenken, Zivilist durch und durch« gewesen war, wie der Frankfurter Philosoph Theodor W. Adorno 1964 in einer sensiblen und zugleich luziden Würdigung schreiben kann. Heuss habe damit ein »Bild der Repräsentanz des Staates« aufgerichtet, »wie es in so unprätentiöser und sachlicher Reinheit, so frei vom Habitus der Gewalt vor ihm in Deutschland unbekannt« gewesen sei. Diesem Bild die Treue zu halten, wäre »alles andere als Bilderdienst « (1998, 709), schreibt Adorno und präzisiert nur wenig später: Heuss verkörpere »die Idee des Bürgers einer Welt, in der man sich nicht zu fürchten« brauche. Diese Idee, und ihre deutsche Tradition, weit verschütteter als die Vorstellungen des Nationalismus, sei doch nicht unterzukriegen. Sie habe ihre Kraft daran, »dass sie den Menschen das verheißt, was sie eigentlich ersehnen und was ihre bösen Träume von Macht und Herrlichkeit bloß verdrängen.« (1998, 711)
Doch gerade eines dieser »Gründungsaxiome« ist im Zusammenhang mit Heuss noch kaum erforscht. Viel geschrieben wurde bis dato über den Publizisten, Feuilletonisten und Schriftsteller Heuss, den Parteipolitiker und Staatsmann, den großen Vermittler und Versöhner, den Parlamentarier, Grundgesetz- Vater und Bundespräsidenten, der dieses Amt nicht nur geprägt, vielmehr überhaupt erst geschaffen hat. Eine kritische Heuss-Forschung, im Zentrum die vorzüglich editierte und kommentierte »Stuttgarter Ausgabe« seiner Briefe und Briefwechsel (bisher sechs Bände bei zwei noch ausstehenden), hat sich in der Zwischenzeit eindrucksvoll etabliert. Portraits, Lebensabrisse, Biographien und ungezählte Einzeluntersuchungen sind erschienen.
Doch eine Dimension im Leben von Theodor Heuss ist noch kaum beleuchtet: sein einzigartig vielfältiges und freundschaftliches Verhältnis zu jüdischen Zeitgenossen und Weggefährten, zum Judentum überhaupt, vor allem aber sein unbeirrtes öffentliches Eintreten für eine selbstkritische Erinnerungskultur angesichts des von Deutschen zu verantworteten organisierten Massenmords am europäischen Judentum (»Schoah«), sein Einsatz für einen erneuerten christlich-jüdischen Dialog nach dem Krieg, für eine vertraglich geregelte »Wiedergutmachung« angesichts der deutschen Verbrechen am jüdischen Volk und für eine Aussöhnung mit Israel. Es gibt viele Stimmen im Diskurs über Bedingungen und Konsequenzen der Schoah, über Entstehung, Ausdrucksformen und Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland. Die Stimme des ersten Bundespräsidenten in diesem Diskurs ist verstummt, ignoriert, vergessen. Doch dazu ist sie in der Sache zu gewichtig, und seine Persönlichkeit ist für die politische Kultur unseres Landes zu bedeutsam, als dass dies so bleiben könnte. Es ist an der Zeit, der Stimme von Theodor Heuss im Diskurs über Schoah, Judentum und den Staat Israel wieder Gehör zu verschaffen. Es wird eine »unbequeme« Stimme werden im Geiste Lessingscher »Tapferkeit«, die so gar nicht zu einem bestimmten, verharmlosend-unpolitischen Klischee von Theodor Heuss als Bundespräsidenten passen will.
Gewiss: Schon 1964 hatte der damalige Münchner Publizist Hans Lamm (1913–1985), ab 1970 dann bis zu seinem Tod Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, mit Zustimmung von Heuss einen besonderen Band publiziert. Er enthält Texte von Heuss »An und über Juden« im Zeitraum von 1906 bis 1963, dem Jahr von Heuss’ Tod. Eine einzigartige Quellensammlung »aus Schriften und Reden«. Sie zeigt auf ihreWeise bereits, wie breit und zugleich vielschichtig das Verhältnis von Heuss zu den verschiedenen Facetten des Komplexes »Judentum« gewesen ist. Unbekannt also war und ist diese Beziehung nie gewesen. Aber ihre Geschichte ist noch nicht erzählt. Die Zusammenstellung von heterogenen Dokumenten ist das eine und verdienstvoll, die Einordnung in eine zusammenhängende Geschichte ist das andere und unerlässlich. Das soll in diesem Buch riskiert werden. Ein erster Versuch, sind doch die Beziehungen von Heuss zu jüdischen Zeitgenossen undWeggefährten ungemein dicht und ist die Sachproblematik in einem gewaltigen geschichtlichen Spannungsfeld von Antisemitismus, Zionismus, Emanzipation und christlich-jüdischem Dialog äußerst komplex. Vieles noch Unpublizierte aus dem amtlichen und persönlichen Nachlass, das im Bundesarchiv in Koblenz lagert, müsste noch ausgewertet werden. In einigen Fällen konnte ich – Dank der Heuss-Stiftung in Stuttgart – auf solch unpublizierteQuellen zurückgreifen.
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Komplettes Inhaltsverzeichnis:
Heuss ist der Mann, der früh nach dem Krieg das Wort von einer »Kollektivscham« der Deutschen zu prägen wagte und damit vehement gegen die Rede von einer »Kollektivschuld« stritt wie auch gegen diejenigen, die schon einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit ziehen wollten. Beiden Parteien wollte er es »bequem« nicht machen. Im Gegenteil: Heuss forderte für die Deutschen (und durchaus selbstkritisch auch für sich) einen »schweren Weg der Selbstreinigung«, weil ihm das wahrhaftige Eingedenken der Vergangenheit die Grundvoraussetzung für die Gewinnung einer glaubwürdigen demokratischen Zukunft war.
Karl-Josef Kuschel ist 1948 in Oberhausen/Rheinland geboren, emeritierter Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, lehrte Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs, lebt in Tübingen. Er ist stellvertretender Direktor des Instituts für ökumenische Forschung und im Kuratorium der Stiftung Weltethos.
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Und doch lassen sich aus den bisher schon veröffentlichten Texten charakteristische Grundzüge des Verhältnisses von Heuss zum Judentum rekonstruieren. Und darauf kommt es mir an. Der Versuch also sei gewagt.Auf den folgenden Seiten erzählt werden soll die Geschichte eines Mannes, der gerade nicht als Theologe oder Religionsgelehrter mit dem Judentum zu tun bekommt, vielmehr als geschichtssensibler Zeitgenosse und »homme de lettres« im Geist des europäischen Humanismus, als aktiv handelnder Politiker, tief geprägt vom deutschen Liberalismus, und als höchster Repräsentant eines demokratischen Staates in der Tradition des 1848er-Parlamentarismus. Mit nur wenigen anderen Spitzenpolitikern seiner Generation bildet er die Brücke über vier dramatische Perioden deutscher Geschichte: vom wilhelmischen Kaiserreich über die erste deutsche Republik und die NS-Diktatur bis zur zweiten deutschen Republik. Das macht den »Fall Heuss« für unser Thema einzigartig und exemplarisch zugleich. Ein homo politicus mit Sensibilität fürs Judentum und für Grundfragen des deutsch- bzw. christlich-jüdischen Dialogs! Davon haben wir in Deutschland nicht allzu viele. Heuss ist der Mann, der früh nach dem Krieg das Wort von einer »Kollektivscham« der Deutschen angesichts der Schoah zu prägen wagte, um damit gegen die Rede von einer »Kollektivschuld« ebenso zu streiten wie gegen diejenigen, die einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit zu ziehen fordern. Beiden, den Verewigern und Verdrängern der Schuld, wollte er es »bequem« nicht machen. Zu »Technikern des Vergessenwollens« sollte das deutsche Volk nicht werden.
Im Gegenteil: Heuss fordert einen »schweren Weg der Selbstreinigung«, den wir als Deutsche zunächst zu gehen hätten. Dabei spricht er stets von »wir« und »uns« und bezieht sich selbst damit ein. »Wenn man in ein Volk hineingeboren ist«, kann man ihn im März 1946 in einer Berliner Rede sagen hören, »in seiner geistigen Luft aufwuchs und seine Geschichte weiß, seine Landschaft kennt, dann liebt man dieses Volk … So entstand, ohne dass wir plump und vertraulich dem Beethoven oder Kant auf die Schulter klopften, das Bewusstsein, dass wir stolz darauf waren, Deutsche zu sein. Und das war das Scheußlichste und Schrecklichste, das uns der Nationalsozialismus antat, dass er uns zwang, uns schämen zu müssen, Deutsche zu sein … und dass wir Sehnsucht haben müssen nach dem Tag, wieder mit freier Seele stolz darauf sein zu dürfen, Deutsche zu sein. Das ist ein schwerer Weg der Selbstreinigung, den wir gehen müssen.« Denn: Nur wahrhaftiges Eingedenken der Vergangenheit ist für Heuss Voraussetzung für die Gewinnung einer glaubwürdigen demokratischen Zukunft.
Und was ist es, das wir nicht vergessen dürfen? »Wir dürfen nicht vergessen die Nürnberger Gesetze, den Judenstern, die Synagogenbrände, den Abtransport von jüdischen Menschen in die Fremde, in das Unglück, in den Tod. Das sind Tatbestände, die wir nicht vergessen sollten, die wir nicht vergessen dürfen, weil wir es uns nicht bequem machen dürfen.« Das ist der cantus firmus vieler Heuss’scher Interventionen im Zuge seiner »unerschrockenen Erinnerungs- und Trauerarbeit« (H. Hamm-Brücher, 1990) im Deutschland nach der Schoah. Heuss widerlegt damit die These, von Seiten der Politik habe es im Deutschland der Fünfzigerjahre noch keine selbstkritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit gegeben, diese Auseinandersetzung habe frühestens mit dem Jerusalemer Eichmann-Prozess (1961) und dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) begonnen.Was immer die Wirkung von Heuss’ Reden gewesen sein mag und was immer es in den Eliten von Justiz, Polizei, Ministerien, Kirchen, Wirtschaft und Parteien in den Fünfzigerjahren an Verdrängung der Schuld gegeben hat, an hartnäckig-unbelehrbarem kollektiven »Beschweigen« der jüngsten Vergangenheit, an Alibi-Produktion: Theodor Heuss gehört zu denjenigen, die nach 1945 Konsequenzen ziehen und ihre eigenen öffentlichen »Feldzüge wider das Vergessen« unternehmen. Und er ist gerade dort in höchstem Maße politisch, wo er moralisch argumentiert oder handelt.
Von daher wäre es auch abwegig, Heuss als Bundespräsident und Konrad Adenauer als Bundeskanzler gegeneinander auszuspielen im Sinne von »Realpolitik« versus »Idealpolitik«, wie es gelegentlich geschieht. Ich werde zeigen können (Kap. XI, 2–8): Weder war Adenauers »Realpolitik« in der »Judenfrage« ideallos und ausschließlich politisch kalkuliert noch war Heuss’ »Idealpolitik« realitätsfremd oder ohne politisches Kalkül. Beide wussten, dass ein ehrliches Eingedenken und eine vertraglich geregelte »Wiedergutmachung« der deutschen Verbrechen am jüdischen Volk innenpolitisch für eine Wiederbegründung der demokratischen Kultur in Deutschland ebenso unverzichtbar ist wie außenpolitisch für eineWiedereingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft zivilisierter Völker. Und beide durften erleben, dass ihre moralisch fundierte Realpolitik durchaus auch eine politische »Dividende« erbrachte. Am Ende ihrer jeweiligen Amtszeiten (1959/1963) stand die Bundesrepublik innenpolitisch gefestigt und außenpolitisch integriert dar.
Dabei dürfen Ambivalenzen seines Bildes vom Judentum nicht verschwiegen werden. Heuss ist nicht zu idealisieren. Er ging einen »vielschichtigen, mitunter auch widersprüchlichen Lebensweg in den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts« (E.W. Becker, 2011). So gibt es auf Seiten von Heuss vor und nach 1933 auch polemische Töne gegen ein »entwurzeltes jüdisches Literatentum«, dessen Infragestellung der Republik von Weimar Heuss befremdete. »Antisemitische Vorurteile« können denn auch bei Heuss gelegentlich dann durchbrechen, wenn er sich von Publizisten jüdischer Herkunft wie Kurt Tucholsky distanziert, die aus seiner Sicht in verantwortungsloser Weise mit ihrer stilistisch oft brillianten, aber praxisfernen Kritik die ohnehin fragile Republik noch weiter geschwächt hätten. Davon wird ohne alle moralische Besserwisserei im geschichtlichen Zusammenhang zu reden sein (Kap. V, 1–2.5).
Vergessen wir nicht: Als Heuss 1884 im württembergischen Brackenheim bei Heilbronn geboren wird, ist zwar die rechtliche Gleichstelllung von Juden in Deutschland mittlerweile verfassungsmäßig gesichert. 1862 hatte das Großherzogtum Baden als erster Staat auf deutschem Boden Juden die volle Gleichberechtigung gewährt, 1864 war das Königreich Württemberg nachgezogen, 1871 waren diese Rechte auch in die Verfassung des neuen Deutschen Reiches übernommen worden. Das alles hatte lang genug gedauert, gemessen an der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution vom 26.August 1789, und war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem ständigen Hin und Her von Gewährung und Entzug begleitet gewesen. Aber trotz aller Rechte war die gesellschaftliche Lage der Juden in Deutschland nach wie vor fragil, wie der wenige Jahre vor Heuss’ Geburt durch den Historiker Heinrich von Treitschke ausgelöste »Berliner Antisemitismus- Streit« ad oculos demonstriert. Er schürt gegenüber Juden in Deutschland einmal mehr Überfremdungsängste, verstärkt Verschwörungstheorien (»die Juden sind unser Unglück «!) und verschafft den Forderungen nach Begrenzung der Judenemanzipation gesellschaftliche Anerkennung. 1881 führt er zu der an Reichskanzler Otto von Bismarck gerichteten »Antisemitenpetition« mit dem Ziel, die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden in Deutschland wieder zurückzunehmen.
Heuss’ Leben reflektiert auf seine Weise diese prekäre Lage von Juden im Spannungsfeld von Emanzipation, Zionismus und Antisemitismus, hat doch die Heuss-Forschung nicht übersehen können und wollen, dass Heuss vor 1938 zwei Arten von Judentum nicht nur unterscheidet, sondern auch gegeneinander ausspielt oder ausspielen lässt: unzivilisierte, wurzellose »Ostjuden« gegen zivilisierte, gebildete, bürgerlich angepasste »Westjuden«, die in Deutschland integriert sind und sich mit ihrem Land identifizieren.Viele jüdische Freunde besaß Heuss schon vor 1933, und diesen gegenüber verhält er sich auch in finsterer Zeit solidarisch. »Ich liebe jetzt keine Distanzierung zu den Juden, mit denen ich befreundet bin«, wird er 1933 schreiben. Aber diese Freunde gehören ausschließlich zur »bürgerlichen« oder »gelehrten« Judenschaft, zur »eingedeutschten Judenheit«, wie damaliger Sprachgebrauch formulieren konnte.
Die Forschung hat denn auch nicht gezögert, Heuss bei entsprechenden Äußerungen eine bedenkliche Nähe zu einem »kulturellen Antisemitismus« zu attestieren, ja, »einen zutiefst konservativ-bürgerlichen Instinkt«, den er »mit der Minderheit des nicht antisemitisch orientierten protestantischen Bürgertums « geteilt habe: »…dass man vor allem jene deutsche ›Judenheit‹ respektiert, die sich assimilierte, zum ›selbstständigen Teil der deutschen Gesellschaft wurde‹, die es zu akademischem Status oder wirtschaftlichem Erfolg brachte und zur deutschen Bourgeoisie gehört.« (P. Merseburger, 2012, 332) Wenn Heuss somit vom Judentum redet und von jüdischen Weggefährten, dann hat er das bürgerlich etablierte, das in die deutsche Geschichte,Kultur und Gesellschaft integrierte Judentum vor Augen: jüdische Zeitgenossen mit Stellung und Leistung in Armee, Parteien, Medien, Medizin,Wissenschaft, Anwaltskanzleien und Wirtschaft. Ihnen hält er die Treue auch in finsterer Zeit, fassungslos über die tödlichen Folgen einer mörderischen Rassenideologie, voll Scham über beispiellose Verbrechen an deutschen Juden im deutschen Namen. Faktoren, die seinen Einsatz nach dem Krieg für das Wohl der noch verbliebenen jüdischen Gemeinschaft »im Land der Täter« erklären. An »gangbaren Wegen« will Heuss mitarbeiten, wie er einem jüdischen Zeitgenossen 1951 schreibt: »In zahlreichen Unterhaltungen mit Deutschen jüdischen Glaubens, mit solchen, die aus der Emigration zu Besuch hier weilten, mit solchen, die in Deutschland leben, aber auch mit Juden anderer Nation ist von mir der ganze Problemkreis oft durchgegangen worden, und ich blieb auch immer bemüht, auf diesem von Bosheit und Schuld so verwüsteten Gelände an dem Bau gangbarer Wege mitzuarbeiten.«
Dazu gehört auch dies: Heuss ist der erste hohe Repräsentant Deutschlands, der während seiner Amtszeit der jüdischen Gemeinschaft öffentlich gute Wünsche zu einem ihrer hohen Feiertage,demNeujahrsfest, Rosh ha-Shana, übermittelt. Eine kleine, aber nicht zu unterschätzende Geste, die diesen zutiefst traumatisierten Menschen ein Stück Vertrauen zurückgeben soll, in Deutschland geschätzt zu sein. Mehr noch und entscheidender: Von Hause aus kein Theologe oder Religionswissenschaftler, steht Heuss dennoch klar vor Augen, dass die christlichen Kirchen jahrhundertelang eine fatale Enterbungstheologie gegenüber dem Judentum betrieben haben, eine der Wurzeln dafür, warum sich das Verbrechen am jüdischen Volk hinter dem Rücken der Kirchen abspielen konnte, mit Bischöfen, Pfarrern, kirchlichen Funktionären und ungezählten Gläubigen als schweigenden Zuschauern. »Die Kirche« hatte ja auch längst alle biblisch bezeugten göttlichen Verheißungen an das Bundesvolk Israel auf sich bezogen. Sie ist jetzt alleinige Nutznießerin eines Neuen Bundes, sie allein repräsentiert das neue Volk Gottes, sie allein besitzt jenes Neue Testament, welches das erste Testament Israels »alt« und damit überholt aussehen lässt.
Kurz: Indem die Kirche die Synagoge beerbt und überbietet, hatte sie sich an die Stelle Israels gesetzt – mit geschichtlich verhängnisvollen Folgen für das gesamte jüdische Volk. Denn die »heilsgeschichtliche« Auslöschung Israels als einer verworfenen, veralteten und überholten Größe bereitet über die Jahrhunderte auf geistige Weise die dann vollzogene physische Auslöschung vor. Man hatte unter Christen das jüdische Volk geistig schon zu lange für tot erklärt und damit faktisch »vernichtet«, um dann noch bereit zu sein, gegen dessen physische Vertreibung oder Vernichtung öffentlich Einspruch zu erheben oder gar Widerstand zu leisten. So bereitet der jahrhundertealte kirchliche Antijudaismus den Nährboden für einen rassischen Antisemitismus, der sich im 19. Jahrhundert herauszubilden beginnt und im 20. Jahrhundert tödliche Folgen für das jüdische Volk haben wird. Mehr dazu in den Kapiteln IV, 3–4 und VIII, 1.
Heuss kennt diesen fatalen Zusammenhang von kirchlichem Antijudaismus und rassistischem Antisemitismus. Deshalb ist ihm die Gestalt des großen Rabbiners Dr. Leo Baeck als Denker und Repräsentant des trotz allem lebendigen Judentums so wichtig und zwar als ein – so wörtlich – »erschütternder Weckruf für die christliche Kirche« (s. Kap. X, 4). Das Überleben dieses Mannes, den der braune Rassenwahn noch als 70-Jährigen in das KZ Theresienstadt deportiert hatte und die Feier zu dessen 80. Geburtstag, den die Schänder und Henker für ihn nicht vorgesehen hatten, müsste – so Heuss – ein Anlass dafür sein, dass »die Kirche ihm Dank zollt und das Gelöbnis zu einer neuen Stellung zu Israel ablegt und zur Tat werden lässt«. Warum? Weil die »nur allzu berechtigte Frage an die christliche Kirche« für Heuss lautet, »warum sie die Prädikate, die der jüdischen Gemeinde gehören, sich beimesse, als der wahren Gemeinde, dem wahren Israel, der eigentlichen Erbin der Verheißungen an Abraham«.
Sätze aus dem Jahr 1953. Sie bleiben lange folgenlos, bis sich die beiden christlichen Kirchen, erschrocken über ihre Verantwortung für die Folgen eines jahrhundertelang gepredigten Antijudaismus, auf eine »neue Stellung zu Israel« verpflichten. 60 Jahre sind die folgenden Sätze von Heuss alt. Man zitiert sie als Theologe heute nicht ohne Verlegenheit: »Es darf nicht beim Abbruch des Gesprächs mit Israel bleiben. Und wenn gerade der furchtbare Ausbruch der Tragik des Sich-Nichtverstehens in Hass, in Verachtung und Schändung zu unserer Zeit geschehen ist und auch an Leo Baeck, dem stillen, alten Mann, nicht vorüberging, sondern ihm furchtbare Wunden schlug, so ist sein 80. Geburtstag ein erschütternder Weckruf für die christliche Kirche.«
Geschrieben von einem Mann, der sein Leben lang das Wort »Toleranz« nicht hat leiden können. Es schmeckt ihm zu sehr nach herablassendem »Dulden« oder gar »Erdulden« des je Anderen, hat »den Unterton des Schwächlichen, ja Weichlichen«. An Gotthold Ephraim Lessings »Tapferkeit« Maß nehmend fordert er stattdessen im Wissen um die geschichtlich beispiellose Schändung von Humanität: »DasWissen um die Würde des Menschenmuss zu einer Kraft werden, die den anderen nicht in seinem Glauben und seiner Tradition ›duldet‹, sondern ihn achtet, bis und damit ein in der Menschenliebe gefestigtes Gemeingefühl unser Sein und Schicksal überwölbt.« Es ist das Vermächtnis von Lessings »Ringparabel «. Und dieses Vermächtnis will Heuss gerade angesichts der Schoah nicht den Zynikern überlassen, die alles schon für verbraucht und widerlegt halten. »Aufklärung« ist für Heuss kein »Spottwort«, sondern eine Selbstverpflichtung: »Wenn ein Mann wie Lessing genannt wird … dann fällt von dem Gespräch alles weg, was nach sentimentaler Wehleidigkeit aussehen müsste. Lessing war ein Mann von herrlicher Tapferkeit, und diese gehört zu unserem Gespräch.« Mehr dazu in Kap. IX, 4.
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So gehen wir an die Aufgabe, eine Geschichte zu erzählen, die zwar nicht unbekannt, bisher aber noch weitgehend ungeschrieben ist. Die 50.Wiederkehr des Todestages von Theodor Heuss am 12.Dezember 2013 ist dazu ein würdiger Anlass. Wir beginnen biographisch mit dem Ende, Heuss’ Reise nach Israel im Mai 1960 (Kap. I) und versuchen dann, ausgehend von einem Schlüsselwort der Heuss’schen Erinnerungsstrategie »Feldzüge gegen das Vergessen« (Kap. II), spiralförmig zunächst in die Tiefen der Zeit zu gehen und ein Dreifaches freizulegen: Tübingen, im Juli 2013
Zum einen die Erfahrungen von Heuss mit dem Antisemitismus: Wo sind dessenWurzeln,wo sind dieWurzeln der braunen Rassenideologie, und welche Folgen hatte der »biologische Materialismus« für seine jüdischen Weggefährten (Kap. III)?
Zum Zweiten geht es um die Erfahrungen von Heuss mit der Haltung der protestantischen Kirchenleitung zur »Judenfrage«, gespiegelt in der Figur des ihm und seiner Frau gut bekannten Berliner Generalsuperintendenten Otto Dibelius. Kirchliches Versagen erlebt Heuss erstmals anlässlich des staatlich verordneten »Judenboykotts« am 1.April 1933 (Kap. IV).Zugleich geht es um das Bild vom Judentum, das Heuss geprägt hat (Kap. V). Wovon ist es abhängig? Welche Rolle spielt der geistige Vater und große Mentor von Heuss, Friedrich Naumann? Wie ist es zeit- und milieugeschichtlich einzuordnen? Für wen und gegen wen unter seinen jüdischen Zeitgenossen spricht Heuss sich aus? Um dann danach – stets in Bezug auf Heuss und seine Gattin – das Schicksal von deutschen Juden in der NS-Zeit in zwei besonderen Kapiteln zu spiegeln: in kleinen, so gut wie unbekannten und kaum ausgewerteten Erzählungen von Elly Heuss- Knapp (Kap. VI) und in Portraits von jüdischen Weggefährten des Ehepaars Heuss, die der braune Rassenwahn entweder aus Deutschland vertrieb oder in KZs ermordete (Kap. VII). Namen, Personen, Gesichter sollen aufscheinen. Es geht nicht um anonyme Opferzahlen oder ein abstraktes Vernichtungssystem, sondern jeweils sehr konkret und hautnah um Verbrechen an lebendigen Menschen. Das soll durch dieses Kapitel bewusst werden.
Zum Dritten werden wir, ausgehend vom Begriff »Kollektivscham « (Kap. VIII), dem Schlüsselwort Heuss’scher Erinnerungskultur nach dem Krieg, in den letzten vier Kapiteln (IX–XII) die Konsequenzen zu schildern versuchen, die Heuss in seinem Amt als Bundespräsident aus den Erfahrungen der NS-Zeit gezogen hat: im Blick auf die Kirchen, den Dialog mit dem Judentum, die Politik und die Gesellschaft. Überraschende Entdeckungen werden zu machen sein. Trotz aller geschichtlichen Distanz zu ihm hat Theodor Heuss uns etwas Unverwechselbares und bleibend Verpflichtendes zu sagen. Dass dies auch mit drei seiner Schlüsselreden aus den Jahren 1949 und 1952 dokumentiert werden kann, dafür bin ich den Heuss-Erben dankbar, die dem Verlag und mir die Abdruckrechte gewährten.
Das Buch habe ich vier Personen gewidmet, die sich in unserer Zeit große Verdienste um den Dialog der Religionen konkret vor Ort erworben haben und denen ich in besonderer Weise verbunden bin. Sie gehören zu denjenigen Menschen, die das Stuttgarter Lehrhaus möglich gemacht haben. Dieses Lehrhaus will zwar an die Tradition des Stuttgarter »Jüdischen Lehrhauses« (1926–1938) anknüpfen, seinerzeit mitgegründet von Leopold Marx und Otto Hirsch, von jüdischen Zeitgenossen mit engen Verbindungen zu Theodor Heuss. Das 2010 gegründete neue »Stuttgarter Lehrhaus. Stiftung für interreligiösen Dialog« aber hat sich von vorneherein über das Gespräch zwischen Christen und Juden hinaus auch dem trilateralen Gespräch von Juden, Christen und Muslimen geöffnet. In Dankbarkeit denke ich dabei an dasWirken von Meinhard und Inge Tenné, die das Projekt in den letzten Jahren von jüdischer Seite mit bewundernswertem persönlichem Einsatz verwirklicht, unterstützt und gefördert haben.
In Dankbarkeit denke ich auch an das langjährige, unermüdlicheWirken von Karl-Hermann und Lisbeth Blickle für den »Trialog« von Juden, Christen und Muslimen. Meine Verbindung zur Alten Synagoge in Hechingen unweit von Tübingen hat uns zusammengebracht, wo ich nach der eindrücklichen Restaurierung in den vergangenen Jahren immer wieder Vorträge und Lesungen habe halten können, zuletzt 2012 zusammen mit den Blickles ein Seminar zu Martin Bubers Auseinandersetzung mit dem Christentum. Dass es die Alte Synagoge Hechingen heute mit dieser Bestimmung gibt und darüber hinaus das Stuttgarter Lehrhaus mit diesem Profil und Programm, verdankt sich entscheidend dem großzügigen finanziellen Engagement dieses Balinger Unternehmerehepaars. Von Anfang an bin ich dieser besonderen Bildungsstätte durch eigene Veranstaltungen verbunden, und so betrachte ich dieses mein Buch auch als Fingerzeig auf Programmatik und Programm des Stuttgarter Lehrhauses.
Respekt auch für den Einsatz von Karl-Hermann und Lisbeth Blickle im Vorstand des »Freundeskreises Shavej Zion«, einemOrt in Nordisrael, 1938 von schwäbischen Juden aus dem württembergischen Rexingen (bei Horb am Neckar) gegründet, als derDruck brauner Horden sie aus Deutschland vertrieb (s.Kap. I, 3–4). Eine weitere Brücke zu Theodor Heuss. Denn im Mai 1960 wird der Alt-Bundespräsident »als Privatmann« nach Israel reisen, unter anderem Shavej Zion besuchen und dort, im Kreise noch lebender »Rexinger vom Schwarzwaldrand «, des Mannes gedenken, der das Stuttgarter Lehrhaus mitgründen half, von 1933 an in Berlin die »Reichvertretung der deutschen Juden« mitleitete und durch den rassistischen Nazi-Terror zusammen mit seiner Frau ermordet wird: Otto Hirsch. Ihm und Martha Hirsch hat man in Shavej Zion eine eindrucksvolle Gedenkstätte errichtet.Wir werden gleich mehr davon hören.
Karl-Josef Kuschel
Der Autor
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Geboren 1948 in Oberhausen/Rhld. Studium der Germanistik und Katholischen Theologie an den Universitäten von Bochum und Tübingen. 1977 Promotion zum Doktor der Theologie in Tübingen mit einer Arbeit zum Thema „Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, betreut durch Prof. Hans Küng und Prof. Walter Jens. 1989 Habilitation für „Ökumenische Theologie“ an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit einer Arbeit zum Thema „Geboren vor aller Zeit? Der Streit um Christi Ursprung“. Seit 1995 Professur für „Theologie der Kultur und des interrreligiösen Dialogs“ an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Tübingen und stellvertretender Direktor des Instituts für ökumenische und interreligiöse Forschung. Von 1995 bis 2009 Vizepräsident der Stiftung Weltethos (Tübingen), seither Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Weltethos und seit 2012 im Kuratorium der Stiftung.
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