ONLINE-EXTRA Nr. 232
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Um das Bild der Politik und das Image der Politiker steht es nicht zum Besten. Ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt, jedoch ist uns eher selten bewußt, dass dieses Image maßgeblich von vielleicht 20 der gut 600 Abgeordneten geprägt wird. Was das Gros der Abgeordneten, jene oft etwas abschätzig gennanten "Hinterbänkler", tut und denkt, ist weniger bekannt und steht so gut wie nie im Fokus der überregionalen Medien. Dass es gleichwohl unter den vielen unbekannten Abgeordneten durchaus interessante und eigenständige Persönlichkeiten gibt, belegte vielleicht auch das nachfolgende Interview mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Patzelt aus Frankfurt/Oder, in dem er zu Fragen der Flüchtlingspolitik, Fremdenhass sowie seiner Beziehung zu Judentum und Israel Antworten gibt, die ein eigenes und sympathisches Profil erkennen lassen.
Erschienen ist das Interview im "Panke-Spiegel", einer zweimonatlich erscheinenden Zeitung in Panketal, unmittelbar nordöstlich zur Stadtgrenze Berlins gelegen. Herausgegeben wird die Zeitung von einem engagierten Journalisten, Thomas Steierhoffer, der das Interview zusammen mit dem COMPASS-Lesern nicht unbekannten Rechtsanwalt Martin Jehle geführt hat.
COMPASS dankt den Interviewern für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe des Interviews an dieser Stelle!
online exklusiv für ONLINE-EXTRA
Online-Extra Nr. 232
Martin Patzelt, Jahrgang 1947, gehört dem Bundestag seit der laufenden Wahlperiode an und ist u.a. Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Im Wahlkreis Frankfurt (Oder)/Oder-Spree errang er 2013 das Direktmandat. Zuvor war Patzelt zunächst Sozialdezernent und dann von 2002 bis 2010 Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt (Oder). Seine beruflichen Wurzeln hat Patzelt in der Kinder- und Jugendarbeit als Heimleiter in der DDR. In der aktuellen Flüchtlingsdebatte gehört Patzelt zu den ausgesprochenen Unterstützern der Position von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine Obergrenze für den Zustrom sowie Grenzschließungen innerhalb der EU ablehnt. Im Sommer letzten Jahres nahm Patzelt zwei Flüchtlinge aus Eritrea bei sich zu Hause auf. Bei der Bundestagsabstimmung über eine Beteiligung der Bundeswehr am internationalen Militäreinsatz gegen die Terrororganisation IS stimmte Patzelt Anfang Dezember mit Nein.
PANKE-SPIEGEL: Herr Patzelt, im Sommer letzten Jahres hat Ihre Familie zwei junge Menschen aus Eritrea aufgenommen. Wohnen die noch bei Ihnen? Wenn ja, wie gestaltet sich das Zusammenleben?
Patzelt: Sie wohnen seit Juli 2015 bei uns. In der Art einer WG sind sie nunmehr unsere Familienmitglieder. Es gibt viele Berührungen, viele Gespräche, gemeinsame Mahlzeiten. Zwei Bedingungen gab es für die beiden. Sie mussten alle unsere Angebote annehmen, Deutsch zu lernen. Und sie mussten alle Arbeits- und Beschäftigungsangebote annehmen. Beide Bedingungen haben sie erfüllt und stehen heute in Lehrverhältnissen.
PANKE-SPIEGEL: Ist Deutschland heute mit 1 Million Flüchtlingen eher ein sicheres oder doch eher ein unsicheres Land?
Patzelt: Das ist immer sehr schwer zu beurteilen. Wenn ich vom subjektiven Empfinden komme, so ist es wesentlich sicherer geworden. Verändert hat sich durch die Flüchtlingssituation meiner Meinung nach, dass die Wahrnehmung eine andere geworden ist. Das Flüchtlingsthema nimmt uns so in Anspruch, dass es scheinbar kaum noch andere Themen gibt.
PANKE-SPIEGEL: Mehrfach war in der Vergangenheit in den Medien zu lesen, Sie seien ein Freund Israels. Woher kommt Ihre Affinität zum Staat der Juden?
Patzelt: Ich bin Deutscher. Das, was das deutsche Volk an kollektiver Schuld gegenüber dem jüdischen Volk auf sich geladen hat, ruft nach Verantwortung. Als gewachsener DDR-Bürger hatte ich kaum die Möglichkeit, etwas zu tun. Gut, ich habe Lager der Aktion Sühnezeichen geleitet in beschränktem Maß. Als die Mauer dann fiel, war das meine Chance. Als der Ruhestand kam, war klar, dass ich nach Israel gehen werde. Ich wollte in einem Heim arbeiten, in dem noch Menschen leben, die direkt von der Shoah betroffen waren. Über Vermittlung fand ich ein deutschspachiges Haus in Jerusalem. Zunächst sollte es ein Jahr werden, dann ein halbes, schließlich war ich vier Monate dort, da ich inzwischen dem Bundestagswahlkampf zugesagt hatte. Bis heute pflege ich zahlreiche Kontakte, Freundschaften sind gewachsen. Aller halbe Jahre besuche ich Israel. Als Christ betrachte ich die Juden als Mütter und Väter im Glauben. Christlicher Glaube ist ohne das jahrtausendelange Ringen der Juden um ihr Gottesbild nicht denkbar.
PANKE-SPIEGEL: Wir gehen mit großen Schritten schon wieder auf Ostern zu. Wie schätzen Sie als Katholik die vor einigen Jahren von Papst Benedikt gefasste Entscheidung ein, während der katholischen Karfreitagsliturgie wieder für die „perfiden Juden“ zu beten?
Patzelt: Ich fand das damals weder notwendig noch hilfreich. Für andere Menschen beten, ist jedoch nie verkehrt. Kürzlich habe ich gesagt, dass ich für die Kanzlerin bete. Immer wenn wir an den Rand unserer Möglichkeiten kommen, erleben Christen und andere religiös eingestellte Menschen das Gebet als die letzte Instanz ihrer Hoffnung. Jedoch, wenn Juden durch so ein Gebet schmerzhaft berührt werden, pervertiert es alles, was ich als Christ tue. Alles, was einen Menschen verletzt, zumal ohne Grund, sollte man unterlassen.
PANKE-SPIEGEL
Im Format Din A4 und komplett in Farbe behandelt der PANKE-SPIEGEL folgende Themen:
Lokalteil
- Kommunales: aktuelle Themen aus der Gemeinde Panketal und dem Umland, Bürgerinitiativen etc.
- Porträts: Panketaler werden vorgestellt (Künstler, Unternehmer, Politiker, histor. Persönlichkeiten, etc.)
- Ortsgeschichte: Gaststätten, Bahnhöfe, Kirchengeschichte, Menschen etc.
- Lokale Kurzmeldungen
Gesellschaft & Kulturteil
- Kultur (z.B. Buchbesprechungen, Musik, Filmtipps)
- Politik & Gesellschaft
- Zeitgeschichte
- Religion/Philosophie
Der PANKE-SPIEGEL erscheint derzeit in einer Auflage von 5.000 Exemplaren und erscheint alle zwei Monate.
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PANKE-SPIEGEL: Mit dem Zustrom von mehr als 1 Million Flüchtlingen nach Deutschland erleben wir quer durch die Republik viel Hilfsbereitschaft und Solidarität, aber auch viel Ablehnung und Hass. Was sagen sie beispielsweise den Anhängern von PEGIDA, die Angst schüren vor einer „Überfremdung“ durch den Islam?
Patzelt: Ich war von Anfang an der Überzeugung, wir dürfen uns Gespächen mit Pegida-Leuten nicht verweigern. Den Ausschluss aus einer Fernsehdiskussion halte ich für eine verpasste Chance. Ich frage meine Gesprächspartner gerne: Wie hat sich euer Leben verändert? Welche Nöte habt ihr? Welche materiellen Einbußen sind durch die Flüchtlinge zu beklagen? Dann kommt nichts, gar nichts! Wir haben es in Deutschland aktuell nicht mit einem materiellen, vielmehr mit einem mentalen Notstand zu tun. Eine dumpfe Angst vor dem Verlust der eigenen und der nationalen Identität zieht ihre Kreise und wird teilweise geschürt. Wenn ich derartiges in Gesprächsrunden erlebe, erinnere ich daran, dass wir eine durchaus vergleichbare Situation in Deutschland hatten. Und das ist keine hundert Jahre her: Weimar.
PANKE-SPIEGEL: Im Januar haben 44 CDU-Bundestagab-geordnete in einem Brief einen Kurs- wechsel von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik gefordert. Sie gehören nicht zu den Unterzeichnern. Sie haben stattdessen im Vorfeld eine EMail an Ihre Fraktionskollegen geschickt. Darin begründen Sie Ihre Ablehnung nicht inhaltlich, sondern verweisen auf das Ziel der Geschlossenheit der Regierungskoalition und Ihr Vertrauen „in die Klugheit und Weitsicht der Kanzlerin“. Wäre es angesichts der politischen, sozialen und volkswirtschaftlichen Folgen des Zustroms an Menschen nicht angebracht, sich inhaltlich mit den Kritikern auseinanderzusetzen, zumal es sich dabei ja nicht nur um PEGIDA o.ä. handelt, sondern auch um die CSU bzw. die Bayerische Staatsregierung.
Patzelt: Die Mail hat zwei Teile. Der erste Teil richtet sich gegen das Verfahren. Wir sollten nicht versuchen, mit Briefen auf die Kanzlerin Druck auszuüben. Die Spielregeln sind nämlich andere. In der Fraktion führen wir sehr klare und sehr harte Auseinandersetzungen. Ich erinnere an die Diskussionen um den Koalitionsvertrag und um Griechenland. Ähnlich ist es derzeit mit der Flüchtlingsfrage. Wir haben unsere Kanzlerin gewählt. Wenn wir mit ihrer Politik nicht mehr einverstanden sind, sagen wir das in der Fraktionssitzung. Frau Merkel ist eine Frau, die sehr gut zuhören kann. Ich schreibe auch von den „Ohnmachtsgefühlen“ Wenn ich mit meiner Meinung nicht durchkomme, werde ich ohnmächtig. Wenn wir mit der Kanzlerin, die wir in der Fraktion bestimmt haben, mehrheitlich nicht mehr einverstanden sind, müssen wir sie abwählen. Das ist das Verfahren, so sind die Spielregeln. Im zweiten Teil meiner Mail erkläre ich, dass ich mich persönlich sehr nachdrücklich mit der Politik der Kanzlerin einverstanden erkläre. Keiner kann mir beispielsweise sagen, was passiert, wenn wir die Grenzen für Flüchtlinge schließen. Meiner Meinung nach sprechen zwei Gründe für Frau Merkel. In der Vergangenheit hat sie es einfach gepackt! Außerdem sehe ich zu ihr keine Alternative. Angst ist immer ein schlechter Berater, gerade in Krisen. Während der schwierigen globalen und europäischen Prozesse sollte man in Hast und Angst nicht einfach die Schalter umlegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Deutschland mit der Situation materiell und logistisch sehr gut umgehen können. Ich schäme mich ja fast, wenn die CSU behauptet, wir kämen an die Grenze des Machbaren. Diesen Schein müssen wir uns dann vom Psychiater ausstellen lassen. Und da steht dann was von mentaler Überforderung.
PANKE-SPIEGEL: Wo hat Ihrer Einschätzung nach der wachsende Fremdenhass im Land Brandenburg seine tieferen Ursachen?
Patzelt: Für meinen Wahlkreis kann ich das gar nicht so bestätigen. Nach den Indizien, die ich habe, ist der weder fremdenfeindlicher, rassistischer, faschistischer, noch antisemitischer geworden. Wenn es dennoch so sein sollte, glaube ich, dass sich die Kräfte, die Morgenluft wittern, plötzlich aus der Hütte trauen. Aber sie waren schon da, sie sind kein neues Phänomen. Für die eigentliche Gefahr halte ich das starke Element der Angst. In einer Studie der TU Dresden wurde nachgewiesen, dass es besonders die Angst der Menschen aus der unteren Mittelschicht ist, die wächst. Sie haben Angst, dass ihnen ihr Eigentum, ihr vielleicht noch nicht bezahltes Häuschen und ihr Auto weggenommen werden. Ich verstehe das, aber wir sind gewöhnt, die Werte zu vergleichen.Und so können wir niemandem einen Schutzbrief ausstellen und sagen, an dein Haus werden wir nie rangehen. In der derzeitigen Null- Zins-Politik sind die Lasten für die Menschen doch deutlich geringer geworden. Aber die Angst ist und bleibt etwas Irrationales.
PANKE-SPIEGEL: Was halten Sie von einer deutschen Obergrenze für Flüchtlinge?
Patzelt: Ich verkrafte hier lieber noch eine Million Flüchtlinge zusätzlich, falls unsere Maßnahmen nicht so schnell greifen sollten. Aber auf keinen Fall lasse ich mir Europa kaputtmachen! Ich habe mir keinen Flüchtling nach Deutschland gewünscht, aber wenn ich wählen müsste zwischen dem Erhalt Europas und den Flüchtlingen, würde ich die zweite Million gern und sofort in Kauf nehmen.
DIE INTERVIEWER
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Martin Jehle, geb. 1982 in Berlin, Rechtsanwalt, gelegentliche journalistische Tätigkeit.
Thomas Steierhoffer ist Journalist und Herausgeber des "Panke-Spiegel". Homepage: http://www.lebenszeitung.de
Kontakt zu den Interviewern und/oder COMPASS:
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