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ONLINE-EXTRA Nr. 174

Dezember 2012

Ende November erhielten die Palästinenser bei den Vereinten Nationen mit großer Mehrheit den Status eines Beobachterstaates zugesprochen. Deutschland enthielt sich seinerzeit bei der Abstimmung, was vom israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu anlässlich seines Besuches vor kurzem in Berlin mit deutlicher Kritik bedacht wurde, hatte Israel doch erwartet, dass die Bundesrepublik gemeinsam u.a. mit den USA mit einem Nein votieren würde. Die weltweiten Diskussionen um diese diplomatische Aufwertung der Palästinenser auf internationaler Ebene überdeckte gänzlich, dass bereits im Februar diesen Jahres der deutsche Außenminister Westerwelle bekanntgab, "dass wir mit Wirkung zum 01. Januar 2012 den Status der palästinensischen Generaldelegation [in Deutschland] aufwerten in eine palästinensische diplomatische Mission, die von einem Botschafter geführt wird". Damit wird die palästinensische Vertretung in Berlin zwar nicht de jure, aber de facto im Grunde genau so behandelt und bewertet wie die diplomatische Vertretung jedes anderen Landes, mit dem die Bundesrepublik diplomtische Beziehungen unterhält.

Im August 2010 wurde Salah Abdel Shafi (49) von Präsident Mahmoud Abbas als Botschafter der Palästinenser in der Bundesrepublik Deutschland bestätigt. Zu seinen Aufgaben gehört es, die palästinensischen Interessen in der Bundesrepublik zu vertreten und für die Pflege und Ausweitung der bilateralen Beziehungen zu wirken. Am 24. September 2012 hatte der Berliner Jurist und Journalist Martin Jehle Gelegenheit, ein ausführliches Interview mit Salah Abdel Shafi zu führen, in dem es u.a. um die jüdischen Siedlungen und die Position des Botschafters im Blick auf den Verbleib einer jüdischen Minderheit in einem zukünftigen Staat Palästinas ging. Das Interview erschien erstmals in der Novemberausgabe der "Jüdischen Zeitung" und ist nachfolgend online exklusiv als ONLINE-EXTRA in COMPASS zu lesen.

Bei der Lektüre des Interviews sollte man im Hinterkopf behalten, dass das Interview also vor den jüngsten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwichen der Hamas und Israel im Gaza-Streifen und vor dem diplomatischen Erfolg der Palästinenser bei der UNO stattfand. So gesehen ist das Gespräch noch unbelastet von diesen jüngeren tagesaktuellen Entwicklungen, trägt eher grundsätzliche Züge und gibt somit einen guten Einblick in die Denk- und Argumentationsweise der palästinensichen Seite.

COMPASS dankt Martin Jehle für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe des Interviews an dieser Stelle!


© 2012 Copyright beim Autor 
online exklusiv für
ONLINE-EXTRA


Online-Extra Nr. 174


«Wir wollen, dass Europa auch ein „Player“ wird»

Salah Abdel-Shafi, Leiter der Diplomatischen Mission Palästinas in Berlin, über die Beziehungen zu Deutschland, den schwierigen Weg zu einem eigenen Staat und Gewalt gegenüber Israel.


Ein Interview von MARTIN JEHLE



(Foto: Martin Jehle)




Herr Botschafter, auf dem Eingangsschild zu Ihrem Amtssitz steht: «Diplomatische Mission Palästinas Berlin». Wie ist angesichts der Tatsache, dass Palästina als Staat nicht existiert der Status, die rechtliche Stellung der «Diplomatischen Mission» definiert?

Die Bundesrepublik Deutschland hat Palästina in der Tat noch nicht als Staat völkerrechtlich anerkannt. Ab 1974 besaßen wir in Deutschland ein Informationsbüro im Rahmen der Arabischen Liga. Vier Jahre später folgte die Informationsstelle als eigenständige Institution. In dieser gesamten Zeit existierten regelmäßig deutsch-palästinensische Kontakte, allerdings nur auf inoffizieller Ebene. Mit den Osloer Abkommen wertete Deutschland im Dezember 1993 den Status der Informationsstelle zur Generaldelegation auf und ab diesem Zeitpunkt konnten die Kontakte auch auf offizieller Ebene gepflegt werden. Zum 1. Januar 2012 wurde der Status erneut aufgewertet. Juristisch sind wir die Vertretung der PLO, weil diese international, auch von der UN, als die einzig legitime Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannt ist. Die PLO ist ein Völkerrechtssubjekt. Und dem zu Folge sind wir auch die Vertretung der Palästinensischen Autonomiebehörde, die aus der PLO gebildet wurde. Persönlich habe ich einen Protokollausweis des Auswärtigen Amtes, deshalb genieße ich persönlich auch Immunität.


Ihr Werdegang bis dahin?


Ich bin kein typischer Karriere-Diplomat. Seit Ende 2005 bin ich Botschafter, von Präsident Abbas ernannt, zunächst von Januar 2006 bis August 2010 in Schweden. Seitdem bin ich in Deutschland tätig. Davor habe ich im Gazastreifen in der Privatwirtschaft gearbeitet. In den 1980er Jahren habe ich in der damaligen DDR Politische Ökonomie studiert. Nach der Wende habe ich Ost-Berlin verlassen und bin mit meiner deutschen Frau, die ich während des Studiums kennengelernt hatte, zurück nach Palästina gegangen, wo ich mit ihr bis Anfang 2006 gewohnt habe.


Auf welchen Grundlagen steht die Rechtsordnung in den palästinensischen Autonomiegebieten, aus welchen Quellen speist sie sich?


Dazu muss ich vorweg sagen: Völkerrechtlich gelten die Palästinensischen Gebiete als durch Israel besetzt. Auch das Osloer Abkommen hat an dieser Rechtslage nichts geändert. Das trifft auch auf den Gazastreifen zu, aus dem Israel 2005 abgezogen ist. Aus dieser Situation entspringen völkerrechtliche Verpflichtungen für Israel. Bei der Palästinensischen Autonomiebehörde handelt es sich nicht um ein Völkerrechtssubjekt, sondern um ein Gebilde, das sich um interne Angelegenheiten wie etwa Wirtschaft, Bildung und Gesundheitsversorgung kümmert. Im Rahmen dieser begrenzten Selbstverwaltung findet auch palästinensisches Recht vor örtlichen palästinensischen Gerichten Anwendung. Grundlage dafür ist ein «temporäres Grundgesetz». Bis 1967 galten im Westjordanland jordanische Gesetze, der Gazastreifen war bis dahin unter ägyptischer Verwaltung und dementsprechend galt dort auch ein anderes Recht. Seit dem Juni-Krieg von 1967 herrschte israelisches Militärrecht, also militärische Verordnungen, sowie im Übrigen osmanisches, Mandats- und jordanisches Recht. Seit 1993 die Palästinensischer Autonomiebehörde gegründet wurde, war eines der Hauptvorhaben im Justizbereich, das Recht in Palästina zu vereinheitlichen. Heute gibt es als Ergebnis dieses Prozesses ein eigenes palästinensisches Zivilrecht und ein Strafgesetzbuch, um nur zwei Beispiele zu nennen. Dabei hat die EU mit Beratung und Experten geholfen, aber natürlich sind die vielfältigen historischen Wurzeln unserer Rechtsordnung erkennbar geblieben.



Abdel Shafi in seinem Berliner Büro. Im Hintergrund an der Wand Fotos von Yassir Arafat und Mahmud Abbas. (Foto: Martin Jehle)




Auf welchen Feldern ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Palästinensischen Autonomiebehörde am stärksten?


Im Wesentlichen in zwei großen Bereichen: Wasser, Abwasser und Müllentsorgung zum einen. Dort ist Deutschland sehr aktiv bei der Finanzierung und der Umsetzung solcher Projekte vor Ort. Zum anderen im Bereich Justiz und Sicherheit. Deutschland ist sehr stark beteiligt an der Ausstattung und Ausbildung der palästinensischen Polizeikräfte. Es gibt jedes Jahr eine große Anzahl von Polizeioffizieren, die zu Aus- und Weiterbildungszwecken nach Deutschland kommen. Bei der Ausstattung der Polizeikräfte hilft Deutschland bei der Errichtung von Polizeistationen und liefert technische Geräte zur Aufnahme von Fingerabdrücken und zur Durchführung von DNS-Tests. Ansonsten ist Deutschland durch NGOs [Nichtregierungsorganisationen – Anm. d. Red.] kontinuierlich bei der Entwicklung der Zivilgesellschaft engagiert, etwa zu den Themen Menschenrechten, Frauenförderung und Demokratieentwicklung.


Wo sollte sich Deutschland aus Ihrer Sicht stärker einbringen?


Politisch! Die europäischen Staaten sind zwar der größte Geldgeber für uns, wir wollen aber, dass Europa nicht nur ein «Payer» ist, sondern auch ein «Player» wird. Wir sind für die finanzielle Hilfe sehr dankbar. Wir benötigen aber mehr politische Unterstützung. Wenn Deutschland und Europa sagen, dass sie für die Zwei-Staaten-Lösung sind, dann müssen sie auch dementsprechend politisch handeln. Das bedeutet, dass sie Israel nicht mehr so behandeln, als sei es ein Staat, der über dem internationalen Recht steht. Deutschland ist aus mehreren Gründen dafür prädestiniert, sich stärker in diesem Sinne zu engagieren: Erstens, Deutschland hat eine Verantwortung für die Palästinenser, die aus der Geschichte entspringt. Denn wir, die Palästinenser, bezahlen zum Teil den Preis für den Holocaust, der einer der Gründe für die Gründung des Staates Israel ist. Deshalb hat Deutschland nicht nur eine besondere Verantwortung gegenüber Israel, sondern auch gegenüber den Palästinensern. Zweitens, Europa und der Nahe Osten sind unmittelbare Nachbarn. Probleme im Nahen Osten haben Auswirkungen auf Europa. Drittens, der Nahe Osten ist von großer Bedeutung für Deutschland und Europa. Der Wert der jährlichen Exporte aus Deutschland in den Nahen Osten beläuft sich auf 300 Milliarden Euro. Im Gegenzug steigern auch die jährlichen Investitionen arabischer Länder in Deutschland. Diese Tatsachen machen deutlich, welche Bedeutung die Region für Deutschland hat. Arabisches Kapital ist daran beteiligt, Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten und zu schaffen. Es wäre kurzsichtig gedacht, die arabischen Staaten nur als Absatzmärkte zu betrachten und politisch nur Israel zu unterstützen. Deutschland hat gute Voraussetzungen dafür, eine aktivere politische Rolle zu spielen. Es genießt das Vertrauen Israels und hat gleichzeitig gute bilaterale Beziehungen nicht nur zu uns Palästinensern, sondern auch zu den arabischen Staaten im allgemeinen. Aus diesen Gründen hat Deutschland die Möglichkeit, souverän zu agieren und sich im Sinne einer gerechten Lösung im Friedensprozess einzubringen.




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Das Judentum in Deutschland verändert sich demographisch stark und gewinnt ständig an Facettenreichtum. Diesen Prozess der Pluralisierung begleitet unsere Zeitung aufmerksam, unabhängig und kritisch.

Wir richten uns einerseits an die deutschsprachige jüdische Gemeinschaft, aber auch an alle am Judentum und jüdischen Fragen Interessierten.

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Gegenwärtige Strömungen im deutschsprachigen Raum, Europa und den USA begleiten wir umfassend. Besonderen Wert legen wir auf authentische Berichterstattungen aus und über Israel.

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Wo sehen sie bei der Palästinensischen Autonomiebehörde Defizite beziehungsweise den stärksten Verbesserungsbedarf?


Die Palästinensische Autonomiebehörde ist eigentlich nur für eine Übergangsphase von etwa fünf Jahren entstanden. Inzwischen sind es bald 20 Jahre. Das heißt: Entweder transformiert sich die Palästinensische Autonomiebehörde zu einem souveränen Staat oder sie verliert ihre Existenzberechtigung. Alle Welt bekennt sich zur Zwei-Staaten-Lösung, also dass neben Israel ein palästinensischer Staat entstehen soll. Dementsprechend muss man handeln und uns helfen, damit sich die Palästinensische Autonomiebehörde zu einem souveränen Staat entwickelt. Unser Beitrag dazu muss natürlich darin bestehen, dass wir uns auf allen Gebieten verbessern. Aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt; wir sind nicht frei im eigenen Land. Für Reisen benötigen wir eine Genehmigung durch Israel, genauso für die Ein- und Ausfuhr von Waren. Dennoch streben wir die Bildung von staatlichen Strukturen an, wobei wir von vielen Ländern Unterstützung erfahren. In Evaluierungsprozessen haben die UN, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds bereits bezeugt, dass die Palästinensische Autonomiebehörde in ihrer Entwicklung so weit ist, eine Staatsverwaltung darzustellen. Ein Problem in diesem Prozess ist aber sicherlich die innerpalästinensische politische Spaltung zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen, zwischen der Fatah und der Hamas. Darunter leiden die Palästinenser. Das muss überwunden werden. Wir brauchen einheitliche Strukturen, eine einheitliche politische Führung.


Zumal es im Gazastreifen bewaffnete Gruppen gibt, die Angriffe auf Israel verüben.


Dafür ist die De-facto-Regierung im Gazastreifen verantwortlich, wenn sie das zulässt. Was das Westjordanland betrifft, so gehen von dort keine Angriffe mehr aus. Ich vertrete die legitime palästinensische Regierung, die ihren Sitz im Westjordanland hat. Aber diese Situation zeigt, wie dringend eine Einheit innerhalb der Palästinenser ist.


Für Israel sind die Raketenangr iffe aus dem Gazastreifen auch immer wieder ein Argument dafür, dass die Palästinenser kein Partner für einen dauerhaften Frieden sind.


Dieses Argument ist vorgeschoben. Als Israel 2005 aus dem Gazastreifen abgezogen ist, hat es folgendes getan: Rausgegangen, die Tür verschlossen und den Schlüssel ins Meer geworfen. Es gibt bis heute eine Blockade des Gazastreifens, zum Beispiel können Fischer mit ihren Booten nicht auf das Meer hinausfahren. Dennoch ist unsere Position klar: Auch unter diesen Bedingungen sind wir gegen Angriffe auf Israel aus dem Gazastreifen. Aber was erwartet Israel? Dass die Menschen im Gazastreifen mit Blumen auf Israel schießen, wenn ein Territorium von gerade einmal 360 Quadratkilometern mit 1,8 Millionen Menschen verriegelt und isoliert wird. Die Angriffe sind nicht gerechtfertigt, aber sie sind erklärbar. Widerstand ist eine natürliche Reaktion der Menschen auf Unterdrückung.


Die Menschen wollen doch nur normal leben, Extremisten sind für die Angriffe verantwortlich.


Aber warum gedeiht Extremismus? Warum dürfen Studenten aus dem Gaza-Streifen, die an einer Universität im Westjordanland eingeschrieben sind, nicht dort studieren. Warum dürfen Kranke aus dem Gazastreifen nicht in ein Krankenhaus im Westjordanland zur Behandlung fahren? Das schafft Frustration und Verzweiflung. Israel lässt die Menschen nicht normal leben. Israel hat den Boden für Extremismus bereitet. Extremismus entwickelt sich auf der Grundlage von sozialen Problemen.


Die israelische Organisation «Breaking the Silence», gegründet von ehemaligen Soldaten, hat jüngst im Berliner Willy-Brandt- Haus, der SPD-Parteizentrale, eine Ausstellung gezeigt, die sich mit dem Einsatz des israelischen Militärs im Westjordanland kritisch beschäftigt. Ist es denkbar für Sie, dass es Ähnliches von palästinensischer Seite einmal geben wird, etwa zu Selbstmordangriffen auf israelische Zivilisten.


Die ehemaligen israelischen Soldaten, die sich in der Organisation «Breaking the Silence» zusammengeschlossen haben, leisten eine wunderbare Arbeit. Sie verdienen unseren Respekt. Die palästinensische Gesellschaft hat sich intensiv und kritisch mit Selbstmordattentaten auseinandergesetzt. Unsere Position ist dazu auch klar: Wir verurteilen jegliche Angriffe, die sich gezielt gegen Zivilisten richten. Dagegen, dass dazu auch einmal eine Veranstaltung in Berlin stattfindet, spricht aus meiner Sicht nichts. Wenn eine palästinensische Gruppe sich mit dieser Thematik in Form einer Ausstellung auseinandersetzen möchte, wird sicherlich nach den Ursachen für die in der Vergangenheit begangenen Selbstmordanschläge gefragt werden. Was hat diese Menschen bewogen, eine solche schreckliche Tat zu begehen? Wie ist das familiäre Umfeld, die soziale Situation der Familie? Als es in Erfurt vor einigen Jahren ein Attentat an einer Schule gab, bei dem sich der junge Täter schließlich selbst erschoss, wurden diese Fragen in den deutschen Medien gestellt. Diesen Blick sollte man auch im Hinblick auf Palästina einnehmen. Warum gibt es überhaupt Menschen, die zu so einer Tat bereit sind? Niemand wurde als Terrorist beziehungsweise Selbstmordattentäter geboren. Wenn man die richtigen Fragen stellt, kann eine Beschäftigung sehr nützlich sein.


Die israelischen Siedlungen im Westjordanland sind ein großer Streitpunkt im Hinblick auf eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern. Dabei gibt es solche, die nahe an der «Grünen Grenze» von 1967 liegen und solche, die sich tief im Inneren des Westjordanlands befinden. Wenn es eines Tages einen unabhängigen palästinensischen Staat geben sollte, wäre es möglich, dass dort auch eine jüdische Minderheit lebt. Kurzum: Könnten nicht manche der Siedlungen in einen zukünftigen palästinensischen Staat einbezogen werden und die jüdischen Bewohner dort weiter leben, wenn sie es denn wünschen?


Zunächst: Die israelischen Siedlungen im Westjordanland sind illegal und völkerrechtswidrig. Grundlage für einen Frieden muss sein, dass die Souveränität des Staates Palästina sich über das gesamte Gebiet, das 1967 von Israel besetzt wurde, erstreckt. Das muss Israel anerkennen. Sobald Israel dazu bereit ist, sind wir bereit, über israelische Staatsbürger auf diesem Gebiet zu verhandeln. Die Möglichkeit, dass israelische Staatsbürger auch nach einem Friedensschluss in einem Staat Palästina leben, besteht unter zwei Voraussetzungen. Zum einen muss geprüft werden, ob das Land, auf dem eine Siedlung steht, von Israel annektiertes Privatland ist und zum anderen müssen die israelischen Staatsbürger den palästinensischen Gesetzen Folge leisten. Aber die Prämisse muss klar sein: Erst muss die palästinensische Souveränität anerkannt sein, dann sind wir offen und stehen dieser Option, dass Israelis in ihren Siedlungen wohnen bleiben, positiv gegenüber. Meine persönliche Meinung ist aber noch eine andere. Am idealsten wäre es doch, es gäbe einen gemeinsamen Staat, in dem Juden und Araber als gleichberechtigte Bürger miteinander leben könnten. Aber diese Lösung lehnen die Israelis ab.


Wie viele Menschen palästinensischer Herkunft leben in Deutschland und wie ist der Stand ihrer Integration?


Schätzungsweise 150.000 Palästinenser leben in Deutschland und damit existiert in Deutschland die größte palästinensische Gemeinde in Europa. Die meisten leben in Berlin. Fast alle von ihnen sind aus Flüchtlingslagern aus dem Libanon über Ost-Berlin nach West- Berlin eingereist. Nach der Wende war ihr Status erst einmal unklar; sie hatten keine Papiere. Das hat ihre Integration erschwert; die Probleme dauern bis heute fort. Verglichen mit denen, die im Westen Deutschlands leben, überwiegend als Studenten gekommen und heute in bürgerlichen Berufen tätig, gibt es in Berlin daher große Integrationsprobleme.



SALAH ABDEL SHAFI



Salah Abdel Shafi (49) wurde im August 2010 von Präsident Mahmoud Abbas als Botschafter Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland bestätigt.

Abdel Shafi ist Absolvent der Hochschule für Ökonomie in Berlin in der Fachrichtung Politökonomie. Im Jahr 1986 kehrte er mit seiner Familie in den Gaza-Streifen zurück und arbeitete dort sowohl mit verschiedenen internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Weltbank und USAID (United States Agency for International Development) als auch mit verschiedenen palästinensischen Nichtregierungsorganisationen. Als Politökonom lag sein Schwerpunkt auf der Förderung des wirtschaftlichen Aufbaus in Palästina.

Von 2006 bis 2010 war er Generaldelegierter Palästinas in Stockholm, Schweden. Er war beteiligt bei der Vorbereitung der sogen. Genfer Initiative.



DER INTERVIEWER

MARTIN JEHLE

Martin Jehle, geb. 1982 in Berlin, Rechtsanwalt, gelegentliche journalistische Tätigkeit.

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