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ONLINE-EXTRA Nr. 67

März 2008

Warum verfielen weite Teile der christlichen Theologie im vergangenen Jahrhundert offenbar so leichtfällig der Faszination des Rassismus? Warum waren insbesondere unter protestantischen Theologen eine so hohe Zahl hervorragender Professoren, Wissenschaftler und Studenten anzutreffen, die sich enthusiastisch daran beteiligten, das Christentum mit dem Nationalsozialismus zu verbinden?

Dieser Fragestellung widmet sich die jüdische Religionswissenschaftlerin Susannah Heschel, Tochter des berühmten Religionsphilosophen Abraham J. Heschel, in nachfolgendem Beitrag. Um den grundlegenden Affinitäten zwischen Rassismus und Theologie auf die Spur zu kommen, konnte sie auf Archivmaterial zurückgreifen, das sie erst vor wenigen Jahren in Deutschland entdeckt hat. Im Mittelpunkt dieses Materials steht die Geschichte, Ideologie und das Personal eines "Pseudoforschungsinstituts" zur "Judenforschung", wie es sie während des Nationalsozialismus in fast allen akademischen Bereichen gab.

Gegenwärtig bereitet sie ein Buch über „Jesus als Arier“ vor. Der vorliegende Beitrag stellt eine Vorarbeit dazu dar.

Ihr heute als ONLINE-EXTRA Nr. 67 online exklusiv im COMPASS veröffentlichte Beitrag "Die Faszination der Theologie für die Rassentheorie: Wie Jesus im deutschen Protestantismus zum Nazi wurde" erschien erstmals in deutscher Sprache in der Zeitschrift "Kirche und Israel" (02/2007, Neukirchener Verlag; siehe Anzeige weiter unten).

COMPASS dankt Redaktion und Verlag von "Kirche und Israel" für die Genehmigung zur exklusiven Online-Wiedergabe an dieser Stelle!

© 2008 Copyright bei Autorin und Verlag 
online exklusiv für ONLINE-EXTRA




Online-Extra Nr. 67


Die Faszination der Theologie für die Rassentheorie:
Wie Jesus im deutschen Protestantismus zum Nazi wurde


SUSANNAH HESCHEL


Ich möchte die Frage aufwerfen, warum die Theologie sich zum Rassismus hingezogen fühlt. Dabei werde ich mich besonders auf deutsche protestantische Neutestamentler des frühen 20. Jahrhunderts und zumal der Nazi-Zeit beziehen. Die erstaunlich große Anzahl von hervorragenden Professoren, jungen Wissenschaftlern und Studierenden, die in Bemühungen involviert waren, Nazismus mit Christentum zu verknüpfen, soll hier nicht einfach als eine Reaktion auf die politische Entwicklung oder als Ergebnis einer Auseinandersetzung innerhalb der Theologie verstanden werden. Vielmehr möchte ich zeigen, dass sie grundlegende Affinitäten zwischen Rassismus und Theologie erkannt und zu Tage befördert haben. Mein Aufsatz wird die Entwicklungen, die ich beschreiben möchte, nur zum Teil skizzieren und dann diese ungeahnte Affinität analysieren. Die Basis meiner Darstellung ist Archivmaterial, das ich vor wenigen Jahren in Deutschland entdeckt habe. Es legt die Existenz eines Pseudoforschungsinstituts für Theologen offen, das anderen pseudo-wissenschaftlichen Instituten zur „Judenforschung“ gleicht, die in nahezu allen akademischen Bereichen Deutschlands während des „Dritten Reiches“ eingerichtete worden waren. Ich werde kurz die Geschichte, die Tätigkeit, die Mitglieder, die Ideologie etc. des Instituts beschreiben. Aus Raumgründen werde ich leider Ausführungen über die erfolgreichen Karrieren von Institutsmitgliedern nach dem Krieg auslassen. Ebenso werde ich auch nur zwei Aspekte der „wissenschaftlichen“ Arbeit der Mitglieder des Instituts behandeln, nämlich den Enthusiasmus für die Methoden der Religionsgeschichtlichen Schule und die Beteiligung von vielen dieser Wissenschaftler an der Erforschung der Schriftrollen vom Toten Meer nach dem Krieg.

Beschreibung des Instituts

Am Samstagmittag des 6. Mai 1939 versammelte sich eine Gruppe protestantischer Theologen, Pastoren und Kirchgänger auf der historischen Wartburg, um erfüllt von lutherischem und nationalistischem Stolz die offizielle Eröffnung des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ zu feiern. Die Ziele des Instituts waren sowohl politisch als auch theologisch. Um eine „entjudete“ Kirche für ein Deutschland zu erlangen, das dabei war, Europa von allen Juden zu „säubern“, entwickelte das Institut neue Interpretationen der Bibel und neues Material für die Liturgie. In den sechs Jahren seiner Existenz, während denen das Naziregime den Völkermord an den Juden beging, definierte das Institut das Christentum als eine germanische Religion neu. Deren Gründer, der Arier Jesus, hätte tapfer gekämpft, das Judentum zu zerstören, und wäre dem Kampf zum Opfer gefallen, so dass die Deutschen nun aufgefordert wären, Sieger in Jesu eigenem Kampf gegen die Juden zu werden. Auf theologischer Ebene erlangte das Institut bemerkenswerten Erfolg, da es eine Schar von Kirchenvertretern und Professoren für seine radikale Agenda gewann, die die Eliminierung von jüdischen Elementen aus der christlichen Bibel und Liturgie sowie die Neudefinition des Christentums als arische Religion begrüßten. Mitglieder des Instituts und viele andere im Reich arbeiteten hingebungsvoll „dem Führer zu“, wie Ian Kershaw es formulierte, um den Kampf gegen die Juden zu gewinnen. Ihre Hingabe machte sie immer extremer, so dass sie die traditionelle christliche Lehre aufgaben und stattdessen eine Koalition mit neo-paganen Führern eingingen. Sie begannen mit einer Schmähpropaganda, die den Maßnahmen des Dritten Reichs gegen die Juden entsprach. „Arisch“ stand demgemäß nicht einfach nur für physische oder biologische Merkmale, sondern mehr noch für eine innere Gemütsart, die gleichzeitig mächtig und auch zutiefst verwundbar war und des Schutzes vor einer Degenerationsbedrohung durch Nicht-Arier, vornehmlich Juden, bedurfte. In Nazi-Deutschland wurde „Rassenhygiene“ zu einem Fach, in dem gelehrt wurde, wie der Körper, den der arische Geist bewohnt, geschützt werden kann; die Theologie des Instituts widmete sich der Fürsorge dieses Geistes.

Die meisten Mitglieder und insbesondere der akademische Leiter des Instituts, Walter Grundmann, Professor für Neues Testament in Jena, sahen sich als theologische Avantgarde, die sich der Lösung eines Problems zuwandte, das die christliche Theologie lange schon plagte: Wie kann man eine klare und deutliche Grenze zwischen dem frühesten Christentum und dem Judentum ziehen und alle Spuren jüdischer Beeinflussung der christlichen Theologie und Praxis eliminieren? Als vorwiegend der jüngeren Generation angehörende Wissenschaftler, die von Deutschlands führenden Urchristentumsforschern ausgebildet wurden – viele waren Schüler des bedeutenden Tübinger Professors Gerhard Kittel – sahen sich die Institutsmitglieder in der Lage, den historisch genuinen, nicht-jüdischen Jesus zurückzugewinnen und die christliche Botschaft mit der zeitgenössischen deutschen Identität kompatibel zu machen. Sie wollten Reinigung, Authentizität und eine theologische Revolution – alles im Namen der historisch-kritischen Methode und ihrer Hingabe an das „Deutschtum“. Erreichen wollten sie dies durch Ausrottung des Jüdischen aus dem Christlichen. Weder konnte eine christliche Botschaft, die mit Jüdischem behaftet ist, Deutschen von Nutzen noch eine jüdische Botschaft die akkurate Lehre Jesu sein.

Die Ziele des Instituts wurden von Grundmann bei dessen Eröffnung unverblümt in einer programmatischen Rede über „Die Entfernung des Jüdischen aus dem religiösen Leben als Aufgabe der deutschen Theologie und Kirche“ dargelegt. Dieses Zeitalter, so erklärte er, ist vergleichbar mit dem der Reformation: Die Protestanten müssen heute das Judentum überwinden wie Luther den Katholizismus überwunden hat. Die Eliminierung des jüdischen Einflusses auf das deutsche Leben sei eine dringende und fundamentale Anfrage an die derzeitige deutsche religiöse Situation. Wie sich die Leute zu Luthers Zeit kein Christentum ohne den Papst vorstellen konnten, so könnten sich – nach Grundmann – heutzutage die Christen keine Erlösung ohne das Alte Testament vorstellen. Aber dieses Ziel sei erreichbar. Die moderne neutestamentliche Wissenschaft hätte gezeigt, dass „nur kraft einer Umformung neutestamentliche Gedanken und neutestamentliche Erfüllung im Alten Testament vorgebildet gefunden werden konnten. So tritt nun mit voller Wucht die Erkenntnis des Jüdischen im Alten Testament und auch in bestimmten Partien des Neuen Testamentes als ein Element hinzu, das für unzählige deutsche Menschen den Zugang zur Bibel versperrt.“1

Die Bibel, so fuhr Grundmann fort, müsse gereinigt, ihre unverfälschte Beschaffenheit wiederhergestellt werden, um die Wahrheit über Jesus zu verkündigen, nämlich, dass er ein Arier war, der die Zerstörung des Judentums anstrebte. Grundmann gab einen Aufriss der wissenschaftlichen Aufgaben, die sich dem Institut stellten. Diese schlossen nach ihm ein, die Rolle des Judentums im frühesten Christentum und seinen Einfluss auf die moderne Philosophie klarzustellen. Jede Opposition gegen den Nationalsozialismus aus der Kirche wäre von dem schändlichen Einfluss des Judentums ausgegangen, wie zum Beispiel die Behauptung von jüdischen Wissenschaftlern, dass Jesus ein Jude gewesen sei. Die Juden hätten das völkische Denken der Deutschen zerstört und wollten nun mit der Hilfe des Bolschewismus die „Weltherrschaft des Judentums“ erzwingen. Die jüdische Bedrohung Deutschlands sei ernst: Daher sei, so Grundmann in Aufnahme der Nazi-Propaganda, der Kampf gegen die Juden unwiderruflich an das Deutsche Volk übergegangen.2 Der Krieg gegen die Juden ist für ihn nicht nur eine militärische, sondern eine geistige Schlacht: „Der jüdische Einfluss auf alle Bereiche des deutschen Lebens, einschließlich des religiös-kirchlichen Lebens, muss entlarvt und gebrochen werden.“3 Diesen Satz wiederholte Grundmann mehrfach, um die Aufgabe des Instituts zu beschreiben.

Von 1939 bis 1945 funktionierte das Institut wie ein großes Dach, unter dem sich eine Vielzahl antijüdischer theologischer Positionen von Wissenschaftlern und Pastoren artikulieren konnte. Einige, wie Grundmann selbst, setzten sich für die Entfernung des Alten Testaments aus der christlichen Bibel ein, da es ein jüDie disches Buch ist. Andere, wie Johannes Hempel, Professor für Altes Testament an der Universität von Berlin, versuchten das Alte Testament für die Christen zu erhalten, da es im Grunde eine Botschaft über das Volk Israel (und nicht die Juden) sei, die für das deutsche Volk wichtig zu hören wäre. Unter den aktiven Mitgliedern des Instituts befanden sich international renommierte Wissenschaftler der jüdischen Schriften, wie Hugo Odeberg, aber auch Theologiestudenten und Demagogen, wie Hans-Joachim Thilo und Wolf Meyer-Erlach. 1942, in dem Jahr also, in dem die meisten europäischen Juden ermordet wurden, wurde die Zahl der Mitglieder wie der Themen erweitert, indem völkische Schriftsteller zu Lesungen über das teutonische Erbe Deutschlands und seine Vereinbarkeit mit dem Christentum eingeladen wurden.


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Was die Mitglieder des Instituts einte, war das Bekenntnis zur Ausrottung des Jüdischen als Mittel zur Reinigung des Christentums und Deutschlands. In der Öffentlichkeit als „Entjudungsinstitut“ bekannt, war das Institut das Instrument der protestantischen Kirche für antisemitische Propaganda. Theologische Ergebnisse über Jesu Lehren und seine Beziehung zu den Juden seiner Zeit wurden zur rhetorischen Unterstützung der Naziideologie geformt, so dass der Nazismus als politische Verwirklichung dessen erschien, was Christen religiös lehrten. Konferenzen und Veröffentlichungen des Instituts wurden nicht wegen ihrer wissenschaftlichen Originalität bekannt, sondern deswegen, weil sie Bibelexegese und Religionsgeschichte mit Methoden der Rassenlehre betrieben. Mit Mitgliedern, die zu den führenden Theologen, Professoren und Dozenten an den Universitäten des ganzen Dritten Reichs gehörten, bemäntelte das Institut wissenschaftlich und religiös einen politisierten Antisemitismus, der die Rhetorik des Propagandaministeriums in seiner Beschreibung des Krieges als angebliche Verteidigung gegen einen jüdischen Krieg gegen Deutschland widerspiegelte. Grundmann schrieb 1941: „Dann gibt aber unser Volk, das im Kampf gegen die satanischen Mächte des Weltjudentums um Ordnung und Leben dieser Welt überhaupt steht, ihm mit Recht den Abschied, denn es kann nicht gegen den Juden kämpfen und dem König der Juden sein Herz erschließen.“4 Mit dem Nachweis, dass Jesus kein Jude, sondern ein Gegner der Juden war, verband Grundmann die Arbeit des Instituts mit den Kriegsanstrengungen der Nazis.

Das Ausmaß der Anziehungskraft des Instituts war bemerkenswert: Universitätsprofessoren, Dozenten und evangelische Theologiestudenten im ganzen Reich wurden Mitglieder des Instituts. Sie repräsentierten einen Querschnitt von Disziplinen, geographischen Orten, Jahrgängen und Niveaus wissenschaftlicher Leistungen innerhalb des Reiches. Ich möchte ein paar Vertreter nennen: Walter Grundmann war Professor für Neues Testament an der Universität Jena. Dort lehrten zwei weitere Mitglieder des Instituts, Heinz Eisenhuth, Professor für Systematische Theologie, und Wolf Meyer-Erlach, Professor für Praktische Theologie. Johannes Hempel war von Beginn an ein aktives Mitglied und stand Grundmann sehr nahe, der dessen Hilfe bei der Werbung für das Institut bei den Kirchenvertretern Berlins erbat. Hempel war Professor für Altes Testament an der Universität zu Berlin und bis 1959 Herausgeber der ZAW. Georg Beer, Alttestamentler an der Universität Heidelberg, war eines der ältesten Mitglieder des Instituts und Experte für das rabbinische Judentum. Die Systematische Theologie wurde von Martin Redeker, Schleiermacherforscher an der Universität Kiel, und von Theodor Odenwald von der Universität Heidelberg repräsentiert. Die neutestamentliche Wissenschaft wurde durch Johannes Leipoldt von der Universität Leipzig, Herbert Preisker von der Universität Breslau und von Hugo Odeberg von der Universität Lund vertreten. Jüngere Mitglieder waren Georg Bertram, Gerhard Delling und Karl Euler. Einige waren langjährige Parteimitglieder, während andere nie in die Partei eintraten. Genau das, was Akademiker suchten, wurde vom Institut angeboten: Unterstützung bei Veröffentlichungen, Konferenzen, um Ideen vorzustellen, Versammlungen, um Kollegen zu treffen, und ein Gefühl von der eigenen Wichtigkeit. Für Mitglieder, die Pastoren, Religionslehrer oder Theologiestudenten waren, bestand die Möglichkeit, mit bekannten Professoren aus dem gesamten Reich und aus Skandinavien zusammenkommen zu können – eine große Attraktion, zumal das Institut auch die gesamten Unkosten trug. Wertvoll erschien auch die Gelegenheit, in den vom Institut finanzierten Büchern veröffentlichen zu können, da Papier und finanzielle Förderung während des Krieges rar waren.

Die Mitglieder waren in Arbeitsgruppen unterteilt und stellten innerhalb eines Jahres eine „entjudete“ Version des Neuen Testamentes, ein „entjudetes“ Gesangbuch, einen nazifizierten Katechismus und eine Vielzahl von Büchern und Pamphleten für Laien und Wissenschaftler her, in denen sie ihre theologischen Argumente darlegten. Das Institut veranstaltete viele Konferenzen und gründete eine Zweigstelle in Rumänien, um „ethnischen Deutschen“ behilflich zu sein. Zwar wurde das Institut 1945 von der Thüringischen Landeskirche wegen mangelnder Finanzierung geschlossen, doch wurden die Mitglieder von ihren Landeskirchen nach dem Krieg wegen ihrer antisemitischen Arbeit nie getadelt. Hempel zum Beispiel, der das bekannte Institutum Judaicum in Berlin, welches er von 1937- 1945 leitete, zu einem rassistischen Wissenschaftszentrum verwandelte, behielt die Herausgeberschaft der ZAW.5

Rassentheorie und Theologie

Meine umfassendere Frage ist, warum die Rassentheorie für protestantische Theologen Deutschlands während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so attraktiv und warum es so leicht war, das Christentum in rassischen Kategorien zu interpretieren. Der Rassismus, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa ausbreitete, zog deutsche Protestanten zunächst als Komponente des Nationalismus an. Mit dem 20. Jahrhundert jedoch wurde der Rassismus, besonders der Antisemitismus, zu einem Mittel der Modernisierung des Christentums und der Legitimierung seiner Lehren. Jesus wurde erst als Gegner des Judentums, dann als dessen Feind und schließlich als Arier dargestellt.

Die Frage nach der Arbeit des Instituts an der „Entjudung“ des Christentums muss nicht nur im Zusammenhang mit der Politik des „Dritten Reiches“ be  trachtet werden, sondern auch als ein theologisches Phänomen des Christentums, das eine große Anzahl von Pastoren, Bischöfen und Universitätstheologen ansprach. Man hat schon lange den Beitrag von Religion zum Nationalismus erkannt; eine andere Frage ist jedoch, wie Theologie von Rassismus und Nationalismus profitierte. Warum war eine so große Anzahl von deutschen protestantischen Theologen und Pastoren derart von der Rassentheorie angezogen worden, dass sie eine regelrechte Rassentheologie schufen? Welchen theologischen Gewinn erzielten sie durch den Rassismus?

Die Beziehung zwischen christlich-theologischem Antijudaismus und säkularem rassistischem Antisemitismus wurde schon vielfach von Historikern und Theologen diskutiert. Generell stimmt man darin überein, dass der christlich-theologische Antijudaismus ein Phänomen sei, das sich vom modernen Antisemitismus unterscheidet. Dessen Wurzeln liegen in wirtschaftlichem und auf rassischen Kategorien sich gründendem Denken, weswegen christliche Lehren als nicht verantwortlich für den Antisemitismus angesehen werden.6 Dieses Argument spiegelt teilweise die weit verbreitete Meinung wider, dass das Christentum eine universale Religion ist, die offen für alle Menschen ist, und zwar im Gegensatz zum Judentum, das Religion mit Ethnizität verknüpft. Vor kurzem hat Denise Buell diese Annahme in Frage gestellt. Sie hat gezeigt, dass die Universalität des Christentums ein modernes Konstrukt ist, während sich das antike Christentum selbst jedoch durch Ethnizität definierte.7 Die Beschreibung des Christentums in rassischen Kategorien, die mit dem deutschen Nationalismus in den Vordergrund trat, kann deshalb auch als Wiederbelebung von Strömungen im frühen Christentum gesehen werden, zumal da Theologen, insbesondere die, die in der völkischen Bewegung engagiert waren, ein germanisches Christentum anstrebten. Die Eliminierung des Jüdischen aus dem Christentum begründete eine in rassische Kategorien gefasste christliche Religion und deren Selbstvergewisserung als ethnische Religion. Zur selben Zeit wurde der jüdische Einfluss auf das werdende Christentum ausgeblendet, indem man dem Judentum den Status einer Religion absprach und Juden stattdessen als Rasse und gleichzeitig einen Rassenkampf zwischen Juden und Ariern definierte.

Die Affinität zwischen deutschem Protestantismus und rassistischer Rhetorik ist jedoch noch tiefer als nur in Gemeinsamkeiten in bestimmten Lehrmeinungen über die Juden verankert. Rassentheoretiker beschäftigten sich mit der Definition der geistigen Natur derer, die sie studierten. Walther Wüst, Professor für Sprachwissenschaft an der Universität München und deren Rektor von 1941-45, machte als Leiter des Forschungszentrums „Das Ahnenerbe“, das vom SS-Führer Heinrich Himmler gegründet worden war, um die indo-germanischen Ursprünge zu erforschen, die Verbindung zwischen Rasse und Religion deutlich: „Heute wissen wir, dass Religion eigentlich eine geistig-körperliche Aktivität ist und dass sie daher rassisch ist.“8 Die Religion konnte im Kontext der SS in der Tat nur als neu definiertes rassisches Phänomen überleben.

Rassistisches Denken erwächst organisch aus den Körper-Geist-Dichotomien und macht sich leicht christliche Inkarnationstheologie zunutze. Ursprünglich betonte die moderne Rassentheorie nicht so sehr die Minderwertigkeit des Körpers von bestimmten Personen als die Degeneriertheit ihrer Moralität und Geistesverfassung und die angebliche Bedrohung, die solche Degeneriertheit („Entartung“) für die überlegeneren Rassen darstellt. Physiognomie stand niemals allein da. Vielmehr sahen moderne Rassentheoretiker den Körper als Träger der Seele, also von moralischen und geistigen Fähigkeiten. Es ist die moralische und geistige Bedrohung durch minderwertigere Rassen – wie zum Beispiel die Juden –, über die die Rassisten besorgt waren. Die minderwertigeren Körper dieser Rassen wären nämlich Träger ihrer verdorbenen Geisteszustände, nicht aber der Grund des Verdorbenseins. Das Fleisch ist für rassistisches Denken äußerst wichtig, weil es nicht einfach nur ein Symbol für den degenerierten Geist ist. Vielmehr inkarniert sich moralische Degeneration innerhalb des Körpers, so dass beide nicht voneinander getrennt werden können. Die entscheidende Beziehung zwischen Körper und Seele, die den modernen rassistischen Diskurs bestimmt, spiegelt das Leib-Seele- Dilemma, das Herzstück der christlichen Metaphysik, wider. Genau dies ist der Stempel, den das Christentum westlicher Philosophie aufgedrückt hat.9 Die Kategorie „Rasse“ belebte wieder die klassische christliche Unterscheidung zwischen der Fleischlichkeit des Judentums und der Geistigkeit des Christentums.

Die rassische Theologie bringt über die Verwerfung des Judentums im Christentum hinaus auch die Frage nach den Ähnlichkeiten zwischen dem theologischen und dem Rassediskurs auf. Dieser kann durch seine Betonung von Moralität und Geistigkeit als religiöser Diskurs gelesen werden. Rasse ist letztendlich nicht mit Biologie befasst, sondern vielmehr mit dem menschlichen Geist. Rassentheoretiker beschäftigen sich mit den Graden der moralischen und geistigen Degeneration und den Gefahren, die davon für die Gesellschaft ausgehen. Diese Gefahren drücken sich in der Anatomie und Physiologie aus. Die jüdische Nase zum Beispiel ist nicht als solche gefährlich, aber sie verkörpert – inkarniert – die moralische Dekadenz. Das Blut ist sowohl für die Rasse als auch für die Theologie von zentraler Bedeutung, denn es verbindet Geist und Körper, das Menschliche und das Göttliche, die Metapher und die physische Realität. Die Theologie bewegt sich innerhalb des Bereichs des Blutes, indem sie Abstufungen der Transsubstantiation als die aktuelle oder symbolische Präsenz des Göttlichen in der Materie bespricht. Der Rassismus postuliert ebenso wie die Theologie die Präsenz moralischer und geistiger Eigenschaften im Blut, in der Nase, der Hautfarbe, dem Haar und so weiter und schafft so Rasse durch theologischen Diskurs. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der Nationalsozialismus in den ersten Jahren seine Unterstützung für die Kirche bekundete, etwa wenn Hitler sich selbst als religiösen Mann darstellte, der den christlichen Glauben gegen die Feinde der Kirche, die Bolschewiken und die Juden, verteidigte. Hitler gebrauchte das Christentum manipulativ und wohlüberlegt und wurde von der aufkommenden Rassentheologie dazu ermutigt.10 In diesem Sinn kann die Theologie des Instituts als etwas angesehen werden, was das Christentum als den Körper und den Nati  onalsozialismus als den Geist behandelte, das heißt als Versuch, den Nazismus im Christentum zu inkarnieren.

Es wird landläufig, aber fälschlich angenommen, dass der moderne Rassismus die Vorstellung von einer unveränderlichen Wesenheit vertrat. Biologische Unveränderlichkeit, so wird argumentiert, unterscheidet den modernen Rassismus von früheren Formen des Vorurteils.11 Während sich die Kirche in ihrer Geschichte für die Bekehrung der Juden zum Christentum eingesetzt hat, weisen nach dieser Argumentation moderne Rassisten die Möglichkeit der Konversion von Juden zum Christentum zurück, da das Jüdischsein eine biologische Qualität ist und nicht getilgt werden kann. Diese Annahme übersieht jedoch die Komplexität des Rassedenkens. Wo immer rassistische Gedanken sich durchsetzten, wurde jeweils angenommen, dass sich der rassische Status, zum Beispiel durch eine Ehe, verändern kann, weswegen Rassenmischung ein zentrales Thema des europäischen Rassismus war. Im „Dritten Reich“ wurden Juden rassisch aufgewertet, wenn sie einen Arier heirateten, während Arier ihre Rasse durch eine Ehe mit einem Juden verschlechterten. Die Schändung der reinen arischen Abstammung wurde als etwas betrachtet, das durch die Verunreinigung des Körpers nur allzu leicht eintreten konnte. Rassentheorie betraf deshalb nicht nur die Proklamation der Überlegenheit der Arier, sondern auch deren Verletzbarkeit durch Verunreinigung mit niedrigeren Rassen und die Degeneration, die daraus folgte.12 Die arische Furcht vor kompromittierter rassischer Reinheit, die sich in strengen Gesetzen, die Geschlechtsverkehr mit Nicht-Ariern verboten haben, ausdrückte, zeigt an, dass man glaubte, sexuelle Beziehungen seien für Veränderungen verantwortlich, die sogar ohne Empfängnis oder Reproduktion eintreten könnten. Dies wird an Artur Dinters Bestseller „Die Sünde wider das Blut“ deutlich, in dem Kinder eines arischen Paares verdorben wurden, weil ihre Mutter vor vielen Jahren eine sexuelle Beziehung zu einem Juden hatte, durch die ihr Blut auf Dauer verunreinigt worden war.13 Bei den modernen Rassentheoretikern und deren literarischen Popularisierern wimmelte es geradezu von solchen Phantasien über den Verlust der rassisch-geistigen Reinheit via den Körper. In religiösen Systemen spiegelt die Verletzbarkeit des arischen Blutes für das Verdorbenwerden mit jüdischem Samen die Verletzbarkeit der Heiligkeit durch das Profane wider. Dies illustriert, dass die Instabilität der Rasse, aber nicht ihre Unveränderbarkeit im Zentrum ihrer Erfindung steht. Ann Stoler kommt in ihrer Arbeit über Rasse und Kolonialismus zu folgendem Schluss: „Die Kraft des rassischen Diskurses liegt genau in der doppelten Sicht, die sie erlaubt, nämlich in der Tatsache, dass sie Vorstellungen von Beständigkeit und Fliessvermögen in einer Weise kombiniert, die grundlegend für ihre Dynamik sind.“14 Kein Arier war immun gegen potentielle Judaisierung („Verjudung“), nicht einmal der leidenschaftlichste Nazi. In der Tat, der Vorwurf des jüdischen (manchmal „pharisäisch“ genannten) Denkens wurde zahlreich erhoben, wenn selbstgerechte Nazi-Sympathisanten Anschuldigungen untereinander wechselten.15


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Neukirchener Theologische Zeitschrift

Herausgegeben von
Edna Brocke, Hans Hermann Henrix, Rolf Rendtorff, Ekkehard W. Stegemann und Wolfgang Stegemann
unter Mitarbeit von Gerhard Langer (für Österreich) und Gabriele Oberhänsli-Widmer (für die Schweiz) sowie namhafter Fachgelehrter


Erscheinungsweise: 2 Hefte pro Jahr
Umfang: pro Heft ca. 96 S.
Preis: Euro 24,90 / sFR 44,50 im Abonnement (einschl. Versandkosten)

Bestellungen und Verlag:
Neukirchener Vlg. des Erziehungsvereins GmbH; Postfach 10 12 65
47497 Neukirchen-Vluyn



Was die Beziehung zwischen Theologie und Rasse vergrößerte, ist die Frage des Blutes, das christliche Theologie und rassistische Diskurse miteinander verband. Durch das Blut wird nach den meisten Rassendiskursen der Nazizeit die Rasse transportiert und übertragen. Und es ist auch das Blut, das angeblich das Geschlecht mitführt und überträgt. Im symbolischen Zentrum steht das Blut Jesu, das sowohl erlösend als auch sakramental ist, und zwar dadurch, dass er es vergießt und der Glaubende es hinunterschluckt bei der Eucharistie. Die Zentralität des Blutes sowohl für die christlichen wie die nazistischen Narrative erlaubte eine Geistesverwandtschaft zwischen beiden Denksystemen, gab aber auch gleichzeitig Anlass zu Streit und Konflikten. Im Nationalsozialismus war man durch das Blut festgelegt und bestimmt, so dass es keine Möglichkeit zur Veränderung oder Konversion gab. Das lutherische Verständnis der Transsubstantiation war jedoch weniger strikt: Der Wein war nicht das wirkliche Blut, obwohl es sich um die Realpräsenz Christi im Wein und in der Oblate handelte. Man könnte meinen, dass die Eucharistie mit dem Aufkommen des Nazismus neu bestimmt wurde, um ihr eine festere und weniger symbolische Bedeutung zu geben, das heißt, die Definition von Blut rigider zu machen und in Einklang mit der Rassenideologie zu bringen. Jedoch haben Neudefinitionen der Eucharistie nicht stattgefunden.16 Die antidoktrinäre Einstellung der Deutschen Christen bezog sich nicht auf die Verbesserung von traditionellen Dogmen. Die Eucharistie wurde in den protestantischen Kirchen während des „Dritten Reiches“ ganz konventionell monatlich gefeiert, auch in den Kirchen, die von den Deutschen Christen geleitet wurden.

Als eine Religion der Inkarnation befindet sich das Christentum auf dem schmalen Grad zwischen Menschlichem und Göttlichem, zwischen Fleischlichem und Geistlichem und zwischen Jüdischem und Christlichem. Diese Instabilität wurde vom theologischen Historismus und von Anfragen jüdischer Theologen des 19. Jahrhunderts ans Licht gebracht: Wo eigentlich beginnt das Christentum und endet das Judentum? Die Person Jesu ist dabei der Dreh- und Angelpunkt: Er ist zugleich Jude und Begründer des Christentums. Jesus beginnt sein Leben als Jude, beendet es aber als Christ. Das Christentum wird nur erreicht, so impliziert es der Narrativ vom Leben Jesu, durch einen Prozess der Entstehung, durch eine religiöse Reinigung, welche das Jüdische vom Christlichen zu befreien versucht. Dieses Jüdische, das weder ganz fleischlich noch ganz geistlich ist, stellt eine unbestimmte, vage Bedrohung dar. Denn das Jüdische kann danach entweder den Körper oder den Geist eliminieren und in den einen durch den andern eindringen, so dass es den Körper verunreinigt durch die Zersetzung des Geistes. Die Reinheit des Selbst kann durch die Christianisierung des Selbst erreicht werden, was eine Aufhebung des Jüdischen bedeutet, und zwar genauso wie eine Reinigung vom Jüdischen die Schöpfung des Christlichen kennzeichnet. Daher sollte die Entstehung der protestantischen Rassentheologie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht nur als Antwort auf die politische Entwicklung in Deutschland gesehen werden, sondern als Bestätigung der Aporie von Jesus, dem Juden, der der erste Christ war.

Der theologische Historismus war fasziniert von der Möglichkeit, den Zeitpunkt der christlichen Ursprünge festlegen zu können. Doch „da es nicht möglich ist, eine klar definierte Grenze zwischen Realität und Imagination zu ziehen“17, wie James Donald sagt, so sind auch Rekonstruktionen des Urchristentums immer imaginativ und immer, um mit Michel De Certeau zu sprechen, ein Spuk: „Orte, an denen es spukt, sind die einzigen, an denen Menschen leben können.“18 Die Wurzeln des Entjudungs-Projekts des Instituts sind höchst imaginativ und können bis zu den Fragen nach der Identität Jesu zurückverfolgt werden, die bereits in den allerersten Augenblicken christlich-theologischer Selbstformation gestellt wurden. Doch wurde die Frage nach der Identität Jesu noch grundlegender und spannender, als man begann, die Ursprünge des Christentums im 19. Jahrhundert historisch zu untersuchen, und zwar im Rahmen der Ablehnung der Glaubenslehre und des Supranaturalen. Die Theologie war auf den historischen Jesus zu gründen, auf sein Verhalten und seine Lehren. Während also viele politische, soziale und wirtschaftliche Faktoren zum Aufstieg des Antisemitismus im modernen Deutschland beitrugen, entstand auch als Resultat des internen theologischen Prozesses im Christentum der arische Jesus. Zugleich brachte er eine Konsequenz der historisch- kritischen Methode der liberalen protestantischen Theologie ans Licht.

Es war freilich keine einfache Aufgabe, das Jüdische aus dem Christlichen zu entfernen. Zusammen mit anderen Nazis hatte Alfred Rosenberg die Schwierigkeit dieser Aufgabe erkannt und machte die Anstrengungen der christlichen Theologen lächerlich. Er behauptete, dass nichts mehr übrig bliebe, wenn man das Jüdische vom Christlichen wegnimmt. Sogar die Mitglieder des Instituts waren sich über die Antwort auf die zentrale Frage, was denn genau das Jüdische sei, das eliminiert werden müsste, nicht einig. Das Alte Testament aus der Bibel? Das Jüdische von Jesus? Paulus aus dem Neuen Testament? Das Hebräische aus dem Gesangbuch? Die Aufgabe war also gewaltig. Mit jeder Bestrebung trat eine neue Aufgabe auf: Im November 1933 schockierte der Aufruf des Leiters der Berliner Deutschen Christen, Reinhold Krause, das Alte Testament zu verwerfen; weniger verstörend war 1939 die Erklärung Jesu zum Arier; und um 1942, als der Mord an den Juden lief, war die Eliminierung des Jüdischen nicht mehr von zentralem Interesse und wurde von Versuchen ersetzt, eine Synthese des Teutonischen mit dem herzustellen, was von dem „entjudeten“ „Christlichen“ übrig blieb.

Während die rassischen Ursprünge von Jesu Blut nicht genügend sicher waren, um als arisch erklärt werden zu können, hinterließ die Identität von Paulus keine solche Unbestimmtheit. Da Paulus sich in seinen eigenen Schriften als Jude und Pharisäer bezeichnete, war eine Bekehrung von Paulus zum Christentum unannehmbar nach dem rassistischen Schema der Nazis, das es für unmöglich erklärte, dass sich ein Jude seines Jüdischseins entheben könnte. Aber eine Ablehnung von Paulus hätte die christliche Theologie untergraben und besonders das Werk von Martin Luther, dessen Affinität zu Paulus eines der Fundamente der Reformation darstellte. Die strikte Beachtung der historisch-kritischen Methode, die zentral für die Arbeit der Bewegung der Deutschen Christen war, war eine Hilfe dabei, den Juden Jesus zu demaskieren und den authentischen Arier sichtbar zu machen. Aber dieselben Methoden zwangen zu Anerkennung der Tatsache, dass Paulus unveränderbar ein Jude war. Darüber hinaus hatten die Deutschen Christen die Methoden der Religionsgeschichtlichen Schule übernommen, aber das theologi  sche Interesse von der paulinischen Lehre ab- und Paulus als einem religiösen Individuum zugewandt. So wurde weitere Aufmerksamkeit auf Paulus’ spirituelle Ausbildung bei den Pharisäern, auf die historische Umgebung sowie auf seinen Bildungshintergrund und das damalige Kulturmilieu gelenkt.

Die „Entjudungsversuche“ auf der theologischen Ebene waren letztendlich ein aussichtsloses Vorhaben. Doch das Unternehmen selbst hatte Konsequenzen, die weit über die Bewegung der Deutschen Christen hinausreichten. In Betracht kommt hier die Wirkung, die die antisemitische Propaganda in religiöser Verkleidung innerhalb einer Nazi-Gesellschaft entfaltete, die darauf aus war, ein „judenreines“ Europa herzustellen. Eine andere Konsequenz ist die Wirkung auf den theologischen Diskurs nach dem Krieg, der, obwohl er sich von den Aufrufen zur Eliminierung des Jüdischen zurückhielt, nichtsdestoweniger einige derselben Annahmen bezüglich der religiös degenerierten Natur des Judentums und Jesu Gegnerschaft dagegen fortsetzte. Beide Aspekte weisen unerbittlich auf die tiefere Bedeutung dessen hin, dass sich die christliche Theologie mit der Scham über ihre Ursprünge im Judentum herumschlug.

Der arische Jesus war polysemisch. Er sicherte die deutsche Identität und verwarf die Juden. Damit nahm er an einer langen Tradition christlicher Theologie teil, die das Christentum im Gegensatz zum Judentum definierte. Das Institut nahm diese theologische Tradition auf, reicherte sie mit dem Antisemitismus der 1930er Jahre an und verpackte sie neu als christliche Theologie sowohl für das Naziregime wie für die Kirche. Als antisemitische Theologie konnte sie das Dritte Reich überleben und (ohne das Wort „Arier“, denn dieses wurde nach 1945 fallengelassen) Einzug in das Nachkriegsdeutschland halten, wie wenn es legitimes christliches Denken wäre. So wurden aber in der Tat die Lehren des Instituts das Vehikel für die Aufrechterhaltung antisemitischer Naziideen und deren Übertragung in das Nachkriegsdeutschland. Die Fiktion, dass die Kirche in Opposition zum Nazismus stand und die Nazis anti-christlich waren, erlaubten der Theologie, der genauen Überprüfung auszuweichen, der sich andere deutsche kulturelle Traditionen und Institutionen nach dem Krieg unterziehen mussten.


Aus dem Englischen übersetzt von
Soham Al-Suadi und Ekkehard W. Stegemann


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ANMERKUNGEN



1 Walter Grundmann, Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche (Weimar: Verlag Deutsche Christen, 1939), 9.10.

2 Vgl. ebd., 9.

3 Vgl. dazu ebd., 17.

4 Walter Grundmann, „Das Messiasproblem“: Germanentum, Christentum und Judentum. Studien zur Erforschung ihres gegenseitigen Verhältnisses. Bd. 2. Sitzungsberichte der Zweiten Arbeitstagung des Instituts zur Erforschung und Beseitigung des Jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben vom 3. bis 5. März 1941 in Eisenach, hg. von Walter Grundmann (Leipzig: Georg Wigand), 1943.

5 Zur Geschichte des Institutum Judaicum vgl. Ralf Golling/ Peter von der Osten-Sacken (Hg.), Hermann L. Strack und das Institutum Judaicum in Berlin, mit einem Anhang über das Institut Kirche und Judentum (Berlin: Institut Kirche und Judentum), 1996.

6 Vgl. die Diskussion bei Gavin Langmuir, History, Religion, and Antisemitism, Berkeley 1990, 10.

7 Denise Kimber Buell, Why This New Race: Ethnic Reasoning in Early Christianity (New York: Columbia University Press), 2005.

8 Walther Wüst, Indogermanisches Bekenntnis (Berlin: Ahnenerbe-Stiftung-Verlag, 1942), 68. Beispiele für die Zusammenarbeit zwischen Theologen und Nazi-Rassentheoretikern verdienen weitere Untersuchung; vgl. zum Beispiel Eugen Fischer und Gerhard Kittel, Das Antike Weltjudentum: Tatsachen, Texte, Bilder (Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt), 1943.

9 John L. Hodge, Domination and the Will in Western Thought and Culture, Cultural Bases of Racism and Group Oppression, ed. John L. Hodge, Donald K. Struckmann, Lynn Dorland Trost (Berkeley: Two Riders Press, 1975), 165-72.

10 Richard Steigmann-Gall, The Holy Reich (New York: Cambridge University Press, 2003).

11 Ein neuerer Ausdruck für diese Annahme ist Aaron Rodrigue, Totems, Taboos, and Jews: Salomon Reinach and the Politics of Scholarship in Fin-de-Siecle France, in: Jewish Social Studies 10:2 (Winter 2004), 1-19.

12 Das Werk von Graf Joseph-Arthur de Gobineau (1816-82), das Houston Stewart Chamberlain, Alfred Rosenberg und Hitler beeinflusste, ist ein gutes Beispiel für das Argument, dass Rassenmischung die Degenerierung der europäischen Arier bewirkt hat. Vgl. sein „Essai sur l‘inegalite des races humaines“, 2 Bde (1853-55).

13 Artur Dinter, Die Sünde wider das Blut. Ein Zeitroman, 11. Auflage (Leipzig: Matthes und Thost, 1920). Dinter war aktiv in völkischer und Nazipolitik in Thüringen während der 1920er Jahre. Er war Mitglied der NSDAP mit der Nummer 5 und diente als Gauleiter der Partei in Thüringen, wurde aber 1928 ausgeschlossen aus der Partei.

14 Ann Stoler, “Racial Histories and Their Regimes of Truth,” in: Political Power and Social Theory 11 (1997), 198.

15 Zum Beispiel hat Hans von Soden, Professor für Neues Testament an der Universität Marburg und Gegner der Deutschen Christen, in einem privat gedruckten Pamphlet Grundmanns Buch „Jesus der Galiläer“, ein Stück „pharisäischer“ Gelehrsamkeit genannt, weil er Jesus als einen Arier zu konstruieren versucht hat. Grundmann wiederum beschuldigte antichristliche Naziideologen wegen ihrer Behauptung, dass Jesus ein Jude war, „verjudet“ worden zu sein durch den jüdischen Philosophen des 18. Jahrhunderts Moses Mendelssohn.

16 Doris Leanna Bergen, Twisted Cross: The German Christian Movement in the Third Reich (The University of North Carolina Press, 1996), 45.

17 James Donald, Imagining the Modern City (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1999), 17.

18 Michel De Certeau, The Practice of Everyday Life, trans. Steven Rendell (Berkeley: University of California Press, 1984), 108; zitiert von Donald (Anm. 17), 17.


Die Autorin

SUSANNAH HESCHEL

Susannah Heschel (geb. 1952) ist Eli Black Professor für Jüdische Studien am Department of Religion des Dartmouth College (USA). Sie erhielt u. a. für ihr auch auf Deutsch übersetztes Buch über Abraham Geiger (Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, Jüdische Verlagsanstalt Berlin, 2001) den National Jewish Book Award (1998) und den Abraham-Geiger-Preis der Universität Potsdam (2000). Susannah Heschel hat eine reiche Forschung zum „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ und dessen Repräsentanten vorgelegt. Gegenwärtig bereitet sie ein Buch über „Jesus als Arier“ vor. Der vorliegende Beitrag stellt eine Vorarbeit dazu dar.

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