ONLINE-EXTRA Nr. 133
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Tobias Daniel Wabbel: "Der Templerschatz. Eine Spurensuche"
TEIL 2
[Editorial:
siehe Teil 1]
COMPASS dankt Autor und Verlag für die Genehmigung zur Wiedergabe des Textes an dieser Stelle!
online exklusiv für ONLINE-EXTRA
Online-Extra Nr. 133
****************************** [Teil 1 finden Sie hier:
Prolog: Jungfrau und Drache
und
Kapitel I. Die Armee Gottes
1. Die Gründung des Templerordens
2. Das Konzil von Troyes
3. Der heilige Bernhard von Clairvaux
4. Die Lobrede auf die neue Ritterschaft
Online-Extra Nr. 132]
Besondere Brisanz bekommt diese Frage, wenn wir darüber nachdenken, was Hugo von Payns ab dem Jahr 1115 in Jerusalem unternahm, bevor sich der Orden im Jahr 1120 offiziell gründete. Der Kreuzzugschronist Albert von Aachen berichtet, dass Hugo von Payns und einige seiner Mitstreiter angeblich vor der Gründung des Ordens unter dem Schutz des Priors der Grabeskirche von Jerusalem leben. Hugo von Payns und Gottfried von St. Omer hätten somit in Jerusalem ungestört Nachforschungen anstellen können. Erst 1119 kommt es zu einem Vorfall, bei dem einige hundert Pilger unweit von Jerusalem durch Wegelagerer und marodierende Banden überfallen und ermordet werden – ein Ereignis, dass nach Albert von Aachen den Ausschlag für die Gründung des Templerordens zum Schutz der Pilgerwege gab.40 Dies ist jedoch eine Mutmaßung Alberts von Aachen. Denn wie wir gesehen haben, beteiligen sich Hugo und seine Männer zwischen 1115 und 1128 an keinerlei Kämpfen, sondern leben zurückgezogen wie eine Laienbruderschaft, die sich auf emsige Grabungsaktivitäten konzentrierte. Ein Brief des heiligen Bernhard von Clairvaux an den Patriarchen von Jerusalem aus dem Jahr 1130 veranschaulicht, dass der Patriarch anscheinend wenig Geduld mit den Templern hat, weil sie ihrer Aufgabe, die Pilgerwege zu sichern, nicht nachkommen, sondern stattdessen Grabungen anstellen:
»Ich bitte Euch: Richtet Eure Augen auf die Ritter des Templerordens und öffnet den so tapferen Streitern der Kirche das Herz Eurer großen Liebe. Das wird Gott gefällig und den Menschen willkommen sein, wenn Ihr Eure Gunst denen zuwendet, die ihr Leben für die Brüder eingesetzt haben.« 41
Bernhard fleht den erzürnten Patriarchen geradezu an, denn die Templer haben ihr Leben anscheinend zu selten für die Pilgerbrüder eingesetzt. Als König Balduin II. die Bemühungen des Abtes von Clairvaux spürt, schlägt er Hugo von Payns und seinen acht Templern vor, einen Ritterorden zu gründen, der auf einem Konzil eine Verfassung erhält und durch den Papst in Rom abgesegnet wird.
Der Patriarch ist überstimmt. Hugo zeigt sich notgedrungen einverstanden. König Balduin II. schickt Andreas von Montbard und Bruder Gundemar mit einem Sendschreiben nach Frankreich, um Bernhard von Clairvaux darum zu bitten, für die neue Ritterschaft der Templer eine Verfassung zu schreiben.42
Zuvor entsendet König Balduin II. Hugo von Payns um 1127 nach Frankreich, um von dort aus eine Rekrutierungsreise durch Europa zu unternehmen. Sie machen einen Abstecher nach Rom, um sich mit Papst Honorius II. zu beraten, der seinerseits seinen Segen gibt und Hugo von Payns und seine Begleiter an den päpstlichen Legaten Matthäus von Albano und Bernhard von Clairvaux verweist.43
Die Rekrutierungsreise Hugos dient dazu, einflussreiche Adelige für den Templerorden zu gewinnen, um die Finanzierung des Aufenthaltes in Jerusalem zu sichern und die Aufnahme von neuen Brüdern in den Orden zu beschleunigen. Hugos Reise führt ihn dabei zurück nach Frankreich, nach England und Schottland. In Schottland trifft er auf König David I., der dem Templerorden Ländereien bei Ballantrodoch, dem heutigen Temple, unweit von Edinburgh, schenkt. Hugo kehrt mit Dutzenden von Freiwilligen zurück, die bereit sind, sich dem Orden anzuschließen.
Nach seiner Rückkehr wird für den 13. Januar 1129 ein Konzil in Troyes einberufen, um eine Ordensregel zu bestätigen, die Hugo von Payns bereits mit der Hilfe seines Freundes Bernhard von Clairvaux verfasst hat. Dies ist zu diesem Zeitpunkt ein äußerst bemerkenswertes Vorgehen für einen Ritterorden. Denn bereits 1109 hatten sich in Jerusalem die Ritter vom Hospital des heiligen Johannes zu Jerusalem – die Johanniter – gegründet, die sich zur Krankenpflege und medizinischen Betreuung der Pilger verpflichteten. Das Hospital des Ordens hatte Papst Paschalis II. im Jahr 1113 als unabhängige und notwendige Institution anerkannt – jedoch ohne ein Konzil einzuberufen.
Diese Tatsache zeigt, welche Bedeutung dem Tempelritterorden vom Klerus beigemessen wird, denn Hugo von Payns und seine acht Gefolgsleute könnten sich einfach den Johannitern anschließen. Doch haben sie offensichtlich eingesehen, dass es viel größere Vorzüge hat, einen eigenen Orden zu gründen. Die große Aufmerksamkeit, die sie durch die französischen Bischöfe, König Balduin II., aber auch Papst Honorius II. erhalten, bestätigt ihre herausragende Stellung. Möglicherweise auch ihre Entdeckung, die sie unter dem Tempelberg von Jerusalem machten. Vieles spricht dafür, dass sie fanden, wonach sie unter dem Tempelberg suchten, denn die Präambel der französischen Templerregel enthält eine merkwürdige Formulierung: »Mit Gottes und mit unserer und mit unseres Retters Jesu Christi Hilfe ist das Werk vollendet worden, der seine Freunde aus der Heiligen Stadt Jerusalem in die Marche und Bourgogne zurückbeorderte.«44
Diese Vollendung des Werkes – der Fund des Templerschatzes – ist mit Sicherheit auf dem Konzil von Troyes debattiert worden. So bescheinigt die Liste der Anwesenden die außerordentliche Bedeutung dieser mysteriösen Bischofsversammlung. Sie beginnt mit Hugo von Payns und Gottfried von St. Omer, den Rittern Gottfried, Roral, Gottfried Bisol, Payen von Montdidier und Archambaud von St. Amand. Tatsächlich sind sieben Gründungstempler in Troyes anwesend. Da Bernhard im Vorfeld des Konzils häufig mit dem Patriarchen und dem König von Jerusalem kommuniziert, ist es nicht sehr verwunderlich, dass er nun auch mit Abt Stephan Harding von Cîteaux an der Versammlung teilnimmt.45 Darüber hinaus sind weitere Zisterzienseräbte zum Konzil eingeladen, das unter dem Vorsitz des päpstlichen Legaten für Frankreich, Kardinal Matthäus von Albano, stattfindet.
Die hochrangigsten Würdenträger des ganzen Landes strömen in die Stadt. Die Erzbischöfe von Reims und Sens, die Bischöfe von Chartres, Soissons, Paris, Troyes, Orléans, Auxerre, Meaux, Châlons, Laon, Beauvais. Es sind die Bischöfe der Städte, aus deren Böden wenige Jahrzehnte später die berühmten gotischen Kathedralen Frankreichs emporwachsen werden.
Auch der Finanzverwalter der Champagne, Andreas von Baudement, nimmt ebenso an der Synode teil, wie der Graf von Nevers und Theobald II., der Neffe von Graf Hugo I. von Champagne, der nach dem Tod seines Onkels im Jahre 1126 der Erbe des Vermögens und der Ländereien wurde.
Worüber wird auf dem Konzil debattiert? Die Gründung des Templerordens ist nur ein Teil der Tagesordnung. Welche anderen Themen diskutiert werden, ist nicht bekannt. Fest steht jedoch, dass die zunächst aus 72 Paragrafen bestehenden, in Latein verfassten Regeln des Templerordens auf dem Konzil von Troyes von den anwesenden Bischöfen und insbesondere vom päpstlichen Legaten, Matthäus von Albano, abgesegnet werden.
Hugo von Payns persönlich trägt die Statuten vor, die sich an der strengen Ordensregel der Zisterzienser orientieren. Hier entstehen Vorschriften für das tägliche Leben in der Bruderschaft. Hier finden wir Anweisungen über die Aufnahme von möglichen neuen Brüdern. Wir erfahren, dass Kinder nicht in den Orden aufgenommen werden dürfen, wohl aber weltliche Ritter, die zuvor aus der Kirche ausgeschlossen wurden; dass nur die Ritter Christi aufgrund der großen Hitze im Heiligen Land dort ein weißes Leinenhemd tragen dürfen; dass zu üppiges Haar und zu lange Kleider verboten sind, denn ein Bruder müsse vor Gott innerlich wie äußerlich rein sein.
Wir finden hier Anweisungen, dass die Brüder gemeinsam im Refektorium essen und mittags und abends während der Mahlzeiten den Worten der Bibel lauschen sollen; dass zwei Brüder aus einem Napf essen müssen, wenn nicht genug Geschirr vorhanden ist; dass jeder Bruder stets eine gleich große Portion Wein in seinem Becher habe. Abgesehen von Festtagen wie Weihnachten oder Allerheiligen dürfe Fleisch nur dreimal wöchentlich gegessen werden, denn es verweichliche den Körper. Die übrigen Wochentage Montag, Mittwoch und Sonnabend seien dem Genuss von Hülsenfrüchten und Gemüsesuppe vorbehalten. Freitag werde aus Ehrerbietung vor dem Herrn Jesus Christus gefastet, abgesehen von den kranken und schwachen Brüdern. Vor der Komplet – dem Nachtgebet – solle stets eine Erfrischung eingenommen werden, der Meister entscheide, woraus sie bestünde. Umgang mit Frauen sei verboten, weil einige Brüder dann vom rechten Wege zum Paradies abgelenkt werden – Kinder zeugen sei noch verwerflicher. Jeder Bruder könne über drei Pferde und einen Knappen verfügen, der nicht geschlagen werden dürfe, wenn er freiwillig und unentgeltlich den Dienst ausübe. Prunkhafte Zügel, Lanzenüberzüge, Falkenjagd, Futtersäcke aus Leinwand oder Wolle seien ebenso verboten, wie sich seiner Fehler zu rühmen oder böse Gerüchte und Verleumdung unter den Brüdern zu verbreiten. Und so weiter und so fort. Der Verhaltenskodex der Templerregeln ist lang und streng, die beratende spirituelle Handschrift von Bernhard von Clairvaux und den Zisterziensern unübersehbar.46
Doch erstaunlich locker sind die Statuten bezüglich des Besitzes von Landgütern und Leuten, Bauern und Feldern und der Erhebung von Zinsen. Der einzelne Tempelritter musste das Armutsgelöbnis ablegen, doch der Orden durfte Geschenke und Wohltätigkeiten annehmen und besitzen. Dieser Paragraf war der zündende Aspekt für den unermesslichen Reichtum des Ordens.
Der auf dem Konzil anwesende Schreiber Johann Michael vermerkt, dass die Bischöfe und Äbte andächtig Hugos Worten lauschen. Die später ergänzten französischen Templerregeln bestehen sogar aus 686 Paragrafen, weil die Entwicklung des Ordens ständig neue Regeln erfordert.
Durch die Templerverfassung entsteht der Nimbus des kämpfenden Mönchs, aber auch eine militärische Hierarchie. Hugo von Payns wird zum ersten Großmeister der Templer, dem sämtliche Angehörigen des Ordens unterstehen – Knappen, Kapläne, Mönchsritter. Sein Stellvertreter wird der so genannte Seneschall, der den Großmeister in allen militärischen Aspekten berät. Die Aufgabe des Großpräzeptors ist es, die Einhaltung der Ordensregel durch die Templerbrüder zu überwachen und die Finanzen zu verwalten. Landbesitze der Templer werden in Komtureien unterteilt. Sollte der Großmeister einmal abkömmlich sein oder während eines Kampfes in Gefangenschaft genommen werden, wird er bis zu seiner Rückkehr durch den Großkumtur vertreten. Im Kampf trägt der Marshall die Verantwortung für die Schlachtanordnung und Kampftaktik und bestimmt den Bannerträger. Während der Schlacht sind die Templer in Schwadrone unterteilt, jedes von ihnen wird von einem Konstabler geleitet.
Das Konzil von Troyes begründet auch das äußere Erscheinungsbild des Ordens in der Öffentlichkeit jener Zeit. Die Templer müssen ihre bisherige Laienkleidung nun durch weiße Mäntel eintauschen, die sie fortan über ihrer Ritterbekleidung tragen. Das alles kann unmöglich an einem einzigen Tag von Hugo von Payns und Bernhard von Clairvaux aus dem Stegreif erdacht worden sein. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass die Templerregeln und die militärische Hierarchie im Laufe der Jahre vor dem Konzil entwickelt wurden. Auf dem Konzil von Troyes wird der Orden durchstrukturiert und für den Kampf im Heiligen Land vorbereitet. Wir finden beinahe jede kleinste Verhaltensvorschrift für die Templerbrüder.
Doch das Wichtigste finden wir nicht: Die Sicherung der Pilgerwege als mögliches Leitmotiv des Templerordens wird mit keinem einzigen Wort erwähnt.
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Nicht erst seit Dan Browns Weltbestseller »Sakrileg« sind der Orden der Tempelritter und sein sagenumwobener Schatz fester Bestandteil der Populärkultur. Und auch nicht erst seit Umberto Ecos »Das Foucaultsche Pendel« ist bekannt, dass die Templer immer »ihre Finger im Spiel« haben, wenn es um verstaubte mittelalterliche Geheimnisse und vatikanische Verschwörungen geht. Bis heute hat eine Flut von Thrillern, in denen es um mysteriöse Templergeheimnisse geht, den Buchmarkt überschwemmt, ohne dass ein Ende abzusehen ist. Ein ernsthaftes, wissenschaftlich fundiertes Buch zum Thema sucht man jedoch vergeblich.
Mit hervorragender Sachkenntnis legt Tobias Daniel Wabbel in seinem Werk erstmals plausible Antworten auf eine der großen Fragen der Geschichtsschreibung vor. Auf spannende Weise lässt er die geheimnisvolle Welt der Templer lebendig werden.
"In diesem Buch zeichnet Wabbel seine außergewöhnliche, über zehn Jahre dauernde Reise nach, während der er mehr als 80.000 Kilometer zurückgelegt und die Zehntausende Euro gekostet hat. ... Der Templerschatz ist ein ungemein faszinierendes Buch, eine fesselnde Lektüre, die Sie die ganze Nacht wach halten wird, da Wabbel die verschiedenen Hinweise zusammensetzt, die zusammen das bis heute ungelöste Rätsel des Templerschatzes lüften.“
Douglas Preston (Autor von "Das Relikt", "Der Codex")
„Spannend, schlüssig und hochinteressant – für mich das beste Sachbuch, das je über die Templer und ihre geheimnisvollen Schätze geschrieben wurde.“
Martina André (Autorin von "Das Rätsel der Templer")
"Wabbel versteht es, den Leser ebenso spannend wie mit leichter Hand durch die Jahrhunderte zu führen - mit ihm selbst als Protagonisten, der sich mit Touristengruppen um die Sicht auf alte Säulen drängelt und mit klopfendem Herzen wegen neuer Erkenntnisse von Kathedrale zu Kathedrale rast."
T. Stachelhaus, DER WESTEN
Ohne den Einfluss des Bernhard von Clairvaux wäre der Templerorden nicht entstanden. Bernhard wird wahrscheinlich im Jahre 1090 als drittes von sieben Kindern des Ritters Tescelin le Roux und seiner Frau Aleth von Montbard auf der Burg Fontaine-lès-Dijon geboren.47 Bernhards Vater ist ein Feudalherr, der sehr treu den Herzogen von Burgund dient. Seine Mutter Aleth ist, wie ihr Bruder – der Templergründer Andreas von Montbard –, sogar mit den Grafen von Burgund verwandt. Aleth ist tief religiös, ihr eigentlicher Wille ist es, ihre sieben Kinder einem Kloster anzuvertrauen. Sie selbst wäre gerne in ein Kloster eingetreten, um Nonne zu werden und Gott zu dienen, hätte nicht Tescelin le Roux ihr Herz erobert. Sie stillt den kleinen Bernhard selbst, anstatt ihn einer Amme anzuvertrauen – dies ist zu jener Zeit keineswegs die gängige Praxis, denn es ist ein Zeichen für Armut. Doch die Familie ist alles andere als arm. Das Klosterleben scheint im Laufe der Jahre immer attraktiver zu werden unter der Bevölkerung, denn um 1115 kann das Kloster Cîteaux dem Andrang von neuen Bewerbern für das Mönchsleben nicht mehr standhalten. Die Folge ist die Gründung von Tochterklöstern, so genannten Filiationen: 1113 wird das Kloster La-Ferté gegründet, 1114 Pontigny, 1115 folgen Morimond und Clairvaux. Diese vier Abteien werden als Primarabteien bezeichnet, von denen wiederum die Gründung von Tochterklöstern ausgehen wird. Schon im Jahre 1118 folgt Trois-Fontaine, 1119 Fontenay und 1121 das Kloster Foigny bei Laon. Die waldige Gegend des Burgund ist erfüllt von hektischer zisterziensischer Bauaktivität. All diese Klöster sind seit der Gründung von Cîteaux der heiligen Jungfrau Maria geweiht.
Aleth konfrontiert ihre Kinder häufig mit ihren persönlichen religiösen Anschauungen und liest ihnen aus der Bibel vor. Dabei kommt Bernhard sehr früh mit der lateinischen Sprache in Kontakt. Warum er als Kind nicht bereits einem Benediktinerkloster anvertraut wird, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist zu diesem Zeitpunkt der weltliche Einfluss des Vaters zu groß.
Ab dem Jahr 1098 besucht Bernhard die Klosterschule Saint-Vorles in Châtillon-sur-Seine. Hier werden ihm Lesen, Schreiben, Rhetorik, Grammatik und Dialektik vermittelt. Lateinisch lernt er am schnellsten durch das Auswendiglernen von Bibelpsalmen, die er mit seinen Mitschülern zusammen singt. Der zukünftige Abt von Clairvaux wird mit höherer Mathematik verschont – heute würde mancher Schüler mit dem schüchternen, blassen, rotblonden und schmächtigen Kind tauschen wollen. Trotz mangelnder naturwissenschaftlicher Ausbildung entwickelt sich Bernhard zu einem Musterschüler, der, einmal des Lateinischen mächtig, besessen in der Bibel liest und glühender Katholik ist. Nach dem Tod seiner Mutter Aleth – Bernhard ist ungefähr siebzehn Jahre alt – blüht er auf und findet Freunde unter gleichaltrigen adeligen Jugendlichen, die sich zu Cliquen formieren, die Bernhard dank seiner charismatischen Ausstrahlung und seinem rhetorischen Talent sehr bald anführt.
1109 wird es im Leben des Bernhard von Clairvaux erstmals merkwürdig: Ein Zeitgenosse, Hermann von Laon, berichtet, dass Bernhard unter die Geistlichen gegangen sei – Jahre vor seinem Entschluss, Mönch zu werden. Bernhard überlegt ernsthaft, nach Köln zu gehen, um an der Domschule zu studieren. Dass Hermann von Laon ihn vor seinem eigentlichen Mönchsleben als Geistlichen (Clericus) bezeichnet, deutet darauf hin, dass Bernhard das Studium von biblischen, aber auch naturwissenschaftlich-philosophischen Texten betreibt.48
Ganz irdisch hingegen sind Bernhards Gefühle gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Trotz eines Verführungsversuchs durch eine junge Dame sind keine tiefer gehenden Frauenbekanntschaften überliefert. Im Gegenteil: Bernhard unternimmt alles, um nicht in Versuchung zu geraten, denn die Auslebung sexueller Bedürfnisse bedeutet für ihn eine höllische Sünde. Bernhard zieht die Konsequenzen aus der ständigen Bedrohung der fleischlichen Lust und der Gefahr der Verdammnis seiner Seele – und tritt in ein Kloster ein.
Im Jahre 1112 bittet Bernhard zusammen mit dreißig weiteren verwandten und befreundeten Laien des burgundischen Adels um Einlass im Kloster Cîteaux, darunter sind auch vier seiner Brüder.
Das am 21. März 1098 vom Benediktinermönch Robert von Molesme (1028-1111) gegründete Kloster Cîteaux liegt inmitten eines feuchten, schilfbewachsenen Tales, umgeben von tiefem Wald.49 Der Name Cîteaux leitet sich wahrscheinlich vom altfranzösischen Wort Cistel für Rohrschilf ab. Robert war von zwanzig Mönchen und dem Herzog von Burgund, Odo I., begleitet worden. Wir bemerken hier die Nähe des Klerus zu den Adeligen der Region, denn schon der Vater Bernhards, Tescelin le Roux, hatte Odo I. gedient. Robert von Molesme hatte mitansehen müssen, wie die Ordensregel des heiligen Benedikt von Nursia (480-547) zusehends durch die ausschweifende Lebensweise und Nachlässigkeit der Äbte und Mönche des Benediktinerordens verkam. Die Benediktinerregel bestand aus einem Prolog sowie 73 Kapiteln und gründete vor allem auf den Prinzipien Armut, Gebet, Arbeit, Keuschheit, Demut und Gehorsam. Von Keuschheit war innerhalb der Gemäuer der Benediktinerabteien immer weniger zu sehen und auch das Gelübde der Armut wurde zusehends durch Prasserei im Kloster Cluny gebrochen, das sich in relativer Nachbarschaft zu Cîteaux befand und dessen Kirchenanlage dank großzügiger finanzieller Geschenke von Adeligen die gewaltigen Dimensionen des Doms von Alt-St. Peter in Rom übertraf.50
So liegt es nahe, dass Bernhard dem Kloster Cîteaux beitritt und sich nicht den Benediktinern in Cluny anvertraut. Als Bernhard an das Tor von Cîteaux klopft, wird die Abtei von Stephan Harding geleitet. Harding war seinerseits ursprünglich dem Benediktinerorden unter Robert von Moslesme beigetreten und missbilligte ebenso den Bruch der benediktinischen Regeln. Nach Robert von Molesme und Alberich (1050-1109) ist der um 1059 im englischen Merriott, Dorsetshire, geborene Harding zu diesem Zeitpunkt der dritte Abt von Cîteaux. Harding hatte seine Kindheit in Schottland zugebracht und im irischen Lismore, in Paris und in Rom Theologie studiert. Er war dann auf einer Reise von Rom im Kloster Molesme geblieben, um sich Abt Robert von Molesme anzuschließen und das Kloster Cîteaux aufzubauen.
Harding beabsichtigt, durch eine Reform die alten strengen Tugenden des heiligen Benedikt wiederherzustellen. Für viele Bewerber, die an die Tore des Klosters von Cîteaux klopfen, ist die Strenge des Zisterzienserordens abschreckend. Die Mönche in ihren weißen Kutten arbeiten mehr, als sie beten und Enthaltsamkeit ist an der Tagesordnung. Stephan Harding wird in einer zeitgenössischen Chronik als glühender Liebhaber des Ordenslebens, der Armut und der Regeldisziplin skizziert. Er verfolge und predige die Regeln der Benediktiner so streng, wie die Israeliten das mosaische Gesetz.51 Ihre asketische Strenge orientierte sich an den Wüstenvätern.52 Harding formulierte im Jahr 1113 die Charta Charitatis und gab dem Zisterzienserorden eine Verfassung. Er trug somit maßgeblich zum Erfolg des Ordens bei. Harding wird auch das Exordium parvum zugeschrieben, eine Chronik über die Geschichte der Zisterzienser.
In Abt Stephan Harding findet der wissbegierige und hochbegabte Bernhard von Clairvaux seinen Meister. Wahrscheinlich wohnt er auch den Besuchen von Graf Hugo I. von Champagne bei, als dieser zusammen mit Abt Stephan Harding biblische Studien betreibt. Bernhard ist also durch Graf Hugo I. von Champagne sowie seinen Onkel Andreas von Montbard von Anfang an in die Geheimnisse des Templerordens eingeweiht.
Bernhards Noviziat ist erfüllt von mindestens sechs Stunden Gottesdienst, Arbeit auf den Feldern und im Kloster sowie dem Studium der Bibel. Seine Mahlzeiten sind streng rationiert, der Verzicht auf Wein und Fleisch für ihn eine Selbstverständlichkeit, weil Wein seiner Ansicht nach zur Geilheit verführe. Das Leben im Kloster Cîteaux ist nichts für Zartbesaitete, doch Bernhard kasteit sich mehr als alle anderen Mönche in Cîteaux, in dem er die Benediktinerregeln exzessiv auslebt. Die Folge ist ein lebenslanges Magenleiden und Brechreiz während der Einnahme der Mahlzeiten. Sein Körper ist stark geschwächt, sodass Bernhard nur leichte Arbeiten verrichten kann. Die Kehrseite von Bernhards Askese aus Hunger, Durst, Schlafentzug und Verletzung des eigenen Körpers ist eine Hyperaktivität, die ihm die physische Kraft verleiht, seitenlange Briefe, Predigten und Bibelkommentare bis tief in die Nacht hinein zu schreiben.53
Das Noviziat endet 1114 mit der Ablegung der Profess – dem Gelübde, fortan nur noch in Armut, Gehorsam und Keuschheit zu leben. Er erhält das graue Mönchsgewand mit Kapuze. Sein Haar wird am Wirbelansatz zu einer Tonsur geschoren, als Zeichen der Demut vor der heiligen Jungfrau Maria.
Die Abtei von Clairvaux ist heute ein Gefängnis
Abt Stephan Harding überlässt Bernhard die Gründung seines eigenen Klosters, das auf dem ehemaligen Grundbesitz des Grafen Hugo I. von Champagne errichtet wird. Graf Hugo I. von Champagne befindet sich 1115 auf seiner zweiten Pilgerfahrt nach Jerusalem, um dort Hugo von Payns zu treffen. Graf Hugo I. von Champagne lässt den Landbesitz den Zisterziensern durch seinen Vizegrafen, Gosbert von La Ferté, urkundlich übereignen. Dieser Gosbert ist ein Vetter Bernhards. Das Kloster Clairvaux wird in der bewaldeten Wildnis des Absinthtals, 116 Kilometer von Cîteaux entfernt, in der nördlichen Diözese Langres errichtet. Unter den Mönchen sind die vier Brüder Bernhards von Clairvaux, deren Onkel und zwei von Bernhards Vettern.54 Clairvaux ist ein eingeschworenes Familienunternehmen.
Bernhard gibt dem Tal, in dem die Pflanze des Wermuts wächst, einen neuen Namen: helles Tal – Clairvaux, denn die Axt muss vorher an große Mengen Waldes angelegt werden. Bernhard macht dem Kloster ein finanzielles Geschenk im Sinne des 2. Buch Mose (Exodus) 23,15: Gott verordnet den Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten an den drei Jahresfesten Opfer darzubringen. Dies geschieht unmittelbar vor dem Bund mit Gott, als Mose auf dem Sinai Gott begegnet und zwei Steintafeln mit den Zehn Geboten erhält. Erneut fällt hier die besondere Nähe der Zisterzienser zum Judentum auf.55 Stephan Harding und Bernhard von Clairvaux scheinen hiervon besonders beeindruckt zu sein.
Kurz darauf holt Bernhard beim Bischof von Châlons-sur-Marne, Wilhelm von Champeaux, den Segen für die Gründung des Klosters ein. Die Begegnung mit Champeaux soll Bernhards Leben dramatisch verändern, denn Zeit seines Lebens wird er im Haus des Bischofs ein- und ausgehen und sich seines väterlichen Schutzes sicher sein können. Eine tiefe Freundschaft entwickelt sich zu dem Mann, der an der Domschule der Kathedrale von Notre-Dame in Paris Philosophie unterrichtet hatte. Bemerkenswert ist hier, dass Bernhard erst fünfundzwanzig Jahre alt ist, obwohl das zulässige Alter für das Amt eines Abts bei dreißig Jahren lag. Es spricht für den herausragenden Intellekt Bernhards, dass sich der Bischof von Châlons-sur-Marne mit einem jungen Mann umgibt, um philosophische und theologische Streitgespräche zu führen.
Nach dem Segen des Bischofs von Châlons-sur-Marne mehren sich die finanziellen Zuwendungen an das Kloster Clairvaux, die es Bernhard nun ermöglichen, die ursprünglichen bautechnischen Mängel auszugleichen. Die bittere Kälte im Herbst und Winter weicht und sichert den Mönchen ein gesundheitsschonenderes Dasein. Von seinen Reisen nach Châlons-sur-Marne bringt Bernhard immer weitere Novizen mit, die bereit sind, sich dem harten, asketischen Klosterleben zu stellen. Der Ruf des Klosters unter der Führung des herausragenden Bernhard von Clairvaux hallt durch die Täler des Burgund – und darüber hinaus.
Bernhard arbeitet wie besessen. Heute belegen 545 Briefe, 300 Predigten und zahlreiche überlieferte Abhandlungen, wie einflussreich Bernhard zu seinen Lebzeiten war. Der schmale, blasse Abt von Clairvaux weist in seinen Briefen selbst Päpste und Könige in ihre Schranken – und erlebt unfassbarerweise ihren Gehorsam. Nicht der Papst in Rom wird zuerst in klerikalen Fragen konsultiert, sondern zuerst Bernhard.
Im Jahre 1124 verfasst Bernhard von Clairvaux eine denkwürdige Schrift, die sich in epischer Breite mit der heiligen Jungfrau Maria befasst: De laudibus Virginis Matris. Eine Lobrede auf die Mutter Gottes. Der Legende nach spritzten aus den Brüsten Marias drei Tropfen Milch auf den Mund Bernhards, der fortan von der Liebe zur heiligen Jungfrau besessen war. Das Lob der jungfräulichen Mutter umfasst vier Predigten – so genannte Homilien – und zeugt von seiner Beeinflussung durch die Zisterzienseräbte Robert von Molesme, Alberich und Stephan Harding. Robert von Molesme weihte sein Kloster und auch Cîteaux der Jungfrau Maria. Während Robert von Molesme, Alberich und Harding die heilige Jungfrau Maria nur verehrten, war Bernhard geradezu besessen von ihr. Sein schwärmerisches Werk De laudibus Virginis Matris ist der Höhepunkt der Marienverehrung und auch ein Beleg für seinen Einfluss auf den Templerorden, denn jedes neue Ordensmitglied der Mönchsritter musste den Treueeid auf die heilige Jungfrau Maria ableisten. Ihr diente der Templerorden im eigentlichen übertragenen Sinne.
Am 13. Januar 1129 schließlich, Bernhard ist achtunddreißig Jahre alt und durch seine Askese von Krankheit gezeichnet, erscheint er zusammen mit dem Abt von Cîteaux, Stephan Harding, sowie dem Bischof von Châlons-sur-Marne, Wilhelm von Champeaux, auf dem Konzil von Troyes. Bernhard leitet die Versammlung ein und lauscht dort zusammen mit anderen Zisterzienseräbten und Bischöfen den Worten Hugo von Payns, der die Verfassung des Templerordens vorträgt.
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Nach dem Konzil von Troyes bittet Hugo von Payns seinen Freund Bernhard von Clairvaux, eine Propagandaschrift für den Templerorden zu verfassen. Nach anfänglichem Zögern sagt Bernhard zu und schreibt sein berühmtes Plädoyer für die Templer Liber ad milites templi – De laude novae militiae. In diesem Lob der neuen Ritterschaft schreibt Bernhard: Doch Bernhard geht noch weiter. Er sagt, dass die Templer die wahren Israeliten seien. Die Templer kämpfen für den Herrn der Heerscharen – Zeba’oth –, eine israelitische Bezeichnung für JHWH im Alten Testament, die von einer Epoche der jüdischen Geschichte zeugte, als Gott nur mit Synonymen bedacht wurde, aber nicht namentlich genannt werden durfte. Die eigentliche Mission der Templer wird noch deutlicher, wenn sich Bernhard in seiner Propagandaschrift über die »ungläubigen« Moslems in Jerusalem ereifert: »Sie arbeiten daran, die in Jerusalem niedergelegten unschätzbaren Reichtümer des christlichen Volkes zu rauben, das Heiligtum zu schänden und den heiligen Tempel Gottes in Besitz zu nehmen.« Zurück in die Gegenwart, zurück nach Troyes. Eine der beiden Damen des Musée Hugues de Payns gibt mir bereitwillig Auskunft auf meine Fragen, die ich meinem umständlichen Schulfranzösisch daherstammele. • Graf Hugo I. von Champagne, einer der mächtigsten Männer Frankreichs, unternimmt 1105 eine Pilgerreise nach Jerusalem. Es ist wohl eher eine Forschungsreise. Als er zurückkehrt, nimmt er Kontakt auf mit dem Zisterzienserabt Stephan Harding, der daraufhin mit den Juden der Champagne und des Burgund hebräische Bibeltexte des Alten Testaments und den Talmud studiert. Immer wieder frage ich mich: Was haben Hugo von Payns und seine Gefolgsleute unter dem Tempelberg gesucht – und schließlich gefunden? Ich steige wieder in meinen Wagen und fahre zurück nach Troyes.
»Einmal und wohl auch ein zweites und drittes Mal, wenn ich mich nicht täusche, liebster Hugo, hast du mich gebeten, Dir und Deinen Waffenbrüdern eine Predigt der Ermunterung zu schreiben und gegen die feindliche Macht der Tyrannen meinen Griffel zu schwingen, da es mir nicht erlaubt ist, dies mit der Lanze zu tun.« 56
Fast hören wir Bedauern darüber heraus, dass Bernhard selbst nicht zum Schwert greifen darf, denn sein mönchisches Dasein verbietet es. Hier sehen wir auch, dass es Hugos von Payns Absicht ist, eine klerikale Legitimation für den Templerorden zu erwirken, sein Freund Bernhard von Clairvaux ist hier die oberste Instanz – noch vor dem Papst. Wer den Segen der Kirche auf seiner Seite hat, ist über alle Zweifel erhaben. Der Wortlaut von Bernhards Lobrede ist geprägt von gewitzter Raffinesse und biblischen Anspielungen.
Zunächst einmal geht Bernhard mit den weltlichen Rittern hart ins Gericht. Er schilt sie eitle Narren, die ihre Pferde mit seidenen Decken und ihre Panzer mit Überhängen und Tüchern verzieren, die ihre Speere, Schilde und Sättel bemalen und Zügel und Sporen mit Gold, Silber und Edelsteinen schmücken. Bernhard verurteilt den überflüssigen Firlefanz, der mit dem Rittertum einhergeht und seines Erachtens nach von der wahren Mission eines Ritters ablenkt: für Gott zu kämpfen. Nicht ohne Humor ist seine zynische Schlussfolgerung, wenn Bernhard schreibt: »Mit so großer Pracht eilt ihr in beschämender Raserei und schamlosem Stumpfsinn in den Tod.« Und fragt, ob all der Prunk hoch zu Rosse auf militärische Ehren zurückzuführen sei oder auf ziemlich weibische Eitelkeit.
Nein, schreibt Bernhard, der Dolch des Feindes schrecke nicht vor dem Gold des weltlichen Ritters zurück. Vielmehr werden die Edelsteine nicht verschont und die Seide durchbohrt von der Lanze des Feindes. Der Leser erkennt, dass Bernhard nicht traurig ist um diese Männer in aufgeblasenen Ritterrüstungen, die auf Turnieren oder im Kampf tödlich getroffen zu Boden stürzen. Nachdem Bernhard mit dem tolldreisten Haudegentum der Aventüre abrechnet, das später so prachtvoll in den höfischen Romanen des Hochmittelalters von Christian von Troyes und Wolfram von Eschenbach beschrieben wird, wendet er sich seiner eigenen Schöpfung zu: dem Mönchsrittertum.
Sodann verklärt er die neue Ritterschaft der Templer zu edlen Kämpfern, die im Auftrag Gottes als verlängerter Arm Jesu Christi gegen die Fürsten der Finsternis zu Felde ziehen. Der Templer umgebe seinen Leib mit dem Panzer aus Eisen, seine Seele aber mit dem des Glaubens, schwärmt Bernhard. Durch beiderlei Waffen geschützt, fürchte der Mönchsritter weder den Teufel noch den Menschen. Der Templer an sich, dieser Streiter der neuen Ritterschaft Christi, setze sich treu und freudig für Christus ein und sei eigentlich lieber bei ihm im Himmel als hier auf Erden. Das sei doch viel besser. Soll heißen, der Tod des Templers im Kampf ist nicht nur einkalkuliert, sondern Voraussetzung für den Ruhm der Sache. Diese Sichtweise unterscheidet sich nur wenig von der fanatisierten ismaelitischen Mördersekte der Assassinen, die sich in Persien formierte und im Auftrag des »Alten vom Berge«, Hassah-i-Sabah, von der Burg Alamuth aus zu Selbstmordattentaten aufbrach. Bernhard fordert in seiner Lobrede nichts weiter als die bedingungslose Selbstaufgabe für Gott – bis zum Tod. Man spürt, dass er sich dabei noch nicht wohlfühlt, denn in seinen Adern fließt mehr klerikales als ritterliches Blut. Nicht umsonst hat er zusammen mit Hugo von Payns an der Templerregel gefeilt und dem Orden elegant den Stempel des Zisterzienserordens aufgedrückt. Gehorsam ist eine der großen Tugenden der Zisterzienser. »In der Tat aber ist der Tod im Kampf umso kostbarer, je ruhmvoller er ist«, glaubt Bernhard. Leicht gesagt für einen Zisterzienserabt seiner Berühmtheit, denn er muss ja nicht kämpfen. Der Zisterzienserorden hat nun sein eigenes Heer – und er kann sich einer gehörigen Portion Fanatismus seiner Mönchssoldaten sicher sein.
Bernhard versteigt sich zu ekstatischen Verklärungen. Den Kampf, und nicht die Pracht, den Sieg, und nicht den Ruhm hätten die Templer im Sinn. Sie zögen es vor, ihren Feinden das furchterfüllte Zähneklappern zu lehren, als bewundert zu werden. Aber die Templer seien bedacht, nicht ungestüm, seien nicht voreilig und überstürzt und mit aller Vorsicht positionierten sie sich in der Schlachtreihe. Nach all dieser Verklärtheit ist es beinahe ein Wunder, dass Bernhard unumwunden die eigentliche Mission der Templer skizziert und dann zur Sache kommt.
Und jetzt wird es wieder äußerst mysteriös. Bernhard schreibt: »Denn die wahren Israeliten schreiten ruhig in den Kampf.« Bernhard von Clairvaux, dessen Zisterzienserorden ohnehin bereits Sympathien für das Judentum zeigt – wir erinnern uns an Stephan Hardings Kooperation mit jüdischen Talmudexperten –, vergleicht die Templer mit den Israeliten, die durch den Sinai irrten und deren Anführer, Mose, auf dem Berg Horeb des Sinai von Gott die Zehn Gebote Gottes empfing.
Der Patriarch Abraham als Templer
Der Salomonische Tempel spielt für Bernhard eine besonders wichtige Rolle. Bernhard führt anschließend alle Stätten des Heiligen Landes auf, die, wie er glaubt, von besonderer Bedeutung sind. Doch an erster Stelle steht der Tempel Salomos – und nicht etwa die Grabeskirche, die auf dem Fundament von Golgatha steht, wo einst Jesus Christus begraben wurde und die zur Zeit Bernhards das wichtigste Pilgerziel ist. Nach dem Tempel Salomos folgen der Geburtsort Christi, Bethlehem. Dann Nazareth, die Stadt der Eltern Jesu. Es folgt der Ort, an dem Jesus seine Bergpredigt hielt, der Ölberg. Bernhard nennt dann den Fluss Jordan, in dem Jesus von Johannes getauft wurde. Die Kreuzigungsstätte Golgatha. Die Grabeskirche. Das Dorf Betfage, in dem zwei Jünger Jesu einen Esel entliehen, mit dem der Heiland nach Jerusalem ritt. Ferner finden wir Bethanien, den Geburtsort der Geschwister Maria Magdalena, Martha von Bethanien und Lazarus, den Jesus von den Toten auferweckte.
Doch trotz all dieser bibelgeschichtlich wichtigen Orte ist die wichtigste Stätte im Heiligen Land für Bernhard von Clairvaux und die arme Bruderschaft Christi demnach der Tempel Salomos. Bernhard handelt das »Grab Christi« mit den erstaunlich unspektakulären Worte ab: »Unter den heiligen und erstrebenswertesten Stätten nimmt das Grab gewissermaßen den ersten Platz ein, und ich weiß nicht, ob nicht mehr Andacht empfunden wird, dort wo Christus tot dalag, als wo er auf der Erde erschien [...].«57 Wenn Bernhard schreibt, dass das Grab Christi gewissermaßen – also eigentlich nicht wirklich – den ersten Platz unter den heiligen Orten in Israel einnimmt, erscheint die Grabeskirche erst an elfter Stelle in seiner Lobrede auf die Templer. In anderen Worten: Bernhard fühlt sich genötigt, über die Grabeskirche ein paar wohlwollende Worte zu schreiben – seine wahre Liebe gilt jedoch dem Salomonischen Tempel, den er an erster Stelle anführt. Bernhard bevorzugt das Alte vor dem Neuen Testament. Ein weiterer Beleg für Bernhards Affinität zu den Israeliten. Er schließt: »Siehst du nicht, wie das neue Rittertum so oft durch das Alte Testament bezeugt wird?«
Nicht sehr unbescheiden fügt Bernhard hinzu, dass der Tempel Salomos durch die Anwesenheit der Templer nun selbst das größte Heiligtum geworden sei. Nicht das Gold an den Wänden mache den Tempel Salomos nun wertvoll, sondern die mannigfaltigen Tugenden und die heiligen Taten der Mönchsritter. Wie kann eine Tat heilig sein, wenn nicht auf eine bestimmte Art und Weise die Suche nach einem heiligen Relikt gemeint ist? Der Kampf gegen marodierende Wegelagerer, die Pilger ausrauben und ermorden, kann gewiss nicht als ein heiliger Akt betrachtet werden, denn die Templer um Hugo von Payns widmeten sich dieser Aufgabe nicht im Geringsten. Stattdessen kann Bernhard nur die Grabungsaktivitäten unterhalb des Tempelberges und den erfolgreichen Abschluss ihrer Suche gemeint haben. Denn er schreibt in der Präambel der von ihm mitverfassten Templerregel, dass »das Werk vollendet« sei.
So ist die Aufgabe der Templer also klar umrissen: die Schätze der Heiligen Stadt zu sichern – und auch zu suchen –, bevor sie durch die »Ungläubigen« geraubt werden. Dem Heerführer Gottfried von Bouillon war es gelungen, nach der Eroberung Jerusalems 1099 einen Teil des Kreuzes Christi in Jerusalem für die Christenheit zu sichern.58 In seiner Lobrede erwähnt Bernhard von Clairvaux kein einziges Wort von der Sicherung der Pilgerwege. Stattdessen wird nun die eigentliche Mission der Templer offenbar: Bernhard ruft zur Jagd nach Reliquien im Heiligen Land und insbesondere in Jerusalem auf. Doch nach welcher heiligen Reliquie haben Hugo von Payns und seine Männer mithin in Jerusalem gesucht, sodass Bernhard von Clairvaux in seiner Lobrede behauptet, dass die Templer die wahren Israeliten seien?
Bernhards Lobrede ebnet den Weg für den unaufhaltsamen Siegeszug des Templerordens. Adelige in ganz Europa erklären sich bereit, den Templern bedeutende Summen und Ländereien zu schenken. Aber auch der Klerus zeigt sich bemerkenswert geschmeidig gegenüber dem forschen Vorgehen der Mönchsritter.
Am 29. März 1139 gewährt Papst Innozenz II. den Templern in der Bulle Omne datum optimum die Befreiung von der bischöflichen Weisungsgewalt. Der Templerorden gehorcht nur noch dem Papst – und sonst niemandem. Fortan wird auch der Großmeister nur noch von den Ordensbrüdern gewählt und gleichzeitig die Macht des Großmeisters über die Brüder verstärkt. Innozenz II. gestattet den Templern, ihre eigenen Priester zu ernennen. Ein wichtiger Schritt, der die Geheimhaltung ordensinterner Belange gewährleistet. Die Beichte wird somit von einem Priester der Templer abgenommen und nicht von einem fremden Kleriker. Noch wichtiger ist die Befreiung vom Zehnten. Die Templer müssen keine Steuern entrichten. Dies ist das Fundament für den unfassbaren Reichtum der Mönchsritter, der ihnen am 13. Oktober 1307 zum Verhängnis werden wird. Weitere Privilegien folgen nun Schlag auf Schlag: Am 9. Februar 1143 erweitert Innozenz II. die Vorrechte der Templer mit seiner Bulle Milites templi. Kapläne des Templerordens dürfen nun einmal im Jahr die Messe lesen.
Am 7. April 1145 gestattet Papst Eugen III., ein ehemaliger Zisterzienserabt und Schüler des Bernhard von Clairvaux, den Templern mit der Bulle Militia dei, eigene Kirchen zu bauen und Friedhöfe zu besitzen. Auf dieses Privileg und Papst Eugen III. werden wir noch ausführlich zu sprechen kommen. Papst Eugen III. ordnet noch etwas anderes an: Fortan sollen die Ordensbrüder auf ihren weißen Mänteln auf der linken Schulter über dem Herzen ein rotes Tatzenkreuz tragen – das charismatische Erkennungssymbol des Mönchsritterordens. Weiß steht für die Unschuld, Rot für das Blut Christi. Von nun an sind die Templer eine nicht mehr zu kontrollierende Macht, die über erheblichen politischen Einfluss bei Papst und Königen verfügt – und das in ganz Europa.
Hugo von Payns kehrt 1129 in Begleitung des Grafen Fulko V. von Anjou nach Jerusalem zurück. Sie führen ein kleines Heer aus gewöhnlichen Rittern an, denn noch sind nicht genug Templerbrüder in den Orden aufgenommen worden, um sich an einer Schlacht zu beteiligen. Im gleichen Jahr kämpfen die Templer unter der Führung Hugos von Payns gegen die Seldschuken, als sie Damaskus belagern. Dabei erleidet Hugo herbe Verluste, die Stadt fällt an die Syrer zurück. Der Kampf ist vergeblich und Hugo von Payns stirbt am 24. Mai 1136 in einer Schlacht gegen die Sarazenen.
Ein Templergrabstein in der Abtei Fontenay
In der Ausstellung haben einige Zeitungsartikel meine Aufmerksamkeit erregt. Im September 1998 überflog Dr. Thierry LeRoy mit einem Flugzeug die Felder um Troyes. Dabei entdeckte er auf Fotografien die Konturen von Ruinenresten in der Erde. Nachdem Archäologen das Areal freilegten, stellte sich heraus, dass es sich offensichtlich um die erste Templerkommandantur handelte, die Hugo von Payns dem Templerorden geschenkt hatte. Den Rekonstruktionen zufolge umfasste die Kommandantur zweihundert Hektar Land. Die Gebäude – eine Art Bauernhof – nahmen drei Hektar in Anspruch, darunter befand sich auch eine rechteckige, 20,6 Meter lange und 9 Meter breite Zisterzienserkapelle aus Kreidekalkstein, die von einem Friedhof umgeben war. Die Ausgrabungen der Kapelle waren sehr behutsam, aber nur oberflächlich. Reste von Glas und Blei ließen darauf schließen, dass die Kapelle mit Bleiglasfenstern ausgestattet war. Freskofragmente schmückten die Ruinenwände und bunt glasierte Terracottafliesen ermöglichten den Eindruck von einer typischen zisterziensischen Kapelle jener Epoche. In der Erde fanden die Archäologen mehrere hundert Silbermünzen – einen kleinen, bescheidenen Schatz.
Ich verlasse das Museum und fahre auf die N29 Richtung Troyes, um mir die Ausgrabung aus der Nähe anzusehen, und biege dann nach etwa einem Kilometer scharf rechts ab, auf die D442, die nach Pavillon-Sainte-Julie führt. Nach etwa zweihundert Metern halte ich an. Staub wirbelt in der Luft und die spärliche Vegetation wirft harte Schatten in der Mittagssonne. Weit und breit ist kein Auto zu sehen. Ich steige aus meinem Wagen und suche mit einem Fernglas die Felder ab.
Nach einigen Minuten stockt mir der Atem. Ich erblicke die hellen Umrisse eines Gebäudekomplexes, die sich hinter einem Zaun in den Ackerfurchen abzeichnen. Enttäuschung durchfährt mich, als ich plötzlich begreife. Die Ausgrabungsstelle wurde eingeebnet. Offensichtlich fand sich kein Geldgeber, der die Ausgrabungen finanzieren wollte – und der Bauer, dem das Feld gehört, schien keine Geduld mit den Archäologen gehabt zu haben.
Ich fasse meine bisherigen Erkenntnisse zusammen:
• Neun adelige Ritter versammeln sich 1120 auf dem Tempelberg in Jerusalem, unter ihnen Hugo von Payns, Hugo I. von Champagne sowie Andreas von Montbard, der Onkel des heiligen Bernhard von Clairvaux. Sie alle sind mit den Adelshäusern der Champagne, der Picardie und des Burgund verwandt.
• Die Templer nehmen an keinerlei Kämpfen teil.
• Erst der Patriarch von Jerusalem schlägt vor, dass Hugo von Payns und seine acht Gefolgsleute die Pilgerwege sichern sollen. Es war also nicht die Mission der Templer, als sie nach Jerusalem kamen.
• Archäologische Forschungen unter dem Tempelberg belegen, dass Hugo von Payns und seine Männer Grabungen angestellt und offensichtlich etwas Bestimmtes gesucht haben.
• 1125 stößt Hugo I. von Champagne zu den Templern – nach drei Pilgerreisen ins Heilige Land. Er hat zuvor Frau und Kind verstoßen und seinen Besitz an seinen Neffen Theobald II. übertragen, um sich dem Templerorden anzuschließen und ironischerweise seinem früheren Vasallen Hugo von Payns den Treueeid zu schwören.
• Bernhard von Clairvaux und Abt Stephan Harding von Cîteaux stehen dem Judentum nahe.
• In der Präambel der Templerregel schreibt Bernhard von Clairvaux 1129, dass das »Werk vollendet« sei.
• Bernhard von Clairvaux wirbt 1129 in seiner Lobrede De laude novae militiae für den Templerorden und ruft zur Sicherung der Schätze und Heiligtümer des Heiligen Landes auf, bevor sie den »Ungläubigen« in die Hände fallen.
• Bernhard ruft somit zur Jagd nach Reliquien auf und bezeichnet die Templer als »die wahren Israeliten«, die den Tempel Salomos durch ihre Taten erst heilig machen.
ANMERKUNGEN
40 Albert von Aachen, Buch 12, Kapitel 33, S. 712-713
41 Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, Band II, Innsbruck: Tyrolia-Verlag, 1995, Brief 175
42 Wilcke, Ferdinand, Die Geschichte des Ordens der Tempelherren, Wiesbaden: Marix Verlag, S. 44
43 Ebd., S. 23
44 Charpentier, Louis, Macht und Geheimnis der Templer, Herrsching: Pawlak Verlagsgesellschaft, 1986, S. 48
45 Ursprünglich hatte Bernhard dem Konzil aus Krankheitsgründen abgesagt, wurde jedoch vom päpstlichen Legaten umgestimmt.
46 Bauer, Martin, Die Tempelritter – Mythos und Wahrheit, München: Wilhelm Heyne Verlag, 2003, S. 37
47 Die meisten Biografen, wie etwa Elphège Vacandard, gehen davon aus, dass Bernhard im Jahr 1090 geboren wurde, aber die Quellen geben darüber nicht genauer Auskunft.
48 Manitius, Geschichte III, 531ff., zitiert nach Dinzelbacher, Peter, Bernhard von Clairvaux, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998
49 Exordium, S. 63; zitiert nach Vacandard, Elphége, Leben des Heiligen Bernhard von Clairvaux, Mainz: Verlag Franz Kirchheim, 1897, Band I., S. 91
50 Neander, August, Der Heilige Bernhard und sein Zeitalter, Gotha: Verlag Friedrich Andreas von Perthes, 1865, S. 30
51 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica 8, 26, 61, ed. Cîteaux, documents 208
52 Dinzelbacher, Peter, Bernhard von Clairvaux, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 21
53 Ebd., S. 26
54 Fossier, Robert, L’installation et les Premières Années de Clairvaux, S. 79; Bouchard, Constance Brittain, Sword, Miter, and Cloister: Nobility and the Church in Burgundy, 980-1198, Cornell University Press, Ithaca, New York, 1987, S. 237f., zitiert in: Dinzelbacher, Peter, Bernhard von Clairvaux, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 31
55 Regula 58,24, zitiert in: Dinzelbacher, Peter, Bernhard von Clairvaux, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 31
56 Bernhard von Clairvaux, Liber ad milites templi. De laude novae militiae, veröffentlicht in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, Band I, Innsbruck: Tyrolia-Verlag, 1990, S. 269
57 Ebd., S. 301
58 Runciman, Steven, Die Geschichte der Kreuzzüge, München: DTV, 1995, S. 280
Der Autor
Jahrgang 1973, ist Schriftsteller und Publizist. Seine Themenschwerpunkte sind die Rätsel der Menschheitsgeschichte und theologisch-philosophische Grenzfragen.
Zuletzt erschienen: "Das Heilige Nichts. Gott nach dem Holocaust" (Patmos, 2007; siehe ONLINE-EXTRA Nr. 59) sowie u.a. das vielbeachtete Buch "Im Anfang war (k)ein Gott - Naturwissenschaftliche und theologische Perspekiven" (Patmos, 2004).
Zusammenarbeit mit ARTE TV, WDR sowie MDR.
Website:
www.tobiasdanielwabbel.com