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Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Deutscher Koordinierungsrat

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Koordinierungsrat





ONLINE-EXTRA Nr. 218

März 2015

Werner Trutwin ist nicht nur einer der renommiertesten katholischen Theologen und Religionswissenschaftler, der sich vor allem als Autor und Herausgeber maßgeblicher Unterrichtswerke und Lehrbücher einen Namen gemacht hat, er ist auch Mitglied im soeben mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichneten Gesprächskreis für "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Und dies seit Gründung des Gesprächskreises im Jahre 1971! Somit ist er prädestiniert wie kaum ein anderer, die Arbeit und Geschichte dieses Gesprächskreises vorzustellen, was er in nachfolgendem Text anschaulich getan hat.

Der als ONLINE-EXTRA Nr. 218 hier wiedergegebene Text basiert auf einem Vortrag des Autors, den er im Januar 2015 vor der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Bonn gehalten hat. COMPASS dankt dem Autor für die Wiedergabe seines Textes an dieser Stelle!

© 2015 Copyright beim Autor
online exklusiv für ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 218


Die Buber-Rosenzweig-Medaille 2015 für Prof. Hanspeter Heinz und für den Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

WERNER TRUTWIN


Die Buber-Rosenzweig-Medaille wird seit 1968 jährlich in Erinnerung an die deutsch-jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber (1878-1965) und Franz Rosenzweig (1886-1929) verliehen. Beide waren herausragende Gestalten mit höchst interessanten Biographien. Ihre Schriften haben bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren und werden auch gegenwärtig intensiv studiert. Besonders hervorzuheben sind von Franz Rosenzweig „Der Stern der Erlösung“ und von Martin Buber die Schriften zur Bibel, zu den osteuropäischen Chassidim, zu dem Verhältnis von Israelis und Palästinensern und die philosophische Schrift „Ich und Du“, die das Verhältnis des Einzelnen zu Gott und den Mitmenschen als existentiell und dialogisch beschreibt. Beide haben gemeinsam ein unvergleichliches sprachliches Werk mit dem Titel „Die Schrift“ geschaffen: d. i. die Übersetzung der jüdischen Bibel ins Deutsche. Dieses expressionistische Sprachkunstwerk von Rang wird seinen Platz in der deutschen Literaturgeschichte behalten. Vor allem haben beide Pionierarbeit für die christliche jüdische Verständigung geleistet. Rosenzweig hat sogar einmal ernsthaft den Gedanken erwogen, zum Christentum zu konvertieren, hat sich aber dann doch klar entschieden, Jude zu bleiben und zeitlebens für das Judentum zu arbeiten.

Die Buber-Rosenzweig-Medaille wird im Rahmen der jährlichen stattfindenden Woche der Brüderlichkeit vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit an Personen oder Einrichtungen vergeben, die einen Beitrag für die christlich-jüdische Zusammenarbeit geleistet haben.

Seit Gründung des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (GK) 1971 wurden Rabbiner, systematische Theologen, Historiker, Judaisten, Alt- und Neutestamentler sowie jüdische und christliche Frauen zu Mitgliedern bestellt. Ich selbst gehöre dem Gesprächskreis seit seiner Gründnung 1971 an. Ich wurde wohl als Pädagoge berufen, weil ich 1968 ein auch bei Juden akzeptiertes Lehrwerk für den Religionsunterricht zum Alten Testament veröffentlicht hatte, das sich in Anlehnung an die jüdische Terminologie für die biblischen Schriften „Gesetz und Propheten“ nennt. Seit dieser Zeit hat mir der GK sehr viele Anregungen auch für meine weiteren Arbeiten gegeben.

Der GK ist im Geist des 2. Vatikanischen Konzils entstanden, das von Papst Johannes XXIII. (1958-1963) einberufen wurde. Dieser hatte sich schon lange als Freund der Juden erwiesen, im Zweiten Weltkrieg als Nuntius in der Türkei viele Juden durch einen Taufschein gerettet und sich eindringlich für eine Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses eingesetzt. Das Konzil tagte von 1962 bis 1965 in vier Sitzungsperioden in Rom und brachte viele kirchliche Reformen auf den Weg. Mit seiner Erklärung „Nostra Aetate“ (lat.: „In unserer Zeit“) leitete es 1965 einen Epochenwechsel des katholisch-jüdischen Verhältnisses ein, das Jahrhunderte lang durch eine schreckliche Judenfeindschaft belastet war. Im Geist dieses Konzils, das später von mehreren Päpsten weiterentwickelt wurde, hat der GK immer gearbeitet. Er ist– mindestens in Deutschland – ein wichtiger Faktor in diesem Reformprogramm geworden. Allerdings muss man hier darauf hinweisen, dass die Einstellung und Arbeit des GK nicht ein Spiegelbild des deutschen Katholizismus ist. Unsere Bemühungen um Überwindung der alten antijüdischen Vorurteile waren noch nicht überall in Deutschland – auch nicht im Klerus erfolgreich.

Wenn ich Ihnen nun etwas über den den Gesprächskreis sagen darf, so möchte ich das in vier Schritten tun.

I. Vier Mitglieder – exemplarisch für Trends im GK
II. Der GK – eine Gruppe im Zentralkomitee der deutschen Katholiken
III. Die vielfältigen Arbeitsfelder des GK
IV. Aufgaben für die Zukunft



Der Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken

GESPRÄCHSKREIS "JUDEN UND CHRISTEN"

Der Gesprächskreis „Juden und Christen“, dem zurzeit 12 jüdische und 16 katholische Mitglieder angehören, wurde 1971 vom Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ( ZdK) ins Leben gerufen. Seit 1974 fällt Prof. Hanspeter Heinz die Leitung zu.
Es lag in der Eigendynamik der Sache, dass die ursprüngliche Zielsetzung der Mitgestaltung von Katholikentagen (auch Ökumenischen Kirchentagen), der bis heute zielstrebig beibehalten wird, nach und nach erweitert wurde und der Kreis viele andere Aufgaben wahrgenommen hat:

- richtige Darstellung von Juden und Judentum in Verkündigung, Unterricht und Bildung; ein Projekt war die Revision von Bibelausgaben, Religions- und Geschichtsbüchern für den Schulunterricht (1980)
- Erklärungen zur theologischen Grundlegung des jüdisch-christlichen Dialogs und zu aktuellen Kontroversen, etwa 2007 zur Störung der christlich-jüdischen Beziehungen durch die Wiedereinführung des "Tridentinischen Ritus". Die Erklärungen und Stellungnahmen sind auch auf Englisch publiziert und in Fachkreisen international anerkannt, manchmal auch kontrovers diskutiert
- Vertiefung der Beziehungen zwischen der Kirche mit dem jüdischen Volk; dem dienten Reisen des Präsidiums zusammen mit dem Gesprächskreis nach Israel und New York, Ungarn, Polen, Paris und Rom
- philosophisch-theologische Grundlagenreflexion; dazu wurden Klausurtagungen und Kongresse veranstaltet
- Erarbeitung von Stellungnahmen für den Präsidenten des Zentralkomitees, z. B. zur Anerkennung des Staates Israel durch den Vatikan oder zur Pilgerreise Johannes Pauls II. im Heiligen Jahr 2000 nach Jerusalem.

Der Gesprächskreis ist seit Jahrzehnten weltweit das einzige Gremium, in dem Juden und Katholiken in kontinuierlichem Austausch stehen und zu grundlegenden und aktuellen theologischen Themen gemeinsam Stellung nehmen. 

Homepage:
www.juden-und-christen.de



Ad I. Vier Mitglieder – exemplarisch für Trends im GK

An einigen Mitgliedern kann man exemplarisch ablesen, von welchen Voraussetzungen der GK ausging und in welcher Richtung seine Ziele lagen und liegen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie alle schon früher als Einzelpersonen die Buber-Rosenzweig Medaille erhalten haben. Wenn man von ihnen – hier allerdings nur kurz – hört, ahnt man, welche personelle und fachliche Ressourcen der Gesprächskreis hat und welch verschiedene Arbeitsfelder er abdeckt. Es sind zwei Juden und zwei Christen, zwei Frauen und zwei Männer. Ihre Namen: Gertrud Luckner, Ernst Ludwig Ehrlich, Erich Zenger und Edna Brocke.

(1) Gertrud Luckner – Retterin jüdischen Lebens – Buber Rosenzweig Medaille 1980

Frau Dr. Gertrud Luckner (1900-1995) gab in der Nazizeit ein ungewöhnliches Beispiel des Mutes. Als sie, beruflich bei der Caritas in Freiburg, seit 1933 sah, was mit den Juden in Deutschland geschah, half sie in den nächsten Jahren spontan aus eigenem Antrieb verfolgten Juden. So weit es ihr möglich war, beschaffte sie ihnen Unterkunft, unterstützte sie mit Geld und versorgte sie mit Nachrichten. Vor allem verhalf sie Juden zu Pässen, mit denen sie entkommen konnten. So hat sie vielen Juden das Leben gerettet. Bei ihrer Arbeit wurde sie unauffällig vom Freiburger Erzbischof Gröber unterstützt. Das hat sie stets dankbar betont, wenn von der Einstellung der deutschen Bischöfe in der NS-Zeit die Rede war.

Manche Aktion konnte sie mit dem großen liberalen Rabbiner und Gelehrten Leo Baeck (1873-1965) absprechen, der seit 1933 Präsident der Deutschen Reichsvertretung der Juden war. Baeck selbst wurde 1943 in das Konzentrationslager Theresienstadt eingeliefert, wo er seine jüdischen Mitbürger stärkte und tröstete. Nach der Nazizeit ging Baeck nach London. Man hat von ihm nie ein anklagendes Wort gegenüber den Deutschen gehört. Gertrud Luckner hat er stets stets seine große Dankbarkeit bekundet.

Ihre Bemühungen blieben der Gestapo (Geheime Staatspolizei) nicht verborgen. 1943 wurde sie in einem Eisenbahnzug verhaftet und kam in das Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie körperlich und seelisch schwer misshandelt wurde, aber 1945 die Befreiung erlebte. An den gesundheitlichen Schäden, die sie sich dort durch Gewalt, Hunger und das ständige Schleppen schwerer Zementsäcke zugezogen hatte, litt sie mit einer nicht mehr heilbaren Rückenverkrümmung ihr ganzes Leben lang. Das hat sie nicht daran gehindert, sich nach dem Krieg unermüdlich für die Versöhnung von Juden und Christen einzusetzen.

Bald nach dem Krieg – lange vor dem 2. Vatkanischen Konzil ¬ gründete sie den „Freiburger Rundbrief“. Dieser wurde zu einer der wichtigsten christlich-jüdischen Zeitschriften weltweit. Hier konnten sich prominente Juden und Christen aus Deutschland, Israel und vielen anderen Ländern auf hohem theologischen, historischen und politischen Niveau für eine Verbesserung des christlich jüdischen Verhältnisses bis heute einsetzen.

1948 wurde Gertrud Luckner als dritte Deutsche in den gerade gegründeten Staat Israel eingeladen. 1968 durfte sie in der jüdischen Erinnerungsstätte Yad Vashem in Jerusalem nahe dem Mahnmal für die ermordeten Juden in der „Allee der Gerechten“ einen Baum pflanzen, eine Ehre, mit der Juden Lebensretter auszeichnen. In Naharya trägt heute ein Altenheim ihren Namen, das sie für alte jüdische Frauen eingerichtet hat, die Opfer der Verfolgung waren, aber weil sie keine Dokumente darüber besaßen, bei der deutschen Widergutmachung nicht berücksichtigt wurden. Das Geld für das Altersheim hat sie im wahrsten Sinn des Wortes erbettelt. Im hohen Alter von 95 Jahren ist sie in Freiburg gestorben. Einmal sagte sie von sich: „Eigentlich finde ich, dass ich nichts Besonderes getan habe.“

(2) Ernst Ludwig Ehrlich – Brückenbauer des christlich-jüdischen Dialogs 
Buber-Rosenzweig-Medaille 1976

Zu den anregendsten jüdischen Partnern im christlich-jüdischen Gespräch der Nachkriegszeit zählt der Judaist und Historiker Ernst Ludwig Ehrlich (1921-2007), der selbst die Verfolgung der Nazizeit erlebt und mehrere nahe Angehörige verloren hat. Er war von Anfang an bis zu seinem Tod ein unvergleichlich aktives Mitglied des Gesprächskreises, der ohne ihn wohl gar nicht zustande gekommen wäre. Als er 1971 in Augsburg auf dem sogenannten Augsburger Pfingsttreffen mit dem katholischen Professor Klaus Hemmerle aus Freiburg, später bis zu seinem Tod Bischof von Aachen, und seinem Assistenten Hanspeter Heinz, zusammentraf, unterbreitete er beiden den Vorschlag, einen jüdisch-christlichen Gesprächskreis zu gründen, der ein Pendant zu dem schon bestehenden evangelisch-jüdischen Gesprächskreis werden könnte. Er sollte ein neuartiges Forum für einen christlich-jüdischen Dialog sein. Hemmerle und Heinz ließen sich auf diesen Vorschlag gern ein, zumal er ganz auf der Linie des 2. Vatikanischen Konzils lag. Tatsächlich konnte dieser neue Gesprächskreis noch im gleichen Jahr 1971seine Arbeit aufnehmen. Sein katholischer Leiter wurde Hemmerle, sein jüdischer Partner war Ernst Ludwig Ehrlich. Er bestimmte in seiner 36 Jahre langen Mitgliedschaft weithin die behandelten Themen, er bereitete die Reisen des Gesprächskreises nach Israel und in andere Städte vor, wo er Kontakt mit den jüdischen Gemeinden aufnahm und alle Details organisierte. Er schlug Themen für die Lehrhäuser des Judentums auf den Katholikentagen vor und brachte sich auch selbst immer als Gesprächspartner ein. Seine umfassenden Kenntnisse des Judentums und seine weltweite Vernetzung im Judentum kamen dem GK immer zugute.

Ehrlich war Berliner. Nach seinem Abitur begann er 1940 ein Studium an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums bei keinem Geringeren als bei Leo Baeck. In der Nazizeit musste er Zwangsarbeit leisten, wurde aber eine zeitlang von einer katholischen Familie in Berlin versteckt, der er, wie er mit einmal erzählte, sein Leben verdankte. 1943 konnte er mit einem gefälschten Pass in die Schweiz nach Basel entkommen, wo er später die Schweizer Staatsbürgerschaft erhielt, studierte, promovierte und bis zu seinem Tod lebte. Von 1961 bis 1994 übernahm er den europäischen Direktoriumsposten von B’nai B’rith, d. h. „Söhne des Bundes“, einer der größten jüdischen internationalen Organisationen, die sich für Toleranz und für Aufklärung über das Judentum einsetzt. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils war er als jüdischer Berater von Kardinal Augustin Bea tätig, der zuständig für „Nostra Aetate“ war. Dadurch konnte er auch jüdischerseits auf den Konzilstext Einfluss nehmen. Seine zahlreichen Bücher, Aufsätze und Reden verhalfen dem Dialog zu einer überaus hohen Resonanz. Ein wegweisendes Wort von ihm: „Mehr als die Theologie trennt Juden und Christen die lange Geschichte der Feindschaft der Kirchen gegen die Juden“. Er hat stets daran gearbeitet, der christlich-jüdischen Geschichte eine neue Richtung zu geben.

(3) Erich Zenger – Alttestamentler/Lehrer des Tanach,  Buber-Rosenzweig-Medaille 2009

Erich Zenger (1939-2010) gehörte zu den temperamentsvollsten männlichen Mitgliedern des Gesprächskreises. Er pflegte seine Auffassungen immer mit sympathischer Leidenschaft vorzutragen. Als Alttestamentler – oder als „Lehrer des Tanach“, wie er sich selbst oft vorstellte – wusste er genau, welch verhängnisvollen Einfluss einer der frühesten christlichen Lehrer namens Marcion (ca. 85 -160 n. Chr.) hatte. Dieser hätte am liebsten das Alte Testament für Christen aus dem Verkehr gezogen, ohne daran zu denken, dass das Alte Testament die Bibel des Juden Jesus war, aus der er lebte, die er zitierte und deren Psalmen er betete. Jesus hatte in seiner Rede auf dem Berg gelehrt, dass kein Jota der Schrift geändert werden dürfe. Zwar wurde Marcion an einer völligen Verwerfung der „Schriften“ durch eine frühe kichliche Entscheidung gehindert, aber seine Judenfeindschaft übertrug sich dennoch lange auf die Kirche. Für sie kam das Alte Testment kaum mehr als originär jüdisches Buch in den Blick. Es hatte nur deshalb einen begrenzten Wert, weil es manche Prophetenworte enthielt, die man auf Jesus von Nazaret beziehen konnte. Aber im Grund war das Alte Testament vergangen, im Blick der damaligen Christen galt dessen Gott als ein Gott der Rache, seine Ethik kannte die Nästenliebe nicht, seine vielen Gesetze führten zu einem veräußerlichten jüdischen Legalismus, während die Christen sich einem Gott der Liebe, dem Hauptgebot der Nächstenliebe und der Freiheit des Evangeliums anstelle des Gesetzes verpflichtet fühlten. Zenger hat diese bösartige, verfälschende Beurteilung der Hebräischen Bibel nicht nur überall da, wo er sie antraf, bekämpft – er hat vor allem positiv an einem neuen Grundverständnis des Alten Testaments gearbeitet und es immer als ein Buch des jüdschen Volkes gesehen. Um Missverständnisse zu vermeiden, die aus dem Gegensatz „alt gleich veraltet“ und „neu gleich altuell“ naheliegen, hat er manchmal vom „Ersten Testament“ gesprochen. Zusammen mit dem Bonner Professor Frank Lothar Hoßfeld hat er einen Psalmenkommentar verfasst, der weltweit eine Spitzenstellung einnimmt. Dabei hat er sich ausdrücklich auch auf jüdische Auslegungen gestützt. Zudem hat er eine Einführung in das Erste Testament geschrieben, die heute schon als Klassiker gilt – ebenfalls mit positiver Berücksichtigung rabbinischer Sichten. Als 2001 die Päpstliche Bibelkommission das Dokument „Das Jüdische Volk und seine Heiligen Schriften“ erschien, hat er gejubelt. Da heißt es: „(84) Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift nehmen in der christlichen Bibel einen höchst bedeutsamen Platz ein. In der Tat ist die Heilige Schrift des jüdischen Volkes ein wesentlicher Teil der christlichen Bibel, und sie ist auch im zweiten Teil dieser Bibel in vielfacher Weise gegenwärtig. Ohne das Alte Testament wäre das Neue Testament ein Buch, das nicht entschlüsselt werden kann, wie eine Pflanze ohne Wurzeln, die zum Austrocknen verurteilt ist“. Vor allem wurde nun auch in Rom die Bedeutung der Hebräischen Bibel in ihrer jüdischen Lesung offiziell anerkannt.

Leider ist Erich Zenger ganz unerwartet gestorben. Im April 2010 ist er in seiner Münsteraner Wohnung Samstags auf den Boden gestürzt und hat sich dabei blutige Verletzungen zugezogen, die zum Tod führten.

(4) Edna Brocke – Eine Tochter Zions; Buber-Rosenzweig Medaille 2002

Edna Brocke (geb. 1943) vertritt in unserem Kreis leidenschaftlich, streitbar und kenntnisreich die Interessen Israels. Sie ist eine Großnichte der berühmten Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt (1906-1975), mit der sie viele Kontakte hatte. Die in Jerusalem geborene Israelin verrichtete in Israel ihren Miltärdienst und studierte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, bevor sie 1968 nach Deutschland kam. Sie weiß stets über die dortigen Vorgänge erheblich mehr, als man gewöhnlich in unseren Medien erfährt. So gelingt es ihr fast immer, Israel in einem anderen Licht erscheinen zu lassen als es in der deutschen Öffentlichkeit so üblich ist. Wichtige Arbeitsfelder sind für sie die Politik des Staates Israel und der europäische Antisemitismus.

Ebenso entschieden tritt sie als Anwältin des religiösen Judentums im christlich-jüdischen Gespräch auf. Um es auf einen Nenner zu bringen: sie wehrt sich gegen jede auch indirekte Vereinnahmung des Judentums durch das zahlenmäßig viel stärkere Christentum. Sie will nicht durch eine noch so liebevolle christliche Umarmung ihre jüdische Identität verlieren, auf die sie stolz ist. Sie will auf keinen Fall einen jüdisch-christlichen Einheitsbrei, der nur die Gemeinsamkeiten betont, die großen Verschiedenheiten aber eher übersieht.Voll Selbstbewusstsein vertritt sie das Judentum und weist immer wieder auf die Asymmetrie von Judentum und Christentum hin. Leidenschaftlich betont sie, dass die jüdische Religion an das jüdische Volk gebunden ist, das in Israel ein eigenes Land hat und dessen Gott der Gott Israels ist. Volk – Land – Gott bilden im Judentum eine triadische Einheit, die bewirkt, dass Israel als Religion mit dem Christentum unvergleichbar ist, da das Christentum weder an ein bestimmtes Land noch an ein bestimmtes Volk gebunden ist. Den Christen im Gesprächskreis stellt Edna Brocke immer die schwierigsten Fragen, z. B. obwohl wir vielleicht doch jenseits des Dialogs letztlich an die Rettung Israels durch den Messias Jesus glauben und darauf hoffen. Mit ihr zu streiten ist immer schwierig, immer aber auch ein Gewinn.

In Deutschland beteiligt sie sich neben dem christlich-jüdischen Gespräch auch am deutsch-israelischen Dialog. Sie erteilt jüdischen Religionsunterricht und war bis zu ihrer Pensionierung Leiterin der alten Essener Synagoge, die sie mit ihren originellen Ideen zu einem kulturellen Zentrum der Sttadt gemacht hat.



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II. Der GK – eine Gruppe im Zentralkomitee der deutschen Katholiken

Der vielstimmige Chor des GK wird von dessen kompetenten, wortgewandten und zugleich humorvollen Leiter Prof. Hanspeter Heinz (geb. 1939), Augsburg geleitet und moderiert. Er wurde in Köln geboren und hat sich seine rheinische Fröhlichkeit immer bewahrt. Das hindert ihn nicht daran, ein streitbarer reformorientierter Theologe zu sein, der bereit ist, Tabus zu brechen, der mit Bischöfen offenen Streit wagt und der einer der besten Kenner der Homosexuellen-Problematik ist.

Der Gesprächskreis ist einzigartig auf der ganzen Welt. Nirgends sonst in der Welt – auch nicht in Italien, Frankreich, den USA oder Israel – gibt es seit nun 44 Jahren eine feste Einrichtung, in der Juden und Christen regelmäßig zusammenkommen, um sich selbst Aufgaben zu stellen und an diesen selbstgestellten Aufgaben zu arbeiten. Sie können dies als eigene Arbeitsgruppe des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) tun, das seit 150 Jahren besteht und zur Zeit über 5 Millionen Mitglieder hat. Das ZdK ist der Dachverband aller katholischen Verbände mit seinem Sitz in Bonn. In seiner Arbeit ist der GK völlig frei. Nur seine Publikationen müssen vom Präsidium des ZdK genehmigt werden, weil sie unter dem Namen des ZdK erscheinen. Ich habe aber nie erlebt, dass eine von uns erarbeitete Publikation auch nur geringfügig zensiert worden wäre. Für uns ist es gut, dass die Arbeiten unter einem so renommierten Namen publiziert werden können, weil sie so nicht bloß als die Arbeit einer kleinen Gruppe von Privatleuten, Spezialisten und Idealisten erscheint, die nicht viel Bedeutung beanspruchen kann.

Wie die über 100 Gruppen des ZdK selbst wird auch der GK alle vier Jahre neu berufen. Der GK selbst macht die Vorschläge für die neuen Kandidaten. Diejenigen Mitglieder, die nicht aktiv gearbeitet haben oder die freiwillig ausscheiden wollen, werden nicht mehr berufen, an ihre Stelle tritt die Neuwahl durch das Präsidium des ZdK, das fast immer unseren Vorschlägen folgt. Durch diese Fluktuation ist sowohl eine hohe Konstanz wie eine ständige Verjüngung des GK gegeben. Immer wird bei der Auswahl auf eine facettenreiche Zusammensetzung geachtet. Dabei ist die Suche nach jüdischen Mitgliedern erheblich schwieriger, weil die Juden schon zahlenmäßig in Deutschland eine Minderheit bilden. Trotzdem ist es uns immer wieder gelungen, bei ca. 30 Mitgliedern etwa ein Drittel jüdische Teilnehmer zu gewinnen, unter ihnen eine gute Mischung aus orthodoxen, konservativen und liberalen Juden vor allem auch unter den Rabbinern. Zur Zeit ist der jüdische Anteil noch größer. Der GK hat heute 17 christliche und 15 jüdische Mitglieder. Was unsere Publikationen betrifft, so sind wir uns darin einig, dass sie einstimmig verabschiedet werden müssen, weil wir bei uns keine Minderheiten wünschen, die sich überstimmt fühlen. Das bedeutet, dass wir meist lange über unsere geplanten Schriften diskutieren müssen. Zum Schluss geht es oft nur noch um einzelne Formulierungen. Manchmal wird ein verbleibender Dissenz in den Papieren offen beschrieben. Dialog kann mühsam sein. Aber nur so ist der Dialog fruchtbar.


III. Die Arbeitsfelder des GK

(1) Wie schon angedeutet, haben wir seit unserem Bestehen 1971 die alle zwei Jahre stattfindenden Katholikentage um das Thema Judentum bereichert. Es fanden da einmal große Foren statt, auf denen meist sach- und fachkundige Juden Vorträge hielten und sich auf lebhafte Diskussionen einließen. Darüber hinaus wurde seit etlichen Jahren eigens ein „Lehrhaus Judentum“ eingerichtet, in dem in kleineren Räumen elementare Themen behandelt wurden, die jüdische Grundkenntnisse vermitteln wollen, z. B. zur jüdischen Bibel, zum Talmud, zur Feier des Schabbat, zum jüdischer Messiasglauben, zu Israel und der Diaspora, Richtungen/Gruppierungen im Judentum, koschere Küche, Stationen der jüdischen Geschichte u.v.a. Fast alle unsere Beiträge zum christlich-jüdischen Verständnis waren gut besucht, gerade auch von jungen Leuten.

(2) Wir haben Kontakte zu jüdischen Gemeinden in Deutschland, auch zum Zentralrat der Juden in Frankfurt, aufgenommen und vor allem jüdische Gemeinden im Ausland besucht. Wir waren in Krakau und sind durch Auschwitz gegangen, wir waren in Prag und Budapest, in Rom, im Vatikan und in Paris. 

(In den USA hatten wir in ein unerwartetes Erlebnis. Als wir in New York, der Stadt mit dem größten jüdischen Anteil in der ganzen Welt, in Broklyn eine jüdische Buchhandlung besuchen wollten, schrie uns der jüdische Buchhändler an, als er an unserer Sprache erkannte, dass wir aus Deutschland kommen mussten. Offensichtlich hielt er uns für Nachkommen der Nazis und war aufgebracht über unser Vorhaben. Er selbst stammte aus Osteuropa, wie sich später herausstellte. Als er sein Schreien beendet hatte, ergriff Ernst Ludwig Ehrlich die Initiative. Er outete sich als Schweizer Jude und sprach Jiddisch, so dass der Buchhändler ihm zuhörte. Er sagte ihm, dass wir zwar Deutsche seien, aber solche, die sich ernsthaft um ein neues Verhältnis zum Judentum bemühten und dass wir das auch in New York wollten, wo wir auch Kontakte mit jüdischen Politikern, Wisenschaftlern und Rabbinern hätten. Ehrlichs Erklärung beruhigte den Buchhändler so, dass er uns doch in sein Geschäft hereinließ und sehr interessant mit uns sprach.) 

Der Höhepunkt unserer Reisen war immer Israel, wo wir schon mehrfach waren und auch im nächsten Jahr wieder mit dem Präsidium des ZdK hinfahren. Da haben wir am jüdischen Leben teilgenommen, Akademien veranstaltet, die hebräische Universität, jüdische und christliche Institute und den deutschen Botschafter besucht, auch mit führenden Wissenschaftlern, Rabbinern, Patriarchen und Bischöfen gesprochen. Aus diesen Reisen sind Kontakte entstanden, die bis heute Bestand haben.

(3) Immer wieder wurden hier auch religionspädagogische Themen begandelt. Eine der wichtigsten Entscheidungen war es, eine wissenschaftliche Untersuchung zu allen vorhandenen katholischen Schulbüchern anzuregen, die Dr. Peter Fiedler, später Mitglied des GK, zum Thema seiner Habilitationsschrift machte. In seinem grundlegenden Werk „Das Judentum im katholischen Religionsunterricht“ (Düsseldorf 1980) hat er nicht nur alle gängigen Schulbücher genau analysiert und dabei katastrophale Ergebnisse konstatiert, sondern auch einen minutiösen Kriterienkatalog entwickelt, wann eine Aussage zum Judentum falsch, schief, missverständlich oder gut und richtig ist. Dieser Katalog wurde weitgehend von den bischöflichen Schulbuchkommissionen übernommen, die die Schulbücher für den RU prüfen und zulassen. Heute informieren alle katholischen Schulbücher, die ich kenne, sachlich und sympathisch über das Judentum. Sie sind weithin frei von alten Vorurteilen und Beleidigungen.

(4) Besonders große Mühen haben uns unsere zahlreichen Schriften gemacht, die wir seit etwa 40 Jahren publiziert haben.

– 1975 erschienen die „Theologischen Schwerpunkte des christlich jüdischen Gesprächs“. Hier haben wir nach dem ersten mühevollen und tastenden Kennenlernen dargelegt, welche theologischen Fragen uns bewegen, z. B. wer Jesus von Nazareth ist, der für die Christen der Messias ist, für die Juden bestenfalls ein jüdischer Lehrer sein kann. Wir nahmen uns vor, die jüdischen und die christlichen heiligen Schriften miteinander zu vergleichen und zu klären, was wir gegenseitig voneinander – theologisch gesehen – halten. Diese Thematik ist bis auf den heutigen Tag immer wieder aktuell.

– Von praktischer Bedeutung erschien uns die Tatsache, dass viele christliche Pilger in das heilige Land fahren, dort die christlichen Gedenkstätten besuchen, meist in christlichen Hospizen wohnen, aber von Israel und seinen jüdischen Bewohnern kaum Notiz nehmen. Deshalb haben wir mit dem katholischen Bibelwerk in Stuttgart einen einen kleinen, handlichen Reiseführer verfasst, der davon ausgeht, dass das heilige Land nicht zu einem christlichen Museum für biblische Altertumskunde werdern darf, sondern ein lebendiger moderner Staat ist, dessen viele Probleme auch Christen interessieren sollten und müssten.

– Großes Aufsehen erregte die 1988 erschienene Schrift „Nach 50 Jahren … Wie reden von Schuld, Leid und Versöhnung?“ Darin werden differenzierte jüdische und christliche Antworten gegeben, die für die christlichen Leser klären sollen, dass für Juden Versöhnung eine zentrale religiöse Kategorie ist. Hier wurde auch verdeutlicht, dass die von den Juden oft leichhin geforderte Bereitschaft, uns endlich nach 50 Jahren unsere Schuld am Holocaust zu vergeben, sinnlos ist, weil Juden nicht ein Verbrechen vergeben können, was nicht gegen sie persönlich verübt wurde.

– Grundsätzlich war dann auch die umfangreiche Schrift „Nachdenken über die Schoa. Mitschuld der Verantwortung der katholischen Kirche“ aus dem Jahr 1998. Sie kritisiert ein vatikanisches Dokument über die Schoa, das zwar als die erste offizielle Stellungnahme der Gesamtkirche zur Schoa begrüßt wurde, aber doch aus unserer Sicht erhebliche Mängel hatte. Das wichtigste, von uns attackierte Defizit war die Aussage, dass Angehörige der Kirche schuldig geworden sind, von der Schuld der Kirche selbst aber nicht die Rede war. Dem stand in Rom wohl der Satz des Glaubensbekenntnisses entgegen, dass die Kirche als Ganze heilig ist. Diese Sicht konnten wir nicht gelten lassen.

– Die mit Abstand größte Resonanz in der Kirche, aber auch in deutschen Öffentlichkeit fand unsere 2009 herausgegebene Erklärung „Nein zur Judenmission – Ja zu dem Dialog mit den Juden“. Da haben wir tatsächlich – ohne es zu ahnen – einen Nerv getroffen. In allen großen deutschen Tageszeitungen wurden mehrere ganzseitige Grundsatzartikel, Zustimmungen und Ablehnungen mit wechselnden Argumenten veröffentlicht. Noch viel größer war die Zahl der Leserbriefe. Die offizielle Stellungnahme der deutschen Bischofskonferenz wurde von dem damaligen Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, heute Kardinal und höchst konservativer Präfekt der Glaubenskongregation in Rom, verfasst. Sie verwarf unseren Text gründlich, weil er angeblich auf einer schlechten Theologie basiere und weil es uns als Laiengremium nicht zustehe, uns öffentlich in einer Sache zu äußern, die allein das Lehramt der Kirche entscheiden könne und dürfe. Diese Argumentation hat uns natürlich nicht von unserer Auffassung abbringen können, wohl aber veranlasst, uns noch einmal intensiver und umfassender mit dem Thema zu befassen und auch Wissenschaftler zu gewinnen, die dem GK nicht angehören. Das Ergebnis liegt in dem umfangreichen Band mit dem Titel „Das Heil der anderen“ vor, der von unseren beiden GK-Mitgliedern Hubert Frankemölle und Joseph Wohlmuth herausgegeben wurde. Seitdem hat sich die Diskussion beruhigt und versachlicht. – Wie Papst Franziskus zur Judenmission steht, wissen wir nicht. Auf jeden Fall sehen wir, dass er keine Judenmission betreibt. Seit Jahrzehnten pflegt er in Buenos Aires einen überaus herzlichen Umgang mit jüdischen Freunden und Gemeinden. Der erste Besuch nach seiner Papstwahl kam aus Argentinien. Es war sein alter Freund, der Rabbiner Abraham Skorka, der u. a. Rektor der lateinamerkanischen Rabbinerseminars ist.

– Zuletzt haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Beschneidung in Deutschland nicht wegen angeblicher Körperverletzung rechtlich verboten werden dürfe. Zur Zeit arbeiten wir intensiv an dem Thema „Antisemitismus in Deutschland“, wobei wir die neuesten Entwicklungen berücksichtigen werden. Eine kleine Arbeitsgruppe untersucht die Art und den Umfang des Judentums in Kinderbibeln. Die Ergebnisse gehen an die entsprechenden Verlage.


IV. Aufgaben für die Zukunft

Wir sehen mit Dankbarkeit, dass sich in den letzten Jahrzehnten viel im christlich-jüdischen Verhältnis verbessert hat, sind aber keineswegs in jeder Hinsicht optimistisch. Es ist unverkennbar, dass das Interesse am Thema in den letzten Jahren eher abnimmt, selbst in der Kirche und in der Theologie. Gruppen wie den GK hält man vielerorts für eine kleine, unbedeutende Minderheit von Spezialisten, die sich ein etwas abseits gelegenes Hobby herausgesucht haben und sich daran abmühen.

In Wirklichkeit – so wird gegen uns argumentiert – hätten die Kirche und die Theologie andere Sorgen, die die Existenz des Christentums bedrohen, als da sind das ungeklärte Verhältnis zu Aufklärung und Säkularisation, die beide das Denken der Gesellschaft bestimmen, aber in der Kirche noch nicht die notwendige Resonanz gefunden haben; die Gottesfrage, die gesellschaftlich bedeutungslos zu werden scheint; die Stagnation in der Ökumene; das Verhältnis zum Islam usw. Alle diese Probleme machen die Arbeit des GK nicht überflüssig, weil wir glauben, dass die Beziehung zum Judentum für das Christentum fundamental und konstitutiv ist.

Drei Zukunftsaufgaben seien noch kurz erwähnt:

(1) Die Erinnerung an Auschwitz droht nach 70 Jahren zu verblassen. Die Zahl der Zeitgenossen der Katastrophe wird täglich geringer. Das große Engagement früherer Generationen lebt nur noch in deutlich verminderter Form weiter. Auschwitz droht seine Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit zu verlieren, indem es von anderen aktuellen Katastrophen verdrängt wird und im Strom der Geschichte versinkt. Hinzu kommt, dass auch die Erinnerung an die Judenerklärung des 2. Vatikanischen Konzils, die einmal Begeisterung auslöste, kaum mehr vorhanden ist. Dem gilt es entschieden entgegenzutreten.

(2) Das Thema Juden und Christen wird mehr und mehr vom Problem Israel verdrängt. In unseren Medien wird Israel überwiegend verzerrt und verständnislos dargestellt. Man wirft den Israelis lauthals vor, rassistisch und brutal mit den Palästinensern umzugehen und alle Friedensbemühungen zu torpedieren. Dieses Medien-Israelbild belastet auch das christlich-jüdische Gespräch, weil es den Eindruck erweckt, dass die Juden aus dem Prinzip der Rache, Intoleranz und Unversöhnlichkeit leben. Ich persönlich halte dieses Problemfeld für besonders vordringlich und schwierig für den Dialog.

(3) Bei unseren jungen Leuten, bei Schülerinnen und Schülern, gerät das Thema Judentum immer weiter aus dem Blickfeld. Es kostet große Mühe, dafür Interesse zu wecken, zumal auch das Christentum für viele junge Leute zur Fremdreligion geworden ist. Wenn hier nicht ein Umschwung gelingt, hat dies für das christlich-jüdische Gespräch der Zukunft erhebliche Folgen.

Alle diese Aufgaben zeigen, dass auf den GK große Herausforderungen warten. Er muss dabei helfen, das Thema Judentum in der Kirche und darüber hinaus in der Öffentlichkeit wach zu halten und so gar neu zu wecken. Das verbindet den GK auch mit allen christlich-jüdischen Gesellschaften und solchen Personen, wie sie heute Abend hier versammelt sind. Dass es so viele sind, erweckt auch wieder Hoffnung.



Der Autor

WERNER TRUTWIN

Dr. h.c., Jhg. 1929, ist katholischer Theologe und Religionswissenschaftler. Er hat sich als Herausgeber und Autor mehrerer Unterrichtswerke und Lehrbücher für den katholischen Religionsunterricht einen Namen gemacht.

2009 Ehrendoktorwürde der kath. Fakultät der Uni Bonn. Seit Jahrzehnten ist er im Christlich-Jüdischen Gespräch aktiv und so auch - seit seiner Gründung in 1971 - Mitglied im Gesprächskreis ‚Juden und Christen‘ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken.“ 

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