ONLINE-EXTRA Nr. 155
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"Gott ist einer" - Etwa vier Milliarden Menschen auf der Welt - Juden, Christen und Muslime - bekennen sich zu dem einen und einzigen Gott, dem sich einst Abraham zuwandte und auf den sich alle drei großen monotheistischen Religionen berufen. Adonai – Christus – Allâh - Das Bekenntnis zu diesem einen Gott eint die drei Religionen, jedoch angesichts der "unterschiedlichen Zugänge zu dem einen Gott und angesichts der verschiedenen Ausformungen des Glaubens und seiner Praxis stellen sich viele die Frage: Ist es derselbe Gott, an den Juden, Christen und Muslime glauben?". So die Leitfrage im nachfolgenden Beitrag des im christlich-jüdischen wie auch christlich-muslimischen Dialog bewanderten Theologen Dr. Andreas Goetze. Sein Beitrag "Adonai – Christus – Allâh. Ein „Gott-Nach-Denken“ im interreligiösen Dialog" möchte er als "Spurensuche verstehen; die ein Gespräch zu dieser Fragestellung eröffnen möchte".
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Online-Extra Nr. 155
Allâh ist für Muslime der Gottesname für den einen Gott. Wenn Christen im Orient von ihrem Gott sprechen, sagen sie ebenfalls Allâh. Dieses arabische Wort ist das Äquivalent zum hebräischen „´êlohîm“ und meint ebenfalls den einen und einzigen Gott.
„Gott ist einer“ ist das gemeinsame Grundbekenntnis von Juden, Christen und Muslimen. Alle drei monotheistischen Religionen haben ihre Wurzeln im großsyrischen Raum zwischen Mittelmeer und Mesopotamien und teilen als gemeinsames Erbe diesen zentralen Glaubenssatz1. Das zeigt auch schon die sprachliche Verwandtschaft: Allâh steht sprachlich mit der semitischen Wurzel „´êl“ bzw. ´êloh“ (wahrscheinlich „erhaben“, „stark“) in Verbindung2, deren Pluralwort „´êlohîm“ in der hebräischen Bibel vielfach für Gott gebraucht wird (manchmal auch für die Götter im Gegensatz zu JHWH, dem einen Gott)3.
„b-rêshit brâ ´alâha“, so lautet im palästinensischen Aramäisch im 2. Jht. n. Chr. der Anfang der Bibel: „Am Anfang schuf Gott (Himmel und Erde)“ (Gen. 1,1) und weist auf den syro-aramäischen Hintergrund des heute für den einen und einzigen Gott im Arabischen gebrauchten Wortes Allâh. Die älteste griechische Übersetzung in jüdischer Tradition (die Septuaginta aus dem 1. Jht. v. Chr.), die auch die ersten Christen nutzten, übersetzt Gen. 1,1 entsprechend mit „ho theos“ („der eine Gott“).
Was sprachlich als Verwandtschaft angezeigt ist, lässt sich auch im Bekenntnis feststellen: Ca. vier Milliarden Menschen, Juden, Christen und Muslime in aller Welt, berufen sich auf Abraham und seine Bekehrung zu dem einen und einzigen Gott. Doch angesichts der unterschiedlichen Zugänge zu dem einen Gott und angesichts der verschiedenen Ausformungen des Glaubens und seiner Praxis stellen sich viele die Frage: Ist es derselbe Gott, an den Juden, Christen und Muslime glauben?4 Die nachfolgenden Überlegungen möchte ich als eine Spurensuche verstehen; die ein Gespräch zu dieser Fragestellung eröffnen möchte.
Religionswissenschaftliche Vorüberlegungen
Keine Religion ist vom Himmel gefallen5. Keine der Religionen – ob Judentum, Christentum oder Islam – ist aus sich selbst heraus zu verstehen, sondern nur im Kontext des Großraumes Syrien6. Jede Religion nahm zahlreiche lokale Formen des Glaubens und der Religionspraxis in ihr jeweiliges Konzept auf und interpretiert sie auf neue Weise. Das Geflecht der historischen Abhängigkeiten ist dementsprechend vielfältiger und komplizierter als vielfach bekannt und angenommen.
Identitätssuche in diesem gesellschaftlichen Kontext war eine mühsame und langwierige Angelegenheit und äußerte sich zwischen den Polen Übernahme und Abgrenzung, Anpassung und Aufstand. Die unterschiedlichen Ausprägungen des religiösen Denkens (von Judentum, Christentum und Islam) lassen sich dadurch erklären, dass die jeweiligen Gruppierungen aus dem einen Kulturraum eine Auswahl aus dem allgemein verfügbaren religiös-kulturellen Erbe getroffen haben und diese Auswahl zum entscheidenden Fundament ihrer Interpretation von Religion machten7. Ähnlich wie es dem Christentum nicht möglich war, seine Theologie und seine praktische Religionsausübung frei von Anknüpfungen an das Judentum und die heidnischen Kulte im 1. Jahrhundert zu entwickeln, war auch das System religiöser Ausdrucksformen im Islam insofern begrenzt, als er auf Elemente vor allem von Judentum und Christentum zurückgreifen musste8.
Es versteht sich von selbst, dass in einem solchen Lebensraum, in dem das geistige Erbe so dicht zusammenlag, wechselseitige Beeinflussungen die Regel waren. Das bedeutet, dass immer wieder die Tendenz zur Abgrenzung gegenüber dem anderen spürbar war – gerade weil man um das gemeinsame geistige Erbe wusste. Jede der Religionen musste ja ihre Identität erst suchen in der Auseinandersetzung mit den sie umgebenden Strömungen und Glaubensrichtungen9. Diese Grundhaltung prägt bis heute den interreligiösen Dialog: Das Trennende wird stärker betont als die gemeinsamen Wurzeln, die Feindbilder mehr gefördert statt eine Verstehensbrücke zwischen den Religionen und Kulturen zu bauen.
Ein religionswissenschaftlicher Ansatz mag in dieser Hinsicht das Gespräch und die gegenseitige Achtung unter den Religionen fördern. Er eröffnet die Möglichkeit, das gemeinsame Erbe auch im christlich-islamischen Dialog zu würdigen. Im jüdisch-christlichen Dialog wurde das gemeinsame Erbe Jahrhunderte lang mit all den schmerzhaften Folgen außer Acht gelassen. Christen haben erst nach vielen Jahrhunderten mühsam gelernt, im Judentum eine verwandte Religion zu sehen. Ein Blick auf die gemeinsame Geschichte kann helfen, aktuelle Wahrnehmungen zu relativieren, besonders in der heutigen Zeit, in der es manchmal den Anschein hat, als stünden sich Christentum und Islam nur unversöhnlich gegenüber10. Es ist hilfreich, seinen Blick zu weiten und zu lernen, die Darstellung der eigenen Religion(-sgeschichte) nicht absolut zu setzen und den Andersgläubigen bei allen vorhandenen Unterschieden als „nächsten Verwandten“ zu sehen11.
Der eine und derselbe Gott?
Meine Grundannahme ist: Der Glaube an den einen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, verbindet Juden, Christen und Muslime. Es gibt erhebliche Unterschiede im Verständnis, wie sich Gott den Menschen und der Welt zuwendet und wie der eine Gott von den Menschen angebetet wird Wenn sich Juden, Christen und Muslime auf Gott beziehen, ist das Subjekt derselbe. In den Zugängen zu und den Aussagen über diesen einen Gott unterscheiden sie sich, weil sie von dem einen Gott nicht dasselbe glauben.
Es liegt ein feiner, aber wesentlicher Unterschied in den Worten „derselbe“ und „dasselbe“. Die Gläubigen in den drei monotheistischen Religionen beziehen sich auf denselben Gott, ohne dasselbe von ihm auszusagen – das ist innerkonfessionell ebenso erkennbar wie interreligiös. Vier Aspekte bewegen mich in einer ersten Annäherung, in diese Richtung „Gott-Nach-Zu-Denken“:
1. „Gott ist der Herr“ ist die Grundbefindlichkeit aller Glaubenden, ob sie Juden, Christen oder Muslime sind. Gemeinsam ist das Verständnis, dass alle Menschen grundsätzlich auf den einen Gott bezogen sind. Dieses Grundverständnis ergibt sich aus dem gemeinsamen religiösen und kulturellen Erbe im Großraum Syrien.
2. Wenn es nur einen Gott gibt, der Himmel und Erde geschaffen hat, dann sind alle Lebensäußerungen in diesem Kosmos von diesem einen Gott (vgl. Apg. 17, 27f). Der Glaube an den einen und einzigen Gott verbindet jüdische, christliche und muslimische Traditionen. Es ist derselbe Gott, der Mose begegnet, in dessen Namen die Propheten sprechen, von dem Johannes der Täufer Zeugnis gab und von dem Jesus seine Jünger lehrte, ihn „Abba“ anzurufen.
Den Gott des Qur’ân zurückzuweisen würde von daher darauf hinauslaufen, den Gott der hebräischen Bibel und der Evangelien zurückzuweisen. Die Testfrage dabei lautet: Wer würde vom Gott der Väter und Propheten der hebräischen Bibel (des Alten Testaments) oder vom Gott Johannes des Täufers, Marias oder der anderen Personen in den Evangelien behaupten, es sei nicht der christliche Gott nur, weil alle diese noch kein trinitarisches Gottesverständnis gehabt haben?
3. Den ewigen und einzigen Gott und den sich verändernden Kosmos, die Welt und die Menschen miteinander in Beziehung zu bringen, ist für alle drei monotheistischen Religionen eine ständige Herausforderung, die zu ganz ähnlichen Fragestellungen und Aporien führt.
Christen und Muslime (und Juden) haben sich daran gewöhnt, sofort auf ihre unterschiedlichen Antworten zu schauen anstatt erst einmal gemeinsam zu entdecken, wie viele Fragestellungen sie verbinden. Viele der aus der christlichen Theologie- und Dogmengeschichte vertrauten Fragen sind ebenfalls in der islamischen Theologie diskutiert worden bzw. werden es noch immer12.
Die philosophisch-begrifflichen Probleme im Islam sind denen des Christentums sehr ähnlich Wie kann von dem einen, transzendenten, unsichtbaren Gott in der sichtbaren Welt geredet werden? Im islamischen Kontext kann die Frage folgendermaßen weitergeführt werden: Wenn die Attribute bzw. Eigenschaften Gottes aus dem Wesen Gottes kommen, sind sie einerseits vom Wesen Gottes verschieden, andererseits aber auch damit identisch. Verschiedenheit würde aber der Einheit Gottes entgegenstehen und den Verdacht der „Beigesellung“ (arabisch: „širk“) nach sich ziehen. Wie sind also Gott und die göttlichen Attribute auszusagen, ohne dass der Glaube an den einen Gott in Frage gestellt wird? Ebenso: Wenn der Qur’ân selbst ewig ist, wie kann er dann kein „zweiter Gott“ sein?. Wenn im Christentum von dem einen Gott in drei Personen gesprochen wird, bleibt die Frage: Wenn Jesus von Ewigkeit her der „Sohn Gottes“ ist, wie kann dann der Glaube an den einen Gott bewahrt bleiben? Weitere gemeinsame Fragestellungen sind: Wie denken und glauben wir die Vermittlung von Gottes Wort? Wie hängen Glauben und Handeln zusammen?
4. Diese Fragen wurden und werden innerhalb jeder Religion auf sehr unterschiedliche Weise beantwortet – ganz unabhängig der geltenden vorherrschenden Lehrmeinung. Dies führt zunächst einmal zu Trennungen innerhalb (!) der Religionsgemeinschaften und nicht zu denen zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen. „Die Gottesvorstellungen innerhalb einer Religion können so verschieden sein wie die Gottesvorstellungen zwischen den Religionen. Aber auch hier gilt: Anders an Gott glauben, heißt nicht, an einen anderen Gott glauben, weshalb ich davon ausgehe, dass auch jene Mitchristen an den gleichen Gott glauben wie ich“13 – und ich ergänze: auch wenn sie von demselben Gott nicht dasselbe aussagen und dementsprechend ganz anders von Gott reden als ich.
Erst mühsam haben Christen Dank des jüdisch-christlichen Dialogs nach dem zweiten Weltkrieg und den Schrecken der Shoa anerkennen gelernt, dass die Zurückweisung der Trinitätslehre und des Messias Jesus nicht bedeutet, dass Juden an einen anderen Gott glauben als Christen. Der „jüdische Gott“ ist kein anderer als der Gott, den Christen trinitarisch bekennen.
Wer den nicht-trinitarischen Gott des Qur’ân zurückweist, müsste es folgrichtig auch gegenüber dem Gott tun, den das Volk Israel in der hebräischen Bibel bezeugt. Das soll im Folgenden noch etwas deutlicher werden.
Religion fällt nicht vom Himmel
Im Großraum Syrien liegt die Wiege von Islam, Judentum und Christentum: eine Region voller spannender Begegnungen und wechselseitiger Beeinflussungen. Andreas Goetze nimmt den Leser mit auf eine interessante Reise zu den gemeinsamen Ursprüngen der drei monotheistischen Weltreligionen und zeichnet die Entstehungsgeschichte des Islams nach. Mit einem Begriffslexikon, einer Übersicht zum arabischen Alphabet, Karten und Abbildungen sowie einer vergleichenden Chronologie.
Trinitarisches Gottesverständnis in Spannung zu jüdisch-muslimischem Denken
Bei der Gottesfrage steht aktuell das muslimische und christliche Gottesverständnis im Focus. Der Basler Systematik-Professor Reinhard Bernhardt fragt zu Recht14: „Wenn bestritten wird, dass Christen und Muslime zum gleichen Gott beten, dann stellt sich die Frage, wie der Gott, zu dem in der Moschee gebetet wird, theologisch zu beurteilen ist. Ist es überhaupt Gott? Oder handelt es sich um einen Wüstendämon, wie die christliche Polemik immer wieder behauptet hat und bis in die Gegenwart behauptet?“ Für die Antwort auf diese Fragen scheint mir mit Bernhardt äußerst hilfreich, den jüdischen Gesprächspartner mit einzubeziehen15: „Denn wenn man argumentiert, Gott habe sich in Jesus Christus in seinem Selbstsein identifiziert, es also keine Gründe für die Annahme gebe, dass die Muslime an den gleichen Gott glauben, dann müsste dieses Urteil auch für das nachbiblische Judentum gelten. Auch der Gott, der sich auf der Traditionslinie der jüdischen heiligen Schriften, dem Tanach, dem Talmud und den Midraschim erschlossen hat, hat sich nicht mit Jesus Christus identifiziert. Nimmt man das Selbstverständnis des Judentums ernst, dann müsste man konsequenterweise sagen: Es gibt keine Gründe für die Annahme, dass die Juden an den gleichen Gott glauben“.
Aus jüdischer und muslimischer Perspektive gilt dabei, was Herbert Vorgrimler festgehalten hat16: „Der christliche Glaube an den dreieinigen Gott hat zu tief einschneidenden Spannungen zwischen den monotheistischen Religionen geführt. Gläubige Juden können sich mit dem christlichen Glauben an die Menschwerdung Gottes in dem Menschen Jesus von Nazaret nicht abfinden. Sie verstehen darunter die Meinung, Gott habe sich in einen Menschen verwandelt. Wenn Katholiken Maria als ‚Gottesmutter’ verehren, dann ist für sie die Gotteslästerung vollkommen (…) Der eine ursprungslose Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde (…) kann keine Menschenmutter haben. Eine Frau, die Gott gebären kann?“
Hier äußert sich ein großes Problem, wenn das christliche Bekenntnis zu dem einen Gott nicht klar durchgehalten wird, wie es noch der Apostel Paulus verbunden mit der jüdischen Tradition getan hat (1. Kor. 8,4-6)17. Die altkirchliche Tradition betet zu Gott „durch Jesus Christus im Heiligen Geist“, aber nicht zu „Christus, unserem Gott und Erlöser“ – dies erst ist für Juden und Muslime ein ganz anderes Gottesverständnis als das ihrer Tradition.
Wechselseitige Herausforderungen
Mit ihren unterschiedlichen Zugängen und Glaubenserfahrungen in Bezug zu dem einen Gott eröffnet der interreligiöse Dialog Möglichkeiten, sich wechselseitig tiefer gehende Fragen zu stellen, um dem Geheimnis Gottes näher zu kommen.
Auf der einen Seite führt das Gespräch mit Juden und Muslime die Christen dahin, aufmerksam darauf zu achten, dass sich ihr Glaube an den dreieinigen Gott (und damit die Trinitätslehre) nicht als ein verschleierter „Drei-Gott-Glaube“ erweist.
Auf der anderen Seite fragen Christen Juden und Muslimen, inwieweit es nicht für den Glauben an den einen Gott bedeutsam ist, die Weltzugewandtheit Gottes als Herzstück des liebenden Gottes auszusagen, die für Christen im Bekenntnis zum dreieinigen Gott zum Ausdruck kommt.
Für alle monotheistisch Glaubenden sind die oben angesprochenen Fragestellungen bezüglich des Verstehenshorizontes zu dem einen Gott keine spekulativen metaphysischen Probleme, die es allein denkerisch zu lösen gilt. Vielmehr sind das existentielle Fragen mit dem Ziel, dem Geheimnis des lebendigen Gottes für die eigene Lebensgestaltung (in Gebet, Gottesdienst und Weltengagement) auf die Spur zu kommen. Es ist die Erfahrung, die Juden, Christen und Muslime teilen, dass Gott unentwegt daran interessiert ist, seine Geschöpfe, die Menschen, in aller Wahrheit zum ewigen Leben zu führen und dass er auf die Antwortversuche des Menschen reagiert.
Der spirituelle Weg
Für mich ist es keine Frage, dass der Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen in den nächsten Jahrzehnten weitergehen wird. Jeder hat seine Grundlagen, mit der er den jeweils anderen herausfordert, die eigene Glaubenserfahrung und die sich daraus entwickelnden Überlieferungen in der Gotteslehre nicht mit Gott selbst zu identifizieren. Christen bezeugen, dass der eine Gott sich radikal mit den Menschen verbunden hat und in seiner Liebe Teil der sich verändernden menschlichen Geschichte geworden ist.
Einer mag sagen, dass sich Muslime dem göttlichen Geheimnis mit der fundamentalen Frage nähern: „Wer ist Gott?“ Und die Antwort der islamischen (und jüdisch-rabbinischen) Tradition ist: „Allâh (adonai), der eine Gott – nur ihm allein gebührt die Ehre“. Christen stimmen dem zu, würden aber eine zweite Frage stellen: „Wie ist er Gott?“ Und die Antwort des christlichen Glaubens ist: „In drei dynamischen Weisen erfahren wir die göttliche Gegenwart“.
Dass alle von demselben Gott nicht dasselbe glauben, liegt an einer schlichten Einsicht: Das Geheimnis Gottes ist größer als alle menschliche Erkenntnis. Diese spirituelle Wahrnehmung leitet mich zu eigener Bescheidenheit gegenüber meiner Gottesrede: sie ist begrenzt, unvollständig, stets nur eine Annäherung. Und sie leitet mich an, anzuerkennen, dass mir auch im anderen das Zeugnis des einen und einzigen Gottes begegnen kann, so fremd mir dieses Zeugnis auch sein mag.
Es scheint mir wichtig, bei aller erfahrenen Gottesnähe die Transzendenz Gottes ernst zu nehmen18. Gott lässt sich nicht mit meiner geglaubten und erfahrenen göttlichen Gegenwart verrechnen. Gott ist immer noch mehr und immer noch der ganz andere. Gott ist größer als sein Wort19, größer als seine Menschwerdung. Bei aller Vertrautheit bleibt Gott stets der Unbekannte (im christlichen Kontext: wer kann wirklich die Bedeutung Jesu am Kreuz erfassen?). Auch in seiner Menschwerdung in Jesus Christus bleibt Gott ein Geheimnis, mir unverfügbar. Gott ist gegenwärtig, aber er geht über diese Gegenwart hinaus.
„Deus semper major“: „Gott ist immer (noch) größer“: Als Glaubender bin ich stets herausgefordert, Gott größer zu denken als das, was ich von ihm glaube und theologisch formuliere. Das ermöglicht mir eine spirituelle Öffnung auf den anderen hin. Wage ich den Dialog mit dem anderen, der anders glaubt, dann treffe ich in solch einem Dialog auf Gott, den anderen. Das kann für meinen Glauben eine irritierende und gar anstößige und störende Erfahrung sein (vermutlich ist dies auch eine wesentlicher Ursache dafür, dass ich mich eher dem anderen gegenüber verschließe, ihn abwerte und mich von ihm abgrenze). Ich bin herausgefordert, von außen zu schauen, mich mit den Augen des anderen Gott zu nähern, der mir so bei aller Ähnlichkeit mit noch größerer Unähnlichkeit begegnet.
So mag es ein spiritueller Lern- und Erfahrungsweg sein zu entdecken, dass man an den einen Gott glauben kann, auch wenn man ihn unterschiedlich versteht und ehrt. Aufgrund der wahrnehmbaren Differenzen ist es im Angesicht des immer noch größeren Geheimnisses Gottes nicht folgerichtig, auf einen unterschiedlichen Gott zu schließen: denn es gibt nur eine allumfassende Wirklichkeit20. Es ist für mich auf der spirituellen Ebene im Dialog nicht notwendig, von Identität, Übereinstimmung, nicht einmal von Vergleichbarkeit und Verwandtschaft zu sprechen, sondern von Nähe21.
Ein solches „Gott-Nach-Denken“ könnte einen Raum eröffnen, in dem es nicht mehr darum geht, Recht haben zu wollen und sein Recht durchsetzen zu müssen (von dem man sagt, es sei „göttliches Recht“ und es so vor kritischen Nachfragen zu schützen sucht). Dass Gott unbeschreiblich ist, das ist der eigentliche Ausgangspunkt jüdischer, christlicher und muslimischer Theologie (Ex. 3,14; Ex. 20,2 – Joh. 1,18; Röm. 12,33f – Sure 42,11; 112). „So wie ‚tawhîd’(die „Einsheit“ Gottes als das muslimische Herzstück des Glaubens) ist auch die ‚Trinität’ ein Geheimnis. Ein Geheimnis ist nicht irrational oder sinnlos. In Bezug auf Gott sagt es aus, dass die Fülle Gottes nicht mit menschlicher Erkenntnis zu fassen (…) und für den Menschen direkt zugänglich“ ist22.
Es geht letztlich gar nicht allein um notwendiges Wissen. In der (Wieder-) Entdeckung der spirituellen Dimension des Dialogs kann vor allem eine von Herzen praktizierte Religion die Verwandtschaft zur Geltung bringen. „Wer sich der Tür zu Gott nähert, sollte sie weit aufstoßen und nicht sofort wieder verschließen“23. Gott kann auch in einem anderen als dem eigenen Glauben begegnen, das ist die eigentliche Herausforderung für den Dialog. Um einen offenen Dialog im Glauben „auf Augenhöhe“ führen zu können, wird es in Zukunft wohl entscheidend auf die mystischen Richtungen innerhalb der Religionen ankommen24.
ANMERKUNGEN
1 Vgl. dazu Andreas Goetze, Religion fällt nicht vom Himmel. Die ersten Jahrhunderte des Islams, Darmstadt 2011, S. 158f.
2 Vgl. dazu Wilhelm Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1962, S. 36b; Ernst Jenni/Claus Westermann, Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament (THAT), Bd. 1, S. 142-150.
3 Vgl. Jenni/Westermann, Bd. 1, S. 154ff.
4 Noch einmal anders stellt sich die Frage im Gespräch mit den asiatischen Religionen und ihren Gottesverständnisses, was in diesem Artikel aufgrund begrenzten Umfanges unberücksichtigt bleiben muss.
5 Zum Folgenden Goetze, S. 347f.
6 Goetze, S. 50: „Vom Großraum Syrien ist hier die Rede als ein kultureller, nicht als ein politischer Begriff. Dieser Kulturraum Syrien reichte schon vor der Zeitenwende von der palästinensischen Mittelmeerküste bis zum Zweistromland (mit Euphrat und Tigris) und schloss das Gebiet bis zum persischen Golf mit ein. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚Durchgangsland’. Immer wieder zogen Heere und Streitmächte durch diese Region, um eine andere zu erobern, ob sie Ägypter, Assyrer, Perser, Griechen oder Römer waren. Im ganzen syrischen Raum fand ein reger kultureller und religiöser Austausch mit Einflüssen von allen Seiten statt. Verschiedene Kulturen und Religionen haben ihre Eigenheiten und Vorstellungen in den Lebensraum Großsyrien eingebracht. Dieser ständige Austausch in diesem durchaus uneinheitlichen Gebiet ist auf keinen Fall zu unterschätzen. Wirtschaftliche Faktoren machten Syrien darüber hinaus zu einem profitablen Zentrum. Es entstanden bedeutende urbane Zentren am Euphrat sowie an den Handelsrouten durch die Wüste, zu denen etwa Palmyra, Damaskus oder Dura Europos zählten“.
7 Andreas Feldtkeller, Identitätssuche des syrischen Urchristentums. Mission, Inkulturation und Pluralität im ältesten Heidenchristentum, Göttingen 1993, S. 120.
8 Feldtkeller, S. 57.
9 Goetze, S. 38.
10 Goetze, S. 349.
11 Goetze, S. 12.
12 Zum Folgenden Goetze, S. 378f.
13 Reinhard Bernhardt, Glauben Juden, Christen und Muslime an den gleichen Gott? Konvergenzen und Divergenzen im Gottesverständnis der abrahamitischen Religionen, in: Deutsches Pfarrerblatt 5/2011, S. 236-240, hier S. 238.
14 Bernhardt, S. 239.
15 Bernhardt, S. 239.
16 Herbert Vorgrimler, Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, Münster 2003, S. 113.
17 Goetze, S. 160f: „Gerade Paulus hat wie kein anderer im frühen Christentum betont, dass Christus der Messias sei und dass die Gottessohnschaft Jesu, die erlösende Kraft von Kreuz und Auferstehung und die Offenbarung Gottes in und durch Jesus Christus wesentlich sei. Dabei blieb Paulus immer strikt dem Bekenntnis zu dem einen und einzigen Gott treu. Er sah in dem Bekenntnis zu Christus als dem Sohn Gottes und dem Messias keinesfalls einen Weg zu einer „Beigesellung“ oder „Vergesellschaftung“ oder gar zu einem neuen Polytheismus: Alles lag Paulus an dem Bekenntnis zu dem einen Gott (1. Kor. 8,4–6). (…) Es ist ein Gedanke, den das frühe Christentum als wesentlich festgehalten hat, wie es der Brief des Judas zeigt: ‚(Ehre) dem allmächtigen Gott (…) durch Jesus Christus’ (Jud. 25)“.
18 In diesem Sinne lässt sich die theologische Richtung der so genannten „negativen Theologie“ wieder neu akzentuieren. Die Überzeugung, das Wesen Gottes nur mit negativen Ausdrücken (z.B. Unendlichkeit) umschreiben zu können, da Gott nicht vollständig vom menschlichen Wesen erkannt werden kann, respektiert und ehrt das Geheimnis Gottes.
19 Auch wenn Muslime den Qur’ân als direktes Wort Gottes verstehen, bleibt auch in muslimischer Tradition ein Vorbehalt gegenüber jeglicher Identifizierung wie es z.B. in Sure 18,109 zum Ausdruck bringt: „Wenn das Meer Tinte für die Worte meines Herrn wäre, würde das Meer versiegen bevor die Worte meines Herrn zu Ende gehen, auch wenn wir noch einmal soviel hinzubrächten“.
20 Bernhardt, S. 240.
21 Nach Heinrich Ott, Ein neues Paradigma in der Religionstheologie, in: Reinhold Bernhardt; Horizontüberschreitung. Die Pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 1991, S. 41f.
22 Goetze, S. 379.
23 Soheib Bensheikh (Großmufti von Marseille), Zurück in die Zukunft. Korankritik in der europäischen Diaspora. Ein Gespräch mit Christoph Burgmer, in: Christoph Burgmer (Hrsg.), Streit um den Koran. Die Luxenberg-Debatte. Standpunkte und Hintergründe, Berlin 2007, S. 159-170, hier S. 168.
24 Goetze, S. 380.
Der Autor
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Jhg. 1964, ist Pfarrer in Rodgau-Jügesheim, Vertrauenspfarrer des Jerusalemsvereins (Partner der Evang-lutherischen Kirche in Jordanien und Palästina und ihrer Schulen, z.B. TALITA KUMI), Mitglied der "Konferenz für Islamfragen" der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und seit vielen Jahren engagiert im christlich-jüdischen Dialog.
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