ONLINE-EXTRA Nr. 199
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Interviews sind ja so eine Sache... Man liest sie gerne, obwohl man in der Regel kaum etwas Neues erfährt. Insbesondere gilt dies all zu oft für Politikerinterviews, die sich häufig in der sprechblasenhaften Wiederkehr des ewig Gleichen erschöpfen. Noch viel mehr mag das für Interviews mit Diplomaten gelten, sind diese doch qua Amt zur sprichwörtlich diplomatischen Zurückhaltung und Höflichkeit verpflichtet.
Gleichwohl schätzen wir den O-Ton eines Interviews, nicht nur weil es gewissermaßen das Siegel der Authentizität zu tragen scheint, sondern vor allem, durch den "Mehrwert", den es zwangsläufig vermittelt: Nicht allein, was gesagt wird, ist aufschlußreich, sondern vielmehr wie es gesagt wird - und nicht minder interessant ist, was nicht gesagt wird. Darin offenbart sich - wenn man so will - die selbstentblößende Kraft eines Interviews, ein Effekt, den der Befragte kaum vermeiden kann.
Ob das, was der Befragte sagt, neu oder schon bekannt ist, lang- oder kurzweilig, anregend oder einschläfernd, klug und innovativ oder altbacken und belanglos - nach einem Interview verspüren wir meist recht deutlich, ob der Befragte ein freier Geist ist, gesegnet mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion, oder ob sein Geist im Korsett ideologischer Zwänge gefangen bleibt. Das Spektrum, das zwischen diesen beiden Enden liegt, ist freilich breit und fließend.
Inwieweit diese grundsätzlichen Bemerkungen für die Lektüre des nachfolgend wiedergegebene Interviews mit dem Botschafter des Landes Iran in Deutschland, Ali Reza Sheikh Attar, von Nutzen sein mögen oder nicht, mögen der geneigte Leser und die geneigte Leserin selbst entscheiden. Geführt wurde es von den beiden Journalisten Martin Jehle und Marc Röhlig und erstmals in Druckform publiziert in der JÜDISCHEN ZEITUNG Nr. 96 im Februar diesen Jahres: "Der Ton macht die Musik".
COMPASS dankt den Interviewern für die Genehmigung zur Wiedergabe des Interviews an dieser Stelle!
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Online-Extra Nr. 189
Auf jeden Fall, das Genfer Abkommen ist eine wahre Errungenschaft! Es zeigt, dass die Diplomatie nach wie vor der beste Weg ist, um Probleme zu lösen. Diese Lektion gilt für alle Beteiligten. In den letzten zwei Jahrzehnten haben unsere Gesprächspartner bei diplomatischen Verhandlungen alle zu sehr auf eigene Siege gedrungen, die jedoch für uns alle zum Nullsummen-Spiel wurden. Dabei führt der Dialog zum Erfolg, der allen eine Win-win- Situation ermöglicht. Und noch etwas zeigt das Genfer Abkommen: Die Tatsache, dass ein Land wie die USA eine weltweite Großmacht ist, ist noch lange keine Garantie dafür, dass es der Welt seinen Willen diktieren kann. Wenn es nicht der Wille Washingtons war, der im Abkommen steht, welcher dann? An der Genfer Vereinbarung wird sichtbar, dass die darin enthaltenen Verpflichtungen dieselben sind, die wir bereits seit zehn Jahren bereit waren zu übernehmen. Wir hatten dieselben Einschränkungen unseres Atomprogramms schon in früheren Gesprächen mit Deutschland, Großbritannien und Frankreich angeboten. Als Gegenleistung hatten wir immer die Anerkennung unseres Rechts auf Urananreicherung im eigenen Land durch die internationale Gemeinschaft gefordert. Das Problem war aber, dass die USA immer dagegen waren. Das hat sich nun geändert. Also sehen Sie in dem Abkommen einen Erfolg für Ihr Land? Der Iran gehört zu den ersten Unterzeichnern des Atomwaffensperrvertrages. Laut diesem Vertrag haben wir das legitime Recht, Uran zu friedlichen Zwecken anzureichern. Derzeit reichern viele Staaten Uran im eigenen Land an. Uns wollte die internationale Gemeinschaft dieses Recht vorenthalten. Warum? Weil die Sorge bestand, der Iran würde die Herstellung einer Atombombe anstreben. Aber das wird nicht passieren, schon allein, weil es uns religiös verboten ist, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Leider haben die westlichen Länder unter Federführung der USA und durch Provokationen des zionistischen Regimes versucht, uns das Recht auf Urananreicherung zu nehmen. Dagegen haben wir uns gewehrt – und Genf hat unser Recht akzeptiert. Den Begriff „zionistisches Regime“ verwenden wir nicht. Sie tun sich damit gegenüber der deutschen Öffentlichkeit auch keinen Gefallen. Bei uns ist er so üblich. Wir möchten hier dennoch lieber von Israel reden. Sie haben vorhin als eine der Lehren aus den Genfer Verhandlungen betont, dass Diplomatie der beste Weg ist, Probleme zu lösen. Anstatt über die „Zionisten“ zu reden, wäre es nicht an der Zeit, mit den Israelis zu reden? Nein, das Problem der Welt und der Länder des Nahen Ostens ist der Zionismus, es geht um die Besatzung dort. Zionismus ist der zentrale Begriff dieses Problems. Da muss man differenzieren zwischen Zionismus und Semitismus. In unserem Land haben wir keinerlei Probleme mit unseren jüdischen Landsleuten. Die Juden genießen bei uns alle sozialen Rechte. Die Hegemoniebestrebungen und aggressive Politik der Zionisten werden aber verdammt. Diplomatie und Gespräche auf Augenhöhe sind nur dann möglich, wenn zwei legitime Länder miteinander Kontakte haben. Wir müssen zunächst betrachten, wie Israel zustande gekommen ist: durch Besatzung, durch Vertreibung und durch Massenmord. Somit verliert ein Staat den Anspruch auf Legitimität.
Ihre Exzellenz, Sie sind Botschafter des Irans in Deutschland und koordinieren die Botschafter Ihres Landes in Westeuropa. In Genf wurde im November des vergangenen Jahres ein erstes Interimsabkommen im Atomstreit zwischen dem Iran und den UN-Vetomächten plus Deutschland geschlossen. Eine gute Sache?
Im Zuge der Islamischen Revolution im Iran im Jahr 1979 wurde Attar zunächst Gouverneur der iranischen Provinzen Kurdistan und West-Aserbaidschan und war dann stellvertretender Industrieminister, bevor er sich der Außenpolitik zuwandte.
Mit Attar hat der Iran einen seiner erfahrensten und profiliertesten Diplomaten nach Deutschland entsandt. Vor seinem Eintritt in den Staatsdienst war Attar, der Chemie studiert hat, in der Industrie tätig. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
Ali Reza Sheikh Attar in den Räumlichkeiten der iranischen Botschaft
(Foto: Martin Jehle)
Wie sollen wir denn zusammenfinden, wenn wir uns so grundlegend unterscheiden? Aber der Iran hat eine Lösung vorgeschlagen: ein Referendum, um auf demokratischem Wege festzustellen, was für ein Staat auf diesem Gebiet installiert werden soll. An diesem Referendum sollen die palästinensischen Muslime, Christen und Juden teilnehmen. Wir werden jeden Staat respektieren, der durch ein solches Referendum zustande kommt, egal, um was für einen Staat es sich handelt. Sie sprachen von der Angst der internationalen Gemeinschaft, dass es eine iranische Atombombe geben wird. Was will der Iran tun, um diese Angst abzuwenden? Noch einmal: Wir können nur beteuern, dass wir keine Bombe wollen. Durch das Genfer Abkommen und die Einigung zwischen dem Chef der IAEA (Internationale Atomenergiebehörde – d. Red.) und dem Leiter unserer Atomenergiebehörde in Teheran haben wir uns bereit erklärt, mehr Transparenz zu zeigen. Aber man muss mit dem Iran in einem anderen Ton sprechen. Vor den Sanktionen hatten wir in unseren Anlagen 3.000 Zentrifugen, jetzt haben wir 19.000. Vor den Sanktionen hatten wir Uran bis zu einem Grad von fünf Prozent angereichert, danach – weil man uns die Brennstäbe für den Forschungsreaktor für medizinische Zwecke nicht geliefert hat – mussten wir auf 20 Prozent anreichern. Das sind die Folgen der Sanktionen gegen den Iran. Wenn man den Ton uns gegenüber ändert, ändern auch wir uns. Wir halten die internationalen Regeln ein, und die einzige Instanz, die darüber Urteile fällen kann, ist die Internationale Atomenergiebehörde. Im Jahr 2004 hatte die IAEA drei Länder benannt, die bestimmte Regeln nicht beachteten. Das waren Iran, Südkorea und Ägypten. Weil Südkorea und Ägypten Freunde und Verbündete der USA sind, verpuffte die Anklage der IAEA. Aber Doppelstandards funktionieren im Umgang mit dem Iran nicht mehr! Sie meinen also, dass die Furcht vor einer iranischen Atombombe andere Gründe hat? Die Sorgen vor einer iranischen Atombombe werden vor allem durch Israel verbreitet. Dieses Regime weiß, dass es der Grund aller Probleme im Nahen Osten ist. Und das größte Problem ist Palästina. Wir beobachten, dass die Weltöffentlichkeit zunehmend Israel für seinen Umgang mit den Palästinensern kritisiert. Das heißt, dass das zionistische Regime mit dem Thema Iran von den Problemen vor der eigenen Tür ablenken will. Ein Grund mehr, mit Israel ins Gespräch zu kommen! Der Iran versucht, weltweit Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir sind nicht die Bösen! Wir haben zum Beispiel 2010 im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages vorgeschlagen, dass es einen Nahen Osten ohne Atom- und Massenvernichtungswaffen geben soll. Deshalb sollte es Ende 2012 eine Konferenz dazu unter Beteiligung von Finnland, der USA, Russland und Großbritannien geben. Die USA hatten sich bereits verpflichtet, eine solche Konferenz zu veranstalten. Dann wurde die Konferenz aufgrund der instabilen Lage in der Region – eine Auswirkung des Arabischen Frühlings – abgesagt. Nein, das hat mit dem Arabischen Frühling eigentlich nichts zu tun. Die USA hat die Konferenz auf Druck von Israel einen Monat vor dem geplanten Termin auf Eis gelegt und abgesagt! Wir thematisieren das überall, um zu zeigen, wie die wahren Tatsachen sind. Warum interessiert sich der Iran überhaupt so sehr für den israelisch-palästinensischen Konflikt? Es geht um eine humane Werteangelegenheit. Es geht um Besatzung, Diskriminierung und Verbrechen gegen die Menschen. Wenn man sich nicht dagegenstellt, macht dies Schule und wird irgendwann überall in der Welt praktiziert. Diese Praktiken gefährden langfristig die gesamte Welt! Wir sprachen über Doppelstandards, die nach Ihrer Ansicht von der westlichen Welt an den Iran angelegt werden. Macht der Iran nicht das Gleiche im Hinblick auf Israel: Auf der einen Seite beklagen Sie an Palästinensern begangenes Unrecht, auf der anderen Seite unterstützt der Iran das Regime von Assad in Syrien. Das ist eine Fehleinschätzung unserer Syrienpolitik. Es geht nicht um die Person Assad. Es geht darum, dass dieses Land vom syrischen Volk regiert werden soll – und nicht, dass bestimmte Länder Terroristen dort hinschicken oder mit Geld unterstützen. Wir haben vorgeschlagen, dass zunächst ein Waffenstillstand verhängt wird, dann Wahlen unter Beobachtung und Kontrolle der Vereinten Nationen stattfinden und eine Interimsregierung amtiert. Egal wer bei Wahlen gewählt wird – wir respektieren das Ergebnis! Für uns sieht es eher so aus, als suche sich der Iran schiitische Verbündete in der muslimischen Welt. Der Iran glaubt an menschliche Werte, die unteilbar sind. Wir unterstützen die Palästinenser, obwohl sie keine Schiiten sind. Wir haben auf dem Balkan die Bosnier unterstützt, die auch keine Schiiten sind. Die Unterstützung der Schiiten in Bahrain, die dort die Mehrheit stellen, ist auch keine religiöse Frage. Die Forderung der Schiiten in Bahrain lautet: One man, one vote! Auch in Saudi- Arabien müssen die Rechte der schiitischen Minderheit geschützt werden. Es geht uns generell um die Rechte von Minderheiten!
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Das ist aber vor allem eine historische Freundschaft. Wie sehen die Beziehungen derzeit aus? Natürlich, wir hatten sehr komplizierte Entwicklungen zwischen Deutschland und dem Iran. Wir wissen, dass Deutschland gewisse Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Union und als Bündnispartner der USA pflegt. Andererseits gibt es die 400-jährigen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran, in denen wir überhaupt keine Negativpunkte verzeichnen können. In den letzten fünf Jahren als Botschafter habe ich versucht, die Balance und die bilateralen Potentiale unserer Beziehungen aufrecht zu erhalten. Deutschland ist an den Sanktionen gegen den Iran beteiligt. Trotzdem kamen aus Deutschland im Jahr 2012 Exportgüter im Wert von 2,6 Milliarden Euro in den Iran. Das ist das größte Handelsvolumen eines europäischen Landes mit dem Iran. Allerdings beliefen sich die deutschen Exporte in der Vergangenheit schon mal auf fünf Milliarden Euro. Wir hoffen, wenn gewisse Hindernisse in der Zukunft beseitigt sind, dass wir wieder sehr schnell den alten Stand in den deutsch-iranischen Beziehungen erreichen oder sie sogar noch steigern können. In wirtschaftlicher Hinsicht? In jeder Hinsicht! Auch kulturell und politisch. Wir Iraner sind begeisterte Leser deutscher Literatur. Kant und Goethe gibt es bei uns an jeder Ecke zu kaufen – wahrscheinlich kennt manch Iraner die deutschen Denker besser als die Deutschen selbst. Was erwarten Sie vom potentiellen Partner Deutschland? Wir wissen, dass die Europäische Union nicht aus einem, sondern aus 27 Ländern besteht. Deutschland spielt aber in der EU die Rolle eines Antriebsmotors. Daher erwarten wir, dass Deutschland durch sein besseres Verständnis des Iran im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten der EU dieses Verständnis weitergibt und vermittelt. Der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher kam als erster europäischer Außenminister nach der Revolution von 1979 in den Iran. Genscher hat versucht, sein Verständnis vom Iran im Westen zu vermitteln und weiterzugeben. Er leistete damals einen entscheidenden Beitrag für die Niederschrift der UN-Resolution 598, die zu einem Ende des irakischiranischen Krieges führte. Daher erwarten wir auch heute, dass Deutschland durch sein besseres Verständnis unseres Landes nicht passiv, sondern aktiv an einer internationalen Annäherung mitarbeitet. Herr Botschafter, vielen Dank für das Gespräch!
Deutschland pflegt gute Kontakte am Persischen Golf, aber auch mit Israel. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen dem Iran und Deutschland?
Die Staatsräson der Bundesrepublik gegenüber Israel ist Sache Deutschlands. Aber unabhängig davon genießt Deutschland beim iranischen Volk ein sehr hohes Ansehen. Es hat in der Geschichte des Iran – im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern und den USA – niemals eine negative Rolle gespielt. Vor allem beim industriellen Fortschritt hat uns Deutschland sehr geholfen: Immerhin haben deutsche Anlagen einen entscheidenden Beitrag zur Industrialisierung des Irans geleistet. Die iranische Eisenbahn oder das Telekommunikationsnetz würde es ohne deutsche Ingenieure nicht geben.
DIE INTERVIEWER
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Martin Jehle, geb. 1982 in Berlin, Rechtsanwalt, gelegentliche journalistische Tätigkeit.
Marc Röhlig, Jahrgang 1986, ist Journalist beim Tagesspiegel in Berlin.
Kontakt zu den Interviewern und/oder COMPASS:
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