Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 214

Juni 2014

Im Sommer 2014 kam es vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges zu judenfeindlicher Hetze auf den Straßen Europas, die in ihrem Ausmaß und in ihrer expliziten Offenheit einen traurigen Tiefpunkt in der europäischen Geschichte nach 1945 darstellten. Allein, es blieb nicht bei antisemitischen Verbalinjurien. Davor und danach kam es vermehrt zu Anschlägen auf Synagogen, tätlichen Übergriffen gegen Juden und Jüdinnen, bis hin zu Mordtaten, wie zuletzt in Frankreich. Das scheinbar unausrottbare Geschwür des Antisemitismus, immer öfter im Gewande des Antizionismus, ist mitten in Europa präsenter denn je.

Vor dem Hintergrund der erschütternden Ereignisse im Sommer 2014 entstand der nachfolgende Beitrag des evangelischen Theologen Hans Maaß. Ausgehend von Definitionen und Erscheinungsformen des Antisemitismus, wie sie im Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages beschrieben sind, wendet sich Maaß diversen Umfragen zum Antisemitismus zu, deren Ertrag er kritisch beleuchtet und setzt sich in der Folge inbesondere mit religiösen/theologischen bzw. quasi-religiösen/quasi-theologischen Positionen im Kontext des Antisemitismus auseinander. Im Ergebnis liefert er eine treffliche Auseinandersetzung mit mal verborgenen und verschlungenen, mal offen zutage tretenden antisemitischen/antijüdischen Denkformen und Haltungen, insbesondere dort, wo sie im "religiösen" Gewande daherkommen.

Vor diesem Hintergrund präsentiert er schließlich im letzten Teil seines Beitrages einen höchst bemerkenswerten Briefwechsel zwischen dem badischen Pfarrer und Pionier des christlich-jüdischen Dialogs Herman Maas und dem späteren Landesrabbiner von Baden Robert Raphael Geis, ein Briefwechsel, dem sich auch das Zitat im Titel dieses Beitrages verdankt: "Antisemitismus der trägen Herzen".

COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe seines Beitrags an dieser Stelle!

© 2015 Copyright beim Autor
online exklusiv für ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 214


Aggressiver Antisemitismus
und „Antisemitismus der trägen Herzen“


HANS MAASS



1. Antisemitismus als bestimmte Wahrnehmung von Juden


Eigentlich ist „Antisemitismus“ ein unzutreffender Begriff; denn „Semiten“ sind auch die arabischen Völker bzw. alle, die der „semitischen“ Sprachfamilie angehören, d.h. Hebräisch, Arabisch oder Aramäisch sprechen.1 Der Begriff meint allerdings „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann.“2

Bereits dieses Definitionsdilemma zeigt sowohl die Vielschichtigkeit des Phänomens als auch das allgemein verbreitete Bemühen, jeglichen Verdacht weit von sich zu weisen; denn spätestens seit den genozidalen Exzessen der deutschen Naziherrschaft wird dieser Begriff als stigmatisierend empfunden. Denn er bezeichnet eine Haltung aufgrund eines Vorurteils gegenüber Juden, „Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen“ die ihnen, ihren „Einstellungen und Verhaltensweisen“ aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft, nicht aufgrund eines tatsächlich zu beobachtenden Verhaltens unterstellt werden.3

Antisemitismus kann sich entsprechend dieser Definition auf verschiedene Weise artikulieren und unterschiedlich begründet sein. Deshalb spricht der Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages von einer „Sammelbezeichnung“.4

Dort findet sich auch die Feststellung: „Ergibt sich die Abneigung gegen eine jüdische Person aus deren Zurechnung zur jüdischen Religionsgruppe, ist demgegenüber sehr wohl von einer antisemitischen Haltung auszugehen“.5 Eine solche Haltung scheint zwar in der Bundesrepublik überwunden zu sein, ist aber dennoch – oft unbewusst – da und dort anzutreffen. Eindeutig liegt sie vor, wo immer noch von „Finanzjuden“ gesprochen, oder Juden ein typisches Rachedenken unterstellt und mit einem Zitat aus dem Alten Testament begründet wird, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Dabei kann man auf erstaunte Gesichter stoßen, wenn man dem Gesprächspartner klarzumachen versucht, dass es bei diesem biblischen Prinzip nicht um Rache geht, sondern um eine Begrenzung von Schadensersatzforderungen auf das Maß des tatsächlich erlittenen Schadens. So legt RASCHI Ex 21,3 in seinem Kommentar aus. Er kann sich dabei auf die Mischna Bava Qamma stützen; sie nennt fünf in Frage kommende Ersatzleistungen: „Schadensersatz, Schmerzensgeld, Kurkosten, Versäumnisgeld und Beschämungsgeld.“6 In der anschließenden Gemara werden die verschiedensten Argumente zusammengetragen, wieso dies nur im Sinne einer Geldentschädigung gemeint sein könne.7 Trotz dieser eindeutigen talmudischen Bestimmungen hält sich hartnäckig das Vorurteil eines typisch jüdischen Rachedenkens.

Der Antisemitismusbericht des Bundestages unterscheidet „hinsichtlich der Handlungsformen“ sechs verschiedene Varianten, des Antsemitismus:


„erstens latente Einstellungen, die als nicht öffentlich geäußerte diffuse Mentalitäten bestehen (zum Beispiel als Ressentiments gegenüber Menschen im Alltagsleben), zweitens verbalisierte Diffamierungen, also offen bekundete Abneigungen gegen alle Juden (zum Beispiel Zuschreibung angeblich jüdischer Eigenschaften), drittens politische Forderungen, die auf die Benachteiligung von Juden als Juden abzielen (zum Beispiel Eindämmung des angeblich jüdischen Einflusses), viertens diskriminierende Praktiken, also die direkte Umsetzung einer eingeforderten Vorgehensweise gegen Juden (zum Beispiel durch den Ruf nach explizit antijüdischen Gesetzen), fünftens die Übergriffe auf Personen oder Einrichtungen (zum Beispiel in Form von Friedhofsschändungen) durch Gewaltakte oder Vertreibung. Hiervon ist sechstens die systematische Vernichtung, also die Ermordung von Juden aufgrund dieser Zugehörigkeit, abzugrenzen.“8


Auch hinsichtlich der Begründung zählt der Bericht verschiedene Motivationen auf: den religiösen Antisemitismus, den sozialen Antisemitismus, den nationalistischen Antisemitismus, den rassistischen Antisemitismus sowie den antizionistischen Antisemitismus. Außerdem verwendet dieses Dokument auch den nicht in diese Kategorien passenden Begriff des sekundären Antisemitismus; mit ihm „werden im Allgemeinen verschiedene Phänomene bezeichnet, die sich aus dem Bedürfnis einer Schuldabwehr nach der Shoah ergeben und für die auch die Formel »Antisemitismus wegen Auschwitz« verwendet wird.“9

a. Religiöser Antisemitismus


Zum religiösen Antisemitismus wird einerseits auf die vor allem mittelalterlichen Vorwürfe des „Gottesmordes“ und „Ritualmordes“ verwiesen, die aber an einzelnen Orten (z.B. im Fall des „Anderl von Rinn“) teilweise noch bis ins 20. Jh. nachweisbar sind. Wichtiger ist jedoch die generelle Begründung aus einem glaubensimmanenten christlichen „Überlegenheitsgefühl und -bedürfnis gegenüber dem Judentum“.10 Vor allem im Blick auf manche „sektiererischen christlichen Gruppierungen“ dürfte es zutreffen, dass letztere „auch weiterhin existieren“.11 Dass diese scheinbar religiösen Argumente heute „im Nahen Osten vor dem Hintergrund der Agitation gegen Israel Verwendung“ finden, ist leider ebenfalls eine Tatsache, wobei dort auch eine mangelnde Rezeption der Ergebnisse historisch-kritischer Bibelexegese hinzu kommt.

b. Sozialer Antisemitismus

Unter dem Begriff des „soziale(n) Antisemitismus“ fasst der Bericht alles zusammen, was vom Mittelalter bis heute den Juden im Zusammenhang mit Finanzen angelastet oder angedichtet wurde und wird. Eine besondere Spielart, auf die der Bericht allerdings nicht eingeht, weil es um den Antisemitismus in Deutschland geht, ist in Israel gegenüber den Ultraorthodoxen festzustellen, die (hauptsächlich von säkularen Juden) generell als Schmarotzer empfunden werden, weil sie von Spenden und Zuschüssen leben und sich nicht an der Schaffung und Vermehrung des Bruttosozialprodukts beteiligen. Für das Entstehen des Antisemitismus im 19. Jh. dürfte der Sozialneid eine Rolle gespielt haben, denn mit der Judenemanzipation stieg der Anteil der Juden in führenden Positionen z.B. in der Wissenschaft überproportional.

c. Politischer Antisemitismus

Der „politische Antisemitismus“ versteht Juden „als homogenes Kollektiv […], deren Ziel die Erlangung der Herrschaft im jeweiligen Land oder in der ganzen Welt sei“.12 Obwohl diese „Protokolle“ längst als Fälschung erwiesen sind, finden sie noch heute nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch in Deutschland überzeugte Anhänger, weil solche Verschwörungstheorien von eigenen Fehlentscheidungen ablenken können. Bekanntlich werden damit auch immer wieder Weltwirtschaftskrisen gedeutet; der Bericht des Bundestags stellt darüber hinaus fest, „selbst um die Terroranschläge vom 11. September 2001 ranken sich antisemitische Legenden, die ein angebliches konspiratives Wirken des israelischen Geheimdienstes behaupten.“13

d. Nationalistischer Antisemitismus

Der „nationalistische Antisemitismus“ ist keine moderne Erscheinung, sondern er zieht sich von der Antike an durch die Geschichte des Judentums. So zitiert Flavius Josephus zwei Schriftsteller, zunächst einen gewissen Manetho:


„Nach Manetho stammt also unser Volk weder aus Ägypten, noch haben sich die Bewohner dieses Landes mit ihm vermischt. Denn von den Aussätzigen und Kranken müssen doch viele in den Steinbrüchen, wo sie lange Zeit verweilten und schwere Leiden erduldeten, viele auch in den nachmaligen Schlachten, die meisten jedoch im letzten Treffen und auf der Flucht umgekommen sein.“14


Noch etwas abfälliger äußert sich ein Schriftsteller namens Chairemon, der eine Begebenheit von Pharao Amenophis, dem Sohn des Ramses, erzählt, dem im Traum die Göttin Isis erschienen sei:


„Ein Schriftgelehrter Namens Phritiphantes habe ihm nun erklärt, das Schreckbild werde ihn in Ruhe lassen, wenn er Ägypten von den mit unreinen Krankheiten behafteten Leuten säubere. Darauf habe der König zweihundertfünfzigtausend Sieche zusammengebracht und des Landes verwiesen.“15


Beiden Texten liegt also die Exodus-Tradition zugrunde, sie wird aber nicht als göttliche Befreiung Israels, sondern als Befreiung Ägyptens von ansteckend Kranken kolportiert. Auch Lysimachos weiß von einem Orakelspruch für König Bokchoris zu berichten, ihm sei


„von dem Gotte der Bescheid erteilt worden, er solle die Heiligtümer von den unreinen und gottlosen Menschen säubern, diese aus den Tempeln in die Wüste jagen, die Krätzigen und Aussätzigen aber, über deren Dasein die Sonne zürne, ertränken und die Tempel durch Sühnopfer heiligen; dann würde die Fruchtbarkeit des Landes sich wieder einstellen.“16


Anschließend wird dann die Ausführung dieser Anordnung berichtet, indem man die Kranken „in Blei einhüllen und ins Meer versenken“ ließ. Man wollte also sichergehen, dass sie nicht wieder nach oben gespült werden. Schon Josephus führte allerlei Argumente an, warum diese Nachrichten nicht zutreffen konnten. Sie sind hier nur wiedergegeben als Beleg dafür, wie weit der „nationalistische Antisemitismus“ mindestens zurückreicht. Möglicherweise hat er seinen Ursprung in den religiösen jüdischen Speisegeboten, die es Juden nicht erlaubten, sich von Nichtjuden einladen zu lassen und bei ihnen oder von ihnen bereitete Speisen zu essen, so dass es zu einer gesellschaftlichen Distanzierung kam, die sich umgekehrt als soziale Diffamierung auswirkte.

So nennt bereits die Mischna Avoda Zara eine Reihe von Dingen, die einem Juden im Verkehr mit Nichtjuden verboten sind:


„Folgende Dinge der Nichtjuden sind verboten, jedoch erstreckt sich das Verbot nicht auf die Nutznießung: Milch, die ein Nichtjude ohne von einem Juden beobachtet worden zu sein gemolken hat, Brot und Öle; Rabbi und sein Gerichtskollegium erlaubten das Öl, ferner Gekochtes und Eingelegtes, worin man Wein oder Essig hineinzutun pflegt, zerhackte Terith,17 Fischlake, worin keine Fischchen sind, […] Fischsalat,18 Schnitte Asant19 und gewürztes Salz.20 All diese sind verboten, jedoch erstreckt sich das Verbot nicht auf die Nutznießung.“21


Damit war es Juden faktisch nicht möglich, sich von Nichtjuden zum Essen einladen zu lassen, was ihnen häufig als Menschenfeindlichkeit ausgelegt wurde. Selbst im Neuen Testament findet dies seinen Niederschlag; Paulus gibt 1.Thess 2,15 eine allgemeine Einschätzung wieder, wenn er schreibt, sie „gefallen Gott nicht und sind allen Menschen Feind“. Menge gibt – wenn auch nur in Klammern – eine alternative Übersetzung wieder: „zuwider“; denn diese entspricht eher dem griechischen, das man sinngemäß auch mit „verhasst“ wiedergeben könnte.

e. Rassistischer Antisemitismus

Beispiele für den „rassistischen Antisemitismus“ gibt es leider nicht nur aus der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch aus neuerer Zeit, wenn Forscher angeblich ein „Priester-Gen“ entdeckt haben wollen. So konnte man 1999 im Magazin „Spiegel“ lesen:


„Auf der Suche nach den Ursprüngen des jüdischen Volkes entdeckten Forscher ein »Priester-Gen«, das schon der Moses-Bruder Aaron getragen haben soll. Andere Funde kommen den Juden weniger zupass: Ihr Volk entstammt demnach demselben Genpool wie die Araber.“22


Die Verfasserin Annette Großbongardt berichtet dort von einem strenggläubigen Juden namens Jakob Kleiman: „Der gebürtige Amerikaner zählt zu den Kohanim, den Nachfahren der alten jüdischen Hohenpriester.“ Normalerweise gibt es für den Nachweis solcher Abstammungen nur die Tradition; dies soll nun dank moderner Genforschung anders sein:


„Zusammen mit 106 anderen Kohanim aus Israel, Kanada und Großbritannien ließ der Jerusalemer Rabbi anhand einer simplen Speichelprobe sein Erbgut untersuchen. Das überraschende Ergebnis: Mehr als 90 Prozent der Kohanim wiesen an bestimmten Stellen ihres Y-Chromosoms die gleichen Merkmale auf. Für den israelischen Genforscher Karl Skorecki, Initiator der Studie, zeigt das Ergebnis, »dass diese Männer einen gemeinsamen Ahnen haben«. Dieser biologische Stammvater habe nach seiner Berechnung vor etwa 3000 Jahren gelebt - genau zur Zeit Aarons, des Moses-Bruders und ersten Hohenpriesters der Juden.“23


Dabei handelt es sich allerdings um Spekulationen, vor allem, wenn man sogar zu wissen vorgibt, wer dieser gemeinsame Vorfahr gewesen sein soll, ohne von ihm DNA-Material zu besitzen. Gegen solche „erbbiologischen Spekulationen“ kann man wie gegen alle Vorurteile nicht mit Vernunftargumenten angehen.


„Rabbi Kleiman hingegen liest die Resultate wie ein persönliches Beglaubigungsschreiben Gottes: »Die Gene zeigen, dass Gott sein Versprechen hält: Wir gehen nicht verloren.« Schon wähnen sich die Kohanim, deren frühere Autorität längst in den Händen der Rabbis liegt, in einer Renaissance. »Entdeckt die Macht Eurer Gene «, fordert das Stammhaus der Leviten, aus dem auch die Kohanim kommen, seine Mitglieder per Internet auf: »Das einzigartige Gen, das alle Kohanim verbindet, macht uns zur einzigen authentischen königlichen Linie in der menschlichen Geschichte.«“24


Dies ist zwar kein Beispiel für Antisemitismus, jedoch für eine bestimmte Form von Rassismus oder neutraler: einer erbbiologischen Argumentation. Was hier mit positiver Absicht dargestellt wird, nämlich die tatsächliche familiäre Abstammung von dem biblischen Priestergeschlecht, kann aber auch ins Negative gekehrt werden. So bemüht etwa der palästinensische lutherische Pfarrer Mitri Raheb, Bethlehem, die Gentechnik zur Abwertung der Israelis:


„Wenn wir einen DNA-Vergleich machen würden zwischen David aus Bethlehem, Jesus, geboren in Bethlehem, und mir, Mitri, der ich sozusagen auf der gegenüberliegenden Strassenseite geboren wurde“, sagt Raheb, „ich bin mir sicher, die DNA würde eine gemeinsame Spur zeigen. Aber Sie finden nichts, wenn Sie den Vergleich zwischen König David, Jesus und Benjamin Netanjahu machen – weil Netanjahu aus Osteuropa stammt, wo seine Vorfahren im Mittelalter zum Judentum konvertiert sind.“25


Freilich, Raheb spricht im Konjunktiv und fühlt sich nur „sicher“, bekanntlich eine Bekräftigung einer nicht bewiesenen Annahme. Aber benutzt – wenn auch unbewiesene – genbiologische Argumente gegen aktuelle israelische Politiker.

Auch dies ist eine Form eines rassistischen Antisemitismus. Entsprechend kommentiert Malcolm Lowe, der Verfasser des zitierten Artikels die Fragwürdigkeit dieser Argumentation:


„Nicht nur zeigt Raheb sich hier schamlos rassistisch, er hat auch nicht den geringsten Beweis, um seine Behauptungen zu stützen. Über Netanjahus Abstammung weiss er nichts, und er selbst könnte genauso von griechischen Pilgern oder europäischen Kreuzfahrern abstammen. Darüber hinaus haben genetische Untersuchungen gezeigt, dass europäische Juden eine engere genetische Verwandtschaft mit Juden des Nahen Ostens als mit nichtjüdischen Europäern aufweisen.“26


Obwohl bei Raheb vor allem politisch nationalistische Motive im Hintergrund stehen, bedient er sich auch rassistischer Argumente. Man könnte ihm auch antizionistische Motive nachweisen, denn in seinem 1994 erschienenen Buch „Ich bin Christ und Palästinenser“ schreibt er:


„Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts haben die Christen Palästinas eine bestimmte Art der Bibelauslegung gepflegt. Alle Kirchen hier haben die Heilige Schrift allegorisch bzw. typologisch ausgelegt. In den Texten des Alten Testamentes haben sie einen auf Christus bezogenen tieferen Sinn gesehen. Die dort skizzierten Ereignisse und Gestalten waren Abbilder und Vorabschattungen, die über sich selbst hinaus auf das Künftige und Eigentliche hinwiesen. Darum wurden sie uns überliefert. Diese Art und Weise, die Bibel auszulegen, begann sich seit Ende des letzten Jahrhunderts zu ändern. In dem Moment, wo die zionistische Bewegung Anspruch auf das Land Palästina erhob, wurde die Bibel zu einem politischen Buch.“27


Wenn er 1994 vom „Ende des letzten Jahrhunderts“ spricht, hat dies weder etwas mit der Gründung des Staates Israel noch mit dem Sechstage- oder Yom- Kippur-Krieg und der folgenden Besetzung des bis dahin jordanischen Gebiets zu tun, sondern kann sich nur auf die erste jüdische Einwanderung gegen Ende des 19. Jh. beziehen. Es ist also eine eindeutig antizionistische Äußerung. Damit ist allerdings die Überleitung zum nächsten Abschnitt hergestellt.

f. Antizionistischer Antisemitismus

Dies ist augenblicklich wohl die häufigste Form des Antisemitismus. Er


„tritt unter dem Deckmantel einer Ablehnung der Innen- und Außenpolitik des Staates Israel auf, der im Kern aus einer besonderen ideologischen Verzerrung und pauschalen Diffamierung des jüdischen Staates besteht, die sich zugleich traditioneller antisemitischer Stereotype bedient. Dabei lässt sich das eigentliche Motiv für die Aversion gegen Israel einzig in der Tatsache der Existenz eines jüdischen Staates ausmachen. Nicht jede einseitige oder undifferenzierte Kritik an Israel ist jedoch antisemitisch.“28


Hierbei handelt es sich nicht um einen „Neuen Antisemitismus“, wie er angeblich etwa seit der Jahrtausendwende zu beobachten ist; denn im Grunde ist daran nur neu der Trägerkreis und die konkrete Zuspitzung etwa auf die israelische Siedlungspolitik; aber im Grunde handelt es sich um die alten Argumentationsmuster. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in dieser antiisraelischen Propaganda auch die „Protokolle der Weisen von Zion“ eine besonders große Rolle spielen.


„Seit der Gründung des Staates Israel entfalten die Protokolle der Weisen von Zion in der islamischen Welt, insbesondere in den arabischen Staaten, ihre größte Wirkung: Sie gelten als wichtige Informationsquelle zum Zionismus und zum Judentum, sie werden von großen Verlagshäusern ediert, prominente Politiker, Intellektuelle und religiöse Führer aller Weltanschauungen stützen sich auf sie.“29


Die Inhalte dieser über hundert Jahre alten Fälschung sind dabei für den antizionistischen Antisemitismus von untergeordneter Bedeutung.

Letzen Endes geht es um eine ideologische Vorstellung von einem „islamischen Staat“, der das ehemalige Osmanische Reich umfasst und auf seinem Territorium keine anderen Staaten duldet. Am offensivsten wird diese Vorstellung von der Gruppe vertreten, die sich als „Islamischer Staat“ bezeichnet.


„Der Islamische Staat […] ist eine dschihadistisch-salafistische Terrororganisation, deren Ziel die gewaltsame Errichtung eines Kalifats ist, welches Syrien und den Irak, aber auch den Libanon, Israel, Palästina und Jordanien umfassen soll.“30/32


Ähnliche Vorstellungen standen auch 1948 hinter dem Überfall der arabischen Staaten auf den neu gegründeten jüdischen Staat mit dem Namen Israel. Ungeachtet des UN-Teilungsbeschlusses in der Resolution 181, die im Teilungsplan ausdrücklich vorsieht,


„Zwei Monate nach Abschluß des Abzugs der Streitkräfte der Mandatsmacht, in jedem Fall spätestens am 1. Oktober 1948, entstehen in Palästina ein unabhängiger arabischer Staat und ein unabhängiger jüdischer Staat sowie das in Teil III dieses Plans vorgesehene internationale Sonderregime für die Stadt Jerusalem“,32


wird selbst bei Verhandlungen über eine „Zweistaatenlösung“ immer wieder der Begriff „jüdischer Staat “ in Frage gestellt. Insofern kann auch der Antizionismus mit Fug und Recht als Antisemitismus bezeichnet werden. Alle Beschönigungsversuche, es gehe nur um Menschenrechte der Palästinenser, müssen angesichts dieser Grundeinstellung als Verschleierungstaktik angesehen werden.


2. Solidarität oder Flucht ins Irrationale?


2.1 Vom sachgerechten Umgang mit Umfrageergebnissen

Harald Eckert hat in einem einführenden Artikel zu einem „Dossier“ zum Antisemitismus in der August/September Ausgabe 2014 von „Israel aktuell“ dargelegt, die Redaktion habe einen Beitrag dazu leisten wollen,


„dass zunehmend verstanden wird,
• dass mindestens 20 % der Deutschen gemäß der Definition der Bundesregierung antisemitisch eingestellt sind,
• dass etwa 50% der Deutschen glauben, Israel handelt gegenüber den Palästinensern in vergleichbarer Weise wie die Nazis vor über 70 Jahren gegen die Juden,
• dass ein Drittel der Juden in Europa (und zwei Drittel der Juden in Frankreich) Angst davor haben, als Juden in Europa zu leben, und zunehmend intensiv über einen Umzug nach Israel nachdenken.“33


Wie kommt Eckert zu diesen Zahlen? Wenn er sich auf die „Definition der Bundesregierung“ bezieht, kann er nur den sog. Antisemitismusbericht vom 4. November 2008 meinen.34

Diese Beobachtungen und Zahlen sind nicht nur für die „Christen an der Seite Israels“, für die er presserechtlich verantwortlich ist, alarmierend. Allerdings werden diese in dem Antisemitismusbericht der Bundesregierung nicht so ungeschützt wiedergegeben. Ehe eine Fülle unterschiedlicher Statistiken dargeboten wird, äußerst sich die Kommission, die ihn erstellt hat, über das Zustandekommen und den Wert der Zahlen in einer „Vorbemerkung“:


„Die Bemühungen, antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung mit Hilfe von Meinungsumfragen zu erfassen, sind methodisch mit einer Reihe von Problemen behaftet. Die Einschätzung der Entwicklung antisemitischer Einstellungen über einen längeren Zeitraum wird vor allem durch den Mangel an aktuellen Langzeituntersuchungen (mit Ausnahme der unten zitierten Studie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ der Universität Bielefeld und der im Auftrag der Friedrich- Ebert-Stiftung erstellten Studien von Brähler und Decker) erschwert, während die vorliegenden Befragungen aufgrund von Unterschieden bei Erhebungsmethoden, dem Aufbau des Fragebogens, der Formulierung der Fragen etc. nicht immer im vollen Umfang kompatibel sind.“35


Diese Feststellung spricht für die Gewissenhaftigkeit der Kommission mit ihr vorliegenden Umfrageergebnissen. Sie soll jedoch keineswegs ihre Ergebnisse verharmlosen, andererseits aber vor einer plakativen Verwendung warnen. Dies tut allerdings Harald Eckert, wenn er angesichts jüngster judenfeindlicher Krawalle feststellt, die


„öffentlichen Repräsentanten unserer Gesellschaft, allen voran die Bundeskanzlerin Merkel, zeigen sich erschrocken und engagiert – gleichzeitig aber auch ein wenig hilflos angesichts der Frage, was denn nun konkret zu tun sei, um diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten.“36


Weiß er es? Er verweist auf das hohe Niveau der Antisemitismusforschung in Deutschland, stellt dann aber fest:


„Aber wenn man danach fragt, was sich daraus für konkrete Handlungen und Maßnahmen ergeben, wo sich konkret etwas ändern soll […], herrscht – von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen – weithin Ratlosigkeit und Schweigen.“37


Damit können sich „Christen an der Seite Israels“ natürlich nicht abfinden, und so fragt er: „Und wir Christen?“ und stellt an sich und die Kirche drei Fragen:


„1. Wie tief haben wir uns persönlich und kollektiv von unseren christlich-antisemitischen Wurzeln abgeschnitten? Ich bin sehr dankbar für die Hinweise von Tobias Krämer in seinem Hauptbeitrag, was die diesbezüglichen »Ausstiegshilfen« betreffen.
2. Wie substanziell sind wir bereit und willens, uns geistlich und sachlich zurüsten zu lassen, um uns mit Gottes Hilfe dieser einbrechenden Flut entgegenzustellen – was gleichzeitig hieße, sich couragiert an die Seite unserer jüdischen Mitbürger und an die Seite Israels zu stellen?
3. Wie demütig, weitherzig und dienstbereit sind wir, um gemeinsam mit den besten Kräften in Kirche und Gesellschaft eine große Allianz gegen Judenhass und Israelfeindschaft zu bilden?“38


So wichtig einige dieser Fragen sind, überschätzt er damit nicht die Rolle der Kirche in unserer Gesellschaft? Sind es nicht gerade der Ökumenische Rat der Kirchen und viele innerkirchliche Gruppierungen, die angeblich unter Berufung auf ihr christliches Gewissen und die Verpflichtung zum Frieden an die Seite der Palästinenser, nicht Israels treten, zu Israel-Boykott oder wenigstens Kennzeichnung israelischer Produkte aus den besetzten Gebieten aufrufen?

Oder meint er mit„wir Christen“ nur seine Gruppe „Christen an der Seite Israels“ – aber überschätzt er dann nicht erst recht deren öffentliche Bedeutung, ja Wahrnehmung?

Abgesehen davon, dass der Begriff „Antisemitismus“ laut Definition dieses Berichts eine „Sammelbezeichnung“ für unterschiedliche Phänomene ist, wie sie oben ausführlich dargestellt und charakterisiert wurden, warnt der Bericht der Bundesregierung:


„Die Bemühungen, antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung mit Hilfe von Meinungsumfragen zu erfassen, sind methodisch mit einer Reihe von Problemen behaftet. […] Aus alledem ergibt sich, dass Aussagen wie „15 Prozent der Deutschen sind antisemitisch“ oder „der Antisemitismus hat in den letzten Jahren von 15 auf 20 Prozent zugenommen“ letztlich Einschätzungen sind, die auf bestimmten Interpretationen des vorhandenen Zahlenmaterials beruhen, über dessen Erhebung mitunter methodische Kritik durchaus angebracht sein kann.“39


Will man diese Einstellung also überwinden, muss man genau analysieren, worauf die Gesprächspartner angesprochen werden müssen.

• Argumente gegen einen antizionistischen Antisemitismus werden einen rassistischen Antisemiten nicht überzeugen und umgekehrt.
• Gebet, sachlich informative Erkenntnisprozesse und geistliche Zurüstung werden nur etwas gegen religiös motivierten Antisemitismus ausrichten, aber nicht gegen einen sozialen Antisemitismus.

Blauäugigkeit kann sich dabei nur kontraproduktiv auswirken. So sind auch die elf Fragen der Anti-Defamation League, die sie ihrer zwischen Juli 2013 und Februar 2014 weltweit durchgeführten Umfrage40 zugrunde legte, keineswegs alle in gleicher Weise aussagekräftig. So ist beispielsweise nicht einzusehen, wieso die Zustimmung zu der Behauptung, „Jews are more loyal to Israel than to [this country/the countries they live in]“ für eine antisemitische Haltung sprechen sollten. Beweisen nicht Ängste vieler Juden angesichts antijüdischer Hassdemonstrationen, dass man sich in dem Staat, in dem man lebt, nicht sicher fühlen kann und deshalb mehr Solidarität mit dem Staat Israel empfindet?

Ganz anderer Art ist dagegen die Zustimmung zu den folgenden Thesen:


„2. Jews have too much power in international financial markets
3. Jews have too much control over global affairs
4. Jews think they are better than other people
5. Jews have too much control over the global media
6. Jews are responsible for most of the world’s wars
7. Jews have too much power in the business world
8. Jews don’t care what happens to anyone but their own kind
9. People hate Jews because of the way Jews behave
10. Jews have too much control over the United States government
11. Jews still talk too much about what happened to them in the Holocaust“41


In diesen Behauptungen spiegeln sich tatsächlich Vorurteile. Auch diese Fragen bewegen sich nicht alle auf derselben Ebene; manche könnte man sogar als Kontrollfragen ansehen. Dennoch geht die Studie recht vorsichtig vor, indem sie erst bei sechs Zustimmungen tatsächlich Antisemitismus diagnostiziert.42 Umso erschütternder ist das zusammenfassende Gesamtergebnis:


„Angeführt wird die Liste all dieser Länder von den ‘Palästinensern’ (Arabern in Gasa, Judäa und Samaria), bei denen 93% Prozent der Bevölkerung Antisemiten sind.
Sie werden in den Antisemitencharts gefolgt von:
• Irak – 92 %
• Jemen – 88 %
• Algerien – 87 %
• Libyen – 87 %
• Tunisien – 86 %
• Kuwait – 82 %
• Bahrain – 81 %
• Jordanken – 81 %
• Marokko – 80 %“43


Im Dossier der „Christen an der Seite Israels“ finden sich noch zwei andere Zusammenstellungen:


„Anteil von Antisemiten an der erwachsenen Bevölkerung:
Nordafrika/Naher und Mittlerer Osten: 74 %
Osteuropa: 34 %
Westeuropa: 24 %
Afrika südlich der Sahara: 23 %
Asien: 22 %
Amerika: 19 %
Ozeanien: 14 %“44


Interessant ist auch eine Gegenüberstellung von einzelnen Ländern mit der geringsten und höchsten Antisemitismus-Rate:


„Länder mit der geringsten Antisemitismus-Rate:
Laos – 0,2 %
Philippinen – 3 %
Schweden – 4 %
Niederlande – 5 %
Vietnam – 6 %
Großbritannien – 8 %
USA – 9 %
Dänemark – 9 %

Länder mit der höchsten Antisemitismus-Rate:
Palästinensergebiete – 93 %
Irak – 92 %
Jemen – 88 %
Algerien – 87 %
Libyen – 87 %
Tunesien – 86 %
Kuwait – 82 %
Bahrain – 81 %
Jordanien – 81 %“45


Die BRD kommt glücklicherweise in der zweiten Aufstellung nicht vor, leider aber auch nicht in der ersten – und dies bei unserer verhängnisvollen geschichtlichen Vergangenheit. Im erläuternden Text wird ein Blick auf die übrigen Staaten geworfen. Dort rangieren immerhin Griechenland mit 69 %, Frankreich mit 37 % und Spanien mit 27 % an der Spitze der „westeuropäischen“ Länder. Bei Griechenland könnte man dies mit der eigenen wirtschaftlichen Lage erklären, bei Frankreich mit dem hohen Anteil muslimischer Bürger. Erschreckend und beschämend zugleich ist aber die Feststellung:


„Für Deutschland hat die ADL einen Wert von 27 Prozent festgestellt, für die Schweiz 26 und für Österreich 28 Prozent.“46


Handelt es sich dabei immer noch um Nachwirkungen eines noch nicht überwundenen nationalsozialistischen Denkens oder nationaler Abschottungsideologien, die in eine antijüdische Abwehrhaltung verfallen? Immerhin war es die Schweiz, die während der deutschen Naziherrschaft verlangte, dass Pässe deutscher jüdischer Bürger mit einem „J“ gekennzeichnet werden mussten.



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2.2 „Ausstiegshilfen“ – grundsätzlich

In einem als „Ausstiegshilfen deklarierten Artikel stellt Thomas Krämer fest:


„Antisemitismus ist in Deutschland ein bedrückend aktuelles Phänomen. Und das nicht nur in extremistischen Gruppierungen. Unterschwelligen Antisemitismus gibt es in der deutschen Gesellschaft in großer Breite. Das ist eines der erschreckenden Ergebnisse des Antisemitismusberichts.“47


Allerdings macht es sich der Autor zu einfach mit der Behauptung, Antisemitismus sei „eine Unterform des Rassismus“; die sehr viel differenziertere Betrachtungsweise des Antisemitismusberichts der Bundesregierung hat etwas anderes gezeigt. Mit Recht stellt Krämer allerdings fest:


„Pauschale Sätze beschreiben nicht die Realität. Es tragen nie alle Mitglieder einer Volksgruppe die Eigenschaften, die man ihr zuschreibt. […] Das gilt auch für Israel. Viele wissen gar nicht, dass es in Israel zu allen Fragen eine große Bandbreite an Meinungen gibt.“48


Die Tatsache, dass es in Israel etwa für die Frage einer Zwei-Staaten-Lösung unterschiedliche Auffassungen gibt, ist dafür kein aussagekräftiges Argument; denn damit wird noch nicht nicht erkennbar, worin sich Befürworter und Gegner tatsächlich unterscheiden; es könnte ja sein, dass der Unterschied lediglich hinsichtlich der Beurteilung besteht, wie zielführend eine solche Lösung ist, dass aber beide Positionen darin übereinstimmen, die Existenz des Staates Israel als jüdischer Staat und die Sicherheit seiner Bürger müssten gewährleistet sein. Dann bestünde der Unterschied nur in einer taktischen Bewertung.

Außerdem ist zu fragen, ob eine Verallgemeinerung auch dann grundsätzlich nicht gestattet ist, wenn eine Feststellung auf eine derart überwiegende Mehrheit zutrifft, dass davon abweichende Eigenschaften und Meinungen die berühmte. sprichwörtliche „Ausnahme von der Regel“ darstellen.

Noch weniger zwingend ist ist die Behauptung:


„Pauschalierungen werden meist bewusst wertend vorgenommen. Dabei ist derjenige, der wertet, natürlich der, der Recht hat, moralisch überlegen ist, sich ein Urteil erlauben kann, die Dinge richtig sieht und zu Recht auf dem Richterstuhl sitzt – frei nach dem Motto »an meinem Wesen soll die Welt genesen«.49


Diese Behauptung ist selbst eine Pauschalierung und würde damit ihrem eigenen Verdikt verfallen. Denn wer bewusst verallgemeinert, erliegt keinem Vorurteil, sondern betreibt eine Fälschung von Tatsachen. Dies ist zweierlei.

Das von Krämer den „Pauschalierern“ unterstellte Motto ist eine Abwandlung eines aus einem Gedicht von Emanuel Geibel stammenden Zitats:


„Macht und Freiheit, Recht und Sitte, // Klarer Geist und scharfer Hieb, // Zügeln dann aus starker Mitte // Jeder Selbstsucht wilden Trieb, // und es mag am deutschen Wesen // Einmal noch die Welt genesen.“50


Auch dieses Gedicht stellt eine Pauschalierung dar; aber man sollte nicht übersehen, was Geibel als „deutsches Wesen“ empfindet: die Fähigkeit, die Selbstsucht zu zügeln.

Es geht also keineswegs um eine Selbstüberschätzung oder gar Verabsolutierung deutscher Charaktereigenschaften, sondern um ein Friedensgedicht angesichts der Zersplitterung Europas, wobei er davon ausgeht, Deutschland sei dazu berufen, den Frieden in Europa und der Welt zu schaffen und zu wahren.51 Dass später die letzte Zeile ohne Rücksicht auf den Gesamtzusammenhang nationalistisch missbraucht wurde, kann nicht Geibel angelastet werden. Ebensowenig ist die von Krämer vorgenommene Abwandlung seriös zu nennen.

Wenn Krämer kritisiert, viele Zeitgenossen seien trotz


„Globalisierung und Internationalisierung, trotz der schlechten Erfahrungen im Kolonialismus und der Weltmission im 19. Jahrhundert (die die Menschen nicht nur zu Christus, sondern teilweise auch zur europäischen Kultur bekehren wollte), trotz Dutzender misslungener Firmenfusionen und (ganz im Kleinen) auch Ehen, die an Kulturunterschieden scheitern, heute noch immer […] zutiefst überzeugt, dass eigentlich sie es sind, die wissen, was für andere Menschen (gar in fernen Ländern) gut, richtig, moralisch vertretbar und empfehlenswert ist“,52


dann weckt dies einerseits den Eindruck, er trete dafür ein, dass kein Volk bzw. Gruppe andere an den eigenen Wertvorstellungen und -maßstäben messen dürfe, andererseits scheint es aber so, als billige er der Bekehrung zu Christus eine Ausnahmestellung zu. Dies scheint dem alten Missionsschema zu folgen, nach dem alle Religionen und Kulturen außer dem Christentum gleichrangig seien.

Wenn er im Blick auf Pauschalurteile bezüglich des Gaza- und Palästinakonflikts feststellt, dass Menschen, die Israel mit „Christen an der Seite Israels“ besuchen, „auf einer Reise nach Israel gehörig anfangen umzudenken – angesichts der Einrücke direkt vor Ort“, und daraus die Folgerung zieht,


„Rassismus ist, um es einmal so zu sagen, ein gravierender Mangel an interkultureller Kompetenz, Bescheidenheit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Andersartigem“,53


so klingt dies objektiv, wird aber den vielfältigen Variationen und Motivationen von Rassismus, insbesondere von Antijudaismus nicht gerecht. Dies wird auch nicht dadurch besser, dass er fortfährt:


„Dasselbe gilt auch für Antisemitismus. Nur kommt hier die geistliche Besonderheit hinzu, dass Israel als Gottes Eigentumsvolk erwählt und bestimmt ist (5. Mose 7,6), dass damit unterschwellig eine Konkurrenzsituation sowohl zu Christen als auch zu Muslimen (und sogar zu Heiden) entsteht und diese somit meinen, sich »behaupten « zu müssen – gegen Israel.“54


Erstens ist nicht plausibel, inwiefern eine Israelreise z.B. einen rassistischen oder religiösen Antisemitismus überwinden sollte, von einem antizionistischen ganz zu schweigen. Zweitens ist nicht erkennbar, wodurch eine Israelreise daran etwas ändern sollte. Denn diese Haltung hat nichts mit mangelnder Information über Israel zu tun, sondern über mangelnde Information über das Judentum einerseits und einem Mangel an Selbstwertgefühl andererseits, den solche Überlegenheitsansprüche ausgleichen sollen. Insofern ist der Satz falsch:


„Die Frucht dieses Ansatzes ist die sogenannte Ersatz- oder Substitutionstheologie, die besagt, dass Gott Israel durch die Kirche Jesu Christi ersetzt (Israel also verworfen und abgestoßen) habe.“55


Diese Theologie ist nicht die Frucht, sondern die Voraussetzung des religiösen Antisemitismus, sie ist dagegen die Frucht eines mangelnden Selbstwertgefühls, das es nicht ertragen kann, dass andere gleichberechtigt sein sollen.



2.3 „Ausstiegshilfen“ – konkret

a. Genaue Analyse

Zunächst wird ein „unterschwelliger Antisemitismus“ teilweise anhand von Kriterien aus dem Antisemitismusbericht der Bundesregierung charakterisiert. Dabei muss es sich jedoch nicht immer um einen unterschwelligen Antisemitismus handeln. Es gibt Friedensgruppen, die grundsätzlich immer den militärisch Überlegenen im Unrecht sehen, ganz gleich, um wen es sich handelt, die USA oder Israel, ohne auf die Hintergründe des gerade anstehenden Konflikts zu achten.

In einem solchen Fall sollte man nicht von einem unterschwelligen Antisemitismus sprechen, sondern von einem sich antisemitisch auswirkenden ideologischen Pazifismus. Erst dann nimmt man dieser Position die intellektuellen Waffen aus der Hand, indem man ihr nicht die Ausflucht belässt, „ich habe nichts gegen Juden, aber …“. Damit kann man auch der Tatsache entgegenwirken, dass Fakten aufgrund dieser ideologisch bedingten Parteinahme nicht zur Kenntnis genommen oder verkannt werden, indem man dem Gegenüber hilft, sich über seine Motive klar zu werden.

Auf einer anderen Ebene bewegen sich Argumentationen, die den Staat „Israel kritischer sehen als andere“.56 Hier könnte im Hintergrund eine uneingestandene Vorbildfunktion Israels stehen. Von Israel wird mehr erwartet als von anderen Völkern und Staaten, weil wir von Israel die Maßstäbe richtigen und gerechten Handelns erhalten haben, so dass dann plötzlich auch bezüglich menschlich verständlicher Reaktionen und eines entsprechenden Verhaltens „das Normale als unnormal erscheint.“57 Diese Bewertungen entspringen nicht zwangsläufig einer Abwertung, sondern einer Überbewertung Israels und sollten deshalb um der begrifflichen Klarheit willen ebenfalls nicht als unterschwelliger Antisemitismus bezeichnet werden. Wirkungsvolle „Ausstiegshilfen“ müssen präzise analysieren, welche Art von Fehlsteuerung beim Gegenüber vorliegt.

Krämer geht es allerdings nicht um „Ausstiegshilfen“ für säkulare Gesprächspartner, die der Antisemitismusbericht der Bundesregierung im Blick hat, oder um muslimischen Antijudaismus, sondern offensichtlich um Menschen, die nicht nur formal Christen sind, sondern mit ihrem Glauben ernst machen wollen. Nur so ist der Satz verständlich:


„Wenn Christen es mit der Heiligung ernst meinen, dann schließt das ihr Verhältnis zu Israel mit ein.“58


Offensichtlich geht er davon aus, dass es auch unter solchen Christen judenfeindliche Einstellungen gibt.

b. Genaues Lesen der Schrift

Leider entspricht seiner oberflächlichen Analyse der gegnerischen Argumente bei seiner Gegenargumentation eine ebenso oberflächliche Betrachtung der biblischen Texte, auf die er sich bezieht.

Krämer fragt beispielsweise:


„Verhalten wir uns so, dass es Israel »zum Nacheifern reizt«, wie es laut Römer 11 unser Auftrag ist?“59


Abgesehen davon, worin uns Israel in den zur Debatte stehenden Fragen nacheifern sollte, ist Krämers Voraussetzung fragwürdig, dass es unser Auftrag sei, Israel zum Nacheifern zu reizen. Worin sollte denn dieses Nacheifern bestehen? Melden sich hier versteckte judenmissionarische Erwartungen – und wären diese dann nicht sogar ein eklatantes Beispiel für „religiösen Antisemitismus“? Denn Judenmission kann nur als Dienst an Israel verstehen, wer den jüdischen Glauben für defizitär hält und den Bund Gottes mit Israel für obsolet!

Der Hinweis auf das „Nacheifern“ erweist sich daher als Sackgasse, wenn versäumt wird, auf den Kontext und damit auf das Argumentationsgefälle der jeweiligen paulinischen Aussage genau zu achten. Dabei kann vor allem die deutsche Übersetzung zur Falle werden, erst recht die Zwischenüberschriften in deutschen Bibelausgaben. Was Paulus meint, muss am griechischen Text überprüft werden, häufig sogar am hebräischen Text seiner biblischen Zitate. Im konkreten Fall um die Sendung zu den Völkern.

Und worin besteht die „aufrichtige Nächstenliebe“ gegenüber Israel, die Tobias Krämer fordert? Hier beweist er bedenkliche begriffliche Unklarheit, wenn er jeweils „Israel und die Juden“ in einem Atemzug nennt. Denn:


  1. Man muss unterscheiden zwischen Israel als Staat und der jeweiligen israelischen Politik; denn nicht alles, was eine jeweilige israelische Regierung entscheidet und unternimmt, muss dem unbestreitbaren Existenzrecht Israels dienen. Manches könnte sogar strategisch kontraproduktiv sein.
  2. Nicht alle Juden stehen kritiklos hinter der Politik Israels. Auch wenn Israel – unabhängig vom Staat Israel – ein Volk ist, so sind Juden auch Angehörige einer Religion. Beides muss unterschieden werden; denn es ist ein Unterschied, ob jemand eine ablehnende Haltung gegenüber Juden als Religionsangehörige mit bestimmten religiös bedingten Verhaltensregeln einnimmt, oder weil er Juden aus rassistischen Gründen ablehnt, oder ob jemand nichts gegen Juden im allgemeinen hat, wohl aber gegen die Politik des israelischen Staates, womöglich sogar grundsätzlich gegen einen jüdischen Staat, den er von der Grundidee her für rassistisch hält.
  3. Es gibt auch Kritik an der Politik Israels seitens Freunden Israels, die nicht strategisch, sondern ethisch begründet ist, weil sich konkrete Maßnahmen angeblich nicht mit Grundprinzipien des Staates Israel in Einklang bringen lassen.

Es ist zwar konkret zu überprüfen, um welche Motive es sich in jedem Einzelfall handelt; dies ist aber nicht möglich, wenn von vornherein nicht zwischen Israel und Juden unterschieden wird.

Im Einzelfall ist zu fragen, ob jemand tatsächlich ohne fremde Hilfe, vielleicht sogar mit Hilfe eines (Tiefen)psychologen in der Lage ist zu prüfen, „welche Inhalte liefert mein Unterbewusstsein an dieser Stelle“.60 Hier ist die Gefahr einer Selbsttäuschung, die zu einer Selbstrechtfertigung führt, besonders groß. Ähnliches gilt für sein drittes Prüfkriterium:


„Ziehe ich mich auf eine Position der »Neutralität« zurück? Ist diese echt oder nur das Ergebnis dessen, dass ich im Grunde gegen die Juden bin und jene Neutralität nur benutze, um nicht pro sein zu müssen?“61


Auch hier zeigt sich die verhängnisvolle Auswirkung mangelnder Differenzierung zwischen Israel und Juden einerseits und der unkritische Optimismus gegenüber Möglichkeiten einer Selbsteinschätzung andererseits.

Anderer Natur sind das zweite und vierte Kriterium:


„Wie sind meine Einstellungen und Haltungen Israel und den Juden gegenüber? Mit welchen Worten lassen sie sich beschreiben? Passen sie zur Liebe Gottes, die allen Menschen gilt, auch den Juden? Habe ich im Hinblick auf meine Gedanken Israel gegenüber ein reines Gewissen vor Gott? Oder muss ich mich innerlich rechtfertigen und mich aus Rückfragen herauswinden, wie es vor langer Zeit Kain schon tat?“62


Hier wird Gott ins Spiel gebracht und vorausgesetzt, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, Gottes „Gedanken“ zu erkennen. Dies ist jedoch ein erkenntnistheoretischer Kurzschluss! Was wir haben, sind normative religiöse Traditionen und Texte, deren Verständnis aber von hermeneutischen Regeln abhängig ist, so dass diese jeweils offengelegt werden müssen. Auch biblische Texte sind von diesem hermeneutischen Grundsatz nicht ausgenommen. Biblischen Texten ist daher je nach dem zugrunde liegenden Textverständnis Unterschiedliches zu entnehmen. Wer die Bibel in ihrem historischen Entstehungsprozess angesichts unterschiedlicher geschichtlicher, kultureller und sozialer Verhältnisse versteht, wird zu anderen Ergebnissen kommen als jemand mit fundamentalistischem Textverständnis. Auf die beiden genannten „Ausstiegshilfen“ angewendet heißt dies:


  • Kann die Liebe Gottes zu allen Menschen als Interpretationsmodell für die Lösung politischer Probleme dienen? Kann aus ihr eine einseitige Parteinahme für eine der streitenden Parteien erfolgen? Oder muss – bei konsequenter Anwendung dieses Modells nicht „auf beiden Schultern Wasser getragen“ werden?
  • Besteht Kains Problem nach der biblischen Erzählung Gen 4 im „Herauswinden“? Auch wenn man V. 9 in diesem Sinn versteht, liegt doch das eigentliche Problem in der Nichtbeachtung der Warnung und der Aufforderung in V. 7 „du aber herrsche über sie“! Dies ist die Erwartung der Kainsgeschichte, nicht die „Gewissensprüfung“. Denn das Gewissen findet für alles eine Rechtfertigung – und Kain kommt erst angesichts der Strafe zu Einsicht seines Vergehens.

Es ist daher eine zu allgemein gehaltene Regel, wenn es heißt, jemand könne, wenn er beim Nachdenken über diese Fragen „auf antisemitische Reflexe stößt […] auch hier den Weg gehen, den er im Falle der Umkehr immer geht“.63 Was dann folgt, ist derart salbungsvoll, dass ich nur auf zwei Gesichtspunkte eingehen will:


  1. Was heißt es, „Gedanken und Gefühle ans Kreuz bringen, sich von ihnen lösen bzw. lossagen“64? Steht dahinter möglicherweise eine stellvertretende Opfertheologie? Aber was kann diese – sofern sie sachlich richtig wäre – ausrichten? Doch nur eine Strafbefreiung.
    Hier wird aber mit den Stichworten „lösen bzw. lossagen“ zum Ausdruck gebracht, dass das Bedenken des Kreuzestodes Christi in der Einstellung zu Israel einen Sinneswandel bewirkt. Was aber, wenn dadurch die Empathie mit den Palästinensern erzeugt bzw. verstärkt wird? Wenn sie mit dem unschuldig Leidenden am Kreuz parallelisiert oder gar identifiziert werden?
    Dieser fromm klingende Ratschlag erweist sich damit als hohle Phrase oder gar als Trojanisches Pferd.
  2. Was heißt es, „Um Offenbarung der Gedanken und Gefühle, ja des Herzschlags Gottes Israel gegenüber bitten“ oder „Sich Gottes Gedanken und Gefühle schenken lassen, aneignen und »zu Herzen nehmen«“? Für den Verfasser scheint von vornherein festzustehen, dass Gott die Politik des Staates Israel billigt und gutheißt. Was jedoch, wenn Gottes Antwort an Israel lauten sollte: Tut Buße?

Ich will nicht missverstanden werden, sondern nur die Schwäche solcher formelhafter, scheinbar religiöser Sprache aufweisen, die im Voraus Gottes Antwort zu wissen vorgibt, statt sich selbst einer Korrektur Gottes auszusetzen.

Sollten diese Beispiele nicht genügen, so bietet der Schluss des Artikels noch genügend weitere Beispiele für diese selbstgerechte Denkweise, die sich ins Allgemeine und moralisch Erbauliche flüchtet, statt auf die konkret anstehenden Fragen einzugehen.


„Umkehr ist ein Geschenk. Durch Umkehr wird das Herz rein. […] Ein reines Herz liebt bedingungslos – unabhängig vom Ansehen der Person. Es liebt Juden. Es liebt Muslime. Es liebt Freund und Feind. Es liebt alle Menschen.“65


Was ist mit diesen schwülstigen Allgemeinplätzen gewonnen? Was tragen sie in den konkreten Fragen des Antisemitismus zur Lösung bei?



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3. Vom Antisemitismus der trägen Herzen


3.1 Die Gesprächslage nach 1945

Deutschland war 1945 seiner jüdischen Gemeinden und damit auch seiner jüdischen Kultur beraubt. Aufschlussreich ist eine Bevölkerungsstatistik der Juden in Deutschland für die Zeit vor dem Nationalsozialismus. Für die Weimarer Republik galt:
„Die Gemeinden wurden Körperschaften öffentlichen Rechtes. Berlin wurde zum Zentrum, wo ein Drittel der Juden wohnte. Insgesamt sank ihre Zahl trotz Zuwanderung von Ostjuden ins Reich aber von gut 615.000 (1910) über ca. 560.000 (1925) auf ca. 500.000 (1933)66. Das lag zum einen an den Gebietsabtretungen, zum anderen an einem Geburtenrückgang, verursacht durch zunehmende Überalterung und Verstädterung jüdischer Familien wie auch an den Übertritten zum Christentum.“67

Demselben Abschnitt zufolge lässt sich außerdem festhalten:
„Auch in Wissenschaft, Kunst und Literatur leisteten Juden häufig Bedeutendes, was sich nach ihrem Verlust ab 1933 schmerzvoll bemerkbar machte.“68

Berühmte Träger einer deutsch-jüdischen Kultur waren u.a. Naturwissenschaftler wie Albert Einstein und Max Born, Schauspielerinnen wie Therese Giehse, Maler wie Max Liebermann, Schriftsteller und Dichter wie Kurt Tucholsky, Max Brod oder Anna Seghers, Komponisten wie Kurt Weill, Philosophen wie Martin Buber, Ernst Bloch, Theodor W. Adorno und Erich Fromm, sowie jüdische Gelehrte (Rabbiner) wie Leo Baeck und Benno Jacobs, um nur einige der herausragenden Persönlichkeiten zu nennen, die das deutsche Geistesleben entscheidend mit geprägt haben. Dieses reichhaltige kulturelle Leben war durch die NSRassenpolitik ausgelöscht. Die sich neu konstituierenden jüdischen Gemeinden bestanden anfangs hauptsächlich aus Displaced Persons.

Kirchliche Kreise waren oft nicht an der Wiederbelebung jüdischer Gemeinden und Kultur interessiert. Ein hervorragender Vertreter einer anderen und tatkräftigen Einstellung war der Heidelberger Pfarrer und spätere Prälat Hermann Maas.

Er war nicht der Einzige. So findet sich in dem Sammelband mit Briefen, Reden und Aufsätzen von, an und über Rabbiner Robert Raphael Geis u.a. ein Brief des während der Naziherrschaft im britischen Mandatsgebiet Palästina lebenden badischen Pfarrers Heinz Kappes, Karlsruhe, vom 24. 11. 1951 an Pfarrer Adolf Freudenberg folgenden Inhalts:
"Lieber Bruder Freudenberg,
Hierdurch unterbreite ich Dir ein Anliegen, durch dessen Erfüllung die Evangelische Kirche in Deutschland einen wirklichen und außergewöhnlichen »Dienst an Israel« leisten könnte, welcher ihr selbst zum Segen gereichen würde:
Es handelt sich um die Bitte, einen jüdischen Rabbiner in die Pensionskasse einer deutschen evangelischen Kirche aufzunehmen. … Seit 1949 ist er der Rabbiner der liberalen Gemeinde in Amsterdam. Erst von Holland aus bekam er die Möglichkeit, ab und zu nach Deutschland zu kommen. Er hat einen Israelipaß. […] Als in Karlsruhe im Sommer 1951 der renovierte Betsaal der jüdischen Gemeinde geweiht wurde, hielt er den Gottesdienst. Unser Landesbischof D. Bender nahm an dieser Feier teil und machte durch seine ergreifende Botschaft einen tiefen Eindruck auf die Juden aus zahlreichen Orten Süddeutschlands. […] Hermann Maas hatte schon seit über einem Jahr dahin gewirkt, daß die Heidelberger Universität die Frage prüfen möge, ob nicht dort ein Lehrstuhl für einen Honorarprofessor für nachbiblisches Judentum errichtet werden könne. […] Seitdem die Gemeinden in Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg Dr. Geis kennen, drängen sie darauf, daß er als Landesrabbiner nach Nordbaden kommen solle. In Karlsruhe und Heidelberg mögen etwa 150 Juden leben, in Mannheim etwa 200, und einzelne sind noch in Pforzheim und anderen Orten verstreut.“69

Nach Studium und Promotion in Berlin und einer Zeit als Jugendrabbiner in München war Robert Raphael Geis zunächst zweiter Stadtrabbiner in Mannheim und schließlich Landesrabbiner in Kassel, ehe er im November 1938 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, dort aber bereits im Dezember des gleichen Jahres „mit Ausreisepapieren für Palästina“ wieder entlassen wurde, wo er im Februar 1939 eintraf.70

Sein Lehrer Leo Baeck schrieb am 1. Februar 1952 aus Cincinnati einen Brief an Geis, in dem er zum Ausdruck brachte, „wir brauchen einen Rabbiner wie Sie in Deutschland.“71 Auf diesem Hintergrund ist der Brief von Hermann Maas an Rabbiner Geis zu verstehen, obwohl sein Brief bereits einige Jahre früher als der Leo Baecks an den ehemals u.a. auch badischen Rabbiner gerichtet wurde.


3.2 Hermann Maas an Rabbiner Dr. Geis


a. Anlass und geistiger Kontext

Dieser Brief vom 30. 12. 1949 ist die Antwort auf einen leider nicht erhaltenen Brief von Rabbiner Geiss, wie aus dem ersten Satz dieser Antwort hervorgeht:
„Lieber, verehrter Herr Dr. Geis!
Ich antworte erst heute auf ihren lieben Brief, weil mir Ihre Frage sehr zu schaffen macht. Sie ist wahnsinnig schwer zu beantworten.“72

In einer Fußnote des Herausgebers ist angemerkt:
„Die Frage einer Rückkehr nach Deutschland zur Erfüllung von Aufgaben, die Geis vor sich sah, hat ihn vom Ende des Krieges an immer wieder bewegt; sie findet sich wohl am prägnantesten im Briefwechsel mit Karl Barth (s. III.1).“73

Dort findet sich auch ein Brief von Rabbiner Geis, den er am 6. 11. 1945 aus Haifa an Karl Barth schrieb.
„Sehr geehrter Herr Professor,
seit ich Ihre Schilderung über das Deutschland nach Beendigung des Krieges gelesen habe, überlege ich mir, ob ich Sie mit einem Brief belästigen darf. Wenn ich meine Hemmung überwinde, so nur, weil ich glaube, daß schließlich aus Persönlichstem Überpersönliches hervorgehen kann – und muß. Ich war von 1932 bis 1939 als deutscher Rabbiner tätig, zuerst als Jugendrabbiner in München, dann als Stadtrabbiner in Mannheim, endlich als Landesrabbiner in Kassel. Meine Amtszeit fiel also fast ausschließlich in die Zeit des Hitlerregimes. Wir Rabbiner hatten es in unserer Amtsführung zweifelsohne leichter als unsere Kollegen von der Bekenntniskirche, zumeist kümmerte man sich nicht um unsere Stellungnahme zur deutschen Politik. Ich bin daher erst 1938 in‘s Konzentrationslager gekommen, um nach meiner Freilassung ausgewiesen zu werden.“74

So kann man die Lage der deutschen Rabbiner wohl auch sehen! Aufgrund des Widerstands der „Judenheit Palästinas“ gegen das „Weißbuch der englischen Regierung“ kommt Geis allerdings zu dem Ergebnis:
„Den Schuldspruch gegen das deutsche Volk als Gesamtheit konnte ich danach nicht mehr aufrechterhalten. Ich möchte heute bezweifeln, daß irgendein europäisches Volk wirklich und wahrhaft immun gegen das Gift des Nationalismus ist, wenn die nationale Situation ein Besinnen auf die geistigen Güter der Nation verlangte. Damit entschuldige ich nichts; ich bemühe mich nur zu verstehen, zu verzeihen und aus Mit-leiden den Weg aus der Verirrung mitzugehen. […] Ich weiß, was ein KZ ist, wenn ich die Gaskammern auch nicht mehr gesehen habe. Und dennoch, ich kann nicht hassen. Wer sehenden Auges durch diese Zeit gegangen ist, hat eine neue Realität von Welt und Mensch erfahren, sie ist fürchterlich, so fürchterlich, daß es nur noch eine Reaktion geben kann – Erbarmen. Als die World Union for Progressive Judaism in London unter der Leitung von The Hon. Lily Montagu mich aufforderte, nach Deutschland zurückzukehren, um mit dem Wiederaufbau jüdischer Gemeinden zu beginnen, war ich dankbar für eine Aufgabe, die wie nichts mich mit der Vergangenheit versöhnen konnte. Für eine religiöse Gemeinschaft darf es keinen »entweihten Boden« geben. Große Teile des deutschen Volkes sind wahrscheinlich auch tiefer erschüttert als die Siegernationen. Meine jüdische Arbeit müßte notwendigerweise zugleich eine Arbeit für das deutsche Volk werden."75

Was für eine menschliche Größe spricht aus diesen Worten. Er schließt seinen Brief mit der Frage:
„Und dann noch eine persönliche Frage: haben Sie meinen Freund Stadtpfarrer Maas/Heidelberg wiedergesehen?“76

Karl Barth antwortete am 15. Februar 1946, indem er seiner Freude über diesen Brief Ausdruck gibt und u.a. äußert:
„Sie lassen deutlich durchblicken, daß Sie mit Ihrer Stellung zu Deutschland nicht viele unter Ihren Glaubensgenossen zur Seite haben: Und wie gut versteht man diese andern!“77

Barth drückt seine Hochachtung vor dieser Haltung aus und sieht darin ein Hoffnungszeichen, das „über das künftige Verhältnis von Juden und Deutschen weit hinausgeht.“78 Er verweist dann allerdings auch auf die Praxis der alliierten Militärbehörden, die sehr restriktiv mit Einreiseerlaubnissen umgingen. Er bietet jedoch seine Hilfe an. Offensichtlich war dies schwieriger als gedacht; so kam es zu der oben von Pfr. Heinz Kappes beschriebenen Situation: „Erst von Holland aus bekam er die Möglichkeit, ab und zu nach Deutschland zu kommen.“79 Zu der Frage nach Hermann Maas antwortet Karl Barth:
„Pfarrer Maas habe ich noch nicht persönlich wiedergesehen. Ich höre aber von allen Seiten Gutes über ihn. Er scheint sich in der ganzen Hitler-Kriegszeit gerade in der Judensache ganz ausgezeichnet verhalten zu haben. Im Übrigen hört und liest man aus Deutschland leider Vieles, was Grund zur Sorge gibt. Die Alliierten haben dort bis jetzt keine sehr weise Politik getrieben und das Resultat ist, daß die Reaktion vielfach aufs Neue Feld gewonnen hat."80

Man mag darüber diskutieren, ob Karl Barths Einschätzung zutreffend ist, dass das erneute Aufblühen der „Reaktion“ – gemeint sind bürgerlich nationalistische Judenfeinde – auf das Vorgehen der Alliierten zurückzuführen ist oder ob es lediglich eine bürokratische „Entnazifizierung“ gab, der keine geistige entsprach.

Wie unterschiedlich und vielschichtig hinsichtlich Motivation und Erscheinungsform der Antisemitismus ist, hat der oben zitierte Antisemitismusbericht der Bundesregierung gezeigt. Seine Überwindung ist daher entsprechend schwierig.

Karl Barths Bemerkung über das, was für ihn „Grund zur Sorge“ ist, erscheint deshalb so bedeutungsvoll, weil Hermann Maas in seinem Brief aus seiner unmittelbaren Wahrnehmung sehr differenziert auf diese Lage eingeht.

b. Eine abgewogene, differenzierte Beurteilung der Lage

Nachdem Hermann Maas festgestellt hat, dass eine Antwort auf die Frage eines sinnvollen Wirkens eines Rabbiners in Deutschland – darum ging es wohl in dem Brief von Rabbiner Dr. Geis – „wahnsinnig schwer zu beantworten“ ist, fährt er in unmittelbarem Anschluss fort:
„Auf der einen Seite halte ich das, was Sie hier tun wollen, für so außerordentlich wichtig. Wir müssen anfangen Zeugnis abzulegen von unseren tiefsten Überzeugungen, weil dadurch allein eine wirkliche Vereinigung entstehen kann. Es ist doch ein Fluch, der nicht ewig weiter geschleppt werden darf, daß wir auseinander gerissen worden sind, trotzdem wir so eng zusammengehören durch das eine Buch und die eine große Wahrheit und den einen ewigen Gott.“81

Wer Hermann Maas persönlich kannte, weiß, wie leidenschaftlich er dachte und reden konnte, so dass manches auch missverständlich zu geraten drohte. Wenn er von „Vereinigung“ spricht, ist sicher kein Zusammenschluss von Kirche und Synagoge gemeint, sondern das gemeinsame Zeugnis von Christen und Juden für den Gott der Bibel, „den einen ewigen Gott“. Dabei legte er das Alte Testament durchaus auch christologisch aus, als Hinweis auf Jesus, aber so, dass es als Botschaft an das bleibende Gottesvolk ungekürzt und unverändert erhalten blieb. Die christologischen Deutungen verstand er eher als Anknüpfungspunkte für die christliche Verkündigung. Da er bereits 1970 starb, darf man seine Theologie nicht an Maßstäben messen, die erst in den Achtzigerjahren des 20. Jh. allmählich entwickelt wurden.

Im darauf folgenden Briefabschnitt erörtert er die Frage, an welcher deutschen Universität Geis lehren und „wohl, um Ihre Existenzgrundlage zu sichern, mit ihrem Beruf als Hochschullehrer auch ein Rabbinat verbinden müßten. Aber wo ist die Gemeinde, die groß genug ist, um Sie zu tragen?“82 Wie er die bestehenden jüdischen Gemeinden einschätzt geht aus den nächsten Sätzen hervor:
„Die Gemeinden, die etwa wie die hiesige, heute sich vorfinden, sind ja alles Gemeinden auf Abruf. Sie bestehen zum allergrößten Teil aus ostjüdischen Menschen, die nicht in Deutschland bleiben wollen, sondern zum allergrößten Teil nach den Staaten oder auch zu einem kleineren Teil nach Palästina weiter wollen.“83

Erstaunlich ist, dass Hermann Maas noch im Dezember 1949 von „Palästina“ spricht, obwohl es bereits seit über eineinhalb Jahren den Staat Israel gab; so eingefleischt war offensichtlich dieser Begriff. Er fand sich ja auch in den Bibeln, die Karten von „Palästina zur Zeit des Alten Testaments“ enthielten, einer historisch völlig falschen Bezeichnung.

Nachdem Hermann Maas seine Zweifel geäußert hatte, ob genügend jüdische Menschen noch den Wunsch verspüren, in Deutschland zu leben, kommt er auf Bundespräsident Heuss zu sprechen:
„Wir haben einen Bundespräsidenten Dr. Heuss, der in gewissem Sinne eine Garantie dafür bietet, daß Deutschland nicht die Stätte eines wilden Antisemitismus wird. Die Dinge, die geschehen, sind wirklich zum großen Teil Bubenstreiche, die überwunden werden. Etwas anderes ist es um jenen verborgenen Antisemitismus, den ich den Antisemitismus der trägen Herzen nennen möchte. Es sind diejenigen, die über der eigenen Not, über dem Jammer des Flüchtlingslebens, über den Sorgen um das Ausgebombtsein usw. vergessen, daß das alles alles nicht zu vergleichen ist mit dem Abtransport nach Osten in versiegelten Viehwagen in technisch fein organisierte Gaskammern. Und es sind die trägen Herzen, die nicht wissen, daß mit den Ausdrücken Antisemitismus und Philosemitismus nun endlich ein Ende gemacht werden muß und daß an diese Stelle klare Bilder treten müssen im positiven Sinn, Ehrfurcht und Liebe gegenüber dem jüdischen Volk als dem am unfassbaren Ozean der Erwählung Gottes Stehenden. Doch es fordert eben Ihre Arbeit und unsere Arbeit, und hoffentlich sind es nicht bloß Menschen, die bald sterben müssen, die solche Bereitschaft vertreten und verkündigen können, sondern auch solche, die ein langes, leidenschaftliches Leben vor sich haben.“84

Hermann Mass war damals bereits 72 Jahre alt; aber er lebte noch fast 21 Jahre und starb mit 93 Jahren – bis zuletzt ein leidenschaftlicher Vertreter seines Herzensanliegens. Es gab tatsächlich eine Generation, wie er sie sich erhoffte, es war die Generation seiner Enkel. Wie geht es weiter?

Sind die „trägen Herzen“ überwunden oder die Zahl der Desinteressierten gewachsen, weil sich das Interesse auf andere Ziele als humanitäre Werte richtet?

Gibt es womöglich sogar wieder einen wildgewordenen Antisemitismus, weil Israel – wie Untersuchungen zeigen – als der eigentliche Störenfried des Weltfriedens gilt?

Zu denken gibt es, wenn ein Pfarrer, der sich für einen Judenfreund hält, einen Artikel, in dem der südafrikanische Bischof und Friedensnobelpreisträger Tutu „die Unternehmen zum Boykott und Kapitalabzug aus der israelischen Besetzung und Unterdrückung Palästinas“ aufruft, mit der Empfehlung „zum Israelsonntag etwas Vernünftiges“ weiterleitet.

Dies ist mehr als nur ein „Antisemitismus der trägen Herzen“!

Verfasst:
22. August 2014



ANMERKUNGEN



1 Vgl. Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages. Debatte vom 17. Oktober 2012, Drucksache 17/7700; S. 10

2 Ebd.; aus Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, FRA, deutsche Übersetzung: Internetplattform des European Forum on Antisemitism, Task Force Education on Antisemitism beim American Jewish Committee

3 Ebd., siehe auch: Armin Pfahl-Traughber, Ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 31 vom 30. Juli 2007, S. 4–11; Werner Bergmann, Was heißt Antisemitismus?, Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/ CHJOW7,0,0,Was_hei%DFt_Antisemitismus.html [eingesehen am 16. Mai 2011].

4 Ebd.

5 Ebd.

6 BQ VIII,1, [Übers.] Lazarus GOLDSCHMIDT, Der Babylonische Talmud, Jüdischer Verlag, Berlin 1930, ff., Bd. VII, S. 280

7 BQ 83 b ff., Goldschmidt VII, S. 282 ff. – Z.B.: „Es wird gelehrt: R. Dostaj b. Jehuda sagte: Auge um Auge, eine Geldentschädigung. Du sagst, eine Geldentschädigung, vielleicht ist dem nicht so, sondern wirklich das Auge? Ich will dir sagen, wie könnte man in dem Falle, wenn das Auge des einen groß, und das Auge des anderen klein ist, aufrecht erhalten [die Worte] Auge um Auge!? Wolltest du erwidern, in einem solchen Falle nehme man von ihm eine Geldentschädigung, so sagt ja die Tora [Lev 24,22]: einerlei Recht soll für euch gelten, das Recht soll für euch alle gleichmäßig sein!? […]“

8 Antisemitismusbericht, a.a.O., S. 11 (Hervorhebung H.M.)

9 Ebd., S. 12

10 Ebd., S. 11

11 Ebd.

12 Ebd. Ein Beispiel hierfür sind die sog. Protokolle der Weisen vom Zion, hier zitiert nach [Hrsg.] Theodor FRITSCH, Hammer-Verlag, Leipzig 1933. Dort heißt es etwa unter Ziff. 6:  „Gewalt muß der Grundsatz sein für Schlauheit und Täuschung die Richtschnur für Regierungen, die ihre Kronen nicht vor die Füße einer neuen Macht legen wollen. Es ist zwar ein Übel, aber doch nur ein Mittel, um den Zweck, das Gute, zu erreichen. Darum dürfen wir mit Bestechung, Betrug und Verräterei nicht aufhören, wenn diese Dinge zur Erreichung unseres Zieles dienen sollen. In der Politik muß man die Schwächen der anderen ohne Zaudern zu benutzen wissen, denn durch sie sichern wir uns Unterwerfung und Oberherrschaft.“ Dass derartige Thesen nicht nur judenfeindlicher Propaganda entsprungen sind, sondern auch verschiedenen Systemen vom zaristischen Russland, in dem sie erstmals auftauchten, bis zum Nationalsozialismus und Stalinismus dienlich waren, versteht sich von selbst.

13 Bericht, S. 11

14 Flavius JOSEPHUS, Gegen Apion; in: ders. Kleinere Schriften, übers. Heinrich Clementz, Fourier Verlag, Wiesbaden 1993, S. 136

15 Ebd., S. 138

16 Ebd., S. 140 f.

17 Goldschmidt IX, S. 541, Anm. 243: „Eine Art Salzfisch; gewöhnlich mit Triton identifiziert.“

18 Goldschmidt IX, S. 541, Anm. 245: „Vgl. ob. S. 538 Anm. 226.“ – Dort steht: „lat. alec (halec), Fischbrühe, Fischlake; aus reinen Fischen bereitet.“

19 http://de.wikipedia.org/wiki/Asant (Stand: 18.8.2014): „Pflanzenart in der Familie der Doldenblütler (Apiaceae). […] Der Asant wächst als ausdauernde, krautige Pflanze und wird bis 3 Meter hoch. Es wird eine dicke Pfahlwurzel gebildet. Die großen Laubblätter sind zweifach gefiedert. Die flaumig behaarten Teilblättchen sind länglich und stumpf mit glattem Rand. Der dicht flaumig behaarte, doppeldoldige Blütenstand ist kompakt. Die haltbaren Kronblätter sind weißlich-gelb. Die Frucht ist mit einer Länge von etwa 1 cm und einer Breite von etwa 0,8 cm breit länglich bis fast kugelig mit Flügeln die fast so breit sind wie die Samen.“

20 Goldschmidt IX, S. 541, Anm. 246: „Vgl. weit. S. 556 Anm 344.“ – Dort steht: „Lesart und Bedeutung des Wortes ... sind dunkel; nach Raschi, Brothändler, nach anderen die Vornehmen; richt. mit Massafia: sal conditum.“

21 AZ II,6, [Übers.] Lazarus GOLDSCHMIDT, Der Babylonische Talmud, Jüdischer Verlag, Berlin 1930 ff., Bd IX, S. 541

22 Der Spiegel 50/1999; vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-15239680.html (Stand: 17.8.2014)

23 Ebd.

24 Ebd.

25 audiatur.online, 24. November 2011

26 Aus der Kurzfassung der Originalversion: „Palestinian Theologian” Trashes „Palestinian Theology” by Malcolm Lowe © Hudson New York, November 10, 2011. All rights reserved.

27 Mitri RAHEB, Ich bin Christ und Palästinenser. Israel, seine Nachbarn und die Bibel, GTB 1307, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1994, S. 84

28 Antisemitismusbericht, a.a.O., S. 12

29 http://de.wikipedia.org/wiki/Protokolle_der_Weisen_von_Zion (Stand: 18.8.2014)

30 Blutiger Machtkampf in Nahost: Das irakische Puzzle, in: Spiegel Online, 13. Juni 2014.

31 http://de.wikipedia.org/wiki/Islamischer_Staat_(Organisation) (Stand: 18.8.2014)

32 UN-Resolution 181 vom 29. November 1948, Teilungsplan Teil I, A.3

33 Dossier Antisemitismus, S. 1

34 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/077/1707700.pdf (Stand: 19.8.2014)

35 Antisemitismusbericht, a.a.O., S. 52

36 Dossier, S. 1. – Im Originaltext steht der Gedankenstrich (wohl irrtümlich) hinter „gleichzeitig“, was keinen Sinn ergibt. (H.M.)

37 Ebd.

38 Ebd.

39 Antisemitismusbericht, a.a.O., S. 52

40 Vgl. Dossier, a.a.O., S. 1‚

41 ADL-Studie [http://aro1.com/palaestinenser-weltweit-groessten-antisemiten/ (Stand: 20.8.2014)]

42 ADL-Studie, a.a.O.: „Wer sechs oder mehr Fragen bejahte wurde als antisemitisch eingestuft.“

43 Ebd.

44 Dossier, a.a.O., S. 1

45 Ebd.

46 Ebd.

47 Dossier, a.a.O., S. 2

48 Ebd.

49 Ebd.

50 In Deutschlands Beruf, 1861. Entnommen aus: Werke, Band 4. Stuttgart: Cotta, 1883. S. 215. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Emanuel_Geibel (Stand: 20.8.2014)

51 Deutschlands Beruf (1861)

Solls denn ewig von Gewittern
am umwölkten Himmel brau’n,
soll denn stets der Boden zittern,
drauf wir unsre Hütten bau’n,
oder wollt ihr mit den Waffen
endlich Rast und Frieden schaffen?
Daß die Welt nicht mehr, in Sorgen
um ihr leicht erschüttert Glück,
täglich bebe vor dem Morgen,
gebt ihr ihren Kern zurück!
Macht Europas Herz gesunden,
und das Heil ist euch gefunden.
Einen Hort geht aufzurichten,
einen Hort im deutschen Land!

Sucht zum Lenken und zum Schlichten
eine schwerterprobte Hand,
die den güldnen Apfel halte
und des Reichs in Treuen walte.
Sein gefürstet’ Banner trage
jeder Stamm, wie er’s erkor,
aber über alles rage
stolz entfaltet eins empor:
Hoch, im Schmuck der Eichenreiser,
wall’ es vor dem deutschen Kaiser!
Wenn die heil’ge Krone wieder
einen hohen Scheitel schmückt,
aus dem Haupt durch alle Glieder
stark ein ein’ger Wille zückt:
wird im Völkerrat vor allen
deutscher Spruch aufs neu erschallen.

Dann nicht mehr zum Weltgesetze
wird die Laun’ am Seinestrom,
dann vergeblich seine Netze
wirft der Fischer aus in Rom,
länger nicht mit seinen Horden
schreckt uns der Koloß im Norden.
Macht und Freiheit, Recht und Sitte,
klarer Geist und scharfer Hieb
zügeln dann aus starker Mitte
jeder Selbstsucht wilden Trieb,
und es mag am deutschen Wesen
einmal noch die Welt genesen!

52 Dossier, a.a.O., S. 2

53 Ebd.

54 Ebd.

55 Ebd.

56 Ebd.

57 Ebd., S. 3

58 Ebd.

59 Ebd.

60 Ebd.

61 Ebd.

62 Ebd.

63 Ebd.

64 Ebd.

65 Ebd.

66 Laut: bundesarchiv.de

67 http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Deutschland (Stand: 21.8.2014)

68 Ebd.

69 [Hrsg.] Dietrich GOLDSCHMIDT, Leiden an der Unerlöstheit der Welt. Robert Raphael Geis 1906-1972. Briefe, Reden, Aufsätze, Christian Kaiser Verlag, München 1984, S. 123

70 Vgl. Dietrich Goldschmidt, Robert Raphael Geis – ein deutscher Jude; in: Leiden an der Unerlöstheit, a.a.O., S. 13

71 Leiden …, a.a.O., S. 125

72 Ebd., S. 113

73 Ebd., S. 114, Anm. 1

74 Ebd., S. 105

75 Ebd., S. 105 f.

76 Ebd., S. 106

77 Ebd.

78 Ebd., S. 107

79 Ebd., S. 13; vgl. oben 3.1

80 Ebd., S. 107

81 Ebd., S. 113

82 Ebd.

83 Ebd., S. 113 f.

84 Ebd., S. 114




Der Autor

HANS MAASS

Dr. h.c.; Kirchenrat i.R. der evangelischen Landeskirche in Baden. Er ist evangelischer Theologe und Mitglied im Vorstand des Deutschen Koordinerungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR) sowie Mitglied im Redaktionsteam des vom DKR herausgegebenen "Themenheft".

Der Autor steht für Vorträge gerne zur Verfügung!
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