ONLINE-EXTRA Nr. 271
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Martin Luther ist zweifellos eine der prägendsten Persönlichkeiten der Weltgeschichte und das zurückliegende Lutherjahr wirkte bisweilen wie eine Heiligsprechung des Reformators. Seine dunkle Seite freilich, vor allem seine Hetze gegen Menschen jüdischen Glaubens, hinterließ tiefe Spuren in der deutschen Kultur und Geschichte. Zwar wurde dies in jüngerer Zeit an verschiedenen Stellen immer wieder thematisiert, wird aber gleichfalls auch immer wieder gern verdrängt.
Die Auseinandersetzung mit Luthers Judenfeindschaft konzentriert sich zu allermeis auf seine im Frühjahr 1543 erschienene, diffamierende Streitschrift »Von den Juden und ihren Lügen«. So gut wie gar nicht fand jedoch sein etwas später entstandener, weitaus aggressiverer Traktat »Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi« Beachtung, der eine Ansammlung antisemitischer Hetztiraden enthält und nicht einmal vor dem Aufruf zur Tötung von Juden zurückschreckt. Ausgangspunkt dieser Schrift ist Luthers Auseinandersetzung mit einem »Toledot Jeschu«-Text. In dieser jüdischen Spottgeschichte aus dem Mittelalter wird die Jesuserzählung des Neuen Testaments persifliert und verächtlich gemacht. Luther nimmt seine Übersetzung dieses Textes ins Deutsche zum Anlass einer nicht nur kritischen, sondern geradezu aggressiven Auseinandersetzung mit der jüdischen Volksüberlieferung und der Kabbala (der jüdischen Mystik).
Einer der Gründe, warum Luthers Hetschrift in der Diskussion um seine judenfeindliche Theologie kaum Erwähnung findet, mag daran liegen, dass der Text schwer verständlich und ebenso schwer lesbar ist. Dem hat nun Matthias Morgenstern, außerplanmäßiger Professor am Seminar für Religionswissenschaft und Judaistik/ Institutum Judaicum der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, mit vorliegender Bearbeitung ("Martin Luther und die Kabbala. Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi", Berlin 2017) und begleitet von hilfreichen Kommentaren Abhilfe geschaffen.
Nachfolgend präsentiert COMPASS mit dem heutigen ONLINE-EXTRA eine kurze Einführung von Morgenstern in die Thematik - gefolgt von einer Rezension des Bandes von Martin H. Jung, der als Professor für Historische Theologie, Kirchengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Osnabrück lehrt.
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Online-Extra Nr. 271
I) Eine Einführung von Matthias Morgenstern
Anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 sind die „Judenschriften“ Luthers, vor allem die judenfeindlichen Spätschriften, neu in das Blickfeld gerückt. Es fällt auf, dass diese Texte in der Öffentlichkeit ein eher gespenstisches Dasein haben: Einerseits sind sie bedrohlich präsent und werden immer wieder angeführt, oft mit dem Versuch, durch ein „healing of memories“ zu „heilen“, was nicht zu heilen ist. Andererseits werden sie offenkundig nicht, jedenfalls nicht ganz, gelesen, sondern bestenfalls „anzitiert“. Zum Teil hängt das damit zusammen, dass wissenschaftliche Ausgaben dieser Texte nur in Spezialbibliotheken zu finden sind. Übertragungen in die moderne Sprache fehlen.
Hier soll daher eine neuhochdeutsche Lesefassung desjenigen Textes zur Verfügung gestellt werden, der chronologisch und sachlich an Luthers Pamphlet Von den Juden und ihren Lügen anschließt, seine im März 1543 veröffentlichte Streitschrift Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi. Dies ist der wohl schwierigste Judentext Luthers – nicht nur, weil der Titel einen hebräischen Ausdruck nennt, der erst erklärt werden muss. Zudem greift Luther in diesem Buch auf Traditionen der jüdischen Esoterik zurück, die er auf die ihm eigene ironische und sarkastische Art und Weise mit ihren eigenen Waffen schlagen will. Der Text befremdet auch, weil der Reformator in seiner Polemik zu jedes Maß übersteigenden Obszönitäten greift; hinzu kommen Gewaltfantasien, die man nur mit Schaudern zur Kenntnis nimmt.
Dennoch ist dieser Text lehrreich – dies nicht nur für das Verständnis der Reformationsgeschichte und der jüdisch-christlichen Beziehungen. Diese Bearbeitung mit ihrem Kommentar konzentriert sich auf die judaistische Perspektive. Im Blickpunkt stehen quellenkritische und rezeptionsgeschichtliche Fragen: Welche Texte hat Luther gekannt? Unter welchem Einfluss stand er?
Luther selbst stellt ein jüdisches Traditionsstück an den Anfang, die lateinische Version der Toledot Jeschu, einer Spott- und Gegenerzählung zu den neutestamentlichen Evangelien, deren Wurzeln in der Spätantike liegen. Diesen Text zu übersetzen und anschließend zu kommentieren, war der eigentlich Anlass dieser Schrift. Auch der zweite Teil des Textes nimmt auf jüdische Traditionen Bezug.
Mit den Toledot Jeschu rückt eine Überlieferung in den Mittelpunkt, wie sie für das jüdisch-christliche Verhältnis brisanter nicht sein könnte: Es geht in dieser Erzählung um den Kernpunkt der beiderseitigen Auseinandersetzung: um den an das Neue Testament anknüpfenden Vorwurf des Christusmordes und um die Figur des Judas Ischariot, des „Verräters“ Jesu, wie sie im Mittelalter bestimmend für die christliche Wahrnehmung „des Juden“ war. Hinzu kommt das für Luther zentrale Motiv, die magische Verwendung des Schem Hamephorasch, des hebräischen Gottesnamens. Dieses Thema gab Luther Anlass zu einer polemischen Darstellung des „magischen Umgangs“ der Juden mit Tetragramm.
Luther wusste, dass Spekulationen über die Bedeutung des Gottesnamens wenige Jahrzehnte zuvor bereits einmal im Mittelpunkt des Interesses gestanden hatten. Der Pforzheimer Humanist Johannes Reuchlin (1455–1522) war während einer Italienreise von dem Grafen Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) in die jüdische Geheimlehre eingeweiht worden. In seinen christlich-kabbalistischen Abhandlungen versuchte Reuchlin, mit kabbalistischen Mitteln die Wahrheit des christlichen Glaubens darzulegen. Sein Engagement für jüdische Texte und die hebräische Sprache stieß in der Kirche aber auf Widerspruch. Es kam zu einer Auseinandersetzung mit den Kölner Dominikanern, die den Juden Gotteslästerung vorwarfen und die Verbrennung jüdischer Bücher und Handschriften forderten. Am Ende des Jahres 1513 hatte Luther sich in einem vom kursächsischen Hofkaplan Georg Spalatin angeforderten Gutachten auf die Seite Reuchlins gestellt, der die jüdischen Texte verteidigt hatte.
Anders als Reuchlin ging Luther freilich davon aus, dass die Juden in der Tat der fortgesetzten Gotteslästerung schuldig waren. In Gottes Souveränität durfte nach seiner Überzeugung aber nicht eingegriffen werden, weshalb zu diesem Zeitpunkt inquisitorische Maßnahmen nicht zu ergreifen waren. Dreißig Jahre danach hatte der Reformator seine Meinung geändert. Auch inhaltlich lehnte er die Spekulationen der Kabbala in jeder Form ab.
Anders als in der Forschung bisher angenommen, ist der zweite Teil dieser „Judenschrift“ Luthers („und vom Geschlecht Christi“) kein zufälliger Anhang, sondern schließt sich organisch an. Denn Luther lässt seiner polemischen Behandlung des Toledot Jeschu-Stoffs eine ausführliche Darstellung seines christlich-theologischen Verständnisses der Genealogie des Davidssohnes Jesu von Nazareth folgen. Luther wusste, dass der hebräische Ausdruck Toledot Jeschu mit „Geschlechterfolge Jesu“ übersetzt werden kann. An dieser Stelle hielt er daher eine Behandlung des Problems der Widersprüchlichkeit der beiden Genealogien Jesu im Neuen Testament (Matthäus 1, 1–17 und Lukas 3, 23–38) für geboten.
Diese und andere Informationen sollen den an vielen Stellen obszönen und skandalösen Luthertext nicht relativieren. Immerhin wird deutlich, dass Luther an einigen Stellen durchaus sachkundig Begriffe und Sachverhalte aus der Kabbala und der jüdischen Volksüberlieferung referiert. Im Hinblick auf die Toledot Jeschu berührte er Vorstellungen, die jüdische Leser bereits zu seiner Zeit – umso mehr galt dies für die folgenden Jahrhunderte – durchaus in eine gewisse Verlegenheit versetzen konnten. Nach 1945, unter dem Eindruck der grundlegenden Neubesinnung in der christlichen Theologie im Zeichen des jüdisch-christlichen Dialogs, galt es oft als „unfein“, diese Traditionen auch nur zu erwähnen. Heute ist es der Erforschung der mystischen Traditionen des Judentums zu verdanken, dass sich über diese jüdischen Nebentraditionen leichter schreiben lässt. 2009 hat eine internationale Konferenz in Princeton zur Geschichte der Toledot Jeschu-Überlieferung die Erforschung dieser merkwürdigen wie anstößigen Volkstradition des Judentums auf eine neue Ebene gehoben.
Aufgrund dieser neuen Konstellation fällt mit Bezug auf bestimmte Motive, die Luther von seinen jüdischen Gegnern übernahm, ein anderes Licht auf diese polemischste der „Judenschriften“ Luthers. Dennoch wird dieser Blick von der Kabbala her an dem Urteil über Luthers Judenfeindschaft wenig ändern: Luther gibt hier wie in seiner früheren Schrift Von den Juden und ihren Lügen krude judenfeindliche und auch abergläubischen Vorstellungen zu erkennen, die seine Schrift für heutige Leser eigentlich ungenießbar machen.
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Martin Luther ist eine der prägendsten Persönlichkeiten der Weltgeschichte und das Lutherjahr wirkt wie eine Heiligsprechung des Reformators. Seine dunkle Seite, seine Hetze gegen Menschen jüdischen Glaubens, wird gern verdrängt, obwohl sie tiefe Spuren in der deutschen Kultur und Geschichte hinterlassen hat. Ist Luther ein Gelehrter seiner Zeit, den man nicht nach unseren heutigen Maßstäben richten darf? Urteilen Sie selbst!
Im Frühjahr 1543 ließ Martin Luther seiner diffamierenden Streitschrift »Von den Juden und ihren Lügen« den Traktat »Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi« folgen: eine Ansammlung antisemitischer Hetztiraden. Der Reformator forderte die Bekehrung der Juden zum Christentum. Als aber seine Hoffnung unerfüllt bleibt, wird der Ton schärfer, schlägt um in Anklage und Diffamierung. Ein weiterer Anlass der nochmaligen, demagogischen Steigerung seiner Judenfeindschaft ist seine Auseinandersetzung mit einem »Toledot Jeschu«-Text. In dieser jüdischen Spottgeschichte aus dem Mittelalter wird die Jesuserzählung des Neuen Testaments persifliert und verächtlich gemacht. Luther nimmt seine Übersetzung dieses Textes ins Deutsche zum Anlass einer nicht nur kritischen, sondern geradezu aggressiven Auseinandersetzung mit der jüdischen Volksüberlieferung und der Kabbala (der jüdischen Mystik). Der zweite Teil der Schrift »Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi« ist u. a. der Verteidigung der Jungfrau Maria gegen den Verdacht ihres Ehebruchs (und möglicherweise auch ihrer Teufelsbuhlschaft) gewidmet. Jahrhunderte lang sind Luthers judenfeindliche, bösartige Polemiken unbeachtet geblieben. Dieses Buch schließt die Lücke.
II) Eine Rezension von Martin H. Jung
Nur wenn man, anders als es der Verlag aus vermutlich verkaufstaktischen Gründen getan hat, den Haupttitel „Martin Luther und die Kabbala“ zum Untertitel macht, versteht man, um was es sich bei diesem Buch handelt: nicht um eine Monografie über Martin Luthers Verhältnis zur Kabbala, sondern um eine Neuausgabe seiner dritten judenfeindlichen Schrift „Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi“, übertragen in heutiges Deutsch, mit einem fachkundigen Kommentar ausgestattet und von ergänzenden Texten begleitet.
Luthers Judenfeindlichkeit fand im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum 2017 viel Beachtung, so viel Beachtung wie noch nie und manch einer würde sagen: zu viel Beachtung. Zumindest ging die andere Seite Luthers, seine judenfreundliche Position des Jahres 1523 mit seinen geradezu revolutionären, die Judenemanzipation des 19. Jahrhunderts vorwegnehmenden Forderungen leider beinahe unter ebenso wie die mit der Reformation verbundenen religionspolitischen, Religion pluralisierenden Folgen, die sich mittel- und langfristig sehr wohl zu Gunsten der Juden auswirken sollten. Und judenfreundliche(re) Mit-Reformatoren wie Philipp Melanchthon, Lukas Osiander und Urbanus Rhegius fanden im Kontext des Reformationsjubiläums, das leider doch vielfach auf ein Luther-Jubiläum verkürzt wurde, überhaupt keine Berücksichtigung.
Beachtung fand vor allem Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543), kaum dagegen seine erste judenfeindliche Schrift „Gegen die Sabbater“ und kaum seine letzte judenfeindliche Schrift „Vom Schem Hamephorasch“. Letztere ist auch außerordentlich schwer lesbar und ebenso schwer verständlich. Matthias Morgenstern (geb. 1959), Judaist und apl. Prof. am „Seminar für Religionswissenschaft und Judaistik / Institutum Judaicum“ der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, kommt das Verdienst zu, dieses Werk nunmehr in gut lesbares heutiges Deutsch übertragen und damit jedem Interessierten leicht zugänglich gemacht zu haben. Er steuert seiner Übertragung ferner einen fundierten und umfangreichen Kommentar bei, der nicht nur beim Verstehen von Luthers Text hilft, sondern tatsächlich auch, wie der Haupttitel des Buches ankündigt, Luthers Verhältnis zur Kabbala näher beleuchtet, ein schwieriges und deshalb bislang wenig angegangenes Unterfangen. Freilich kannte Luther „die Kabbala“ nicht wirklich, er kannte weder den [nicht: „das“, S. 182] Sefer Jezira noch die „Schaarei Orah“, sondern schöpfte aus der „Victoria adversus impios Hebraeos“ des Genueser Kartäusers [nicht: „Karthäuser“, S. 3] Salvagus Purchetus de Salvaticis. Auch hier suggeriert der Haupttitel des Buches etwas Falsches. Reuchlin kannte die Kabbala und Pico de la Mirandola kannte sie, später kannten sie einige Pietisten – nicht aber Luther. Unklar ist auch, inwieweit Luther mit den Werken dieser beiden christlichen Kabbalisten vertraut war (S. 190).
Morgenstern rechtfertigt sein Unterfangen, diese Schrift Luthers einem breiten, nicht nur dem wissenschaftlich interessierten Publikum zugänglich zu machen, indem er mehrfach an den engen Zusammenhang erinnert, den Luther selbst zwischen diesem späteren Werk und seiner früheren Juden-Lügen-Schrift gesehen hat.
Luthers Werk hat zwei Hauptteile. Im ersten bietet er eine Übersetzung der „Toledot Jeschu“, der antichristlichen jüdischen Jesus-Überlieferung der Spätantike und des Mittelalters und kommentiert sie. Im zweiten widmet er sich dem „Geschlecht Christi“, das heißt der – von zeitgenössischen Juden in Frage gestellten – davidischen Herkunft Jesu und seiner Messianität. In beiden Teilen argumentiert Luther außerordentlich anspruchsvoll, um nicht zu sagen spitzfindig und die Lektüre sowie das Nachvollziehen der Gedankengänge fallen dem Leser, trotz bester Qualität der Übertragung Morgensterns, außerordentlich schwer. Hilfreich sind die vom Bearbeiter geschaffene Gliederung sowie die Zwischenüberschriften, die es ermöglichen, das eine oder andere Thema – zum Beispiel Luthers Bezugnahme auf die Wittenberger Judensau – leicht ausfindig machen und gezielt aufschlagen zu können.
Luthers Argumentation ist durchzogen von einer heftigen antijüdischen Polemik, die schon gleich zu Beginn des Werkes darin gipfelt, dass Luther in Erwägung zieht, die Juden würden noch einmal „so grausam bestraft“ werden, „dass die Gassen voller Blut rönnen“ und „dass man ihre Toten nicht in Hunderttausenden, sondern in Millionen berechnen und zählen müsste“ (S. 4f).
Bislang wurde immer von allen, die sich mit Luthers Judenfeindschaft auseinandersetzten, hervorgehoben, dass Luther in seiner Juden-Lügen-Schrift „nur“ Zwangsarbeit und Vertreibung, nicht aber die Tötung von Juden gefordert hat. Hier aber zieht er sie tatsächlich in Erwägung, was bislang wohl deshalb kaum einer beachtet hat, weil schon der sperrige Titel der Schrift viele von der Lektüre des ebenfalls sperrigen Textes abgeschreckt hatte. Auch Thomas Kaufmann, der sich des Themas zuletzt, wenn auch nicht, wie viele denken, bahnbrechend angenommen hatte, geht in „Luthers Juden“ nur ganz kurz auf den „Schem Hamephorasch“ ein und auch bei ihm findet sich die Aussage: „Systematische Tötungen von Juden schloss Luther aus“ (Thomas Kaufmann: Luthers Juden. Stuttgart: Reclam, 2014, S. 133f).
Morgenstern publiziert im Anhang seines Werkes die in Luthers Toledot-Jeschu-Version fehlenden Stücke in deutscher Übersetzung (204-206) sowie aus dem „Sefer Serubbabel“, einer jüdisch-apokalyptischen Schrift des 7. Jahrhunderts, die antichristliche Geschichte von der Geburt des „Armilos“, einer von Juden mit Jesus identifizierten antimessianischen Gestalt (207f). Ferner enthält der Anhang eine nochmalige überblicksartige Auseinandersetzung mit Luthers Verhältnis zur jüdischen Jesus-Überlieferung und zur Kabbala (177-203) sowie ein, angesichts der vielen im Buch ständig vorkommenden Fachbegriffe, sehr hilfreiches Glossar, ein thematisch ausgerichtetes Literaturverzeichnis, ein Personen- und ein Bibelstellenregister sowie ein Register zur im Werk zitierten rabbinischen Literatur (Midraschim, Mischna, Tosefta, Talmud).
In seinem Urteil über Luther bleibt Morgenstern vergleichsweise zurückhaltend. Er bezeichnet Luther nicht, wie es jüngst Mode geworden ist, als Antisemiten. Er kritisiert die „Derbheit“ und die „Obszönitäten“ der Sprache (S. 202) und die Selbstgerechtigkeit Luthers. Er bedauert, dass Luther „so wenig Verständnis“ für die esoterischen Traditionen des Judentums aufbrachte (S. 203). Er weist aber auch darauf hin, dass die „Schimpfkanonaden Luthers […] nicht ganz unmotiviert waren“ (S. 203) – auch die unter Christen heute nur wenig bekannten Toledot Jeschu sind derb und obszön.
Morgensterns Arbeit ist sehr verdienstvoll, verdient Beachtung und zählt zweifellos unter dem Vielen, was rund um das Jubiläum erschienen ist, zu dem Wenigen, das bleibenden Wert haben wird, weil wirklich Neuland erschlossen wurde. Künftige Äußerungen zum Thema „Luther und die Juden“ werden an diesem Werk nicht vorbeigehen können. Gleichwohl sind Luthers Schrift wie auch Morgensterns Buch sicherlich nur für spezieller Interessierte geeignet.
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Die Autoren
Matthias Morgenstern (Foto links), bis 1999 Pfarrer der evangelischen Landeskirche in Württemberg, lehrt als außerplanmäßiger Professor am Seminar für Religionswissenschaft und Judaistik/ Institutum Judaicum der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Er ist Mitglied im gemeinsamen Ausschuss »Kirche und Judentum« der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Vereinigten Evangelisch Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) und der Union Evangelischer Kirchen in Deutschland (UEK).
Dr. theol. Martin H. Jung (Foto rechts) ist Professor für Historische Theologie, Kirchengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Osnabrück
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