Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 274

September 2018

Die Zwangsenteignung jüdischen Eigentums durch die Nationalsozialisten - die sogenannte "Arisierung" - war sicher einer der erbärmlichsten und entwürdigendsten Vorgänge, die zum "Vogelschiss der Geschichte" gehören, wie der AfD Gauland-Führer kürzlich die Jahre des nationalsozialistischen Terrors bezeichnet hat. Rund 100.000 Unternehmen in Deutschland waren 1933 in jüdischem Eigentum. Dreiviertel wurden liquidiert, der Rest arisiert. "Arisierung war die Schnäppchenjagd des Dritten Reiches", wie es der Autor des heutigen ONLINE-EXTRA, der Journalist Armin H. Flesch einmal formulierte.

Die Firma Farb- und Gerbstoffwerke Carl Flesch war so ein jüdisches Unternehmen, das bereits seit 1885 in Frankfurt ansässig war und zu den ältesten Unternehmen im Gallus-Viertel gehörte. Die in Lahnstein verbliebene Gerbstoff-Fabrik der Fleschs wurde zuletzt von Zschimmer & Schwarz übernommen. Der Journalist Armin H. Flesch recherchierte in verschiedenen Archiven, wie die Flesch Werke AG ab 1933 unter Beteiligung der NSDAP, der Dresdner Bank und der Deutschen Bank ihren Besitz verlor. Während der Inhaber der Flesch-Werke, Herbert Flesch, nach Ende des Krieges erfolglos versuchte, sein Firmenvermögen einzuklagen und rückwirkend nur eine kleine Rente zugestanden bekam, mussten sich die Peiniger der Familie nie verantworten und gelangten nach dem Krieg bald wieder in Amt und Würden.

In nachfolgendem Beitrag schildert Armin H. Flesch diese Geschichte eines nie gesühnten, nie restituierten Verbrechens - "Ein Fall von 100.000" - und wie es den Protagonisten, Tätern wie Opfern, nach dem Krieg erging. Beispielhaft und anschaulich vermittelt er damit, wie Juden ab 1933 systematisch entrechtet und aus der Gesellschaft vebannt wurden, bevor man sie endgültig "ausmerzte" - und sie heutzutage als "Vogelschiss der Geschichte" erneut degradiert.

COMPASS dankt Armin H. Flesch für die Genehmigung zur Wiedergabe seines Textes an dieser Stelle!

© 2018 Copyright beim Autor 
online für ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 274


Ein Fall von 100.000


Die Arisierung der Frankfurter Flesch-Werke AG


ARMIN H. FLESCH

Den Schriftzug ADLERWERKE kann man schon von weitem lesen. In großen weißblauen Lettern steht der Name des ehemaligen Zweirad-, Automobil- und Büromaschinen-Herstellers auf dem Dach eines alten Backsteingebäudes im Frankfurter Gallusviertel. Den Namen „Carl Flesch jun. Gerbstoffwerke“ sucht man jedoch vergebens. Nachdem man hinter der Galluswarte von der Mainzer Landstraße nach links auf die Kleyerstraße abgebogen ist, müsste man ihn eigentlich finden, irgendwo auf der linken Seite zwischen den beiden Adler-Fabriken I und II. Doch genau diese Lage sollte dem Unternehmen, das seit den Zwanzigerjahren als „Flesch-Werke AG“ firmierte, vor rund 80 Jahren zum Verhängnis werden. Unter anderem.

Grüner Rasen bedeckt die Vergangenheit

Am 21. Mai 2016 fährt Patrice Flesch die Kleyerstraße entlang. Ihr Großvater, von seinem Büro in der Junghofstraße kommend, wird sie ebenfalls oft gefahren sein. Doch hinter dem Gebäude mit dem Adler-Schriftzug beginnen heute moderne, freundliche Wohnblocks, die das einstige Industriegebiet nicht mehr erahnen lassen. Und mittendrin, genau dort, wo einmal das schmale, langestreckte Areal der Flesch-Werke war, stehen junge Bäume um einen frisch ausgesäten Rasen herum. An seinem Ende umgrenzen hohe Zäune einen Ballspielplatz. Wie anders muss es hier vor 82 Jahren ausgesehen haben.

Wir schreiben das Jahr 1934. Die „Adlerwerke vormals Heinrich Kleyer Aktiengesellschaft“, so der offizielle Name, haben schon seit langem ein Auge auf das Grundstück zwischen ihren beiden Fabriken geworfen. Es würde einer Erweiterung genügend Raum und Adler endlich die Möglichkeit bieten, seine beiden Werkshälften zu vereinen. Aber die dort ansässigen Firmen stehen dem im Wege. Eine davon ist die Flesch-Werke AG mit ihrem Gründer und Aufsichtsratsvorsitzenden Carl Flesch jun. und seinem Sohn Herbert als Vorstandschef. Die Fleschs sind Juden.

Der feine Herr Goetz

Doch im Sommer 1934 haben sich die Zeiten für jüdische Unternehmer gründlich geändert. Ein neuer Wind weht seit einem Jahr im Land, und viele haben ihr Mäntelchen bereits hineingehängt. Carl Goetz zum Beispiel: Der feine Herr mit Knebelbart und Homburg-Hut ist Chef der Dresdner Bank, der „Hausbank der SS“, und hat sein Büro in Berlin. Dort zerbricht er sich seinen überaus gescheiten Kopf unter anderem darüber, wie die Dresdner Bank an der offiziell verordneten „Entjudung des deutschen Wirtschaftslebens“ möglichst viel verdienen könnte.

Geboren wurde Herr Goetz in Frankfurt und ist mit der Stadt am Main innig verbunden. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Adlerwerke, und denen wird er einen Gefallen tun. Um nämlich die störrischen Firmeneigentümer der Flesch-Werke zur Aufgabe ihrer Fabrik an der Kleyerstraße zu bewegen, hat er genau den passenden Hebel zur Hand: Die Kreditkündigung. Sie ist die Allzweckwaffe der Dresdner Bank bei der Schnäppchenjagd auf jüdisches Eigentum. „Arisierung“ nennt man das im Jargon der Zeit.

Die Flesch-Werke bedienen einen Bankkredit eines internationalen Banken-Konsortiums, dem die Dresdner Bank vorsitzt. Schwierigkeiten hatten die Kreditgeber mit den Fleschs bislang keine. „Die Leitung der Firma gilt allgemein als sehr rührig und geschickt,“ heißt es 1933 in einer internen Auskunft der kreditführenden Frankfurter Dresdner-Bank-Filiale an ihre Berliner Zentrale. „Wir selbst unterhalten mit der Gesellschaft seit Jahren eine ausgedehnte Geschäftsverbindung und glauben, dass die Firma für die im Rahmen ihres Geschäftsumfangs beanspruchten Kredite als gut zu betrachten ist.“

In normalen Zeiten gäbe es also für eine Kreditkündigung keinen Anlass. Doch für Carl Goetz im Jahr 1934 gibt es gleich drei: Die Eigentümer sind Juden und damit praktisch wehrlos. Die Frankfurter Fabrik könnte endlich den Adlerwerken zufallen. Und an der Verwertung des restlichen Unternehmens, vor allem einer Gerbstoff-Fabrik in Oberlahnstein am Rhein, könnte Herr Goetz sich nicht nur ganz persönlich bereichern, sondern nebenbei noch seine ohnedies exzellenten Verbindungen zur Naziprominenz vertiefen.



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Arisierung nach Drehbuch

Was folgt, ist eine Arisierung nach Drehbuch. In den Akten des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden kann man es nachlesen: Parallel zur Kündigung des Bankkredits wird der Vorstandsvorsitzende der Flesch-Werke, Herbert Flesch, wegen angeblicher Devisenvergehen denunziert und sitzt daraufhin für elf Monate in Gestapo-Haft. Sein Vater Carl Flesch jun., Aufsichtsratsvorsitzender der AG, wird derweil unter Druck gesetzt, seinen Sohn aus der Geschäftsleitung zu entlassen. Nachdem dies erfolgt ist, kommt Herbert Flesch aus der Haft frei, man gibt ihm seinen Reisepass zurück und zeigt ihn und einen seiner Chemiker sogleich erneut an, diesmal wegen angeblichen Landesverrats. Um einer weiteren Inhaftierung zu entgehen, verlässt Flesch über Nacht Deutschland. Kurz darauf stirbt sein Vater, und die Ariseure haben freie Bahn.

Einen Tag nach Herbert Fleschs Zwangsausbürgerung im Jahr 1937 werden die Aktien zunächst an Hardy & Co, eine Tochter der Dresdner Bank, verkauft. Die Frankfurter Fabrik geht wie geplant an Adler, und den Rest teilt sich Carl Goetz mit dem NSDAP-Gauwirtschaftsberater von Thüringen, Otto Eberhardt. Die sogenannten Gauwirtschaftsberater spielen bei der Arisierung eine zentrale Rolle, indem sie Firmendossiers anlegen, durch die Einschaltung von Justiz und Gestapo Druck auf jüdische Eigentümer ausüben, von kooperierenden Gläubigerbanken Kredite kündigen lassen und nach potentiellen Käufern Ausschau halten. Alles wie bei den Flesch-Werken.

Alte Kameraden

Die Kooperation von Carl Goetz und Otto Eberhardt ist kein Zufall, die beiden sind seit langem  befreundet. Zusammen mit Fritz Sauckel, NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter von Thüringen, saßen sie während des Ersten Weltkriegs im selben französischen Kriegsgefangenenlager. Nun sitzen sie an den Schaltstellen von Staat, Partei und Wirtschaft und bilden ein in Arisierungs-Angelegenheiten höchst erfolgreich agierendes Trio. Über Goetz und die Erben Eberhardts, der im Januar 1939 bei einem Verkehrsunfall gestorben ist, gelangen die Flesch-Werke in Oberlahnstein schließlich in den Besitz des sächsischen Chemieunternehmens Zschimmer & Schwarz. Vermittler des Geschäfts ist Dr. Walther Schieber, der Stellvertreter und Nachfolger Otto Eberhardts als NS-Partei- und Wirtschaftsfunktionär.

Am 2. September 1941 nimmt die Industrie- und Handelskammer Frankfurt auf der Karteikarte der Flesch-Werke AG den letzten Eintrag vor: „Obige Firma ist laut Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts Niederlahnstein unterm 19.6.1941 wie folgt geändert worden: Zschimmer & Schwarz, Chemische Fabrik und Gerbstoffwerk Oberlahnstein A.G.“ Der Eintrag endet mit dem Satz: „Die Überführung in arischen Besitz ist bereits vor einigen Jahren erfolgt.“

Sightseeingtour durch Frankfurt

75 Jahre später ist Patrice Flesch in Frankfurt am Main unterwegs. Ihre stundenlange Fahrt geht vom Gutleutviertel über Westend und Ostend bis zum Südbahnhof in Sachsenhausen. Immer wieder steigt die ehemalige Berufsfotografin aus dem Auto und fotografiert Häuserfassaden. Doch ihre Sightseeingtour gilt nicht den Sehenswürdigkeiten der Stadt, und die Adressen stehen nicht im Baedeker. In den Altakten der Dresdner Bank und den Wiedergutmachungsanträgen von Herbert Flesch sind sie aufgelistet: lauter stattliche Wohnhäuser, Teil der Arisierungsbeute der Dresdner Bank. Nachdem die Bank sie als Kreditsicherheit in Besitz genommen hatte und 1936 zu verwerten begann, wurden sie sämtlich von Frankfurter Käufern erworben.

Fragt sich, warum der Käufer der Oberlahnsteiner Fabrik ausgerechnet aus dem fernen Chemnitz kommt? Geographisch näher gelegene Kaufinteressenten hätte es sicherlich gegeben. Die Firmen-Website von Zschimmer & Schwarz, in deren Besitz das Werk bis heute ist, liefert den ersten Hinweis. Alles Weitere findet man in den Landes- und Staatsarchiven in Koblenz und Wiemar: Zschimmer & Schwarz besitzt seinerzeit eine Fabrik im thüringischen Greiz-Dölau. Werksleiter dieses „Nationalsozialistischen Musterbetriebs“ und Mitinhaber des Unternehmens ist Dr. ing. Rudolf Friedrich Wilhelm Schwarz, NS-Parteigenosse seit 1933, Mitglied in vier Parteiorganisationen sowie ab 1936 Kreiswirtschaftsberater der NSDAP im Landkreis Greiz. Damit gehört er zum Stab von Otto Eberhardt und Walther Schieber und ist unter anderem für die Erfassung all jener Unternehmen im Landkreis zuständig, die sich gewinnbringend „entjuden“ lassen.

Seine Informationen reicht Rudolf Schwarz an Walther Schieber, dieser an Otto Eberhardt wieter. In umgekehrter Richtung wechselt 1939 eine hübsche, frisch arisierte Fabrik am Rhein den Besitzer, die bestens ins Unternehmensprofil von Zschimmer & Schwarz passt. All dessen ungeachtet wird Dr. Rudolf Schwarz später, bei seiner Entnazifizierung, behaupten, durch seine Parteimitgliedschaft „keinerlei Vorteile gehabt“ zu haben: „Meine, wenn auch geringe Tätigkeit als Kreiswirtschaftsberater hat mich nur noch von meiner beruflichen Arbeit abgehalten.“

Jüdische Herkunft verschwiegen

Am vorletzten Tag ihres Frankfurt-Aufenthalts steht Patrice Flesch vor Schülern der WöhlerSchule. Dort, noch am alten Standort im Westend, war auch ihr Vater Peter Flesch bis 1934 Schüler gewesen. Patrice erzählt den Jugendlichen, die so alt sind wie ihr Vater damals, dass sie erst mit 50 Jahren durch eigene Recherchen von ihren jüdischen Wurzeln erfuhr. Ihr Vater, der nach seiner Flucht zunächst in New York gelebt hatte, war Amerikaner geworden, zum Protestantismus übergetreten und verschwieg zeitlebens seine Herkunft oder die Verfolgung der Familie in Deutschland. Bis heute fällt es der schlanken, lebhaften Frau schwer, sein Verhalten zu verstehen: „Er war nicht bereit, mit mir darüber zu reden, und bestritt kategorisch, Jude zu sein. Als ich nach seinem Tod seine Wohnung aufgelöst habe, konnte ich nichts über seine Herkunft oder seine Vergangenheit in Frankfurt finden. Er hatte alle Spuren seines früheren Lebens vernichtet.“ Ob sie denn wisse, warum er das tat, fragen die Schüler. Hier ist Patrice auf Vermutungen angewiesen: „Sicherlich waren die Erfahrungen als Jude in der NS-Zeit für einen Jugendlichen besonders traumatisierend. Bestimmt wollte er so etwas nie wieder erleben – und ja, vielleicht wollte er seine Tochter vor diesem Schicksal bewahren.“

Herbert Flesch, dessen Schwester und Schwager 1944 in Auschwitz ermordet wurden, überlebt den Krieg im kolumbianischen Barranquilla, fernab von Deutschland und seinen Vernichtungslagern. Doch Verfolgung, Enteignung und Gestapohaft haben Spuren hinterlassen. Auch bei ihm sitzt die Angst vor Antisemitismus so tief, dass er sich katholisch taufen lässt und gleichfalls jeden Hinweis auf seine jüdische Identität vermeidet.

Nach 1945 versucht er, die Rückgabe seiner Flesch-Werke-Aktien von Zschimmer & Schwarz einzuklagen. Den Verlust ihres einzigen westdeutschen Werks wollen die neuen Eigentümer jedoch ebenso vermeiden wie die an der Arisierung beteiligten Banken und „Privatinvestoren“ eine Entschädigungszahlung. In der 2014 erschienenen Firmenchronik von Zschimmer & Schwarz liest sich das so: „Der Rechtsanwalt von Z&S kontaktierte zu Beginn des Verfahrens alle [sic!] früheren Eigentümer der Aktien. Daraufhin traten das Bankhaus Hardy & Co. sowie die Dresdner Bank dem Prozess als sogenannte Streithelfer bei und schlossen sich in vollem Umfang den Ausführungen von Z&S an.“



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Ein ganz normaler Vorgang?

Die Kooperation der „Streithelfer“ zahlt sich aus: Herbert Flesch, der Deutschland 1935 fluchtartig hatte verlassen müssen, kennt die Verbindungen zwischen Carl Goetz, Otto Eberhardt und Rudolf Schwarz nicht. Er kann die Machenschaften der Dresdner Bank und aller an der Arisierung seiner Firma beteiligten Denunzianten, Nazi-Funktionäre und Bürokraten vor dem Landgericht Koblenz nicht beweisen und verliert das Verfahren. Bis heute stützen sich die Inhaber von Zschimmer & Schwarz, namentlich deren Vertreter Christian Rudolf Schwarz, auf das Urteil von 1951 und die Behauptungen der an der Arisierung beteiligten Banken: Die Flesch-Werke seien heruntergewirtschaftet gewesen, die Maschinen veraltet, die Firmenleitung inkompetent und die Kreditkündigung ein ganz normaler Vorgang. Kann das stimmen?

Im Historischen Archiv der einstigen Dresdner Bank in Frankfurt am Main befindet sich jedenfalls ein Dokument, dass diese Behauptung höchst unglaubwürdig erscheinen lässt. Es ist jene oben zitierte interne Auskunft der Dresdner Bank zur Bonität der Flesch-Werke und ihrer Eigentümer. Klingt diese rundweg positive Beurteilung nach einem seit Jahren unsicheren Kreditnehmer, den man schnellstens zwangsversteigern sollte? Oder doch eher nach einem Unternehmen, das man arisieren und mit gutem Gewinn weiterverkaufen könnte?

Gegen eine heruntergewirtschaftete Fabrik ohne substantiellen Wert sprechen auch die Beträge, die den Ariseuren erster und zweiter Hand die Flesch-Werke wert waren: Goetz und Eberhardt zahlten mit rund 300.000,- Reichsmark das anderthalbfache des Nominalwerts aller Flesch-Aktien an die Hardy Bank. Otto Eberhardt überwies seinem „Freund“ Carl Goetz zusätzlich 14.800,- Reichsmark für die Vermittlung des Geschäfts. Zschimmer & Schwarz nahm für den Kauf sogar einen Kredit von 400.000,- Reichsmark auf – selbstredend bei der Dresdner Bank. Schließlich wechselte die Fabrik am Rhein für 440.000,- Reichsmark den Besitzer. Wer gibt soviel Geld für veraltete Maschinen und verrottete Gebäude her?

Epilog

Herbert Flesch wird es erst 1974 gelingen, vor einem deutschen Gericht Recht zu bekommen. Der Bundesgerichtshof hebt alle früheren Urteile zur Wiedergutmachung des gegen ihn verübten staatlichen Unrechts auf und erkennt ihm rückwirkend eine Rente zu. Doch das Verfahren zur Rückerstattung seiner Fabrik kann er nicht mehr neu aufnehmen. 1979 stirbt Herbert Flesch 89jährig im spanischen Barcelona. Sein jüngster Sohn Gerhard erlebte die Flucht aus Deutschland als Jugendlicher; ein regulärer Schulabschluss und ein Studium blieben ihm verwehrt. Er lebt 96jährig noch immer in Kolumbien, finanziell unterstützt durch seine drei Sühne. Bis heute fällt es ihm schwer, über die Schrecken der Vergangenheit zu sprechen.

Carl Goetz, den die Amerikaner von April ’46 bis Dezember ’47 inhaftiert hatten, gelangt nach Gründung der Bundesrepublik schnell zu altem Einfluss. 1952 wird er Aufsichtsratsvorsitzender der Rhein-Ruhr Bank AG, einem der Nachfolgeinstitute der nach dem Krieg zerschlagenen Dresdner Bank. Nach deren erneutem Zusammenschluss im Jahr 1957 ist Carl Goetz ihr Aufsichtsratsvorsitzender, schließlich sogar „Ehrenvorsitzender“. Auch dem Aufsichtsrat der Adlerwerke sitzt er wieder vor. Er wird mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, einem der höchsten Orden der Bundesrepublik, ausgezeichnet und stirbt hochgeehrt 1965 in Essen.

Rudolf Schwarz, der einstige NSDAP-Kreiswirtschaftsberater, kehrt nach kurzer Kriegsgefangenschaft 1945 nicht mehr nach Greiz oder Chemnitz zurück, sondern geht direkt nach Oberlahnstein. Dort arbeitet er am Aufbau der Firma Zschimmer & Schwarz im Westen. Wegen seiner Nazi-Vergangenheit tritt er offiziell in die zweite Reihe zurück und fungiert zunächst als einfacher Angestellter. Sein Vater, Firmenchef Max Schwarz, NSDAP-Mitgliedsnummer 4291298, bekommt das Bundesverdienstkreuz und wird Ehrenbürger von Oberlahnstein. Die Straße, an der die arisierten ehemaligen Flesch-Werke liegen, trägt heute seinen Namen.

Und Patrice, die Enkelin von Herbert Flesch, die sich auf die Suche nach den Spuren ihrer Familie begeben hat? Sie steht am 22. Mai 2016 vor dem Tor der Oberlahnsteiner Fabrik von Zschimmer & Schwarz und macht Fotos. Doch das Werk, das eigentlich ihrer Familie gehören sollte, darf sie nicht betreten.





Der Autor

ARMIN H. FLESCH

... lebt und arbeitet als Autor und Journalist in Frankfurt am Main. Mit den Inhabern der Flesch-Werke AG ist er nicht direkt verwandt; ihre Familien haben jedoch im Haus „Flasche“ der Frankfurter Judengasse eine gemeinsame Wurzel, die sich nach dem „Fettmilch-Aufstand“, einem Pogrom im frühen 17. Jahrhundert, verzweigt. Die Recherche zur Arisierungsgeschichte der Flesch-Werke AG wurde durch eine Ausstellung des Frankfurter Instituts für Stadtgeschichte im Frühjahr 2015 angeregt.

Armin H. Flesch steht gerne für Vorträge zur Verfügung! Seine informative Homepage ist hier zu finden:
https://www.arminhflesch.de

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