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Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
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Online-Extra Nr. 351
Ich sehe was, was Du nicht siehst. Deutschland. Israel. Einblicke.
ALEXANDRA NOCKE & TERESA SCHÄFER
Auszug:
ALMA SADÉ
Die Sopranistin Alma Sadé wurde 1981 als Alma Saddeh Moshonov in eine renommierte Künstler:innenfamilie in Tel Aviv geboren. Nach einem Schulpraktikum am Opernhaus von Tel Aviv zog sie nach New York und absolvierte ein vierjähriges Gesangsstudium am Mannes College of Music. Anschließend erhielt sie ein Engagement an der Deutschen Oper am Rhein und überzeugte mit ihrer gesanglichen wie sprachlichen Vielseitigkeit. Sie sang klassische Opern und Operetten in deutscher, französischer und italienischer Sprache. Seit 2014/2015 ist sie als Solistin festes Ensemblemitglied an der Komischen Oper in Berlin und übernahm unter anderem Rollen in Die Hochzeit des Figaro, West Side Story und Anatevka. Alma Sadé lebt in Berlin.
[ Besonders diese großen Ficusbäume, die in den Boulevards stehen, und die ich von meinem Fenster sehen konnte. ]
Ficusbäume, Rothschild Boulevard, Tel Aviv, 2023 © Alma Sadé
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Alma Sadé, 2023 © Alma Sadé
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ALMA SADÉ » DEUTSCHLAND Interview am 30. Juni 23 in Berlin (Deutsch)
Ich glaube, mein erstes Bild ist von meinem zweiten Tag in Deutschland. Da war ich sofort an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf, wo ich einen neuen Vertrag hatte. Ich konnte kaum Deutsch, nur aus den Liedern, die ich sang, Schubert, Schumann und alles. Und so kam ich dorthin und wurde geworfen in eine Opernproben-Situation, das war für mich sensationell. Meine erste Erinnerung ist, wie grün alles ist. Wir mussten jeden Tag einen Bus nehmen von Düsseldorf nach Duisburg zur Probebühne, das dauert ungefähr 30 Minuten. Und als ich zum ersten Mal diese Busfahrt gemacht habe, dachte ich, das ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Das ist Europa, das ist Deutschland. Diese grüne Fläche, dieses quasi nowhere land, wo ein Opernhaus ist, in Duisburg. Alle anderen fanden diese Fahrt schrecklich – und ich fand das sensationell. Es war jahrelang ein Witz, dass ich dachte, dass das so traumhaft war, wo alle anderen diese tägliche Busfahrt schon nicht mehr ertragen konnten. Traumhaft, weil ich in dem Moment dieses Gefühl von Offenheit und Freiheit gespürt habe. Für uns, die wir aus Israel kommen, wo alles braun ist, war besonders die Natur faszinierend. Hier war alles so offen und feucht und gesund. Wo alles so gut wachsen kann. Diese Frische, diese Luft. Und diese grünen Flächen. Das hat in mir ein Gefühl der Freiheit ausgelöst.
ALMA SADÉ » ISRAEL Interview am 30. Juni 23 in Berlin (Deutsch)
Ich habe das alte Tel Aviv in meinem Kopf. Sonne und Bäume, Schatten und besonders diese großen Ficusbäume, die in den Boulevards stehen, und die ich von meinem Fenster sehen konnte. Sie haben eine Frucht, die runterfällt, und alle werden davon schmutzig, und die Straßen werden schmutzig, und trotzdem sind die stolz und schön. Und ich habe irgendwie diese Bäume im Kopf, die total präsent in meinem Israelbild sind. Mehr als zum Beispiel Strand oder Sonne.
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Und das Gefühl von Community. Offenheit. Du kannst auf die Straße gehen und mit allen reden, als ob sie ein Teil deiner Familie sind. Das konnte ich früher nicht leiden. Und jetzt vermisse ich das ein bisschen, dass jeder auf der Straße etwas zu sagen hat. Jeder hat eine Meinung. Ich vermisse in Deutschland die Flexibilität. Israel bietet viel Flexibilität im Alltag, die hier schwer zu bekommen ist. Und das hatte ich auch als Jugendliche, so mit 16, 17, wo du am Abend mit Freundinnen raus gehst, und du weißt nicht, was die Welt bringt. Alles ist möglich, und es gibt eine große Flexibilität. Hier ist immer das Gefühl, dass es ein bisschen strukturierter ist.
ALMA SADÉ / NACHTRAG telefonisch, 14. Dezember 2023 (Deutsch)
Es gibt ein Leben vor dem 7. Oktober und eines danach. Zum ersten Mal in meinem Leben befindet sich Israel in einer existenziellen Krise. Und diese existenzielle Bedrohung des Staates Israel verspüre ich auch persönlich. Als ob ich selbst eine Bedrohung meines eigenen Lebens erleben würde. Werden wir überleben oder werden wir nicht? Der 7. Oktober hat mich zu einer Ausländerin gemacht. Ich spüre einen existenziellen Bruch in mir, genau wie das Land Israel einen Bruch erlebt. Wir haben eine große Umarmung von Deutschland bekommen. Und das erleichtert meine existenziellen Schmerzen. Das ist schon eine bedeutungsvolle Umarmung für uns. Besonders mit unserer persönlichen Geschichte, wo unser Neffe als Geisel nach Gaza verschleppt wurde. Sein Opa ist in Deutschland geboren und unser Neffe hat jetzt in einem beschleunigten Vorgang die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Und dieser Druck, den der Kanzler und der Bundespräsident und die Regierung gemacht haben, hat wirklich geholfen, ihn zusammen mit einigen anderen Geiseln zu befreien. Israel als Idee, der Traum vom Zionismus, bevor es ein schlimmes Wort wurde, war ein guter Traum. Die Hoffnung, dass dieser Traum überlebt und dass da Juden und Muslime und Christen in Frieden zusammenleben können – diese Hoffnung ist das Größte, was ich noch habe.
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Eine Publikation der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V.
Ich sehe was, was Du nicht siehst. Deutschland. Israel. Einblicke.
Herausgegegen von Alexandra Nocke & Teresa Schäfer
35 Menschen. 2 Fragen. 70 Bilder.
KOSTENFREI bestellen: Deutschland.Israel.Einblicke
Mit einem Grußwort des Vorstandsvorsitzenden der KIgA e. V., Dervis Hizarci. Mit einem Vorwort und einem Nachtrag zum 7. Oktober 2023 von Meron Mendel.
Mit Beiträgen von: Rana Abu Fraiha-Asyag, Viviane Andereggen, Uri Avnery, Gabriel Bach, Micha Bar-Am, Sarah Blau, Noam Brusilovsky, Dorothee Bär, Joe Chialo, Tehila Darmon, Lizzie Doron, Julia Fermentto Tzaisler, Tomer Gardi, Uri Geller, Katrin Göring-Eckardt, Alexander Graf Lambsdorff, Jenny Havemann, Günther Jauch, Kevin Kühnert, Igor Levit, Kais Nashif, Anja Reich-Osang, Petra Pau, Idan Raichel, Benyamin Reich, Marcel Reif, Yael Ronen, Alma Sadé, Ben Salomo, Richard C. Schneider, Sara von Schwarze, Natan Sharansky, Shimon Stein, Micha Ullman, Günter Wallraff.
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