ONLINE-EXTRA Nr. 48
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Der Hamburger Politikwissenschaftler Matthias Küntzel sollte am Mittwochabend am Germanistischen Institut der Universität Leeds einen Vortrag halten mit dem Titel „Hitlers Vermächtnis. Islamischer Antisemitismus im Nahen Osten“. Kurz nach seiner Ankunft vor Ort teilten ihm Mitarbeiter der Universität jedoch mit, dass der Vortrag aus "Sicherheitsgründen" abgesagt sei. Im Hintergrund gab es offenbar massiven Druck aus muslimischen Studentenkreisen. [siehe auch: Compass 19.03.07]
Was die britische Universität ihren Zuhörern vorenthielt, ist nun nachfolgend als COMPASS Online-Extra dokumentiert. Erstmals in Druckfassung erschien der Beitrag in: Aufklärung und Kritik, Sonderheft Nr. 13 (Schwerpunkt: Islamismus), Nürnberg 2007, S. 232-243.
COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Wiedergabe seines Vortrags an dieser Stelle!
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Online-Extra Nr. 48
Der Schrecken des letzten Nahostkriegs vom Sommer 2006 ist unvergessen. Wer aber erinnert sich noch an die Hoffnungen aus dem Sommer 2005? Damals zog Israel trotz massiver innenpolitischer Widerstände all seine Soldaten und Siedler aus dem Gazastreifen zurück. Damals hofften viele, dass von nun an der Gazastreifen als eine Art palästinensische Modellregion aufblühen werde, als Keimzelle eines palästinensischen Staats an der Seite von Israel.
Doch das Gegenteil trat ein: Binnen kürzester Frist wurde dieses Stück Land in einen vorgelagerten Frontabschnitt des Krieges gegen Israel verwandelt: neue Waffenlager und –fabriken schossen wie die Pilze aus dem Boden. Mit Hunderten von Kassam-Raketen nahmen Islamisten den jüdischen Staat unter Beschuss. Warum?
Im südlichen Libanon das gleiche Bild: Nachdem die israelische Armee diese Region im Jahr 2000 verlassen hatte, wurde es zum Aufmarschgebiet: Hier stationierte die Hizbollah mehr als zwölftausend Raketen, die der Iran über Syrien in die Nähe der israelischen Grenze schaffen ließ. Das Land wurde zu einer Angriffsplattform mit ausgeklügelten Festungsanlagen und Tunnelsystemen ausgebaut und am 12. Juli 2006 für den Angriff auf israelische Soldaten genutzt. Warum?
In Gaza wie im Libanon bestand die Möglichkeit einer Normalisierung der Beziehung zu Israel, in deren Folge auch eine wirtschaftliche Belebung zu erwarten war. Warum orientieren Hamas und Hizbollah nicht auf Frieden und Wohlstand, sondern auf Aufrüstung und Krieg? Warum werden sie hierbei vom Iran angefeuert, ein Land, dass weder einen territorialen Streit mit Israel, noch ein palästinensisches Flüchtlingsproblem hat? Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, beantwortet diese Frage so: „Israel ist ein Krebsgeschwür in dieser Region und wenn ein Karzinom entdeckt wird, muss es ausgemerzt werden.“1 Khaled Mash’al, der Führer der Hamas, erklärt: „Bevor Israel stirbst, muss es gedemütigt und erniedrigt werden. Wir werden dafür sorgen, dass sie ihr Augenlicht und ihren Verstand verlieren.“2 Und Mahmoud Ahmadinejad, der iranische Präsident, verspricht: „Sehr bald wird dieser Schandfleck im Zentrum der islamischen Welt beseitigt sein – dies ist machbar.“3 Die jüngste Stellungnahme dieser Art stammt von Mohammad Hassan Rahimian, dem Vertreter des iranischen Revolutionsführers, der in der iranischen Hierarchie noch höher als Ahmadinejad steht. Rahimian erklärte am 16. November 2006: „Der Jude ist der hartnäckigste Feind des Frommen. Und der Hauptkrieg wird über das Schicksal der Menschheit bestimmen. ... Das Wiedererscheinen des 12. Imam wird einen Krieg zwischen Israel und der Schia mit sich bringen.“4
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Viele westliche Kommentatoren ignorieren derartige Ankündigungen, weil sie so irrsinnig sind. Doch sind die Reden Adolf Hitlers nicht genauso irrsinnig gewesen? Hitler glaubte seiner Propaganda aufs Wort: Er versuchte mit dem Mord an den Juden die Menschheit in seinem Sinne zu „befreien“. Islamisten glauben ebenso an das, was sie sagen und bejubeln Raketenangriffe auf beliebige israelische Zivilisten als „Akte der Befreiung“.
Die Tatsache, dass in diesen Jubel heute nicht nur Islamisten einstimmen, verweist auf eine zweiten Anknüpfungspunkt an die nationalsozialistische Zeit. Ich meine das Moment der Gehirnwäsche, das seit den Zeiten Josef Goebbels stets noch verfeinert worden ist.
Zu den Instrumenten dieser Propaganda gehört der Satellitensender der Hizbollah, Al-Manar, der in der arabisch-islamischen Welt Millionen von Menschen rund um die Uhr erreicht. Al-Manar verdankt seine Beliebtheit zahllosen Videoclips, die mit inspirierender Graphik und mitreißender Musik für Selbstmordattentate werben. Al-Manar hat aus den Protokollen der Weisen von Zion - Hitlers Leitfaden für den Holocaust – eine Soap Opera gemacht. Folge für Folge wird hier das Phantasma der jüdischen Weltverschwörung neu inszeniert: Juden hätten beide Weltkriege ausgelöst, Juden hätten die Chemiewaffen erfunden, Juden hätten Hiroshima und Nagasaki mit Atombomben zerstört: Kurzum: Juden hätten nichts als Tod und Verderben über die Menschheit gebracht. Noch die blutrünstigsten Szenen werden in die Wohnzimmer muslimischer Familien gebracht. Da taucht zum Beispiel ein Rabbi auf, der einem jüngeren Juden einen Befehl erteilt: „Höre! Wir haben von oben einen Auftrag erhalten. Wir brauchen für das ungesäuerte Brot am Passahfest das Blut eines Christenkindes.“ In der nächsten Szene wird ein verängstigter Junge in einen Kellerraum gezerrt. Dann fährt die Kamera auf das Kind zu, und in Großaufnahme sieht man, wie ihm die Kehle durchgeschnitten wird. Das Blut spitzt aus der Wunde und strömt in ein Metallbecken.
Die Suggestivkraft, mit der hier der mittelalterliche Antisemitismus im Massenbewusstsein normaler islamischer Familien verankert wird, kann sich mit Nazi-Inszenierungen wie dem Film „Jud Süß“ durchaus messen. Ein Kind, dass diese Schlächterszene gesehen hat, wird für den Rest seines Lebens geschädigt sein. Es wird Generationen brauchen, bevor dieses mentale Gift wieder abgebaut ist.
Als im Sommer 2006 der von der Hizbollah provozierten Krieg mit Israel tobte, zahlte sich die Investition in einen massenhaften Antisemitismus jedoch aus. Denken Sie an die Bilder von getöteten Zivilisten im Libanon und die Bilder von den Kindern in Beit Hanun im Gaza-Streifen, die ein versehentlicher Querschläger der israelischen Armee tötete. Wenn Israel sich wehren muss, ist das Resultat für keine Seite schön. Entscheidend ist, in welchen Kontext man derartige Fernsehbilder stellt. Wenn aber bei den Zuschauern die emotionale Infrastruktur des Antisemitismus aufgrund einer jahrelangen Berieslung verankert ist, versteht sich die „Deutung“ derartiger Fernsehbilder von selbst. Massenweise wird auf diese Weise auch bei denjenigen Arabern, die mit der Hizbollah nichts zu tun haben, ein geradezu eliminatorischer Hass auf Israel und die Juden geschürt.
Es gibt noch eine dritten Aspekt, der mit dem Nationalsozialismus in Verbindung steht – wenn auch in einer irritierenden Form: Ich meine die Leugnung des Holocaust, wie sie der iranische Präsident unter dem Beifall der Hamas und der Hisbollah praktiziert. Die Getöteten werden entweder ein zweites Mal getötet, indem man negiert, dass es sie je gab. Oder sie werden noch als Ermordete dem Gespött preisgegeben, wie die iranischen Karikaturen es tun, die zum Beispiel eine Anne Frank und einen Adolf Hitler in einem Ehebett zeigen. Hier wird das für uns vorstellbare Maß an Bösartigkeit berschritten. Ich komme weiter unten darauf zurück.
Schon im Sommer 2006 wäre kein Moslem und kein Jude getötet worden, wenn die Hamas und die Hisbollah auf Frieden gesetzt hätten, statt auf Krieg. So aber hat der uralt-neue Hass auf Juden erneut zu entsetzlichem Leid geführt. Frieden im Nahen Osten setzt den Kampf gegen diese Hasspropaganda voraus. Welche Ursachen liegen ihr zugrunde? Ist dieser Antisemitismus durch die Politik Israels bedingt? Oder ist der Hass auf Juden eine Konstante im Islam? Warum und auf welchem Weg kam der Antisemitismus in die Region? Ich möchte diese Fragen mit vier historischen Exkursen beantworten.5
Der erste Exkurs führt uns achtzig Jahre zurück. Wie sah das Verhältnis zwischen Juden und Moslems in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Ägypten aus?
Matthias Küntzel: Djihad und Judenhaß
Matthias Küntzel:
Djihad und Judenhaß
Über den neuen antisemitischen Krieg
ça ira Verlag 2002
180 Seiten,
13,50 €
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Der antijüdische Wahn der Islamisten ist keinem metaphysischen "Bösen", sondern einer historisch und systematisch erklärbaren Sichtweise auf den Kapitalismus entsprungen. Er generiert einen antijüdischen Krieg, in welchem nicht nur alles Jüdische als Böse, sondern zugleich alles Böse als jüdisch halluziniert wird: Der "große Satan" wird nicht nur wegen seiner Unterstützung für Israel, sondern als das imaginierte Zentrum einer materialistisch-egoistischen (ergo: jüdischen) Weltordnung bekämpft.
Islamische Moderne.... „Der Kampf zwischen Juden und Islam begann, als Mohammed von Mekka nach Medina floh. ... Damals waren die jüdischen Methoden schon die gleichen wie heute. Ihre Waffe war wie immer die Verleumdung ... Sie sagten, Mohammed sei ein Schwindler, .... sie versuchten, Mohammeds Ehre zu untergraben..., sie fingen an, Mohammed sinnlose und unlösbare Fragen zu stellen ... und trachteten danach, die Muslime zu vernichten. ... Wenn die Juden Mohammed so verraten konnten, wie werden sie die Muslime dann heute verraten. ... Die Verse aus dem Koran und Hadith beweisen euch, dass die Juden die bittersten Gegner des Islams gewesen sind und noch weiter versuchen, denselben zu vernichten.“ Hier wurde ein neuer und populistischer Judenhass kreiert, der an die Tradition der orientalischen Märchenerzähler anknüpft und beständig zwischen dem 7. Jahrhundert und dem 20. Jahrhundert springt. Die klassische islamische Literatur hatte Mohammeds Kampf mit den Juden in der Regel als eine geringfügige Episode im Leben des Propheten behandelt. Die judenfeindlichen Verse aus dem Koran und dem Hadith waren seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten. Jetzt aber begann der Mufti der angeblich feindseligen Haltung der Juden von Medina dem Propheten gegenüber eine geradezu kosmische Bedeutung zuzuschreiben. Jetzt wurden die vereinzelten Hassbotschaften aus Koran und Hadith vom Mufti systematisch herausgepickt und mit dem europäischen Topos der jüdischen Weltverschwörung vermixt. Jetzt wurden diese Versatzstücke den Muslimen bei jeder sich bietenden Gelegenheit – zum Beispiel über den arabischen Kurzwellensender aus Berlin – regelrecht eingehämmert.
Machen Sie sich auf eine Überraschung gefasst: Die Juden in Ägypten waren in den 20er Jahren keine isolierte und gehasste, sondern im Gegenteil eine geachtete und geschützte Gruppe des öffentlichen Lebens: sie besaßen Mandate im Parlament, waren am Königspalast angestellt und besetzten bedeutende Posten in Wirtschaft und Politik. Auch die ägyptische Bevölkerung waren den Juden günstig gestimmt: „Es verdient hervorgehoben zu werden“, bekundete ein Wiener Journalist, „dass der jüdische Kaufmann und Kommissionär sich bei der einheimischen Bevölkerung großer Beliebtheit erfreut und zumeist als sehr reell gilt.“6 Wie war dies in einem Land mit islamischer Staatsreligion möglich?
Erstaunlicherweise ist die etwa 100 Jahre dauernde Phase der islamischen Moderne heute fast vollständig in Vergessenheit geraten. Diese Phase hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts begonnen und zwischen 1860 und 1930 seine Blütezeit erlebte. So rief der Sultan des Osmanischen Reiches 1839 die Gleichstellung der Juden und Christen im Osmanischen Reich aus. 1856 wurde diese Gleichstellung auch juristisch fixiert. Zwar war es mit den demütigenden Sonderbestimmungen für Juden nicht überall und sofort vorbei. Doch in den städtischen Zentren wurde es Juden jetzt gestattet, Abgeordnete zu werden und Regierungsposten zu bekleiden. Seit 1909 wurden sie auch für die Armee rekrutiert.7
Hinter dieser Entwicklung steckte nicht nur der Druck der europäischen Kolonialmächte sondern mehr noch der Wunsch der osmanischen Eliten, sich der europäischen Zivilisation anzunähern. So waren während der Zwanziger Jahren die Gesetze der Scharia für einen Großteil der islamischen Eliten außer Kraft gesetzt. Die Türkei hatte sie 1924, seit der Machtübernahme von Kemal Atatürk, abgeschafft. Der Iran begann sich 1925 unter Resa Khan zu säkularisieren. Auch in Ägypten wurde die Scharia nur noch bei persönlichen Angelegenheiten angewandt, während ansonsten die europäische Rechtssprechung galt.8 Die Nation war damals nicht länger eine Unterabteilung des Islam, sondern der Islam die Unterabteilung einer Nation, in der Moslems, Christen und Juden gleiche Rechte hatten.9
Entsprechend unbefangen wurde die zionistische Bewegung akzeptiert. „Die Zionisten sind für dieses Land [Palästina] notwendig“, schrieb damals beispielsweise der Herausgeber der ägyptischen Zeitung al-Ahram. „Das Geld, das sie bringen werden, ihre Intelligenz und der Fleiß, der sie charakterisiert, werden ohne Zweifel dazu beitragen, das Land wieder zu beleben.“10 Ganz ähnlich der ehemalige ägyptische Minister Ahmed Zaki, der 1922 schrieb: „Der Sieg der zionistischen Idee ist der Wendepunkt für die Erfüllung eines Ideals, das mir so wesentlich ist: die Wiederauferstehung des Orients.“ Und so bereitete 1926 die ägyptische Regierung einer Delegation der Jüdischen Lehrervereinigung aus dem britischen Mandatsgebiet einen herzlichen Empfang. Später reisten Studenten der Ägyptischen Universität zu einem offiziellen Besuch nach Tel Aviv, um dort an sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen. Als 1929 die Unruhen in Palästina eskalierten, verpflichtete das ägyptische Innenministerium sein Pressebüro, alle antizionistischen und anti-jüdischen Artikel zu zensieren. 1933 erlaubte sie gar, dass 1.000 neue jüdische Einwanderer in Port Said zur Weiterfahrt nach Palästina landen konnten.11
Kein Wunder, dass die Landesgruppe Ägypten der NSDAP 1933 höchst unzufrieden war. In einem Bericht der Kairoer NSDAP von 1933 über die Stimmung im Lande ist zu lesen: „Für das Verständnis der Rassentheorie ist der Bildungsgrad der breiten Masse nicht fortschrittlich genug. Das Verständnis für die Gefahren des Judentums ist hier noch nicht geweckt.“12
30 Jahre nach Gründung der zionistischen Bewegung und 20 Jahre vor der Gründung Israels war somit das Verhältnis zwischen Juden und Moslems in Ägypten, der Türkei und dem Iran besser als je zuvor. Dieser Tatbestand beweist, wie flexibel der Koran in einer bestimmten historischen Situation ausgelegt werden kann. Zwar hatte mit dem Einfluss der Europäer auch der christliche Antisemitismus in der Region Einzug gehalten, doch hatte sich die Reichweite dieses Judenfeindschaft auf die christlichen Gemeinden Dies begann sich erst im Laufe der Dreißigerjahre zu ändern.
... und islamistische Reaktion
Für die islamischen Traditionalisten war dieser Vormarsch der Moderne eine Provokation. Sie setzten mit ihrem Widerstand den Anfangspunkt jener Bewegung, die uns heute unter der Bezeichnung „Islamismus“ geläufig ist, eine Bewegung die einen islamischen Fundamentalismus mit dem Gebot eines permanenten heiligen Kriegs kombiniert. Diese islamistische Bewegung war von Anfang an antimodernistisch und antijüdisch orientiert. Ihre drei wichtigsten Protagonisten waren der 1921 eingesetzte Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, der syrische Scheich Izz al-Din al-Qassam, der 1934 von britischen Soldaten getötet wurde sowie der charismatische Hassan al-Banna, der 1928 die ägyptische Muslimbrüderschaft gründete. Der gemeinsame Lehrer dieses Trios war der Syrer Rashid Rida, ein Religionsgelehrter, der den saudischen Wahabiten nahestand. Wie Rashid Rida forderten auch seine drei Schüler die Rückbesinnung auf die Scharia-Gesetzgebung und den althergebrachten Islam, um die westliche Zivilisation im ersten Schritt aus der arabischen Welt herauszudrängen und im zweiten Schritt global zu besiegen. Ihr Judenhass war eine Kampfansage an den Einbruch liberaler Ideen in die Welt des Islam. Dieser Einbruch aber fand nirgendwo so radikal wie in Palästina statt. „Die Juden haben hier ihre Sitten und Gebräuche verbreitet, die im Gegensatz zu unserer Religion und unserer ganzen Lebensweise stehen“, beschwerte sich der Mufti auf einer Konferenz islamischer Religionsgelehrter. „Die jüdischen Mädchen, die in kurzen Hosen herumlaufen, demoralisieren unsere Jugend durch ihre bloße Anwesenheit.“13 Jerusalem war für ihn der Kristallisationskern der „Wiedergeburt des Islam“. Palästina war für ihn das Zentrum, von dem aus der Widerstand gegen Juden und die Moderne seinen Anfang nehmen sollte. Und die Protokolle der Weisen von Zion waren für ihn das Dokument, das die Berechtigung seiner Angriffe auf die Juden bewies. Doch die antijüdischen Pogrome, die der Mufti während der Zwanzigerjahre in Palästina organisierte, blieben in der übrigen arabischen Welt noch ohne Resonanz.
Während es also im Streit zwischen Zionismus und Antizionismus äußerlich betrachtet um Land ging, verbarg sich dahinter ein viel größerer Konflikt: Der Streit um die Frage des Umgangs mit der Moderne. Während sich das Lager der Modernisierer in der Regel mit den Zionisten zu arrangieren suchte, bekämpften die Islamisten bereits jeden Verständigungsversuch als Verrat. 1937 legte Großbritannien mit dem sogenannten Peel-Plan die erste Zwei-Staaten-Lösung in der Geschichte des Nahostkonflikts vor. Dieser Kompromiss wurde anfangs nicht nur von den Zionisten unterstützt, sondern auch von den moderaten Palästinensern sowie mehreren arabischen Regierungen. Der Mufti hingegen lehnte den Teilungsplan entschieden ab und setzte sich mit dieser Haltung durch. Dennoch war Mitte 1937 das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Strömungen noch ausgewogen. Von nun an aber veränderte sich das Bild. Jetzt begann Nazi-Deutschland seine beträchtliches Gewicht in die Waagschale zu legen – in die der Islamisten.
Islamismus und Nationalsozialismus
Für den Mufti war Nazi-Deutschland mehr als nur ein Bündnispartner im Kampf gegen Frankreich und Großbritannien: Er kannte den Charakter des Regimes und bot ihm eben deshalb im Frühjahr 1933 schon seine Mitarbeit an. Daran war Berlin anfänglich nicht interessiert. Hitler hatte noch in „Mein Kampf“ die „rassische Minderwertigkeit“ der Araber hervorgehoben. Außerdem war man um das Wohlwollen Großbritanniens bemüht. Berlin revidierte erst im Juni 1937 diesen Kurs. Auslöser war der Zwei-Staaten-Vorschlag der Peel-Kommission. Einen Judenstaat wollten die Nationalsozialisten mit aller Macht verhindern. Jetzt nahm man die Mufti-Avancen dankbar auf. Jetzt wurde auch der Antisemitismus der Araber nach Kräften geschürt.
Im Zentrum dieser Propaganda stand ein Rundfunksender der Nazis, von dem heute kaum jemand etwas weiß. Seit der Berliner Olympiade von 1936 stand in Zeesen, einem Ort südlich von Berlin, der damals leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt. Zwischen April 1939 und April 1945 sendete Radio Zeesen alltäglich sein arabisch-sprachiges Programm. Die Sendungen wurden gleichzeitig auch auf türkisch und auf persisch ausgestrahlt. So wurde die Masse der analphabetisierten Muslime erreicht. Radios wurden damals auf öffentlichen Plätzen, in Basaren und in Kaffeehäusern aufgestellt. Kein anderer Sender erfreute sich ab 1939 einer größeren Beliebtheit als der Nazi-Sender aus Zeesen, der seit 1941 unter der Leitung des nach Berlin emigrierten Mufti von Jerusalem stand. Hier wurden antisemitische Hetzbeiträge geschickt mit Zitaten aus dem Koran und arabischen Musikbeiträgen vermischt. Die Alliierten des Zweiten Weltkriegs wurden als von „Juden“ abhängige Mächte gezeichnet und den Zuhörern das Bild von den “Vereinten Jüdischen Nationen“ eingetrichtert. Gleichzeitig wurden Juden als die schlimmsten Feinde des Islam attackiert: „Der Jude war seit Mohammeds Zeiten nie ein Freund der Moslems. Der Jude ist der Feind, und ihn zu töten erfreut Gott.“14
Genauso wichtig wie diese technische Innovation war das ideologische Neuland, dass der Mufti von Jerusalem betrat. Er wollte „alle arabischen Länder in einem gemeinsamen Hass auf die Briten und auf die Juden vereinen“, wie er in einem Brief an Adolf Hitler schrieb. Der europäische Antisemitismus hatte sich in diesem Teil der Welt jedoch als wenig zündkräftig erwiesen. Dies hatte einen einfachen Grund. Das Phantasma von der jüdischen Weltverschwörung war europäischen Ursprungs und dem ursprünglichen Judenbild des Islam vollständig fremd. Nur in der Christuslegende erscheinen Juden als eine tödliche und mächtige Instanz, da sie es angeblich fertig gebracht hatten, Gottes einzigen Sohn zu töten.
Ganz anders der Islam. Ihm zufolge haben nicht die Juden den Propheten ermordet, sondern der Prophet die Juden: Mohammed hatte alle jüdischen Stämme aus Medina in den Jahren 623 bis 627 versklavt, vertrieben oder getötet. Deshalb tauchten die charakteristischen Züge des christlichen Antisemitismus in der muslimischen Welt nicht auf: „Es gab keine Ängste vor einer jüdischen Verschwörung und Vorherrschaft, keine Anklagen wegen diabolischer Bösartigkeit, Juden wurden nicht beschuldigt, Brunnen zu vergiften oder die Pest zu verbreiten.“15 Stattdessen begegnete man den Juden mit Verachtung oder mit herablassender Duldung. Diese kulturelle Prägung ließ die Vorstellung, ausgerechnet Juden könnten eine permanente Gefahr für die Muslime und die Welt bedeuten, absurd erscheinen.
Also griff el-Husseini zu dem Instrument, das bei den arabischen Massen noch am ehesten zog: die Religion. El-Husseini war der erste, der den Antisemitismus christlicher Prägung in die Sprache der Muslime übersetzte und damit einen „islamischen Antisemitismus“ schuf. Sein erstes antisemitisches und zugleich pan-islamisches Manifest trägt den Titel: „Islam-Judentum. Aufruf des Großmufti an die islamische Welt im Jahre 1937“. Es umfasst 31 Seiten und gelangte in die gesamte arabische Welt; es gibt bisher keine sicheren Beweise, dass Nazi-Agenten an seiner Abfassung beteiligt waren, doch weisen starke Indizien darauf hin. Ich möchte wenigstens einen kleinen Auszug aus dem Mufti-Manifest zitieren:
Radio Zeesen stieß nicht nur in Kairo auf Begeisterung, sondern auch in Teheran. So gehörte zu den regelmäßigen Hörern von Radio Zeesen ein gewisser Ruhollah Khomeini. Als Khomeini im Winter 1938 im Alter von 36 Jahren aus dem Irak in das iranische Qum zurückkehrte, „hatte er einen von der britischen Firma Pye gebauten Radioempfänger dabei“, berichtet sein Biograph Amir Taheri. „Dieses Radio erwies sich als eine gute Investition. Denn nun kamen viele Mullahs und Religionsschüler in sein Haus, um allabendlich die Sendungen von Radio Berlin und von der BBC zu hören.“16 Von dem Erfolg dieser Propaganda war selbst das deutsche Konsulat in Teheran überrascht. „Im ganzen Lande würden Geistliche auftreten“ und behaupten, „dass in der Gestalt Adolf Hitlers der zwölfte Imam von Gott auf die Welt gesandt worden ist“, heißt es in einem Bericht von Februar 1941 an Berlin. So sei „völlig ohne Zutun der Gesandtschaft eine mehr und mehr um sich greifende Propaganda entstanden, die in dem Führer und damit in Deutschland den Retter aus aller Not erblickt. ... Ein Weg, um diese Entwicklung zu fördern, wäre das klare Herausarbeiten des Kampfes Mohammeds gegen die Juden in alter und den des Führers in jüngster Zeit.“17 Wenn auch Khomeini kein Hitler-Anhänger war, dürfte dennoch seine antijüdische Einstellung in jenen Jahren geprägt worden sein.
Wir sehen also, dass Deutschland ab 1937 einen islamischen Antisemitismus zu fördern und zu verbreiten begann– als Mischung aus frühislamischer Legendenbildung und spätkapitalistischer Verschwörungstheorie. Dieser spezifizierte Antisemitismus gelangte über Radio Zeesen in den islamischen Raum. Gleichzeitig wurde auch die ägyptische Muslimbruderschaft mit erheblichen Geldzuwendungen aus Deutschland bedacht und deren antijüdische Propaganda gestärkt. Von einem Gleichgewicht zwischen Islam-Modernisierern und Islamisten konnte fortan keine Rede mehr sein. Radio Zeesen stellte seinen Beitrieb im April 1945 zwangläufig ein. Seine Frequenzen des Hasses breiteten sich aber erst von nun an in der arabischen Welt wirklich aus. Damit komme ich zum letzten Abschnitt meiner tour d’horizon.
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Die zweite Teilung der Welt
Während nach dem 8. Mai 1945 fast überall in der Welt ein Bannfluch über den Nationalsozialismus verhängt wurde, hallte die Nazi-Ideologie in der arabischen Welt weiter nach. In ihrem Bericht über den 1961 geführten Prozess gegen Adolf Eichmann geht Hannah Arendt darauf ein: „Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, dass er ,sein Geschäft nicht zu Ende geführt’ habe; eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass ,im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert’ hätte.“18
Den Herzenswunsch, alle Juden vernichtet zu sehen, formuliert noch im April 2001 der Kolumnist Achmad Ragab in der zweitgrößten, staatlich kontrollierten ägyptischen Tageszeitung Al-Akhbar : „Lasst uns bei Hitler bedanken. Er hatte sich an den Israelis im Voraus gerächt. Wir machen ihm nur den einen Vorwurf, dass seine Rache nicht vollständig genug gewesen ist.“19
Offenkundig folgte dem 8. Mai 1945 eine zweifache Teilung der Welt: Die Spaltung in die politökonomischen Systeme ist als der Kalte Krieg bekannt. Die zweite Kluft, die der Kalte Krieg überdeckte, hat mit der Akzeptanz und mit dem Fortleben nationalsozialistischen Gedankenguts zu tun. Die Bruchstelle wurde bereits 1946 markiert und hat viel mit dem damals bekanntesten Politiker der arabischen Welt, dem ehemaligen Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und noch mehr mit dem Opportunismus des Westens zu tun.
El-Husseini wurde 1945 u.a. von Großbritannien und den USA als Kriegsverbrecher gesucht. Er hatte zwischen 1941 und 1945 von Berlin aus die muslimischen SS-Divisionen betreut und persönlich dafür gesorgt, dass Tausende jüdische Kinder, die andernfalls hätten gerettet werden können, vergast wurden. Dies war 1946 bekannt. Doch um es sich nicht mit der arabischen Welt zu verderben, verzichteten Großbritannien und die USA auf die Strafverfolgung, während Frankreich, in dessen Gewahrsam sich el-Husseini 1946 befand, ihn laufen ließ. Die Araber sehen in dieser Amnestie, „eine Absolution für geschehene und kommende Ereignisse“, schrieb Simon Wiesenthal im Dezember 1946.20 Nun begann die pro-nationalsozialistische Vergangenheit eine Quelle es Stolzes, nicht der Scham zu werden. Als die Schlagzeilen der Weltpresse am 10. Juni 1946 die Flucht des Mufti aus Frankreich bekannt gaben, wurden die Arabischen Viertel beflaggt. Die größten Cheerleader aber waren die Muslimbrüder, die jetzt allein in Ägypten eine Millionen Menschen mobilisieren konnten. Sie hatten die Rückkehr des Mufti organisiert und seine Naziaktivitäten von Anfang an gegenüber Kritik abgeschirmt.
Die beiden entgegengesetzten Sichtweisen auf den Holocaust prallten im November 1947 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen erstmals aufeinander. Auf der einen Seite diejenigen, die die Shoah als Katastrophe betrachteten und die sich deshalb für die Teilung Palästinas und die Gründung Israels einsetzten. Auf der anderen Seite die prinzipiellen Gegner der Zweistaaten-Lösung, deren einflussreichster Vertreter der erneut zum palästinensischen Wortführer avancierte Amin el-Husseini war. Die Araber, so sein Vorschlag, „sollten gemeinsam über die Juden herfallen und sie vernichten, sobald sich die britischen Streitkräfte [aus dem Mandatsgebiet Palästina] zurückgezogen hätten.“21 Doch auch die Muslimbrüder reihten den UN-Beschluss in ihr antisemitisches Weltbild ein und attackierte den Teilungsbeschluss als ein „internationales Komplott, ausgeführt von den Amerikanern, den Russen und den Briten unter dem Einfluss des Zionismus“.22 So wurde nach den Jubelfeiern über die Rückkehr des Mufti von 1946 die Realität des Holocaust 1947 ein zweites Mal ignoriert.
Schließlich gab es in der arabischen Welt noch eine dritte Position: Es war die Position derer, die sich für den Holocaust nicht interessierten, und die gleichwohl den Teilungsplan aus pragmatischen Gründen unterstützten. Unter ihnen waren besonders viele palästinensische Araber, weil diese wussten, dass der Kampf gegen die Teilung vergeblich sein würde, weil die Araber keine Waffen, die Juden aber die Unterstützung der USA und Großbritanniens hatten. Zu den Verfechtern dieser Position gehörten Zehntausende von Arbeitern ..., die die jüdische Ökonomie besonders auf den Zitrusfeldern voranbrachten.
Also hielten sich „viele palästinensische Araber nicht nur von den Kämpfen fern, sondern taten zugleich alles, um die ausländischen und die einheimischen Kräfte von der Ausführung militärischer Aktionen (gegen die Zionisten) abzuhalten“, schreibt Hillel Cohen, der die Bewegung der sogenannten arabischen “Kollaborateure” als erster systematisch untersucht hat. „Den Krieg von 1948 zu vermeiden und mit den Juden ein Abkommen zu schließen war nach ihrer Überzeugung das beste für die Palästinensisch-Arabische Nation.“23
Es gab darüber hinaus auch zahlreiche arabische Führer, die mit dem Teilungsplan privat sympathisierten, die es jedoch nicht wagten, dem Mufti und den Muslimbrüdern zu widersprechen. Zu ihnen gehörte Abdullah, der Emir von Transjordanien, Sidqi Pasha, der Premierminister von Ägypten, Abd al-Rahman Azzam, der Chef der Arabischen Liga sowie Muzahim al-Pachachi, der damalige Premier des Irak, der damals erklärte: „Am Ende werde wir die Existenz des jüdischen Staates zu akzeptieren haben, heute aber, ist es politisch ausgeschlossen, dies öffentlich anzuerkennen.“24
So breitete die Feigheit der arabischen Regierungsoberhäupter und der Zynismus des Westens, der den Mufti 1946 unbehelligt laufen ließ, einer der fatalsten Entscheidungen des 20. Jahrhunderts den Weg: dem Überfall arabischer Armeen auf das von den Vereinten Nationen sanktionierte Israel.
Die Niederlage der arabischen Armeen spülte 1952 einen weiteren früheren Parteigänger der Nazis, Gamal Abdel Nasser, an die Macht. Nasser ließ die Protokolle der Weisen von Zion verbreiten und versicherte noch 1964 der Deutschen Nationalzeitung: „Die Lüge von den sechs Millionen ermordeten Juden wird von niemandem ernst genommen.“25 Jetzt war es die Sowjetunion, die keine Schwierigkeiten hatte, sich mit dem Antisemitismus und der Holocaust-Leugnung ihres Verbündeten zu arrangieren. Darüber hinaus setzte Nasser viele der zahllosen Naziverbrecher, die sich ihrer Bestrafung durch Flucht nach Ägypten entzogen hatten, da ein, wo sie Profis waren – in der antijüdischen Propaganda.26
Erst als auch Nassers Feldzug gegen Israel im Sechs-Tage-Krieg von 1967 kläglich gescheitert war, wurde der zuvor geschürte Hass auf Juden erneut islamistisch radikalisiert. Nassers antijüdische Propaganda war mit einer Neigung für die angenehmen Seiten des Lebens noch einhergegangen. Jetzt aber wurde der Antisemitismus mit dem Hass der Islamisten auf Sinnlichkeit und Lebensfreude vermischt und - in Anknüpfung an den 30 Jahre zuvor in Palästina initiierten Djihad - als religiöser Widerstand gegen alle „Verderber der Welt“ popularisiert. Jetzt „entdeckte“ man, dass nicht nur alles Jüdische böse, sondern alles „Böse“ jüdisch sei. So erklärt das wichtigste Manifest des islamischen Antisemitismus, der von dem Muslimbruder Sayyid Qutb verfasste Essay „Unser Kampf mit den Juden“ – der mit der Hilfe Saudi-Arabiens nach 1967 millionenfache Verbreitung in allen islamischen Ländern erfuhr – unter Anspielung auf Karl Marx, Sigmund Freund und Emile Durkheim die Juden für den weltweiten moralischen und sexuellen Verfall verantwortlich: „Hinter der Doktrin des atheistischen Materialismus steckte ein Jude; hinter der Doktrin der animalistischen Sexualität steckte ein Jude; und hinter der Zerstörung der Familie und der Erschütterung der heiligen gesellschaftlichen Beziehungen steckte ebenfalls ein Jude.“27 Jetzt erklärte man Palästina zum heiligen islamische Gebiet (Dar al-Islam), in welchem Juden nicht einmal ein Dorf regieren dürften, und Israels Vernichtung zu einer religiösen Pflicht. Jetzt breitete sich ungehindert intellektuelle Verwüstung aus: Man begann, Juden in Anlehnung an Koranverse als „Affen“ verächtlich zu machen und bot als wissenschaftliche Erkenntnis die Behauptung feil, dass das Verzehren von nicht-jüdischem Blut ein religiöser Ritus der Juden sei.28 Die ersten Opfer dieser islamistischen Wendung waren die Muslime selbst. Mit dem „Kampf gegen Verderber“ ist die Unterdrückung eigener sinnlicher Bedürfnisse gemeint und mit der Rückkehr zu den „heiligen gesellschaftlichen Beziehungen“ die Unterjochung der Frau.
Eine weitere Steigerung wurde 1982 erreicht, als die Hizbollah damit begann, Menschen systematisch als Bomben einzusetzen. Der Hass auf Juden war nun größer als die Furcht vor dem Tod; die Ideologie der Vernichtung schlug in die Praxis der Zerfetzung beliebiger Juden um. Wann immer die Möglichkeit einer friedlichen Lösung am Horizont erschien, wurde sie im Blut suizidaler Massenmorde ertränkt. Die erste große Selbstmordbomber-Serie begann in Palästina 1993/94, als der Osloer Friedensprozess gerade in Gang gekommen war. Sie wurde im Oktober 2000 wieder aufgenommen, nachdem sich Israel aus dem Libanon zurückgezogen und der palästinensischen Seite in Camp David die bis dahin weitreichendsten Zugeständnisse gemacht hatte.29 Es liegt auf eben dieser Linie, dass der Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen mit einer Welle von Raketenangriffen beantwort worden ist.
Wie sieht nun das Gesamtresümee unserer historischen Rückblicks aus? Zunächst zur islamischen Welt: Hier zeigt die Geschichte, dass es eine jeweils persönliche Entscheidung ist, wie ein Moslem sein Verhältnis gegenüber Israel und den Juden definiert. Es war eine absichtliche Wahl des Mufti, jede Dialoglösung zu torpedieren. Und es ist eine absichtliche Wahl der Hamas, Israel beseitigen zu wollen. Es gibt keine Zwangsläufigkeiten, die solche Einstellungen determinieren.
Diese Selbstverständlichkeit versteht sich leider nicht von selbst. So zeichnet Tom Segev in seinem Weltbestseller „Es war einmal ein Palästina“ zwei Kollektive – die Araber und die Juden – die sich ebenso geschlossen wie unversöhnlich gegenüberstehen. Jede Gruppe will das Land für sich allein. Deshalb ermorden Juden die Araber und Araber ermorden die Juden - eine „Spirale der Gewalt“, für die beide Seiten gleichermaßen verantwortlich zu machen sei. Mit Analyse hat dies nichts zu tun. Gewiss hat es fundamentalistische Positionen auch im zionistischen Lager immer gegeben. Hier blieben sie jedoch gesellschaftlich marginalisiert, während der Geist des Mufti im Lager der Palästinenser bis heute dominant ist und jede Abweichung zum Schweigen zu bringen sucht.
Dann zu Europa: Hier zeigt sich, was für verheerende Konsequenzen die europäische Anbiederung an den Islamismus hatte und hat. Amin el-Husseini war eine von den europäischen Mächten eingesetzte und geförderte Instanz: Es waren die Briten, die ihn 1921 in sein Mufti-Amt brachten. Es waren die Deutschen, die ihn zwischen 1937 und 1945 bezahlten. Und es waren die Franzosen, die ihn 1946 laufen ließen und seine zweite Karriere ermöglichten. Trotz dieser Mitverantwortung für die Situation weigern sich die europäischen Politiker und Medien, die Existenz des islamischen Antisemitismus bei Hisbollah und Hamas auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
Solange dieses Faktum aber verleugnet wird, wird der Terror der Islamisten zum neuen Maßstab für die Schuld der Israelis gemacht. Dann lautet die Devise: „Je barbarischer der antijüdische Terror, desto ungeheuerlicher die israelische Schuld.“ Wer aber Israel zum Sündenbock für die islamistische Gewalt machen will, lenkt nicht nur von der eigentlichen Agenda des Islamismus ab, sondern knüpft mit dieser neusten „Der-Jud-ist-schuld“-Variante an uralte Muster des europäischen Antisemitismus an. So wird der Verzicht auf Klarheit zum Beginn der Komplizenschaft.
Und schließlich zum Antisemitismus selbst: Unser Rückblick widerlegt die Behauptung, dass der islamischer Antisemitismus im Zionismus oder der Politik Israels seine Ursache hat. Es haben nicht die Zuspitzungen des Nahostkonflikts den Antisemitismus verursacht, sondern der Antisemitismus jene Zuspitzungen. Es gibt eine sichere Methode, die wirklichen Wurzeln dieses Antisemitismus zu erkennen: Man braucht sich nur die massenhafte Haltung der arabischen Welt gegenüber Hitler und den Nazis anzuschauen. Wenn Deutsche in Beirut, Damaskus oder Amman mit Komplimenten für Hitler überschüttet werden, liegt dies schwerlich an Israel. Wenn iranische Cartoons Anne Frank mit Adolf Hitler im Bett zeigen, hat dies mit Zionismus wenig zu tun.
Heute wird dieser Antisemitismus durch die iranische Kampagne der Holocaust-Leugnung noch verstärkt. Wer Auschwitz zum "Mythos" erklärt, zeichnet die Juden als einen universellen Feind, der die Menschheit um des schnöden Mammons willen seit 60 Jahren fortlaufend betrügt. Wer vom "sogenannten" Holocaust spricht, unterstellt, dass über 90 Prozent der Lehrstühle und Medien der Welt von Juden kontrolliert und hermetisch gegen die "eigentliche" Wahrheit abgeschottet werden. Wer Juden aber derartiger Untaten bezichtigt, kann Hitlers Endlösung schlecht kritisieren. Der Holocaust wird der Außenwelt gegenüber verleugnet und im Geheimen als Quelle der Inspiration genutzt: als eine Art Präzedenzfall, der beweist, dass es geht, dass man Juden millionenfach ermorden kann. Implizit ist in jeder Leugnung des Holocaust die Aufforderung, ihn zu wiederholen, enthalten."
Dieser Judenhass lässt sich durch keine Variante jüdischen Entgegenkommens abmildern: Wer der dämonisierenden Wahnvorstellung anheim gefallen ist, wird sein antijüdisches Feindbild bestätigt finden – egal was eine israelische Regierung tut oder lässt. Dieser islamische Antisemitismus hat mit ethnischen Besonderheiten oder kulturellen Marotten nichts zu tun. Wir haben es mit der Ideologie der Nazis in neuer Verkleidung zu tun.
Lassen Sie mich mit dem Appell eines Moslems, des Politikwissenschaftlers Bassam Tibi schließen: „Erst wenn die deutsche Öffentlichkeit der antisemitischen Dimension des Islamismus in angemessener Weise entgegentritt, wird man davon sprechen können, dass sie die Lehren der deutschen Vergangenheit wirklich verstanden hat.“30
ANMERKUNGEN
1 Zit. nach Josef Joffe, Der Wahnsinn an der Macht, in: Die Zeit, 20. Juli 2006.
2 Zitiert nach: Middle East Media Research Institute (Memri), Special Dispatch, 7. Februar 2006.
3 Zitiert nach: Memri, Special Dispatch, 2. November 2005.
4 ISNA, 16.11.2006, http://isna.ir/Main/NewsViews.aspx?ID=News-825902 , zit. nach: Honestly Concerned -Iranforschung. Übersetzung aus Iranischen Medien, Berlin, 17. November 2006.
5 In meinem Buch „Didhad und Judenhass“ gehe ich ausführlicher auf die hier behandelten historischen Stationen ein. M. Küntzel, Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg , 2002.
6 Was der Wiener Journalist 1904 notierte, habe auch für die kommenden Jahrzehnte Bestand gehabt, betont Gudrun Krämer, in Minderheit, Millet, Nation? Die Juden in Ägypten 1914-1952, Wiesbaden 1982., S. 158.
7 Yossef Bodanski, Islamic Anti-Semitism as a Political Instrument, Shaarei Tikva (The Ariel Center for Policy Research) 1999, S. 20-25.
8 Albert Hourani, Die Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt/M. (Fischer Taschenbuch), 2000, S. 420.
9 Bernard Lewis, Semites and Anti-Semites, London 1986, S. 136.
10 Stefan Wild, Zum Selbstverständnis palästinensisch-arabischer Nationalität, in: Helmut Mejcher, Die Palästina-Frage 1917-1948 (Paderborn 1993), S. 79.
11 Abd Al-Fattah Muhammad El-Awaisi, The Muslim Brothers and the Palestine Question 1928-1947, London 1988, S. 22ff.
12 Krämer, a.a.O., S. 278.
13 Uri M. Kupferschmidt, The Supreme Muslim Council. Islam under the British Mandate for Palestine, Leiden 1987, S. 249f. und S. 252.
14 Seth Arsenian, Wartime Propaganda in the Middle East, in: The Middle East Journal, Oct. 1948, Vol. II, No. 4, S. 421; Robert Melka, The Axis and the Arab Middle East: 1930-1945, University of Minnesota 1966, S. 47f; Heinz Tillmann, Deutschlands Araberpolitik im Zweiten Weltkrieg, Berlin/Ost 1965, S.83f.
15 Vgl. Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“. Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt /M. 1987, S. 137ff.
16 Amir Taheri, The Spirit of Allah. Khomeini and the Islamic Revolution, Bethesda 1986, S 100.
17 Mitteilung des Deutschen Konsulats in Teheran an das Auswärtige Amt vom 2. Februar 1941, zit. nach Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2006, S. 42.
18 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, München 1986, S. 81.
19 Ragab in der Ausgabe vom 20. April 2001. Er wiederholte diesen Standpunkt in Al-Akhbar am 25.4.2001 und am 27. 5. 2001. Vgl. Anti-Defamation League, Holocaust Denial in the Middle East: The Latest Anti-Israel Propaganda Theme, New York, 2001, S. 2. (www.adl.org)
20 Simon Wiesenthal, Großmufti – Großagent der Achse, Salzburg-Wien 1947, S. 2.
21 Nicholas Bethell, Das Palästina-Dreieck, Frankfurt/M. 1979, , S. 381.
22 Matthias Küntzel, Von Zeesen bis Beirut. Nationalsozialismus und Antisemitismus in der arabischen Welt, in: D. Rabinovici, U. Speck und N. Sznaider (Hg.), Neuer Antisemitismus?, Frankfurt/M. 2004, Suhrkamp, S. 287.
23 Hillel Cohen, Army of Shadows. Palestinian Colloboration with Zionism 1917-1948, Jerusalem 2006 (unveröffentlichtes Manuskript), S. 264. Cohens Monographie ist auf hebräisch verfasst und erhielt 2001 den Jahrespreis des Yitzhak Rabin Zentrums für Israel-Studien. Die englische Übersetzung wird 2007 in den USA (University of California Press) erscheinen.
24 Bruse Maddy-Weitzman, The Crystallization of the Arab State System 1945-1954, New York 1993, S. 80.
25 Robert Wistrich, Der antisemitische Wahn. Von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel, München 1987, S. 310, 316f und 336.
26 Küntzel, a.a.O., S. 70f.
27 Qutbs Text wurde 1950 verfasst, konnte sich aber in der Phase der blutigen Verfolgung der Muslimbrüder durch Nasser, der auch der 1966 hingerichtete Qutb zum Opfer fiel, nicht durchsetzen. Sein Gesamtwortlaut ist dokumentiert in: Ronald L. Nettler, Past Trials and Present Tribalations. A Muslim Fundamentalist’s View of the Jews, Oxford et. al. 1987, S. 72-89.
28 Diese Behauptung findet sich z.B. in dem Standardwerk über „Das Volk Israels im Koran und in der Sunna“, das der heute renommierteste sunnitische Geistliche und Großscheich der Al-Azhar-Universität von Kairo, Mohammed Tantawi, als Doktorarbeit eingereicht und 1968/69 veröffentlicht hat. Vgl. Wolfgang Driesch, Islam, Judentum und Israel, Hamburg 2003, S. 53 und 74. Dieser Bestseller wurde zuletzt 1997 aufgelegt.
29 Joseph Croitoru, Der Märtyrer als Waffe, Wien 2003, S. 165ff.
30 Bassam Tibi, Der importierte Hass. Antisemitismus ist in der arabischen Welt weit verbreitet, in: DIE ZEIT, 6. Februar 2006.
Der Autor
geb. 1955, ist Politikwissenschaftler und Publizist und seit 1992 als Politiklehrer an einer Hamburger Gewerbeschule teilzeitbeschäftigt. 2002 erscheint sein jüngstes Buch Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg im Freiburger Ca ira Verlag. Von 1984 bis 1988 war Matthias Küntzel Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion „Die Grünen“.1991 promovierte er mit summa cum laude im Fachbereich Internationale Beziehungen der Universität Hamburg über das Thema: Die Bundesrepublik Deutschland zwischen Nuklearambition und Atomwaffen-Verzicht. Eine Untersuchung der Kontroverse um den Beitritt zum Atomwaffen-Sperrvertrag.Von 1991 bis 1995 war er Redaktionsmitglied der Zeitschrift Bahamas und von 1988 bis 2001 Autor der Zeitschrift konkret.Seit 2001 recherchiert und publiziert er hauptsächlich über: Antisemitismus, Antisemitismus im Islam, Islamismus, Islamismus und Nationalsozialismus, Iran sowie die deutsche und europäische Nahostpolitik.
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