Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 61

November 2007

Die nachfolgenden Texte von Dörthe Engels (Aktion Sühnezeichen Friedensdienste)  informieren über die Internationale Begegnungsstätte "Beit Ben Yehuda", Jersusalem, sowie über ihren Namensgeber, Elieser Ben Yehuda, den Begründer der neuhebräischen Sprache.

COMPASS dankt der Autorin für die Genehmigung zur Wiedergabe ihrer Texte an dieser Stelle!

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Online-Extra Nr. 61


Friedensgespräche im Heiligen Land

Das Beit-Ben-Yehuda in Jerusalem

DÖRTHE ENGELS




Vor drei Jahren öffnete die internationale Begegnungsstätte „Beit Ben Yehuda“ in Jerusalem seine Tore. In Zusammenarbeit mit „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V.“ möchte sie Jugend- und Erwachsenengruppen aus aller Welt einladen, hier einander zu begegnen und sich über politische, soziale und religiöse Themen auszutauschen.

„Dem Hass eine Kraft entgegensetzen“ hieß es im Gründungsaufruf der „Aktion Sühnezeichen“ 1958. Ziel des Vereins war und ist es, Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu übernehmen und ein Zeichen für Frieden, Toleranz und Verständigung zu setzen. Heute ist „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (ASF) in 13 Ländern aktiv, deren Bevölkerung besonders unter dem Nationalsozialismus gelitten hat. Jedes Jahr leisten in diesen Ländern rund 180 Männer und Frauen einen einjährigen Freiwilligendienst. Nach Israel kommen seit 1961 jährlich rund 25 Freiwillige. Für zwölf Monate arbeiten sie in Projekten mit Schoa-Überlebenden, Behinderten oder sozial benachteiligten Familien und in Gedenkstätten.  Als neuen Programmteil bietet ASF das Pilotprojekt der mittelfristigen Freiwilligendienste, das sich ausdrücklich auch an ältere Menschen richtet, die für einen kürzeren Zeitraum in israelischen Altenheimen arbeiten möchten. Damit bestehen die zwischenmenschlichen Beziehungen beider Länder länger als deren diplomatische Zusammenarbeit.


Deutsche Friedensbotschafter in Israel

Die israelische Schoa-Überlebende Halina Birenbaum sagte bei einem Treffen mit ASF-Freiwilligen: „Es ist mir eine große Befriedigung, dass es heute andere junge Deutsche gibt, die sich um Not leidende, einsame und arme Menschen kümmern. Solche Sühnezeichen machen mir Hoffnung auf eine sichere und glücklichere Zukunft.“ Der Begriff „Sühne“ ist dabei in den letzten Jahrzehnten im Selbstverständnis von Aktion Sühnezeichen immer wieder intensiv diskutiert worden. 1968 wurde dem Vereinsnamen in Westdeutschland das Wort Friedensdienste beigefügt, um die Zukunftsperspektive neben dem Zurückblicken auf die Geschichte zu betonen. Lukas Welz, Freiwilliger in der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem 2005/06, nennt eine typische Frage seitens der Israelis an die deutschen Jugendlichen: „Was sollst Du sühnen, wenn du doch nicht schuldig bist für das, was die Generation Deiner Großeltern an Verbrechen begangen hat?“ Seine Antwort lautet: „Natürlich bin nicht ich schuldig für die Verbrechen während des Nationalsozialismus. Aber ich bin verantwortlich, zum Einen für die Opfer dieser Verbrechen als auch für deren Nachkommen, die immer noch unter den Folgen der Schoa leiden, und zum Anderen für die Gegenwart, in der wir alle leben.“

Israel wird aus deutscher Sicht immer ein besonderes Land bleiben, deren Menschen sich viele Deutsche heute nur zögerlich nähern – sei es aus Scham oder aufgrund alter Stereotype. In diesem Land prallen Geschichte und Gegenwart aufeinander, zeigt sich die Pluralität der Menschheit und der lange Weg zur Versöhnung. „Mehrmals wurden wir als Friedensbotschafter Deutschlands bezeichnet. Ein sehr schönes Kompliment, welches ich mehrmals auch von israelischer Seite hören durfte“, berichtet Dirk Eidner über seinen Freiwilligendienst 2006/07.


      
(Bild links: Blick auf das historische Gebäude; Bild rechts: Blick auf den Neubau)x



„Beit Ben Yehuda“ – ein Ort der Begegnung

Im Oktober 2004 weitete ASF mit der Eröffnung ihrer internationalen Begegnungsstätte in Jerusalem den Versöhnungsdialog zwischen Deutschen und Israelis auf Friedensgespräche zwischen Menschen aus aller Welt aus. Das „Beit Ben Yehuda“ entstand als Neubau im Garten hinter dem historischen Haus, in dem die Familie von Elieser Ben Yehuda – dem Begründer der neuhebräischen Sprache – von 1923 bis in die sechziger Jahre wohnte. Elieser starb wenige Monate vor der Fertigstellung des Hauses am 16. Dezember 1922. Nachdem das Gebäude in dem ruhigen Stadtteil Talpioth einige Jahre leer gestanden hatte, stellte es die Stadt Jerusalem auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Teddy Kollek für eine symbolische Summe ASF zur Verfügung. 1971 richtete der Verein hier seine Länderzentrale ein. Der Übergang des von Freiwilligen genutzten Haus Pax zum „Beit Ben Yehuda“ konnte mit Hilfe vieler Spender vor allem aus Deutschland realisiert werden.

In dem neugebauten Gästehaus finden Jugend- und Erwachsenengruppen in zehn Zimmern mit insgesamt 48 Betten Platz. Das Haus entspricht in seiner technischen Ausstattung den Bedürfnissen junger und älterer Menschen, die in einer freundlichen Atmosphäre ohne viel Luxus vor allem einander begegnen wollen. Für Gruppengespräche und Workshops stehen drei Räume zur Verfügung, in denen Seminare eigenverantwortlich wie auch von pädagogisch geschulten Mitarbeitern des Hauses angeboten werden. Zu den Themenschwerpunkten zählen der Nationalsozialismus, die Judenverfolgung, der Nahostkonflikt und die deutsch-israelischen Beziehungen. Auch aktuelle Menschenrechtsverletzungen wie neuartige Formen des Antisemitismus werden behandelt. Ferner wird dem interreligiösen Dialog eine große Bedeutung beigemessen. Alle Seminare und Workshops werden in enger Absprache mit den Gästegruppen ausgearbeitet und auf die Bedürfnisse der Teilnehmer zugeschnitten. Die Seminare werden von erfahrenen Leitern durchgeführt, die sich mit Jugendaustausch, Erinnerungskultur,  Geschichtsvermittlung, Medien, Politik, Kultur und anderen relevanten Themen in Deutschland, Europa und Israel auskennen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die biographische Sichtweise von Geschichte und Gegenwart gelegt, d. h. die Gäste treffen bei ihrem Aufenthalt im „Beit Ben Yehuda“ auf Friedensaktivisten, Siedler, Schoa-Überlebende, Politiker oder Schriftsteller. Ziel dieser Methode des Geschichtslernens ist eine langfristige Stärkung der Beziehungen zwischen den Generationen in Deutschland, Israel und anderen Ländern.


Internationale Begegnungsstätte „Beit Ben Yehuda“



Vorankündigungen 2007/2008

In den kommenden Monaten finden verschiedene von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V.“ organisierte Begegnungen in Israel statt.





„Das Heilige Land erleben, erfahren und verstehen“ – Eine Bildungsreise vom 20. bis 30. Dezember 2007

Die Bildungsreise bietet Einblicke in die politische, religiöse und kulturelle Vielfalt Israels. Neben der Besichtigung von touristischen Höhepunkten wie dem Toten Meer oder der Jerusalemer Altstadt sind Begegnungen mit jüdischen, muslimischen und christlichen Israelis wie auch neueingewanderten Äthiopiern geplant. Aber auch der Besuch einer Siedlung sowie des Sicherheitszaunes stehen auf dem Programm.

„Hebräischlernen in Jerusalem“ – Ein Ulpan vom 10. Februar bis 7. März 2008

Das „Beit Ben Yehuda“ veranstaltet einen vierwöchigen Intensiv-Sprachkurs  für Anfänger mit leichten Vorkenntnissen der hebräischen Sprache. Die erfahrene Lehrerin unterrichtet über die Sprache hinaus Geschichte, Politik und Kultur des Landes. Zum Begleitprogramm gehören Wochenendausflüge sowie abendliche Treffen mit Zeitzeugen und jungen Israelis.

„Auf den Spuren von ASF in Israel“ – Eine Reise vom 31. März bis 10. April 2008

Im Frühjahr 2008 wird anlässlich des 50jährigen Bestehens von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V. eine besondere Reise auf den Spuren der Freiwilligen-Arbeit in Israel angeboten.

Sommerlager in Israel und Deutschland vom 15. Juli bis 5. August 2008

Im Rahmen des Sommerlagerprogramms von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ findet wieder eine deutsch-israelische Jugendbegegnung statt. In diesem Jahr wird in Jerusalem und der Gedenkstätte Bergen-Belsen die Geschichte von jüdischen Flüchtlingen nach dem 2. Weltkrieg wie auch derzeitig vertriebenen Gruppen thematisiert.

„Hebräischlernen in Jerusalem“ – Ein Ulpan vom 04. bis 28. August 2008

Das „Beit Ben Yehuda“ veranstaltet einen vierwöchigen Intensiv-Sprachkurs  für Anfänger mit leichten Vorkenntnissen der hebräischen Sprache. Die erfahrene Lehrerin unterrichtet über die Sprache hinaus Geschichte, Politik und Kultur des Landes. Zum Begleitprogramm gehören Wochenendausflüge sowie abendliche Treffen mit Zeitzeugen und jungen Israelis.



Kontakt

Internationale Begegnungsstätte „Beit Ben Yehuda“
Rh. Ein Gedi 28
93383 Jerusalem – Israel
Tel.: 00972-(0)2-6730124
Email:
bby@asf-ev.de
Web: http://www.beit-ben-yehuda.org/

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V.
Dörthe Engels – Israel-Referat
Auguststraße 80
10117 Berlin
Tel.: 030-28395179
Email:
engels@asf-ev.de
Web: http://www.asf-ev.de/


Elieser Ben Yehuda 

Vor 150 Jahren wurde der Begründer der neuhebräischen Sprache geboren





Elieser Ben Yehuda wurde am 7. Januar 1858 als Elieser Jitzhak Perelman in der litauischen Kleinstadt Luschki geboren. Bereits mit drei Jahren lernte er Tora und Talmud und beschäftigte sich mit der althebräischen Sprache. In der Hoffnung, Elieser würde den Beruf eines Rabbiners einschlagen, schickten ihn die Eltern auf eine Jeschiwa. Hier geriet er erstmals in Kontakt mit der jüdischen Aufklärung (Haskalah) und dem Zionismus. Er wurde ein leidenschaftlicher Anhänger der Idee, die Juden der Diaspora könnten in Erez Israel einen Staat aufbauen und dort selbstbestimmt mit ihrer eigenen Kultur und Sprache leben.

Bei Studienaufenthalten in Paris und Algier machte Ben Yehuda die Erfahrung, dass das biblische Hebräisch durchaus im Alltag zur Kommunikation zwischen Juden anwendbar ist. In zahlreichen Artikeln in der jüdischen Presse warb er für die Belebung der hebräischen Sprache, die er als einendes Band zwischen allen Juden in der Welt betrachtete. Ben Yehuda stieß dabei auf erbittertem Widerstand in frommreligiösen Kreisen. Hier sah man das Hebräische als seit 2000 Jahren ausschließlich liturgische Sprache, die lediglich im Gottesdienst gesprochen wurde, und lehnte ihren profanen Gebrauch ab.

1881 siedelte Ben Yehuda mit der ersten Einwanderungswelle (Alija) nach Erez Israel über. Ergriffen von der Idee eines hebräisch sprechenden jüdischen Volkes im heiligen Land verbot er seinen sechs Kindern den Kontakt zu anderen Sprachen. Ben Yehudas ältester Sohn Ben-Zion gilt heute als der erste im Lande geborene Jude mit Hebräisch als Muttersprache.

Ben Yehudas Erfolg war zunächst gering. Nur wenige Familien schlossen sich seinem Beispiel, ausschließlich Hebräisch im Haus zu sprechen, an. Hebräischsprachige Siedlungen wie Rischon LeZion blieben eine Ausnahme. Erst mit der zweiten großen Einwanderungswelle nach Israel Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Hebräisch zur Alltagssprache dort lebender Juden und des politischen Zionismus.

Die Verfassung des ersten neuhebräischen Wörterbuches durch Ben Yehuda stellte die Grundlage für die Schaffung eines hebräischen Bildungssystems im Jischuw, dem vorstaatlichen Israel. 1909 wurde mit Tel Aviv die erste hebräische Stadt gegründet. Während Hebräisch mit Fortschritt, Säkularisierung und Zionismus – kurz: dem neuen jüdischen Selbstbewusstsein – verbunden wurde, standen jüdische Dialekte aus Europa wie das Jiddische für das osteuropäische Ghetto, Unterdrückung und Armut.

Die Anerkennung des Hebräischen als offizielle Sprache in Palästina durch die britischen Mandatsträger erlebte Ben Yehuda nicht mehr. Er starb am 16. Dezember 1922 an Tuberkulose. Heute erinnern zahlreiche Straßenschilder in israelischen Städten an ihn und israelische Schulkinder lesen die Biographie seines Sohnes – des ersten Juden mit hebräischer Muttersprache.


Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF)



ASF heute
Im Bewusstsein, dass die Folgen des Nationalsozialismus noch immer spürbar sind und nur durch einen intensiven Dialog überwunden werden können, setzt sich Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) für eine Verständigung zwischen den Generationen, Kulturen, Religionen und Völkern ein.

Verwurzelt im christlichen Glauben bemüht sich ASF dabei um Zusammenarbeit mit allen, die für eine friedlichere und gerechtere Welt eintreten.

Aktion
ASF verfolgt seine Ziele durch konkretes Handeln, das heißt vor allem durch die praktische Arbeit seiner Freiwilligen, die in vielfältigen sozialen und politischen Projekten in 13 Ländern aktiv sind. Dies geschieht in der Gewissheit, dass Menschen sich in gemeinsamer Praxis näher kommen, sich selbst und andere besser verstehen lernen, sich verändern und dadurch Neues hervorbringen.

Sühnezeichen
Der Begriff Sühnezeichen steht für die zeichenhafte Übernahme von Verantwortung für die Folgen des Nationalsozialismus. Die nationalsozialistischen Verbrechen sind nicht ungeschehen und auch nicht wiedergutzumachen. Doch durch konkretes Handeln kann ein Prozess der Versöhnung in Gang gesetzt werden.

Friedensdienste
ASF strebt einen umfassenden und gerechten Frieden an. Wir engagieren uns daher in Projekten, die sich gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Religion, politischen Überzeugung, nationalen oder sozialen Herkunft, Hautfarbe, Sprache, körperlichen Konstitution, sexuellen Orientierung und Identität, ihres Alters oder Geschlechts richten.

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Weitere umfangreiche Informationen sowie Kontaktmöglichkeiten
finden Sie auf unserer Homepage:
http://www.asf-ev.de/ 

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Grundlegende Erklärungen des ASF aus jüngerer Zeit:


Nahost-Konflikt kein Blitzableiter für eigene Geschichtsbearbeitung.
Erklärung des Vorstands zur aktuellen Situation in Israel und Palästina
Zum Text

Antisemitismus wahrnehmen, ansprechen und bearbeiten.
Vorschläge der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zur Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus in Kirchengemeinden
Zum Text



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