Bringt Weltethos die Wende?
Es führt kein Weg am Weltethos vorbei. Dies die Botschaft von Professor Hans Küng am Freitagabend an der Universität Fribourg. Mit seinem Referat „Wider den Zusammenprall der Kulturen“ eröffnete er eine Tagung zum Projekt Weltethos, das mit einer Ausstellung während zwei Wochen auf dem Uni-Gelände präsent bleibt.
In seinem Referat ging der Schweizer Theologe von der ebenso berühmten wie berüchtigten Wendung vom „Clash of Civilizations?“, aus die Samuel Huntington 1993 in die Welt gesetzt hatte, die Idee eines „Zusammenpralls der Kulturen“. Huntington ging es zunächst nur darum, eine Hypothese zur Diskussion zu stellen, nach der Wirkung von Religion und unterschiedlichen Kulturen zu fragen. „Er versah darum seine Hypthese auch mit einem Fragezeichen“, betonte Küng.
"Terror des Krieges“
Verhängnisvoll wurde, als im Laufe der Diskussion das Fragezeichen weggelassen, der „Zusammenprall der Kulturen“ von der Frage zur These wurde. Verhängnisvoll auch darum, weil sie mit einer neuen Administration in den USA und der Katastrophe vom 11. September 2001 zusammenfiel. Nun diente der „Clash“ dazu, den Rückfall der Politik in alte Muster zu rechtfertigen. Plötzlich besann sich die Regierung wieder auf „Erstschlags-Attitüde und Präventionskriege“, überzog Afghanistan und Irak mit Krieg – bis schliesslich der „Krieg gegen den Terror zum Terror des Krieges“ wurde.
Blick auf den Nahen Osten
Dies alles mache verständlich, warum sich heute die USA so sehr nach einem Wandel sehnten. Nicht nur darum, weil das Scheitern der Bush-Politik so offensichtlich sei, meint Küng, sondern weil es die Politik des Landes auch schon besser wusste. Küng zitierte den Ausspruch Kennedys, mit dem er seine Generäle daran gehindert hatte, in Kuba einzufallen: „Lasst uns nie aus Angst verhandelt, aber lasst uns auch nie Angst haben zu verhandeln.“ Für Küng wäre das Gleiche auch „mit Blick auf Syrien und Iran, Hamas und Hizbollah“ zu bedenken.
Das andere Handeln
Küng setzte bei der weltpolitischen Grosswetterlage an, um das zu erläutern, was das vor zwanzig Jahren initiierte Projekt „Weltethos“ meint: Ein Handeln, das auf „Verständigung, Annäherung und Versöhnung“ basiert und die alten Muster von „Konfrontation, Aggression und Revanche“ hinter sich lässt: „Natürlich gibt es nach wie vor überall unterschiedliche Interessen, doch diese sollten ohne Gewalt und Dämonisierung des Gegners ausgetragen, sollten vielmehr im Miteinander und in Interessenverflechtungen befriedigt werden.“
In diesem Zusammenhang suchte und sucht das Projekt Weltethos, die lapidaren ethischen Grundsätze herauszustellen, an denen sich ein verantwortungsvolles Handeln orientieren kann.
Menschenpflichten
1948 wurden im Rahmen der UNO die Menschenrechte proklamiert. Die Erfahrung aber hat gezeigt, dass mit Deklarationen allein noch nichts erreicht ist. Es gibt eben nicht nur Menschenrechte, sondern auch Menschenpflichten; das heisst, den ethischen Impuls, sein Handeln an diesen Rechten auszurichten.
1990 hat Hans Küng seine Ideen im Buch „Weltethos“ vorgelegt, 1993 wurden sie vom „Parlament der Weltreligionen“ in Chicago aufgegriffen. Und erstmals waren die Vertreter verschiedenster Religionen bereit, die lapidarsten ethischen Grundsätze als gemeinsame Überzeugung anzuerkennen: das Humanitäts- und das Reziprozitätsprinzip. Das erste heisst: „Jeder Mensch soll menschlich behandelt werden“, das zweite besteht in der Goldenen Regel, die in allen Religionen bekannt ist: „Behandle deinen Mitmenschen so, wie du selbst behandelt werden möchtest.“
Religion und Philosophie
Weltethos setzt bei den Einsichten der Religionen an. Darum das Bemühen, sie miteinander ins Gespräch zu bringen. Dabei sollen Unterschiede nicht vermischt, wohl aber der gemeinsame ethische Kern herausgearbeitet werden. Und genau so wie mit der Religion wird auch der Diskurs mit der Philosophie gesucht, die ja seit je das verantwortungsvolle Handeln normativ zu begründen sucht.
Wie beim Fussball
Durch die Stiftung Weltethos wird versucht, die Botschaft auf den verschiedensten Kanälen zu verbreiten, in wissenschaftlichen Kongressen, in Ausstellungen wie zurzeit an der Uni Fribourg oder auch in Unterlagen für den schulischen Unterricht. Dort setzt Küng dann gerne beim Beispiel des Fussballs an, bei dem es ohne elementares, von allen bejahtes Regelwerk weder Spiel noch Spass gibt.
Kofi Annan
„Weltethos will das Weltbewusstsein angesichts der Weltprobleme in einer möglichst irreversiblen Welt-Bewusstwerdung auf ein Welt-Gewissen hin fokussieren“, sagte Küng zum Schluss seines Vortrags; nicht um von einer utopisch heilen Welt zu träumen, wohl aber um realistisch an einer besseren Welt-Ordnung zu träumen.
Das letzte Wort jedoch bildete ein Zitat von Kofi Annan: Wir müssen in uns selbst den Willen finden, nach den Werten zu leben, die wir verkünden – in unserem Privatleben, in unseren lokalen und nationalen Gemeinwesen und in der Welt.“
Organisiert wurden Vortrag, Seminar und Ausstellung durch die Akademische Verbindung Gotena, angeregt durch Professor Alois Riklin. Das Engagement der Studentinnen und Studenten ist ein Zeichen, dass sich auch die Universität als Ganze der Idee eines globalen Ethos verpflichtet fühlt, wie Rektor Guido Vergauwen in der Einleitung sagte.
(COPYRIGHT beim Autor)
Viele Religionen, ein Ethos?
Eine globalisierte Welt braucht weltweit verbindliche Spielregeln. Das Projekt „Weltethos“ will mithelfen, sie zu entwickeln. Worauf kann es sich stützen? Was ist von den grossen Religionen zu erwarten? Und was von der Philosophie? Um diese Frage drehte sich die Tagung vom Samstag, 26. April, an der Universität Fribourg.
Ethik ist eine Spezialität der Religionen. Kein Glaube, der nicht verlangen würde, dass sich seine Anhänger durch ihr moralisches Verhalten bewähren. Doch für wen sollen diese ethischen Regeln gelten? Betreffen sie nur die eigene Gefolgschaft? Oder verstehen sie sich als allgemeingültig, als Normen für ein weltweites Zusammenleben überhaupt?
Am Freitagabend hat Professor Hans Küng an der Universität Fribourg die Bedeutung des von ihm lancierten Projektes „Weltethos“ beleuchtet, ausgehend von der gegenwärtigen US-Politik, die sich so wenig um den ethischen Konsens mit andern zu kümmern scheint.
Am Samstag wurde der weltethische Diskurs aus Sicht von Judentum, Islam und Christentum weitergeführt. Mit dabei eine Philosophin. Denn ein weltweit gültiges Ethos kann nicht allein unter den Religionen ausgehandelt werden. Der Beitrag des philosophischen Denkens gehört zwingend dazu.
Jüdischer Impuls
Die jüdische Sicht vertrat Walter Homolka, Professor an der Universität Potsdam und Rektor einer Ausbildungsstätte für Rabbiner. Für ihn trifft das Projekt Weltethos einen Kernpunkt seiner Religion. Ziel des menschlichen Lebens ist es, sich rechtschaffen zu verhalten. Wer dies erreicht, gilt als „Gerechter“, unabhängig davon, ob er zum Judentum gehört oder nicht. In diesem Sinn soll „Religion nicht ein gutes Gewissen schenken, sondern das Gewissen in einen ständigen Zustand der Unruhe und Herausforderung versetzen“
Christliche Sicht
Bei Karl-Josef Kuschel bilden die im Judentum entwickelten grundlegenden Gebote (nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht Unzucht treiben) das Kernethos auch der jesuanischen Botschaft. Kuschel, Professor in Tübingen und Vizepräsident der Stiftung Weltethos vertrat an der Tagung die christliche Sicht: „Das jesuanische Ethos findet seine Zuspitzung im Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Auch seine Signale lauten: Grenzen überschreiten, alte Feinde zu Nachbarn machen, Barmherzigkeit schrankenlos üben – ungeachtet aller Ausgrenzung, Abstempelung, Verächtlichmachung anderer.“ Dies alles in Jesu Botschaft zusammengefasst: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Zentrales Ethos
Dem Islam ist es wichtig, dass „die Spielregeln in Gott gegründet sind“, sagte Amira Hafner-Al-Jabaji. Die Islamwissenschafterin verwies darauf, wie sehr ihre Religion das ganze Leben von der Beziehung zu Gott durchdrungen sieht. Darum wirkt es auf Muslims irritierend, wenn in einer Gesellschaft die Religion quasi bei Seite geschoben wird. Für einen fruchtbaren Diskurs um ein Weltethos gehört für sie, dass die Religion zurück ins Boot geholt wird. Analog zu den von Hans Küng entwickelten Grundsätzen formuliert sie: „Kein Friede unter den Nationen ohne Friede mit den Religionen.“
Und die Philosophie?
Die Rolle von Religion und Philosophie wurde zu einem zentralen Thema in der samstäglichen Diskussion. Karl-Josef Kuschel vertritt im Einklang mit Hans Küng, dass es im Ansatz des Weltethos eine Art Doppelspur gibt. Auf der einen Seite müssen die Religionen anerkennen, dass sie nicht die einzigen sind, die ein Kernethos entwickelt haben. Die gleichen Leitsätze eines weltweiten humanen Verhaltens sind auch von der Philosophie entdeckt und mit überzeugenden Argumenten begründet worden. Ihre letzte moralische Verpflichtung sei jedoch in der Religion verankert.
Dieser Ansatz wird von Ursula Renz kritisch durchleuchtet. Die Privatdozentin für Philosophie an der ETH in Zürich möchte der Philosophie mehr zutrauen. Ihrer Meinung nach erhellen sich Universalität und Unbedingtheit der sittlichen Normen auch dem philosophischen Denken. Es gibt den tugendhaften Atheisten, auch wenn dies überzeugte Religionsvertreter früherer Zeiten irritiert hat.
Unterschiedliche Allianzen
In der vom Theologen und Publizistikwissenschafter Erwin Koller moderierten Diskussion zeigte sich, wie vielschichtig die Auffassungen von Religionen und Philosophie miteinander vernetzt sind. Islam und Judentum treffen sich darin, dass in beiden Religionen die Ethik eine zentrale Rolle spielt. In der transzendentalen Begründung des Ethos stimmen jedoch vor allem das Christentum und der Islam überein. Umgekehrt finden sich Philosophie und Judentum in der Vorstellung, dass die Vernunft fähig genug sei, ein sittliches Verhalten schlüssig zu begründen.
Am allerwichtigsten aber war die Einsicht, dass der Diskurs um ein Weltethos nicht einfach eine akademische Gedankenspielerei ist, sondern die zentrale Frage trifft: Ob es gelingt, die Menschheit noch rechtzeitig auf ein allgemeines, von allen getragenes Kernethos zu verpflichten. So wie Hans Küng sagt: „Die Globalisierung braucht ein globales Ethos, nicht als zusätzliche Last, sondern als Grundlage und Orientierungshilfe für die Menschen, für die Zivilgesellschaft.“
Ringparabel
Die von der Freiburger Akademischen Verbindung Goten veranstaltete Tagung wird fortgesetzt mit zwei Ausstellungen an der Universität. Am Donnerstag, 8. Mai spricht um 18 Uhr zudem Professor Alois Riklin, St.Gallen, über „Die Ringparabel und das Projekt Weltethos“.
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