Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 80

Oktober 2008

Während der erste Text des Politikwissenschlaftlers Mohammed Khallouk das Potenzial der Philosophie des jüdischen Denkers Emanuel Levinas für den Dialog der Religionen zum Inhalt hatte (siehe ONLINE-EXTRA Nr. 79), widmet sich Khallouk im hier vorliegenden, zweiten Text einem der bedeutendsten Denker der jüdischen Geschichte: Moses Maimonides (*1138 in Cordoba und †1204 in Kairo). Dabei will Khallouk aufzuzeigen, dass die Philosophie des Maimonides nicht nur von der griechischen Philosophie beeinflußt ist, sondern auch eine bemerkenswerte Nähe zum Islam aufweist und insgesamt dazu beitragen kann, kulturell errichtete Grenzen zwischen den Menschen zu überwinden.

Mohammed Khallouk stammt aus einer weltoffenen muslimischen Familie in Marokko, studierte Sprachen und Philosophie an der Mohammed V.- Universität in Rabat, bevor er an der Phillips-Universität in Marburg deutsche Literatur, Geschichte, Soziologie und schließlich Politikwissenschaften studierte und mit einer Arbeit über den islamischen Fundamentalismus in Marokko promovierte. Von sich selbst schreibt er, dass er in einer Familie aufgewachsen ist, "die bereits seit der Generation meiner Großmutter mit Juden in der Nachbarschaft lebten, zu denen wir immer ein respektvolles, von gegenseitiger Achtung des Glaubens des jeweils Anderen getragenes Verhältnis hatten und uns der gemeinsamen ethischen Wurzel beider Religionen bewusst waren. Diese Erfahrung ermöglichte es uns, der Verbreitung von gegen die Juden gerichteten Ressentiments  in muslimischen Kreisen entgegenzutreten".

Diese familiäre Prägung war für Khallouk schließlich auch Anlass, sich wissenschaftlich mit dem marrokanischen Judentum zu befassen. Im Zuge seiner Arbeit kam er zu der Einsicht, "dass die bedeutendsten Persönlichkeiten des orientalischen, aber auch des europäischen Judentums dem Islam ihre aufrichtige Wertschätzung entgegenbrachten und in keiner Weise ein Juden von außen oft nachgesagtes Überheblichkeitsbewusstsein gegenüber Nichtjuden an den Tag legten." Vor diesem Hintergrund ist es ihm zu einem Anliegen geworden, mit seinen Beiträgen, die er sowohl in arabisch-islamischen als auch in jüdischen Medien zu veröffentlichen sucht, "zum gegenseitigen Verständnis beider Religionen und Kulturen ebenso beizutragen wie zur Überwindung der in Teilen der arabischen Welt bestehenden Voreingenommenheit gegenüber den Juden."



COMPASS freut sich, Ihnen heute den zweiten Beitrag von Mohammed Khallouk präsentieren zu können und dankt dem Autor für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe an dieser Stelle!



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Online-Extra Nr. 80


Die Suche nach menschlicher Vollkommenheit in göttlicher Wahrheit

Maimonides Ausrichtung am Prophetenvorbild öffnet kulturell errichtete Grenzen zwischen den Menschen

MOHAMMED KHALLOUK



Die griechische Philosophie wird für das Judentum neu entdeckt

Den jüdischen Philosophen und Gelehrten wird von muslimischer wie auch christlicher Seite nicht selten ein Exklusivitätsbewusstsein zugeschrieben. Ihre Botschaft und Ethik richte sich ausschließlich an ihresgleichen als das „auserwählte Volk Gottes“. Bereits im maurisch-mittelalterlichen Andalusien hatten jüdische Gelehrte jedoch einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung einer vernunftbegründeten Ethik, die sich an die gesamte Menschheit richten sollte, zugleich aber das Spüren der göttlichen Gnade für noch höherwertig als die menschliche Ratio einschätzt. In der Einhaltung göttlicher Gebote und dem Streben nach Vollkommenheit orientiert am Vorbild der Weisen, Patriarchen und biblischen Propheten sollte ein ethisches Miteinander erreicht werden. Als bedeutendster jüdischer Denker jener Epoche erfordert es zweifelsohne Moses Maimonides (*1138 in Cordoba und †1204 in Kairo) hervorzuheben, den man auch als „den eigentlichen Begründer des jüdischen Rationalismus“ bezeichnet hat. Sein monotheistischer Glaube hat ihn in keiner Weise daran gehindert, in dem Streben nach Tugendhaftigkeit und der Abkehr von Lastern seitens der griechischen Philosophen ein nachahmenswertes Vorbild zu erkennen. Deren Wissen um die menschlichen Laster und das Bewusstsein für die begangenen Sünden gegen Gottes Gebote bei den in der Thora beschriebenen Weisen zeigen für Maimonides die geistige Verwandtschaft der jüdischen Ethik zur griechischen Philosophie.



MOHAMMED KHALLOUK

Islamischer Fundamentalismus vor den Toren Europas:
Marokko zwischen Rückfall ins Mittelalter und westlicher Modernität.


MOHAMMED KHALLOUK
Islamischer Fundamentalismus vor den Toren Europas:
Marokko zwischen Rückfall ins Mittelalter und westlicher Modernität



VS Verlag für Sozialwissenschaften
Wiesbaden 2008
345 Seiten
39,90 Euro

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Aufgedeckt wird die Bedeutung und Dimension des Islamismus wie des islamischen Fundamentalismus in Marokko, aber auch damit einhergehend der allgemeine Stellenwert der Religion im marokkanischen Gesellschaftssystem. Zum einen galt es herauszufinden, ob ein in Marokko anzutreffender Islamismus den gewöhnlichen Zuschreibungen und Assoziationen westlicher sozialwissenschaftlicher Diskurse gerecht wird. Zum anderen wird das bestehende Verhältnis zwischen Islam und staatlicher Ordnung auf seine Kompatibilität mit den Anforderungen der Moderne hin reflektiert. Der Einfluss islamistischer Tendenzen auf die marokkanische Zukunftsentwicklung, aber auch auf das Verhältnis des Landes zur vom Westen ausgehenden Moderne verlangte eine realistischen Einschätzung. Sie bildete das Fundament für eine Strategie, den erkennbaren Gefahren auf politischem Wege angemessen zu begegnen.



Permanente Ausrichtung am Vorbild Abrahams und Moses

Das Streben nach Rationalität und die klassisch griechische Methode der Erkenntnisgewinnung könnten folglich auch für einen gläubigen Juden sich als nachahmenswert erweisen. Vollkommenheit erreiche er jedoch nur über die Liebe Gottes, die Befolgung seiner Gebote und die Hinwendung zum Schrifttum der Propheten. Deren Leben und Gottvertrauen erkennt Maimonides als besonders nachahmenswert an und hebt hierbei vor allem Abraham und Moses hervor. Obwohl für ihn als gläubigen Juden Abraham in erster Linie der Stammvater des Volkes Israel darstellte, erkannte er seine historische Bedeutung und seinen vorbildhaften Charakter als gleichermaßen an die anderen Völker gerichtet an und zollte daher dem Islam und den muslimischen Gelehrten seiner Umgebung, die sich gleichermaßen auf Abraham beriefen, seine Wertschätzung. Indem sie nicht nur das Gottvertrauen Abrahams als vorbildhaft für ihr Leben anerkannten, sondern zugleich die von Moses verkündeten Gesetze befolgten, sollte ihnen die göttliche Gnade ebenso zuteil werden wie den aufrichtigen Juden.


Wesensverwandtschaft zwischen Judentum und Islam

Diese Würdigung gegenüber dem Islam wie dem ebenfalls auf Stammvater Abraham sich berufenden Christentum erwies sich für Maimonides als Voraussetzung, in einen unbefangenen philosophischen Diskurs mit den muslimischen Gelehrten zu treten und dabei immer wieder die ethischen Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Neben den Postulaten der klassischen griechischen Denkschulen beschäftigte er sich intensiv mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der muslimischen Gelehrten seiner Gegenwart und zeigte sich außerdem bereit, die islamisch-maurische Gesellschaft an seinen eigenen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Selbst die Erfahrung eines jüdischen Gelehrten gegenüber intoleranten Islam durch die späten Almohadenherrscher während seiner Zeit im marokkanischen Fes hinderte Maimonides nicht, sich fortwährend in den Dienst islamischer Dynastien zu stellen. Er sah sich einer, an die menschliche Allgemeinheit gerichteten Aufgabe gegenüber, die durch eine Undankbarkeit seitens eines Teils seiner Klienten nicht beendet werden konnte und durfte. Mit der Hinwendung zum Menschen – unabhängig ob Jude oder Muslim – wurde in seinen Augen ein göttlicher Auftrag ausgeführt, der fortdauernd Bestand haben würde.



MOHAMMED KHALLOUK

Der Nahe Osten am Scheideweg.
Haben Israelis und Palästinenser noch eine Chance zu friedlichem Zusammenleben?


MOHAMMED KHALLOUK
Der Nahe Osten am Scheideweg
Haben Israelis und Palästinenser noch eine Chance zu friedlichem Zusammenleben?



Lit Verlag
Münster 2003
184 Seiten
19,90 Euro


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Keine Region ist so konfliktträchtig wie der Nahe Osten. Getrieben von Fanatismus und religiösem Absolutheitsanspruch entsteht zwischen Sinai und Libanon, sowie zwischen Jordan und Mittelmeer ständig neuer Zündstoff für Gewalt und Auseinandersetzungen. Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft von Israelis und Palästinensern kollidiert mit verschiedenen aufeinanderprallenden Ideologien. Immer wieder hat es Versuche gegeben, ein gemeinsames friedliches Zusammenleben der beiden Völker zustande zu bringen, die bisher jedoch alle den gewünschten Erfolg vermissen lassen.

Die Entwicklung des Konflikts von seinem Ursprung bis zum heutigen Tage wird in diesem Buch behandelt. Im Mittelpunkt stehen die vielen bisher erfolglosen Einigungsversuche und die Gründe für ihr Scheitern. Gleichzeitig stellt es aber auch Wege vor, wie aus dieser scheinbar nicht enden wollenden Feindschaft ein Miteinander erwachsen kann.



Göttliche Gnade als Mittel zur menschlichen Heilung

Die Menschen sollten von ihren Sünden und Lastern in gewisser Weise geheilt werden bzw. einen Weg zur Heilung aufgezeigt bekommen. Heilung war für Maimonides sowohl körperlich medizinische Genesung als auch seelische Heilung einhergehend mit der Rückkehr zur Vollkommenheit, die bei der Erschaffung des ersten Menschen im Garten Eden vorhanden gewesen sei, die Adam und seine Nachfahren jedoch durch ihre Sünde, die Hinwendung zum körperlich Triebhaften verlassen hätten. Seinen Anspruch zur medizinischen Heilung realisierte er nach seiner Flucht aus dem Almohadenreich als Hofarzt des ägyptischen Kalifen, wobei er wertvolle medizinische Erkenntnisse lieferte, die nicht nur die arabische Medizin voranbrachten, sondern Strahlkraft bis in das mittelalterliche Europa hinein besaßen. Die seelisch geistliche Heilung befand der jüdische Ethiker jedoch als die bedeutendere und vorrangige Aufgabe. Hierbei richtete er sich am Vorbild Moses aus, der dem Volk Israel immer wieder seine Verfehlungen aufzeigte und seine Götzen öffentlich zerstörte. In seiner Unbefangenheit gegenüber den Mitmenschen und seiner Verpflichtung zur göttlichen Wahrheit sollte uns Maimonides heute auch seinerseits als Vorbild dienen. Für ihn stellte der religiöse Glaube zum rationalen wissenschaftlichen Ergründen in keiner Weise einen Gegensatz dar. Zugleich war er sich stets bewusst, dass die Vernunft uns Menschen lediglich zur Erkenntnisgewinnung nicht aber zur kollektiven Moral zu führen in der Lage ist. Hierzu erweist sich eine feste Begründung in der Schöpfung Gottes und die Ausrichtung an seinen Geboten als wesentlich. Da der alttestamentliche Schöpfergott seine über die Propheten vermittelte Botschaft an alle Menschen richtet, sollten auch die Mitmenschen, unabhängig von ihrem jeweiligen religiöskulturellen Hintergrund zur Einhaltung seiner ethischen Vorgaben ermuntert und aufgefordert werden.


Jüdischer Rationalismus als Basis für ein Miteinander der Kulturen?

Ein Auserwähltheitsdünkel, der bei einigen Juden aber auch christlichen Fundamentalisten und radikalen Islamisten gelegentlich anzutreffen ist, wird damit eindeutig zurückgewiesen. Über die Vernunft erlangte menschliche Werke sind, solange sie der göttlichen Ethik nicht widersprechen, zu würdigen, auch wenn ihre Urheber sich der göttlichen Bestimmung nicht bewusst sind oder ihr keine Bedeutung beimessen. Die Verfemung nicht der eigenen Religion oder Zivilisation entstandener Ideen als „Häresie“, die sich für wissenschaftlichen Fortschritt in verschiedenen Zeiten als Barriere erwiesen hat, wird die Aufgeschlossenheit gegenüber der anderen Kultur einhergehend mit der bewussten Wertschätzung von Glaubensaussagen der anderen Religion, wie sie bei Maimonides sichtbar geworden ist, gegenübergestellt. Mit einer Rückbesinnung auf Maimonides religiöse Tugendhaftigkeit bei gleichzeitiger Offenheit gegenüber Erkenntnissen von außerhalb des religiösen Schrifttums kann die maghrebinische Gesellschaft der Gegenwart die Progressivität seiner Epoche zurückerlangen. Zugleich ist damit eine Basis für ein von gegenseitiger Wertschätzung getragenes Miteinander von Judentum und Islam, sowie eventuell auch Christentum und anderen Religionen der Weg geebnet.




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Der Autor

MOHAMMED KHALLOUK

Dr., geboren 1971 in Sale, Marokko, 1993-1997 Studium der Sprachwissenschaft an der Mohammed V.- Universität Rabat. Schwerpunkte: Internationale Sprachtheorien, Geschichte der Sprachen und Philosophie. 1997-1998 Studienkolleg in Marburg; Schwerpunkte: deutsche Literatur, Geschichte, Sprache und Soziologie. 1999-2003 Studium der Politikwissenschaft mit den Nebenfächern Französisch und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg mit Abschluss Magister Artium, 2004-2007 Promotion über islamischen Fundamentalismus in Marokko. Seit 2008 Habilitation an der Bundeswehruniversität München über Juden in Marokko. Seit 2008 Teaching and Resarch Asisstant im Bereich “Politische Theorien” an der Philipps-Universität Marburg.

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