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Online-Extra Nr. 201

Die syrischen Wurzeln des Christentums

Der Beitrag der „Heiligen Apostolischen und Katholischen Assyrischen Kirche des Ostens“ für den christlich-islamischen Dialog

ANDREAS GOETZE




2. Das gemeinsame Erbe am Beispiel der Sure 112
In knapper Form bekennt sich bereits das Judentum zum Monotheismus. Aufgrund seiner Erfahrung, dass die Rettung aus der Sklaverei in Ägypten nur diesem einen Gott zu verdanken sei, fasste das Judentum sein Bekenntnis in Dtn. 6, 4 zusammen: „Höre Israel, JHWH (’adōnāy = der Herr), unser Gott, JHWH (ist) einer“, d. h. ein einziger Gott (hebräisch: „Šema‛ Yisrā’ēl, JHWH ’älōhēnū; JHWH ’ächād“). Der Talmud betrachtet das Bekenntnis des „Šema‛“ als den einzigen Weg zum ewigen Leben28. Auf dieses jüdische Grundbekenntnis griff Jesus selbst zurück, wenn er im Gespräch mit den jüdischen Gelehrten seiner Zeit vom wichtigsten Gebot sprach (Mk. 12, 29): „Höre, Israel, der Herr, unser Gott: einer ist er“. Auch für Jesus eröffnete die Liebe zu dem einen Gott, die Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst – als Erfüllung der Thora und der Propheten – den Weg zum Reich Gottes. Für den Juden Paulus ist es selbstverständlich festzuhalten, dass es keinen Gott gibt außer dem einen (1. Kor. 8, 4). Gott ist (nur) einer (Gal. 3, 20): ein Gott ist es, der Juden und Heiden durch den Glauben gerecht sprechen wird (Röm. 3, 20; 16, 27).

Dieses kurze aramäische (hebräische) Glaubensbekenntnis bestimmte die religiöse Grundhaltung im Großraum Syriens und hat in dieser Form noch im Arabischen nachgewirkt. Das zeigt sich an der Form „Allâhu achad(un)“ in der Inschrift im Felsendom in Jerusalem sowie in Sure 112 in der Form „qul huwa ’llâhu achad(un)“: „Nach der klassischen arabischen Grammatik wäre hier „wâchid(un)“ die korrekte Form“ 29. Dass hier nicht der arabische Begriff Verwendung findet, zeigt, wie geläufig dieses formelhafte aramäische Grundbekenntnis in jener Zeit war. Es war so weit verbreitet und tief in der „Volksfrömmigkeit“ verankert, dass man das „Unarabische“ dieses Ausdrucks gar nicht mehr wahrnahm30. Sure 112, V. 1 endet also wie das jüdische Glaubensbekenntnis „JHWH ’ächchād“ und ist so ein Beleg für das gemeinsame Erbe der drei monotheistischen Religionen, die alle im syrischen Großraum ihre Wurzeln haben. Dass „achad(un)“ statt des sonst üblichen „wâhid(un)“ „vermutlich durch Reim bedingt“ 31  sei, ist auf diesem Hintergrund abwegig und verkennt die im Großraum Syrien verbreitete Grundhaltung. Paret hält daran fest, dass wir „keinen Grund haben anzunehmen, dass auch nur ein einziger Vers im ganzen Koran nicht von Mohammed selber stammen würde“ 32, so dass hier das gemeinsame religiöse Erbe gar nicht in den Blick kommt.

Auch für den Islam ist auf der Grundlage des Qur’ân das Bekenntnis zu dem einen und einzigen Gott zentraler Glaubenssatz. Die 112. Sure, die im Islam heute so bedeutsam ist, dass sie während des Freitagsgebetes als Höhepunkt rezitiert wird, nimmt das jüdisch-christliche Bekenntnis auf: „Sag: Er ist Gott, ein einziger“.

Ebenso hat Paulus wie kein anderer im frühen Christentum betont, dass Christus der Messias sei und dass die Gottessohnschaft Jesu, die erlösende Kraft von Kreuz und Auferstehung und die Offenbarung Gottes in und durch Jesus Christus wesentlich ist. Dabei blieb Paulus immer strikt dem Bekenntnis zu dem einen und einzigen Gott treu. Er sah in dem Bekenntnis zu Christus als dem Sohn Gottes und dem Messias keinesfalls einen Weg zu einer „Beigesellung“ oder „Vergesellschaftung“ oder gar zu einem neuen Polytheismus: Alles lag Paulus an dem Bekenntnis zu dem einen Gott (1. Kor. 8, 4). Verankert in dieser Grundhaltung kann Paulus das „Šema‛“-Bekenntnis und die Erlösungstat Gottes in Christus „zusammenbinden“. Genau das meint das in Sure 112, V. 2 verwandte, im Ugaritischen in dieser Bedeutung belegte Wort „samad“ 33. Paulus kann Gott-Vater und Christus als Sohn Gottes als untrennbare geistgewirkte Einheit verstehen. Genau das meint das arabische Wort „tawhîd“ in seiner Grundbedeutung im Sinne von „mehr als eins zu einer Einheit machen“ 34. Der Gedanke eines „zweiten Gottes“ (Christus), der dem einen Gott „beigesellt“ würde, wird damit als absurd erklärt. Es ist ein Gedanke, den das frühe Christentum als wesentlich festgehalten hat, wie es der Brief des Judas zeigt: „(Ehre) dem allmächtigen Gott (…) durch Jesus Christus“ (Jud. 25).

Genau dieser fundamentale Grundzug ist es, den das arabische Christentum ostsyrischer Prägung bewahrt, ausgebaut und im Bekenntnis „Allâhu as-samadu“ pointiert zum Ausdruck gebracht hat. Dieses Bekenntnis findet sich auf arabo-sassanidischen Münzen aus dem Raum Mesopotamien schon 694: „Gott ist einer, Gott ist verbundene Einheit“ („Allâhu achadun Allâhu as-samadu“) 35. Gottes Schöpfungs- und Erlösungshandeln soll zusammengedacht werden:


– nicht hellenistisch im naturhaft-ontologischen Sinne wie die byzantinische Reichskirche und das Bekenntnis von Chalcedon, weil dies zum einen spekulativ ist und zum anderen einem biologistischen Missverständnis Raum gibt und damit dem Gedanken von „zwei Göttern“;
– nicht „modalistisch“, als sei Gott in drei Erscheinungsweisen („Modi“) nacheinander als Vater, Christus und Paraklet (Geist) erschienen, während die Gottheit selbst immer einzig und unveränderlich dahinter bewahrt bliebe: so würde das „Mysterium der Einheit“ rational aufgelöst werden;
– auch nicht adoptianisch wie Arius, denn dies reicht gar nicht erst an den Gedanken einer verbundenen Einheit in Gott heran.


Allein der göttliche Geist bewahrt das Geheimnis der Einheit Gottes, wie es schon Paulus zum Ausdruck gebracht hat (2. Kor. 3, 12-18). Diese Einheit des Wesens, des Namens und der Herrschaft Gottes darf auch nach jüdischer wie christlicher Überzeugung nicht zurückgestellt oder verdunkelt werden. Denn „es gibt nicht zwei Mächte im Himmel“ 36. Das Reden in Gegensätzen diente als rhetorische Technik, um die Fülle der Gottheit auszusagen: Gott ist einer, aber er ist auch ein Verbundener37. Dieses biblische Paradoxon darf nicht aufgelöst werden.

Die „Šahâda“ gilt heute als das islamische Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Gott allein“. Philippe Gignoux konnte zeigen, dass es bereits einen christlichen Gebrauch der „Šahâda“ vor dem Islam gegeben hat, der sich formelhaft auf sassanidischen Münzen in Pehlevi-Schreib-weise findet38. Die „Šahâda“ lässt sich gut als ursprünglich freie Wiedergabe zweier Bibelstellen verstehen, die sowohl im Alten Testament als auch im Neuen Testament vorkommen (Deut. 6, 4 / Mk. 12, 29: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist einer“ und Ps. 118, 26 / Mk. 11 ,9: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“). Im Zusammenhang mit der Inschrift des Felsendoms dürfte das Bekenntnis ursprünglich gelautet haben: „Es gibt keine Gottheit außer Allâh / Gott, gepriesen / gelobt / erwählt ist /sei sein Gesandter.“

Die Auseinandersetzung mit Sure 112 und damit der „Šahâda“ gibt so einen Hinweis auf das gemeinsame Erbe jüdischer, christlicher und islamischer Theologie und darauf, dass es sinnvoll ist, die spätere islamische Interpretation mit ihrer Theologie vom früheren Verständnis der schriftlichen Texte zu unterscheiden, die dann in den Qur’ân mit aufgenommen worden sind. Auf der Ebene des qur’ânischen Verständnisses im Islam bietet Sure 112 eine Polemik gegen das trinitarische Denken im Christentum. Dass Jesus oder die drei Personen der Trinität „wesensgleich“ mit Gott seien, verstößt gegen die Lehrsätze des Islam39. Ursprünglich, auf der Ebene der Entstehung, grenzen sich die Verfasser dieser Verse aber nicht vom Christentum selbst ab, sondern nur von einer naturhaft-ontologischen Weise, die Trinität zu verstehen.

Und diese naturhaft-ontologischen Aussagen über Gott bzw. den Sohn Gottes lehnte schon die „antiochenische Theologie“ gegenüber dem hellenistischen Denken der „alexandrinischen Theologie“ ab. Die Frage, „wie“ die Trinität eine Einheit war, interessierte die ostsyrische Kirche nicht, sie sieht sie durch den Geist Gottes als gegeben an. Für sie kommt es allein darauf an, dass der eine (!) Gott in der Welt wirksam handelt. Ostsyrische Theologie und Islam berühren sich an einem wesentlichen Punkt: So wie die Trinität ist auch „tawhîd“ ein Geheimnis, ein „Mysterion“. Die islamische Theologie ist ebenfalls nicht an der „Wie“-Frage interessiert, denn die Fülle Gottes ist nicht mit menschlichen Erkenntnissen zu fassen. Die Rede vom „Sohn Gottes“ wird islamisch als „Beigesellung“ Gottes und damit als Polytheismus verstanden. Hier ist der Einfluss persischen Denkens spürbar, nach dem der Glaube „rein“ gehalten und ihm nichts „beigemengt“ („mušrikûn“) werden soll. In diesem Sinn wurde dann auch die ursprüngliche Aussage in Sure 112 islamisch gedeutet: „Er ist Allâh, Allâh, der Ewige. Er hat weder Kinder gezeugt noch ist er erzeugt worden“. Denn wenn neben Gott noch jemand von gleichem Rang wäre, wäre Gott nicht wirklich frei und souverän.

„Tawhîd“ wurde zum Herzstück islamischer Theologie40. Die Lehre von der „Einheit und Einzigkeit Gottes“ wurde zum Zentrum islamischen Selbstverständnisses41, wie es dem gemeinsamen Erbe im Großraum Syrien entsprach. Dem Verdacht eines biologistischen Verständnisses im hellenistischen Denken wurde aber nicht mehr mit einer aus dem aramäischen Denken gespeisten Geist-Christologie begegnet, sondern Jesus konnte aufgrund des anderen – apokalyptischen – Geistverständnisses nur noch als ein Mensch und Prophet begriffen werden. Dennoch dürfte zunächst durch die Betonung des einen Gottes und die Ablehnung einer „fleischlichen Abstammung“ Jesu („Er ist nicht im biologistischen Sinn der Sohn Gottes“) für die ostsyrischen Christen die Nähe zu der sich etablierenden „neuen arabischen Religion“ stärker empfunden worden sein als gegenüber den Vorstellungen im römisch-byzantinischen Reich.

Auch die Parallelen zur späteren innerislamischen theologischen Diskussionen der verschiedenen Gelehrtenrichtungen zum Verhältnis des „einen Gottes“ („tawhîd“) zu den Attributen und Namen Gottes sowie zum „ewigen Wort Gottes, dem Ur-Qur’ân im Himmel, drängen sich unmittelbar auf: Wenn der Qur’ân ewig ist, wie ist er dann vom ewigen Gott zu unterscheiden? Ist er aber geschaffen, wie kann dann Gottes Wort schon von Ewigkeit her gewesen sein?

Dass sich in Suren durchaus christologische Aussagen im Sinne der „Kirche des Ostens“ finden, ist ein weiterer Hinweis auf die Aufnahme ostsyrischer theologischer Traditionen im Qur’ân42. Wiederholt wird im Qur’ân als Bekenntnis festgehalten, Jesus sei der „Messias, der Sohn der Maria“ (Sure 5, 72.110; 23, 50; 57, 27 u. a.). Schon die ostsyrischen Christen würdigten mit dem Ausdruck „Sohn der Maria“ 43  Jesu heilsgeschichtliche Rolle. So formuliert der syrische Kirchenvater Aphrahat, Jesus sei geboren von der „Prophetin Maria“, sie sei „Gebärerin des großen Propheten“ 44.

Für die „Kirche des Ostens“ war die Betonung der Allmacht und Einzigkeit Gottes so selbstverständlich, dass Jesus als Messias kein anderer sein konnte als der „‛abdu ’llâhi“, der Diener Gottes (Sure 53, 57ff u. a.) und als solcher der Apostel (der Gesandte) Gottes (Sure 61, 6 u. a.). All diese Aussagen des Qur’ân teilt die „Kirche des Ostens“, für die die volle Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wesentlich war und die sich deshalb zur vollen menschlichen Natur Jesu bekannte.

Dass das qur’ânische Jesusbild nicht einheitlich ist, zeigt sich daran, dass Jesus durch drei Aspekte ganz nah an Gott gerückt wird: durch seine Geburt, die durch den unmittelbaren Befehl Gottes geschah, durch seine Schöpfermacht und seine Macht der Totenauferweckung (Sure 5, 110). Die „göttliche Natur“ Jesu klingt hier an, wie sie auch die ostsyrische Kirche verstanden hat.

Die „Kirche des Ostens“ lehnte den Ausdruck „Sohn Gottes“ dann scharf ab, wenn er in einem biologistischen Sinn verstandenen wurde. Ebenso der Qur’ân: Nur die Ungläubigen würden sagen, dass „der Messias (naturhaft-ontologisch) Allâhs Sohn ist“ (Sure 5, 114ff; 9, 30f). Zugespitzt wird auf der Grundlage dieses biologistischen Verständnisses formuliert, dass „Allah nicht einer von dreien sei“ (Sure 5, 73); etwas, was die ostsyrische Kirche gegenüber dem hellenistischen Denken der römisch-byzantinischen Reichskirche und ihrer Christologie ebenfalls zum Ausdruck gebracht hat.

Jesus ist der mit dem Geist Gottes ausgerüstete „Knecht Gottes“, der bereits in Ewigkeit Gott nahe steht. Das wird durch das Motiv der Schwangerschaft durch den Heiligen Geist zum Ausdruck gebracht45. Die Geburt Jesu durch eine Jungfrau berichtet auch der Qur’ân. In Sure 19, 16-33 lässt sich ein Stück ostsyrischer Theologie erkennen, wenn das Jesuskind selbst die jungfräuliche Geburt als von Gott angenommenen legitimiert und so die verzweifelte Maria tröstet46



Religion fällt nicht vom Himmel


  ANDREAS GOETZE
   Religion fällt nicht vom Himmel
   Die ersten Jahrhunderte des Islams


  Wissenschaftliche Buchgesellschaft
   Darmstadt 3. unv. Aufl. 2013
   491 S. mit 17 s/w Abb., Bibliogr.,
   Zeittafel, versch. Reg. und Glossar

   WBG-Preis EUR 39,90
   Buchhandelspreis EUR 49,90



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Im Großraum Syrien liegt die Wiege von Islam, Judentum und Christentum: eine Region voller spannender Begegnungen und wechselseitiger Beeinflussungen. Andreas Goetze nimmt den Leser mit auf eine interessante Reise zu den gemeinsamen Ursprüngen der drei monotheistischen Weltreligionen und zeichnet die Entstehungsgeschichte des Islams nach. Mit einem Begriffslexikon, einer Übersicht zum arabischen Alphabet, Karten und Abbildungen sowie einer vergleichenden Chronologie.

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III. Das apokalyptische Weltgefühl überwinden

Doch die Benutzung gleicher Worte und Traditionsstücke bedeutet nicht, dass man auch das gleiche Verständnis dieser Passagen hat. Die beeindruckensten Passagen im Qur’ân sind nicht zufällig die apokalyptischen Texte47. Die immer wiederkehrende Betonung des Endes der Welt im apokalyptischen Sinne zeigt als ein sich durchziehendes Thema die Ausrichtung des Qur’ân48. Auch die parallel entstehenden Hadîthe49 nehmen speziell die endzeitlichen Verse des Qur’ân auf50. Fünf zentrale Themen durchziehen den Qur’ân und weisen auf apokalyptische Leitmotive als Deutungsschema hin: Der Glaube an den einen Gott, die Trennung zwischen Gläubigen und Ungläubigen, die Darstellung des Paradieses und der Hölle, der Tag des Jüngsten Gerichts und die Auferstehung der Toten. Diese standardisierten Redewendungen können als entscheidende Interpretationsrichtlinien aller anderen Textpassagen angesehen werden.

Daher ist es bedeutsam, festzustellen, aus welchem Geist heraus ein Heiliger Text gelesen und interpretiert wird. Wird er im Rahmen der Eschatologie oder im Geist der Apokalypse ausgelegt? Oder anders gefragt: Steht die eschatologische Erwartung im Mittelpunkt des Glaubens und Denkens oder die Apokalyptik als religiöse Weltauslegung? Diese zwei grundverschiedenen Weisen, Gott und Welt aufeinander zu beziehen, haben deutlich unterschiedliche Folgen. Sie werden im Folgenden idealtypisch dargestellt als zwei Pole des Verständnisses des Geistes, zu denen es vielfältige Mischformen gibt51.

Im apokalyptischen Denken gibt es eine ausführliche Ausmalung des Jenseits mit seinen Freuden und Schrecken52. Das apokalyptische Weltgefühl hat nicht nur die Antike und dann die mittelalterliche Frömmigkeit nachhaltig geprägt. Sie ist bis heute eine Interpretation der Heilsgeschichte, die sich in allen Religionen findet. Der ehemalige Wiener Professor für systematische Theologie, Wilhelm Dantine, bringt es auf den Punkt: „Hier liegen auch die Wurzeln der Himmel-Hölle-Ausmalung mit der Vorstellung von einem doppelten Schicksalsausgang der Welt und der Menschen. Man kann sich durch einen Seitenblick auf den Islam darüber unterrichten, wohin ein ungehindertes Sichausleben solcher Himmel-Hölle-Konzeptionen führt, denn dort war apokalyptisches Weltgefühl in besonderer Weise ausgebildet“ 53.

Dieses Weltgefühl wurde wesentlich von der Vorstellung der erwarteten und dann ausgebliebenen Wiederkunft des Messias mitbestimmt. Das Ausbleiben des Messias (die so genannte „Parusieverzögerung“) war als unbefriedigend und enttäuschend empfunden worden. In der als zunehmend unsicher erlebten Zeit konnte daher apokalyptisches Denken wieder stärker Einfluss gewinnen. Es ist die Zeit im ausgehenden 7. Jahrhundert, in der sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Entwicklung von Jesus Christus, dem „erwählten Knecht Gottes“, zu Muhammad als arabischem Propheten vollzog.

Die Botschaft vom endzeitlichen Weltgericht und seiner Vergeltung nach guten und bösen Taten war aber nicht nur das Fundament der apokalyptischen Bewegungen aus dem persischen Raum. Dieses Denken war in jüdischen wie christlichen Kreisen ebenso bekannt wie in den Kirchen gegenwärtig. Diese stark individualistisch und zugleich endzeitlich geprägte Erwartung des Geistes Gottes konnte einmünden in ein Verständnis, dass das Werk Jesu das Endgericht und „Jesus der Logos vom großen Krieg“ sei54. Blickt man auf Kosmologie und Anthropologie im Qur’ân, wird man Einflüsse all dieser Quellen auf die „neue arabische Religion“ entdecken können55.

Im innerchristlichen Kontext des großsyrischen Raums war das apokalyptische Weltgefühl stets präsent, mal mit mehr, mal mit weniger Einfluss. Dennoch wurde im Rahmen einer eschatologischen Erwartung besonders in der „Kirche des Ostens“ Gott als derjenige geglaubt, der in die Geschichte eingeht (wie es z. B. der syrische Kirchenvater Ephraem ausdrückt: „Gott bekleidet sich mit einem Menschen“) und daher in der Geschichte gegenwärtig erfahren werden kann. Dafür steht die Inkarnation Gottes, die liebevolle Zuwendung Gottes zur Welt durch Jesus Christus. Als solch ein Repräsentant Gottes in der Geschichte wird der Messias gesehen, in dem ganz und gar Gott gegenwärtig ist – in der Kraft des Heiligen Geistes56. Er ist der „Erwählte“, „der Gottes befreiende Gegenwart in der Welt erweist57.

Glaubt der Mensch, dass der Geist Gottes in der Geschichte gegenwärtig handelt, vermittelt ihm Geschichte einen Sinn, auch wenn er nicht alles versteht und Leiden auf sich nehmen muss. Leugnet er dagegen Gottes Geist in der Geschichte, macht sich Schicksalsglaube bzw. Fatalismus breit. Religiös gesprochen: „Gott hat es so gefügt“ oder „Wir müssen alles aus Gottes Hand annehmen“.

Wenn Gottes Geist in der Welt als nicht gegenwärtig erfahren und damit Gottes Handeln nicht mehr erkannt werden kann, dann kann es sein, dass sich ein entscheidender Wandel von eschatologischer Erwartung hin zu einem apokalyptischen Welt- und Existenzverständnis vollzieht. Jede Religion besitzt „apokalyptisches Potential“. Da sind Judentum und das Christentum durch die Jahrhunderte hindurch nicht weniger anfällig gewesen58.

Auf der Grundlage des apokalyptischen Denkens gilt es, einen von einem Propheten enthüllten vorherbestimmten Weg zu gehen. Jeder Mensch ist danach aufgefordert, sich in der Welt vor allem auf ein Leben jenseits der Welt vorzubereiten. Ein „muhammadun“, ein „Erwählter“ Gottes (ob er Jesus, Mani oder Muhammad heißt), hat dann die Aufgabe, den Willen Gottes zu offenbaren als Lebenshilfe, um sich in diesem Leben für das ewige Heil zu bewähren. Ziel ist letztlich die Vernichtung der Welt, in welcher der Geist Gottes nicht einwohnt. Im christlichen Kontext setzen apokalyptische Texte ebenfalls auf die Möglichkeit der realen Erfahrung des Geistes am Ende der Zeiten: „Selig ist, wer bis zum Ende ausharrt“ (Mt. 24, 13; Mk. 13, 13).

Der Begriff der Transzendenz Gottes gewinnt hier seine eigentliche Bedeutung gegenüber der „Immanenz“, der „Innerweltlichkeit“: Gottes Erhabenheit und seine Unzugänglichkeit werden betont59, seine Weltferne und seine Distanz von der Welt sind Kennzeichen seiner Souveränität. Die schwarze Ka’aba in Mekka kann symbolisch verstanden werden für „die restlose Verschiedenheit Gottes von der geschaffenen Welt“: innen die völlige Leere, und nach außen erscheint Gottes Gegenwart als schwarz60. „Die Kaaba gibt für die Muslime in der ganzen Welt die Gebetsrichtung an. Mekka ist das neue Jerusalem“ 61.

Hier hat sich in der „neuen arabischen Religion“ ein entscheidender Wandel im Gottesverständnis gegenüber der ostsyrischen Theologie vollzogen, für die die Inkarnation Gottes, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus nach dem Philipperhymnus (Phil. 2), wesentliche Glaubens- und Denkgrundlage darstellt. Die Souveränität Gottes zeigt sich danach gerade in seiner Weltzuwendung, in seiner Liebe zur Welt. Interessanterweise knüpft der Islam mit seiner Vorstellung der Transzendenz an das Erbe der Antike, das hellenistische Denken, an, wogegen sich in der innerchristlichen Auseinandersetzung bereits die „Kirche des Ostens“ gewandt hat, als sie gegen die christologischen Auffassungen der römisch-byzantinischen Reichskirche argumentierte.

Aufgrund dieses apokalyptischen Grundverständnisses ist es für den Islam keine denkbare Möglichkeit, dass sich wie im christlichen Verständnis Menschenwort und Gotteswort, Gott und Mensch inkarnatorisch miteinander verbinden können. Im Islam kann daher der „Knecht Gottes“ nur noch ein gewöhnlicher Mensch sein (Sure 43, 59). Die Vorstellung der Inkarnation (der Menschwerdung Gottes) ist ausgeschlossen. Denn nach seinem durch das persische Denken geprägten Dualismus sind Gott und Welt wohl aufeinander bezogen, aber zutiefst getrennt. Schöpfer und Geschöpf stehen sich gegenüber: eine Inkarnation, eine Menschwerdung Gottes sind auf diesem Hintergrund nicht möglich, sondern Ausdruck von Blasphemie.

So wird im Islam das Buch selbst zum Geschenk Gottes an die Menschen. Es ist die einzige Brücke zwischen dem ewigen, fernen Gott und dem endlichen Menschen in der materiellen Welt sowie die einzige Möglichkeit, Gottes Willen zu erkennen. Durch ein anderes Geistverständnis (christlich: personal, inkarnatorisch; islamisch: funktional) nimmt der Qur’ân in den Gedanken der Spiritualität und im Leben eines Muslim den Platz ein, den die Person Jesu in der christlichen Tradition innehat. War Jesus die weltzugewandte Seite Gottes, wurde es jetzt ein Buch bzw. die Rezitation daraus. Ursprüngliche Textpassagen über Jesus als den geisterfüllten Gesandten Gottes aus der Tradition der ostsyrischen Kirche wurden dann wie in Sure 16, 102 auf den Qur’ân hin gedeutet.


IV. Die zweifache Brückenfunktion des ostsyrischen Christentums

Da sich zahlreiche Traditionsstücke aus dem ostsyrischen Christentum im neuen Gewand im Qur’ân wiederfinden lassen, liegt darin auch eine große Chance. In Zukunft kann dem arabischen und insbesondere dem ostsyrischen Christentum ein entscheidender Beitrag zukommen für den Dialog der westlichen Kirchen mit dem Islam und für eine Orientalistik, die für christologische Fragestellungen offen ist62.

1. gegenüber dem (westlichen) Christentum
In den westlichen Kirchen in Europa und Übersee ist die Existenz der orientalischen Kirchen wenig bekannt. Der Nahe und Mittlere Osten – außer dem Staat Israel – gilt als arabisches und daher islamisches Gebiet. Die Gleichsetzung von „Muslim-Sein“ und „Araber-Sein“ prägt das westliche Bild dieser Region63. Das reiche spirituelle sowie theologische Erbe dieser vielfältigen Ausprägungen des Christentums sind daher entsprechend unbekannt.

Mehrheitlich sind diese Kirchen im Mittleren Osten wie die westlichen Kirchen, die sich auf dem Gebiet des römisch-byzantinischen Reiches gebildet haben, ebenfalls hellenistisch geprägt. Eine der Ausnahmen bildet die „Kirche des Ostens“: Sie wurde durch die römisch-byzantinische Reichskirche verfolgt und konnte sich im Schutz des damaligen persischen Reiches auf ihre „syrische Weise“ weiterentwickeln. Das aramäische Denken, das im Großraum Syrien einen großen Einfluss hatte, hat sich das ostsyrische Christentum in ihrer Theologie bewahrt. Damit erinnert die „Kirche des Ostens“ die westlichen Kirchen an das grundlegende biblische Denken und könnte ein kritisches Korrektiv sein gegenüber dem westlichen (abendländischen) Drang, auch in Glaubensfragen alles möglichst genau zu definieren, also „abzugrenzen“.

Das hellenistische Denken hat im römisch-byzantinischen Reich die Entwicklung der altkirchlichen Konzilien in Nicaea und Chalcedon entscheidend mitbestimmt. Mit der Verwendung griechisch-philosophischer Begriffe sollten die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens im griechischen Sprachraum verkündbar werden – ein für das ursprüngliche Selbstverständnis nicht gefahrloser Vorgang, der aber im Dienste der Sicherung des christlichen Glaubens wohl unumgänglich war. Denn das Christentum begegnete einer hoch entwickelten griechischen Philosophie mit einem geschlossenen, universalen Weltbild und war aufgefordert, das fast Unmögliche zu vollbringen (1. Kor. 1, 18-23), nämlich die „Botschaft von einem gekreuzigten Gott für den griechischen Geist“ nachvollziehbar auszusagen64.

Die so genannte „Zwei-Naturen-Lehre“ ist ein deutliches Kennzeichen dieses philosophischen Eingebundenseins der altkirchlichen Christologie in den Kontext der griechisch-hellenistischen Tradition65  und ihrem Verlangen, den Glauben intellektuell (heute würde man sagen: rational) auszulegen. Das Bekenntnis von Chalcedon formulierte durch seine vier komplementär zu verstehenden Beschreibungen der zwei Naturen Jesu Christi, aber auch die Grenze des rational Aussagbaren, der Möglichkeit zur Definition – ein Ärgernis für die Griechen.

Die römisch-byzantinische Kultur und ihre Denkstrukturen wurden bei den verschiedenen kulturellen und religiösen Einflüssen vor allem stark hellenistisch geprägt66. Wahrheit ist dabei eine Größe, die letztlich begriffen werden kann, wenn sie nur zur Anschauung (zu einer Theorie) gebracht worden ist. Dieses Verständnis von Wahrheit beinhaltet eine a-personale Vorstellung vom Geist67 und die Betonung der „paideia“, der Erziehung des Menschengeschlechts68, die ihre Wirkung bis heute in der abendländischen Welt entfaltet haben. Doch insbesondere die fundamentale Überzeugung, dass man durch prinzipielle, verobjektivierbare Aussagen, also durch naturhaft-ontologische Begrifflichkeit, das Ganze fassen könnte, unterscheidet sich vom aramäischen Denken im biblischen Kontext. Öffnet sich das westliche Christentum den theologischen Grundlagen der „Kirche des Ostens“, ermöglicht das einen kritischen Zugang zu den nicht aus dem biblischen Kontext stammenden hellenistischen Denktraditionen.

Das aramäische Denken stellt gerade nicht die Frage, wie sich in Gott drei Personen in einer Natur oder in Christus zwei Naturen in einer Person zueinander verhalten. Es geht um Gottes dynamisches Wirken in der Geschichte, um sein konkretes, geistgewirktes Erlösungshandeln, um seine Beziehung zum Menschen und umgekehrt vom Menschen zu Gott. Es geht eben um ein relational-existentielles Verständnis von Gott statt um naturhaft-ontologische Metaphysik, die versucht, über Gott an sich und seine innerste Natur, über das statische Wesen des in sich ruhenden dreieinigen Gottes zu spekulieren.

Biblisch wird die Existenz Gottes nicht in Frage gestellt, denn bloße Existenz wäre auch folgenlos. Denn nur wenn Gott mit der Welt und den Menschen in Beziehung tritt, etwas für sie tut und etwas von ihnen will, ist seine Existenz nicht unerheblich und bedeutungslos. Das biblische Denken ist nicht an naturhaft-ontologischen Fragestellungen interessiert, sondern nur an Beziehungen, am geschichtlichen Wirken, wodurch Gottes Wesen sichtbar wird: Weil Gott so und so gehandelt hat, ist er ein bedeutungsvoller Partner. Es geht nicht um die theoretische Grundsatzfrage nach der Existenz, sondern um die existentielle Entscheidungsfrage: Setzt der Mensch auf Gott und erkennt ihn als Herrn an oder auf Nichtiges, auf Götzen?

Wie Gott „an und für sich“ ist, wie und ob er „eine innergöttliche Hypostase“ ist oder nicht, ist für den durch das aramäische Denken geprägten biblischen Menschen keine Frage. Die „Gottessohnschaft“ ist keine Frage der physischen Herkunft, sondern eine der Erwählung und Bevollmächtigung. Nach dem Neuen Testament gibt es keine einfache Identität zwischen Gott und Jesus. „Sohn“ ist nicht einfach ein Name (ein Modus) Gottes: Vergleiche mit den 99 Namen (Attributen / Qualitäten) Gottes im Islam sind von daher abwegig.

Nach dem neutestamentlichen Zeugnis ist Jesus der Christus („der „Gesalbte“), weil Gott mit seinem Geist in ihm und durch ihn gegenwärtig ist (Röm. 1, 3f) 69. Die Hoheitstitel „Erwählter“ oder „Sohn Gottes“ sind so „ganz und gar Geist-Bestimmte“. „Der Herr ist Geist“ (2. Kor. 5, 17), d. h. „nicht ‚göttliche Natur’ oder ‚Wesensbestimmung’ kennzeichnen Jesus als den ‚Sohn Gottes’, sondern allein der Geist Gottes“ 70. Dieser biblische Befund ist nahe am Zeugnis der „Kirche des Ostens“. Ihre Grundfrage ist: „Was bewirkt Jesus?“; sie fragt nicht definitorisch: „Wer ist Jesus (von Natur aus)?“

2. gegenüber dem Islam
Vielfältig sind die Anknüpfungspunkte zur „Kirche des Ostens“ im Qur’ân, die nur durch die neuen Deutungsmuster in einen neuen Bedeutungshorizont überführt worden sind. Das ostsyrische Christentum kann mit seiner Begrifflichkeit, die sich vom westlichen Christentum unterscheidet, auf andere Weise deutlich machen, dass christlicher Glaube fundamental an dem Bekenntnis zu dem einen Gott festhält. Jesus dachte sowenig wie ein Jude, Christ oder Muslim heute daran, den Glauben an den einen Gott aufzulockern. In Aufnahme des 1. Gebotes formulierte er: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott allein“ (Mk. 10, 17f).

Im Unterschied zum Islam betont das ostsyrische Christentum auf der Grundlage des aramäischen Denkens allerdings nicht die absolute Transzendenz Gottes. Der Transzendenzgedanke im hellenistischen Denken „setzt eine Zweiteilung des Universums voraus, also einen kosmischen Dualismus“ 71. Dieser Dualismus entwickelte sich in der Zeit, in der die griechische Kultur auf den persischen Raum traf und sich das hellenistische Denken entwickelte. Dieses Denken mündet „in einen Dualismus, den Gegensatz zwischen unveränderlicher, überirdischer Wahrheit und veränderlicher, irdischer Wirklichkeit“ 72.

Der Islam offenbart hier das Erbe des spätantiken Geistes73 und vertritt im gewissen Sinne die Position des hellenistischen Denkens überzeugender als die römisch-byzantinische Reichskirche: Er macht wirklich ernst mit der Transzendenz, indem er den dem hellenistischen Denken zuwiderlaufenden Inkarnationsgedanken ablehnt und damit einen direkt in der Geschichte wirkenden Gott als irrational bekämpft. Gott ist im Himmel und der Mensch auf der Erde, der Gegensatz kann nicht deutlich genug ausgesagt werden. Die Transzendenz Gottes ist hier Ausdruck der Identität des absoluten Wesens, das jede Differenz ausschließt, weil es sich selbst genügt. Die islamische Lehre an den einen Gott ist daher ihrem Wesen nach strukturell ebenso naturhaft-ontologisch und dogmatisch geprägt wie die römisch-byzantinische Reichskirche74. Im Unterschied zum anti-trinitarischen Monotheismus des Islam, der keinen direkten historischen Bund von Gott mit den Menschen aussagen kann, bekennt das Christentum, dass sich Gott dennoch der Welt zuwendet. Im Trinitätsgedanken wird die Überzeugung verbunden, dass der Schöpfergott auch der Erlöser ist. Damit nimmt das Christentum den Monotheismus des Volkes Israel auf, der untrennbar mit dem einzigartigen Bund verknüpft ist, den Gott mit seinem auserwählten Volk geschlossen hat.

Ohne den Gedanken der Inkarnation verändert sich das Verständnis von „tawhîd“ von „verbundener Einheit“ zu „Einzigkeit“ und mündet in ein islamisches Verständnis von Sure 112 als Aussage gegen ein „biologistisches Verständnis“ der Inkarnation. In dieser Weise anti-trinitarisch gefasst, steht die 112. Sure, die auch „tawhîd“ genannt wird, als Inschrift auf vielen Moscheen und Häusern: „Sprich: Er ist der eine Gott, der ewige Gott, er zeugt nicht und wird nicht gezeugt; und keiner ist ihm gleich“.

Im Kontext des hellenistischen Denkens lässt sich die Weltzugewandtheit des Ewigen (wie bei den „Göttersöhnen“ im griechischen Olymp) nur mittels einer biologischen Geburt verstehen. Die römisch-byzantinische Kirche ließ den logischen Widerspruch, der sich mit dem Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes in Jesus Christus im hellenistischen Denken ergab, bestehen. Ohne Inkarnation war der Glaube an die Erlösung nicht möglich („Nur wenn Gott wahrhaftig Mensch wird, kann er erlösen, weil nur das erlöst werden kann, was vollkommen angenommen ist“ 75). Aus der Verbindung von hellenistischem Denken und dem Glauben an die Inkarnation konnte sich das Missverständnis entwickeln, die Christen glaubten an drei Götter. Der naturhaft-ontologische Versuch, das Geheimnis der Trinität auszusagen, erschwert damit bis heute den christlich-islamischen Dialog.

Der Islam, der stärker den Dualismus zwischen dem unveränderlichen, überirdischen Gott und der veränderlichen, irdischen Welt betont, löst diesen inneren Widerspruch auf, weil er – aufgrund seines apokalyptischen Denkens – das direkte Wirken des Geistes Gottes in der Geschichte verneint. Insofern versteht sich der Islam gegenüber den Christentum als der rationalere Glauben, der mit der Vernunft in Übereinstimmung ist – man muss in diesem Fall sagen: mit dem hellenistischen Verständnis der Vernunft.

Es bleibt aufmerksam zu machen auf die grundsätzliche Bedeutung des Heiligen Geistes für die Begegnung Gottes mit der Welt und den Menschen. Eine „Geistvergessenheit“ führt wie gezeigt auf der einen Seite zu stärkerer naturhaft-ontologischer Spekulation und auf der anderen Seite zu einer Ethisierung des Glaubens. Die „Kirche des Ostens“ macht mit ihrer Theologie auf ein Defizit im christlich-islamischen Dialog aufmerksam, das die Verständigung erheblich behindert. Ihre theologischen Grundlagen fordern heraus, eine „Christologie des Heiligen Geistes“ 76  zu entwickeln, die das Handeln des einen transzendenten Gottes betont, dessen Souveränität gerade in seiner geistesgegenwärtigen Weltzugewandtheit in Jesus Christus ihren spezifischen Ausdruck findet. Letztlich geht es darum, die Transzendenz Gottes nicht in Begriffen des Seins, sondern in denen der Liebe zu denken.

Zusammenfassend heißt das: Die vom Verständnis des Geistes Gottes bestimmte Theologie der „Kirche des Ostens“ kann damit in zweifacher Weise eine durchaus spannungsreiche Brückenfunktion im christlich-islamischen Dialog einnehmen.

1. gegenüber dem (westlichen) Christentum
erinnert sie an das biblisch-aramäische Denken und damit daran, dem geschichtlichen Wirken Gottes größere Bedeutung zukommen zu lassen als den Versuchen, Gott auf naturhaft-ontologische Weise zu definieren. Im Gespräch mit dem Islam kann sie daher christlicherseits klarer den Glauben an den einen Gott („tawhîd“) zum Ausdruck bringen, weil sie über das „Wie“ des „Mysteriums der Einheit“ nicht spekuliert. Es gilt, Gott niemanden „beizugesellen“. Gleichzeitig ist das aramäische Denken eine Anfrage an die Religionen, ihrem Drang nach Verobjektivierung und Kontrolle, nach Definitionen über Gott zu überwinden und stärker die geist- und erfahrungsbezogene spirituelle Dimension des Glaubens zu betonen: die Begegnung mit Gott und den Menschen.

2 .gegenüber dem Islam
erinnert die „Kirche des Ostens“ an eine Weltzugewandtheit Gottes, die die Transzendenz Gottes nicht gefährdet. Durch die Betonung der geistgewirkten, relational-existentiellen Weltzugewandtheit Gottes in Jesus Christus als dem „Erwählten“, dem Messias, kann die „Kirche des Ostens“ gegenüber dem Islam christlicherseits klarer deutlich machen, dass Gottes erlösendes Heilshandeln gegenwärtig schon geschieht und nicht allein erst im Endgericht erwartet werden muss. Gleichzeitig ist der Inkarnationsgedanke eine Anfrage an alle Religionen, das in ihnen vorhandene „apokalyptische Potential“ zu überwinden und eine nur ethische (legalistische) Ausrichtung des Glaubens in Frage zu stellen.

Dass lehrhafte Formeln nicht die Mitte des Glaubens ausmachen, zeigt die Bedeutung der „zu hörenden Überlieferung“, die ein Teil einer wie auch immer ausgeprägten Liturgie ist. Das verkündigte Wort, („Der Glaube kommt aus dem Hören“: Röm. 10, 9-15), die Riten und Handlungen oder das gemeinsame Gebet bringen zum Ausdruck, wie wesentlich die Gottesbegegnung ist. Und wie für die christliche Kirche die Feier der Liturgie zur Möglichkeit wurde, mit Gott in Kontakt zu treten, um auf diese Weise der „in lehrhafte Formeln gefassten Überlieferung“ zu begegnen77, übernahm in der islamischen Frömmigkeit die Qur’ânrezitation diese Aufgabe. Beides ist aber letztlich nicht ohne die Annahme eines Wirkens Gottes in der Geschichte zu vollziehen.

Eine Rückkehr theologischen Denkens zum aramäischen Denken ist insofern von größter Bedeutung für das Verhältnis des Christentums zu Judentum und Islam, weil es auffordert, das letztlich ursprüngliche gemeinsame Erbe aus dem großsyrischen Raum und dem Ostiran zu würdigen und von daher erst die unterschiedlichen Ausprägungen des Glaubens in den Blick zu nehmen. Dann wird deutlich werden, dass „alle zu demselben Gott beten, von dem die drei allerdings nicht in allen Punkten das Gleiche glauben. Diese Andeutungen sollen helfen, unabhängig von den Unterschieden an dem gemeinsamen Glauben an den einen Gott festzuhalten“ 78.

Die Auseinandersetzung mit dem ostsyrischen Christentum (und mit dem Judentum) unterstreicht die These der fließenden Identitäten und die Notwendigkeit einer neuen Offenheit, theologische Dialoge in christlich-islamischen Begegnungen zu führen. Oft wissen Christen und Muslime, auch wenn sie in den Ländern des Nahen Ostens nebeneinander leben, wenig von der jeweils anderen Tradition79.



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V. Neue Perspektiven für den Dialog

Der Blick auf das gemeinsame geistige Erbe: Für den christlich-muslimischen Dialog eröffnet eine solche religionswissenschaftliche und historisch-kritische Betrachtungsweise neue Perspektiven. Die hebräische Bibel, das Neue Testament sowie der Qur’ân sind keine „vom Himmel gefallenen Texte“, sondern sind als Heilige Bücher im Laufe der Jahrhunderte Schritt für Schritt gewachsen. D. h.: Der Qur’ân selbst ist das beste Beispiel für eine interreligiöse und interkulturelle Geschichte – wie die anderen Heiligen Texte (Thora und Evangelien) auch.

Es versteht sich von selbst, dass in einem solchen Lebensraum, in dem das geistige Erbe so dicht zusammenlag, wechselseitige Beeinflussungen die Regel waren. Das bedeutet, dass immer wieder die Tendenz zur Abgrenzung gegenüber dem anderen spürbar war – gerade weil man um das gemeinsame geistige Erbe wusste. Jede der Religionen musste ja ihre Identität erst suchen in der Auseinandersetzung mit den sie umgebenden Strömungen und Glaubensrichtungen. Wie den christlichen Konfessionen keine vorgegebenen Identitäten in die Wiege gelegt war, sondern sich diese in der Abgrenzung vor allem zum Judentum und durch innerchristliche Auseinandersetzungen erst gebildet haben, ist auch der Islam als eigenständige Religion ohne Auseinandersetzung mit Judentum, Christentum und den anderen religiösen Strömungen jener Zeit nicht zu denken.

Was die christliche Theologie seit dem letzten Jahrhundert mühevoll zu lernen hat (und noch immer lernt), ist für die islamische Tradition im gewissen Sinn Neuland. Dazu gehört die Erkenntnis, dass das gemeinsame Erbe der drei monotheistischen Religionen viel mehr Gemeinsames aufweist als üblicherweise wahrgenommen. Traditionelles islamisches Selbstverständnis geht davon aus, dass die Zeit vor Muhammad eine „Zeit der Unwissenheit“ bzw. „Zeit der Ignoranz“ (arabisch: „ğâhiliyya“) gewesen sei. Diese vorislamische „dunkle“ Zeit wurde so zur Negativfolie, von der sich der Islam umso strahlender abheben konnte. War die Zeit vor Muhammad – bezogen auf die Offenbarung im Qur’ân – eine „Zeit der Unwissenheit“, eine „Periode der moralischen Verworfenheit und religiösen Zwietracht“, konnte der Prophet Muhammad von diesem Ausgangspunkt her die Botschaft eines absoluten Monotheismus und einer kompromisslosen Moral „wie eine Morgendämmerung“ ganz neu predigen.

Es wird dabei in der islamischen Tradition nicht bestritten, dass Muhammad Kontakte zu Juden wie zu Christen hatte, aber keine Art der Abhängigkeit wird akzeptiert. In anderen Worten: Die Offenbarung kam zu Muhammad direkt, nicht durch die vorherigen Schriften oder Religionen, sondern parallel zu ihnen. Die islamische Geschichtsschreibung bediente sich dieser Argumentation, um die Überlegenheit der eigenen Religion herauszustellen. Aber Religionen entstehen nicht im Vakuum80. So ist es unzweifelhaft, dass die islamische Bewegung ihre Ursprünge in der multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft zu jener Zeit hat und ihr nicht so scharf entgegengesetzt werden kann.

Was für Judentum und Christentum in der religionsgeschichtlichen Perspektive gilt, darf so mit allem Respekt auch für die Entwicklung des Islam hin zu einer eigenständigen Religion angenommen werden: Sie ist ebenfalls nicht „vom Himmel gefallen“. Die Spurensuche nach dem gemeinsamen geistigen Erbe kann so zu einem Beitrag werden, den Dialog der Religionen auch hinsichtlich der historisch-kritischen Ebene auf eine neue Weise zu fördern. Es geht um ein besseres Verstehen der religiösen und kulturellen Geschichte des Vorderen Orients, um die eigene Glaubensüberzeugung im Dialog mit den anderen Religionen noch besser verantworten und einordnen zu können. So kann jeder seine eigene Glaubensüberzeugung bewahren jenseits von Ängsten und Abwertungsversuchen gegenüber dem anderen.

Vor dem interreligiösen Dialog liegt eine spannende Reise zu entdecken, wie aus jüdischen, christlichen, persischen, gnostischen und manichäischen Ursprüngen eine eigenständige „neue arabische Religion“ erwachsen ist, die wir heute als Islam kennen. Jüdische wie christliche Quellen zur Geschichtsschreibung sind bei der Beurteilung der Entstehung des Islam zu berücksichtigen. Das bestreitet nicht die Eigenständigkeit des Islam. Ein Blick auf die Bibelwissenschaft mag hilfreich sein: Die Beobachtung, dass verschiedene jüdische Elemente und Traditionen der hebräischen Bibel (welche die Christen „Altes Testament“ nennen) im Neuen Testament aufgenommen worden sind, bestreitet nicht, dass der christliche Glaube eigenständig weitergedacht worden ist. Bei allen gemeinsamen Wurzeln zwischen Judentum und Christentum besitzt das Neue Testament eine eigenständige und zusammenhängende Vision bzw. Aussage. Die Bedeutung der Evangelien für die Gläubigen wird auf diese Weise gerade aufgewertet werden. Sich der kontextuellen Perspektive zu stellen, würdigt daher die Komplexität des Islam als eigenständiger Religion und auch die komplexe Entstehungsgeschichte des Qur’ân81.

Wenn das gemeinsame geistige Erbe wieder stärker in den Mittelpunkt rückt, fällt auf die Zeit des 4.-9. Jahrhunderts ein anderes Licht. Die Geschichte der jüdisch-christlich-islamischen Begegnungen ist damit von Anfang an enger verwoben, als es bisher den Anschein hatte. Dies sollte sich positiv auf den christlich-islamischen Dialog auswirken, der häufig von gegenseitigen Abgrenzungsversuchen bestimmt ist und mehr auf das Trennende schaut als auf das Verbindende. Hierin liegt, hat man den „garstigen Graben der historischen Kritik“ durchschritten, eine ungeheure Chance. Letztlich fordert die historisch-kritische Herangehensweise zu einer offenen, apokalyptisches Denken überwindenden „Geisteshaltung“ heraus und dazu, die „Wahrheit“ der eigenen Religion nicht nur in Dogmen oder durch politische Macht zu „beweisen“ zu suchen, sondern anhand ihrer „Bewährung“ im alltäglichen Vollzug. Oder, um es mit den Worten des Juden Jesus, den die Christen als Messias bekennen und die Muslime als Propheten achten, zu sagen: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt. 7, 26; vgl. 25, 31ff; Sure 5, 48ff).


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ANMERKUNGEN



28   ber. 15b.
29   So Groß, S. 575.
30   Popp, Islamgeschichte, S. 68f.
31   So Paret, Kommentar, S. 530, der noch weitere Belegstellen für „wâchid(un)“ anführt: Sure 16, 51; 18, 110 u. a.
32   So Paret, Der Koran, S. 1.
33   Vgl. C. H. Gordon, Ugaritic Manual, AnOr 35, Roma, 1955, Nr. 1630, S. 316b: „may refer to ’yokes (of oxen)’“; J. Aistleitner, Wörterbuch der ugaritischen Sprache, Berlin, 1963, Nr. 2322, S. 267: „anschirren“. „As-samad“ ist verwandt mit dem arabischen „samada“, („verbinden“). Der Begriff bezieht sich auf eine untrennbare Einheit miteinander Verbundener. Theologisch passt dieser Ausdruck gut, um das trinitarische Gottesverständnis näher zu beschreiben. Nicht im Sinne einer „Vermengung“, sondern einer „verbundenen Einheit“ sind Gott Vater und Sohn „Allâhu as-samadu“ (Sure 112, 2).
34   Es geht bei „tawhîd“ vor allem darum, zwei oder drei zu einer Einheit zu machen und sie als eine Einheit zu verstehen. „Tawhîd“ bezieht sich so verstanden ursprünglich mehr auf „zu einer Einheit machen“ als auf „zu eins machen“ wie später in der islamischen Theologie.
35   Morony, S. 47f (mit Abbildungen der Münzen).
36   Im Babylonischen Talmud wird die suggestive Frage gestellt: “Gibt es etwa zwei Mächte im Himmel?” (bHag 15 a).
37   Volker Popp verdanke ich den Hinweis auf ein christliches Amulett aus der Omayyadenzeit, in der Gott als „as-sammādu Allâh“ bekannt wird: „O du mit uns verbundener Gott“: gedacht ist: durch seine Propheten, durch den besonderen Geistträger, der Jesus ist, ist der Träger des Amuletts relational-existentiell mit Gott durch den Geist verbunden.
38   Gignoux, S. 150f, zudem auf sassanidischen Münzen, im Pseudo-Klemensbrief aus dem 4. Jahrhundert, im gnostischen Buch der Geheimnisse des Johannes (Ende des 2. Jahrhunderts) u. a.
39   Jansen, S. 167.
40   Goetze, Juden, S. 154: In der sunnitischen wie schiitischen Tradition können wenigstens vier verschiedene Aspekte des „tawhîd“ gefunden werden.
41   Kohlbrugge, S. 271.
42   Übergänge vom ostsyrischen Christentum zum Islam reflektiert auch – eher unfreiwillig und die christlichen Konfessionen durcheinander werfend – der muslimische Schreiber Abu al-Chasan al-Mas‛ûdî (gest. 956). Er schreibt an einer Stelle im Zusammenhang mit den syrischen „Melkiten“: „Sie sind die Säule und Basis des Christentums, während die orientalischen Christen, das sind die ‛Ibadiyya, die Nestorianer oder Jakobiten genannt werden, sich selbst von ihnen abgesondert und eine Spaltung geschaffen haben“. Die ‛Ibadiyya sind nach islamischer Tradition eine islamische Gruppierung, obwohl sie bei diesem muslimischen Autor unter die christlichen Gruppierungen gerechnet wurden!
43   Der Ausdruck wird bereits Paul von Samosata aus dem 3. Jahrhundert zugeschrieben.
44   Zit. bei Bruns, Bd. 2, S. 376.
45   Gätje, S. 167.
46   Siehe dazu die ausführliche Analyse der Sure 19, 16-33 bei Luxenberg, Lesart, S. 136ff.
47   So Hitti, S. 130, zum „Tag des Gerichts“. Vgl. Cook, Studies, S. 1; allerdings stellt er keine kritischen Nachfragen, warum das so ist und aus welcher Tradition es stammen könnte. Die „muslimische Apokalyptik“ ist eine Literaturgattung, die in Form von Hadîthen über die Endzeit informiert (über das Ende der Welt und was vor dem Ende geschieht).
48   Cook, Studies, S. 272.
49   Der islamischen Tradition nach die Geschichten und Aussprüche des Propheten Muhammad und seiner frühesten Gefährten.
50   Vgl. Cook, Studies, S. 275ff. Es liegt eine große Versuchung darin zu sagen, der Islam sei eine „apokalyptische Religion“. Die Tendenz ist, wie immer man es hinstellt, vorhanden. Insbesondere in Krisenzeiten kann es zum einen „lethargische Personen aufwecken“, zum anderen in der Hand falscher Personen einen revolutionären, destruktiven Einfluss auf die Gesellschaft haben (vgl. dazu Cook, Studies, S. 313f). Es ist nicht verwunderlich, dass solche apokalyptischen Gedanken in der Praxis zurückgedrängt und wie in der islamischen Hauptströmung, den Sunniten, durch ein theologisches System ersetzt worden sind. Unter den Schiiten ist dieses apokalyptische Element bis heute noch zu finden und hat z. B. die „Iranische Revolution“ 1979 unter Khomeini entsprechend „gepuscht“.
51   So lassen sich gleitende Übergänge vom eschatologischen zu apokalyptischen Denken in den Religionen aufzeigen. Auch im Rahmen des eschatologischen Denkens lassen sich z. B. im Christentum wenigstens zwei Dimensionen des Handelns des Geistes Gottes erkennen: erstens auf der persönlichen Ebene („Gottes Geist wirkt in mir“) und zweitens auf der politischen Ebene („Das Reich Gottes verwirklichen und für Frieden und Gerechtigkeit sorgen“), die meistens in Spannung zueinander stehen. Charismatisch geprägte Gemeinden sind in der Regel eher unpolitisch. Dafür neigen sie trotz ihrer Geistbetonung („Gottes Geist in mir“) theologisch häufig zu einem scholastischen Denken und zu einer Buchstabengläubigkeit im Schriftverständnis.

52   Dantine, S. 188.
53   So Dantine, S. 189.
54   Böhlig, S. 34f: So Mani in seiner Sicht der Endzeit. Der Manichäismus hat nicht nur den Qur’ân bezüglich von Endzeit, Gericht und Paradies mitbestimmt, sondern auch auf christlich-gnostische Kreise großen Einfluss gehabt, die ihrerseits Auswirkungen hatten auf die „neue arabische Religion“, die im 9. Jahrhundert ihre Form gefunden hat. Das apokalyptisch-gnostische Thomasevangelium und die Henoch-Apokalypsen waren dabei wichtige geistige Quellen.
55   Drijvers, Antioch., S. 1ff; ders., Rechtgläubigkeit, S. 301.
56   Kraus, S. 41.
57   Kraus, S. 43. „Realpräsenz des Geistes“ formuliert Dantine, S. 18.
58   Meier, S. 413, analysiert in seinem Buch über die Geschichte der Messiasse auch das zerstörerische Potential, „das jedem Messias eben auch innewohnt“. Revolutionäre und schwärmerische Gruppierungen haben auch im Christentum den Geist einseitig auf ihre Seite gezogen und entsprechend die Menschheit in Gläubige und Ungläubige aufgeteilt.
59   Zum Folgenden vgl. Dantine, S. 91f.
60   So Imhof, Apokalypse von Mekka, S. 214.
61   So Imhof, Apokalypse von Mekka, S. 215.
62   Nach Imhof, Apokalypse von Mekka, S. 215. Bei meinem eigenen dreimonatigen Studienaufenthalt im Libanon im Jahr 2007 habe ich neu erlebt, was es bedeutet, „seit über 1400 Jahren im Alltag respektvoll miteinander zusammenleben zu können“, wie es der griechisch-katholische Patriarch Gregorius III. ausdrückte. Es muss sich ein „Dialog der Nachbarschaft“ entwickeln, in dem Christen und Muslime, religiöse wie säkulare, über ihren Glauben kenntnisreich sprechen können. Dieser Kenntnisreichtum schließt Kritik am politischen Missbrauch der (eigenen) Religion mit ein.
63   Dass das historisch wie für die Gegenwart nicht zutreffend ist, zeigt die Präsenz der arabischen Christen im Nahen und Mittleren Osten.
64   Grillmeier, Bd. 1, S. 136f.
65   Zur Entwicklung des hellenistischen Denkens aus dem griechischen und persischen Denken siehe, Goetze, Wahrheit, S. 28f.
66   Goetze, Wahrheit, S. 27.
67   Dantine, S. 37.
68   Dantine, S. 29.
69   Zum Folgenden siehe Kraus, S. 42ff.
70   So Kraus, S. 43.
71   So Kraus, S. 44.
72   So Goetze, Wahrheit, S. 30.
73   www.bbaw.de/bbaw/Forschungsprojekte/Coran: „Der Kommentar beruht darüber hinaus auf einer umfassenden Heranziehung jüdisch-christlicher Intertexte und betrachtet den Text des Korans als ein Dokument der spätantiken Welt“.
74   Die theologischen Grundlagen der „Kirche des Ostens“ können im christlich-islamischen Dialog verdeutlichen, dass auch der Islam nicht frei ist von ontologischer Spekulation, wenn er versucht, mit Hilfe der Begrifflichkeit griechischer Philosophie die Vielzahl der Eigenschaften / Attribute („sifāt“) Gottes mit der Lehre von der absoluten Einheit Gottes zu vereinbaren.
75   Lohse, S. 65, zum Denken von Athanasius, der das Bekenntnis von Nicaea verteidigte.
76   So der programmatische Titel bei Kraus.
77   Grillmeier, Bd. 1, S. 135.
78   So Goetze, Juden, S. 154f. Der ganze Artikel befasst sich mit dem Verhältnis des trinitarischen Glaubens im Dialog mit anderen Religionen.
79   Marx, S. 127.
80   Aslan, S. 36ff.
81   Reynolds, Introduction, S. 19. Die Auffassung, dass man es für einen Ausweis der „Originalität des Koran“ (so Neuwirth, Koran, S. 97) zu halten hat, dass Muhammad seine Botschaft direkt von Gott durch den Engel Gabriel übermittelt bekommen habe, ist, ohne auf den gemeinsamen Kultur- und Lebensraum einzugehen, aus historisch-kritischer Perspektive nicht gut möglich.


Literaturauswahl



(bei mehreren Artikeln, Büchern ist der jeweilige Autor in den Fußnoten mit dem ersten Hauptwort zitiert)

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Wilhelm Dantine, Der Heilige und der Unheilige Geist. Über die Erneuerung der Urteilsfähigkeit, Stuttgart, 1973

Han J. W. Drijvers, East of Antioch, in: ders., East of Antioch, London, 1984, I, S. 1-27

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Andreas Goetze, Juden, Christen und Muslime vor dem einen Gott. Trinität im Dialog mit anderen Religionen, in: Deutsches Pfarrerblatt 3 / 2009, S. 153-155

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Paul Imhof, Apokalypse von Mekka. Kirche und Welt im Kraftfeld des Islam, in: ders. / Josef Reiter, Wissen um Werte. Perspektiven der Religion, in: ders. / Eduard Saroyan (Hg.), Strukturen der Wirklichkeit, Bd. 3 (Schriftenreihe der Deutschen Universität in Armenien und der Akademie St. Paul), Wambach, 2007, S. 201-225

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Rudi Paret,
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Dietmar W. Winkler, The „Apostolic Church of The East“. A brief introduction to the writing of church history and to terminology, in: Wilhelm Baum / Dietmar W. Winkler (Hgg.), The Church of the East, London, 2003 (deutsche Ausgabe: Klagenfurt, 2000), S. 1-5


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Der Autor

ANDREAS GOETZE

Dr. Andreas Goetze ist seit vielen Jahren im interreligiösen Dialog, zu Themen des Nahen Ostens und als Geistlicher Begleiter im Bereich Spiritualität engagiert. Seit 2012 ist er der landeskirchliche Pfarrer für den interreligiösen Dialog in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Dr. Goetze studierte in Heidelberg, Tübingen, Mainz und Frankfurt a. M. Evangelische Theologie, Nebenfächer Philosophie und Judaistik, islamwissenschaftliche Studien und Studien zum orientalischen Christentum in Jerusalem und Beirut, Vikar in Jerusalem, spiritueller Reiseleiter für das Heilige Land. Religionswissenschaftliche Promotion zu den Anfängen des Islams unter dem Titel „Religion fällt nicht vom Himmel“, deren Anliegen die Verbindung der historisch-kritischen Perspektive mit der spirituellen Dimension des Glaubens ist. Letzte Veröffentlichung (zusammen mit Roland Herpich): Toleranz statt Wahrheit? Herausforderung interreligiöser Dialog. Jüdische, christliche und muslimische Perspektiven (Wichern-Verlag 2013).

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Betreff: 
Religion fällt nicht vom Himmel

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