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Nachfolgend lesen Sie einen Original-Beitrag des Publizisten Gabriel Berger.
Der studierte Physiker und Philosoph ist bereits mit mehreren Texten auf COMPASS vertreten, siehe:
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COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Wiedergabe seines Berichts an dieser Stelle.
© Gabriel Berger
Eine der Aufgaben zeithistorischer Forschung ist die Bewahrung dramatischer Ereignisse und der mit ihnen verbundenen Personen vor dem Vergessen. Dieser Aufgabe hat sich Annegret Ehmann mit Erfolg gewidmet. Gemeinsam mit Christoph Kreutzmüller erforschte sie die Schicksale von fünf Kindern die in der NS-Zeit aus dem „Haus Kinderschutz“ im heutigen Berlin Zehlendorf in das als „Erziehungsheim“ getarnte Mordinstitut Hadamar überführt und dort umgebracht wurden. Sie wurden bislang nicht im Gedenkbuch des Bundesarchivs „Opfer der Verfolgung der Juden unter der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutsch-land 1933-1945“ verzeichnet. Wie viele andere Opfer der NS-Verfolgung wurden sie vergessen.
Diese fünf Kinder waren als Christen getauft, galten aber in dem NS-Staat wegen eines jüdischen Elternteils als „Mischlinge“. Jüdische „Mischlinge“, wurden wegen ihrer vermeintlichen „rassischen Minderwertigkeit“ ausgegrenzt, sie genossen aber, zumindest in Deutschland, gemäß der Nürnberger Rassengesetze von 1935 gegenüber den „Volljuden“ das „Privileg“ nicht in Lager eingesperrt und ermordet zu werden. Das galt jedoch nicht für „Mischlingskinder“, die in irgendeiner Weise verhaltensauffällig geworden waren. Oft waren es Kinder von Eltern, die sich getrennt hatten, und sie wurden wegen akuter Erziehungsprobleme in ein Heim eingewiesen. Doch der vom Staat übernommene Erziehungsauftrag endete in diesen Fällen oft mit dem heimtückischen Töten der Schützlinge in dem „Erziehungsheim“ Hadamar. In der geheimen Tötungsanstalt im mittelhessischen Hadamar wurden zwischen Januar 1941 und März 1945, im Rahmen der sogenannten Aktion T4, etwa 14.500 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen in einer Gaskammer, durch tödliche Injektionen und Medikationen sowie durch vorsätzliches Verhungern, ermordet. Gleiches Schicksal war den in die Mühle staatlicher „Fürsorge“ geratenen jüdischen „Mischlingskindern“ zugedacht. Den Eltern der in der als Erziehungsanstalt getarnten Tötungsanstalt ermordeten Kinder wurde eine Sterbeurkunde ausgehändigt, in die als Todesursache eine der üblichen Krankheiten eingetragen war. Meist wurden die Kinder als „Geistesschwach“ abgestempelt, auch wenn sie nachweislich über normale oder sogar überdurchschnittliche intellektuelle Begabungen verfügten. Und Geisteskrankheit war im NS-Staat selbst im Fall von „reinrassigen Deutschen“ ein hinreichender Tötungsgrund, um sich der unproduktiven, aber die Gesellschaft materiell belastenden Menschen zu entledigen. Laut Aussage der 1947 angeklagten Stationsschwester der Anstalt Hadamar Margarete Borowski, von Ausbildung Erzieherin, vor dem Landgericht Frankfurt waren einige der „jüdischen Mischlingskinder“ zwar abgemagert und im Wachstum, nicht jedoch geistig zurückgeblieben. Manche seien sogar sehr intelligent, gut entwickelt gewesen und hätten sich an den Hausarbeiten beteiligt. Der 1945 zum Tode verurteilte und hingerichtete Verwaltungsleiter Alfons Klein, den sie als „sehr kinderlieb“ schilderte, habe „zur Wahrung des Scheins“ den „Mischlingskindern“ noch bis kurz vor der Ermordung Unterricht erteilt. Die Behauptung Margarete Borowskis, keines der Kinder habe geahnt, dass es getötet werden sollte, ist allerdings widerlegt worden.
Annegret Ehrmann verwies in ihrem Vortrag darauf, dass die rassenideologische Terminologie und Praxis des Nationalsozialismus ihren Ursprung und ihr Vorbild im europäischen Kolonialismus hatte. Die besonders in den afrikanischen Kolonien den Einheimischen, sowie den von weißen Kolonisten mit Einheimischen gezeugten Kindern geltende Wertung als „rassisch minderwertig“ , wurde in die NS-Ideologie und in die Nürnberger Rassengesetze übernommen und auf Juden, Sinti und Roma übertragen. Gemäß der pseudowissenschaftlichen Ideenwelt der Nationalsozialisten sollten die Rassengesetze das deutsche Volk vor „Verbastardung“ durch Vermischung mit „minderwertigen fremden Rassen“ und damit vor vermeintlicher Verschlechterung schützen, wobei Kreuzungen von Menschen unterschiedlicher „Rassen“ analog zu Züchtungen von Nutztieren mit ihren Vor- und Nachteilen betrachtet wurden. In diesem Sinne galten „jüdische Mischlinge“ oder „Zigeunermischlinge“ als Minderwertig und als für den „deutschen Volkskörper“ gefährlich. Sexuelle Kontakte von Deutschen mit Juden oder „Zigeunern“ galten demzufolge auf des Basis der Nürnberger Rassengesetze von 1935 als juristisch zu ahndende Rassenschande. Das Leben der Abkömmlinge aus solchen verbotenen und gesellschaftlich geächteten Verhältnissen war von der Gnade nationalsozialistischer Behörden abhängig.
Seit 1943 gab es in dem „Erziehungsheim“ Hadamar eine Sonderstation für „jüdische Mischlingskinder“. Von insgesamt 39 Kindern, die als „jüdische Mischlinge“ aus verschiedenen Fürsorgeerziehungsheimen des Reiches nach Hadamar überstellt worden sind, fielen 34 der Mordaktion zum Opfer. Die von Annegret Ehmann erzählte Geschichte von fünf Kindern aus dem „Haus Kinderschutz“ berührte mich persönlich, weil ich einer jüdischen Familie entstamme und am 27.03.1944 im deutsch besetzten Frankreich geboren wurde, exakt an dem Tag, an dem Rudolf Langen, einer der Insassen des Hauses, wegen seiner jüdischen Mutter im Alter von dreizehn Jahren in Hadamar ermordet wurde.
Das „Haus Kinderschutz“ in Zehlendorf hatte ursprünglich eine durchaus anerkennenswerte Geschichte. Es wurde von den Mäzenen James Simon und Franz von Mendelssohn gestiftet, die die Einrichtung einem 1899 gegründeten „Verein zum Schutze der Kinder vor Ausnutzung und Misshandlung“ übertrugen. Seit 1906 wurden Kinder aus verwahrlosten Familien in dem Haus aufgenommen, wo sie nach einem reformpädagogischen Konzept erzogen wurden, die Schule besuchten und handwerkliche Fertigkeiten erwarben. In der NS-Zeit konnte allerdings diese Erziehungsanstalt nicht für alle Kinder die Fürsorgepflicht erfüllen. So hat der Heimleiter Hans Böhme nicht verhindert, dass 1936/37 dreißig Insassen des Heims auf Grund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ angezeigt und unfruchtbar gemacht wurden. Und er hat nicht verhindert, dass fünf seiner Schützlinge als „jüdische Mischlinge“ 1944 nach Hadamar verlegt wurden, wobei allerdings unklar ist, ob es ihm bekannt war, dass es sich in Hadamar nicht um eine Erziehungs- sondern um eine Tötungsanstalt handelte.
Nachdem die jüdische Mutter des Ermordeten „Mischlingsjungen“ Rudolf Langen den Krieg und die Verfolgung überlebt hatte, stellte sie1953 in der Bundesrepublik einen Entschädigungsantrag. Darin musste sie beweisen, dass ihr Sohn nicht, wie laut Urkunde von Hadamar vom Amt angenommen, „geistig behindert“ gewesen sei und somit, wenn er nicht ermordet worden wäre, für sie hätte sorgen können. Dies tat sie unter Vorlage der für einen dreizehnjährigen Jungen stilistisch überragenden Briefe, die sie von ihrem Sohn erhalten hatte, und mit Hilfe der Aussagen von drei Nachbarinnen, die bezeugen konnten, dass Rudolf „ein besonders begabtes und aufgewecktes Kind“ gewesen sei. Erschütternd ist auch, dass manche der Kinder in Hadamar ahnten, dass sie dort der Tod erwartete. Obwohl sie christlich getauft waren, fanden sie in der Kirche nicht den Schutz vor der Mordgier des Nazi-Regimes. Ganz anders erging es meiner Schwester, die, obwohl nicht getauft, vor dem Zugriff durch die Gestapo zwei Jahre in einem südfranzösischen Kloster versteckt wurde und die Nazi-Herrschaft überlebte.
Annegret Ehrmann und Christoph Kreutzmüller haben durch ihre Forschung die fünf Jungen vom Haus Kinderschutz dem Vergessen entrissen. Ihrer Initiative ist auch zu verdanken, dass im März 2017 in Berlin-Zehlendorf für die Kinder fünf Stolperseine eingeweiht wurden. Zu bedauern ist allerdings, dass die fünf nicht in das Verzeichnis der Ermordeten in Yad Vashem aufgenommen wurden, weil sie dort wegen ihrer christlichen Taufe nicht als Juden gelten.
Kunsthalle Recklinghausen zeigt Arbeiten von Rosemarie Koczy
(COPYRIGHT: Andreas Rehnolt,
Darüber hinaus präsentiert die Kunsthalle Gemälde und Skulpturen, die allesamt als Schenkung in die Sammlung des Hauses kommen werden. Als Tochter jüdischer Eltern wurde Koczÿ 1942 deportiert. Sie überlebte, verblieb aber trotz Kriegsende und Befreiung noch bis 1951 in einem Lager für "Displaced Persons", hieß es vor dem Start der Schau. Als ihre Großeltern sie nach langer Suche ausfindig machten, kehrte sie noch einmal nach Recklinghausen zurück, wuchs aber schließlich in einem katholischen Waisenhaus nahe Münster auf.
Koczy studierte später an der École des Arts Décoratifs in Genf. Auf Anraten von Peggy Guggenheim zog sie nach New York. Mitte der 1970er Jahre rückten die Aufarbeitung ihrer Kindheitserlebnisse und der Holocaust ins Zentrum ihres künstlerischen Schaffens. Bis zum ihrem Tod entstanden über 12.000 Tuschzeichnungen, mit denen die Künstlerin der Opfer der Shoa gedachte. "Das Leichentuch ist das Strichgewebe, das jede meiner Gestalten umgibt, um sie in Würde zu beerdigen," sagte sie einmal.
Koczÿs Werke wurden in zahlreichen Ausstellungen in Deutschland, der Schweiz, den USA, Japan und Israel gezeigt. Zudem finden sie sich in bedeutenden Sammlungen wie der des Solomon R. Guggenheim Museums, New York, der Peggy Guggenheim Collection, Venedig oder der Collection de l’Art Brut, Lausanne. Aber auch die Gedenkstätten Buchenwald und Yad Vashem in Jerusalem besitzen Arbeiten der Künstlerin.
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Internet:
http://www.kunsthalle-recklinghausen.com/index.php?id=278
Microtext-Journalistenbüro)
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