Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 178

Februar 2013

„Der Glaube Jesu einigt uns, [...] aber der Glaube an Jesus trennt uns.“
Dieses Bonmot des großen Pioniers im christlich-jüdischen Dialog Schalom Ben-Chorin deutet an, wie sehr - theologisch gesprochen - die Christologie das wohl schwierigste Kapitel im christlich-jüdischen Dialog darstellt. Die von christlichen Theologen aus neutestamentlichen Texten, insbesondere vom Johannesevangelium, entwickelten Christologien waren über Jahrhunderte hin Quell antijüdischer Vorurteile, was die US-amerikanische Theologin Rosemary Radford Ruether schließlich veranlasste, den Antijudaismus als "linke Hand" der Christologie zu bezeichnen. 
 
Im Blick auf dieses historisch wie theologisch belastete Grundproblem im christlich-jüdischen Dialog versucht der katholische Theologe Hubert Frankemölle in vorliegendem Beitrag die exegetischen und hermeneutischen Grundlagen zu reflektieren, die zum einen in die Irre des Antijudaismus führten und zum anderen stattdessen ein christologisches Verständnis ermöglichen würden, das der "linken Hand" des Antijudaismus nicht bedarf. Exemplarisch entwickelt er seine Gedanken u.a. in Auseinandersetzung mit päpstlichen Konzepten im christlich-jüdischen Dialog, insbesondere anhand eines Vergleichs der theologischen Postionen von Papst Johannes Paul II und Papst Benedikt XVI. Daran anschließend formuliert Frankemölle "Aufgaben für die Exegeten" und präsentiert abschließend eine Reihe von hermeneutischen Thesen vor dem Hintergrund seiner Ausführungen.
 
Der vorliegende Beitrag von Hubert Frankemölle erschien zuerst in gedruckter Form in einer Festschrift zum 65. Geburtstag des Theologen Claus-Peter März. Sie wurde unter dem Titel "Könige und Priester" herausgegeben von Martina Bär, Markus-Liborius Hermann, Thomas Söding und ist 2012 im Echter Verlag, Würzburg, erschienen.


COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Wiedergabe seines Textes an dieser Stelle!

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Online-Extra Nr. 178


Wie hoch darf die „hohe“ Christologie sein?


Hermeneutische Reflexionen zu biblischen und päpstlichen Konzepten im christlich-jüdischen Dialog

HUBERT FRANKEMÖLLE

Die „Heimholung Jesu ins Judentum“ durch Juden1  und die Entdeckung des Juden Jesus in der christlichen Theologie im letzten Jahrhundert gehört zu den erfreulichsten Phänomenen der christlichen Theologiegeschichte. Die Rezeption von bibeltheologischen Erkenntnissen durch die systematische Theologie und durch das kirchliche Lehramt ist unstrittig. Erst auf dieser Basis wurde ein ständig intensiver werdendes interreligiöses Gespräch möglich, das in christlich-jüdischen Gesprächskreisen immer stärker auch die Christologie einschloss, 2  ohne dass die Annahme des spezifisch christlichen Glaubens für Juden zur Debatte stand. Ziel war es, Missverständnisse abzubauen und die Christologie als Teil der Theologie von ihren Ursprüngen her für beide Seiten neu zu entdecken und verstehbar zu machen. Waren doch nicht zuletzt die Entwürfe der „hohen“ Christologien etwa des Johannesevangeliums oder des Hebräerbriefes jahrhundertelang Anlass für antijüdische Auslegungen, Predigten und kirchliche Erklärungen (selbst in Konzilien) und boten Grund für antijüdisches Verhalten der Christen gegen Juden. 3 


1.  Das hermeneutische Grundproblem christlich-theologischer Rede

In einer Festschrift für einen Exegeten dürfte eine Besinnung auf die genannten  Wechselwirkungen (die in ihren Auswirkungen von Exegeten in der Regel nicht explizit thematisiert werden, implizit aber vorhanden sind) vielleicht nicht fehl am Platze sein. Das Verhältnis von „hoher“ Christologie zum theologischen Konzept des irdischen Jesus mit seinem Anspruch einer „impliziten“ Christologie ist bis heute für Juden und Christen das bleibende hermeneutische Grundproblem, das auch päpstliches Denken bestimmt und das christlich-jüdische Gespräch be- oder entlastet. Damit ist der hermeneutische Horizont der folgenden Ausführungen angedeutet; in ihnen geht es auch um die ekklesiologische Basisfunktion der Bibelwissenschaften und folglich auch der Exegeten. Auslegung der Bibel kann nicht nur religionswissenschaftlich betrieben werden, sondern hat als theologische Reflexion über die Anfänge des christlichen Glaubens für die Glaubensgemeinschaften, die sich „christlich“ nennen, Korrekturfunktion.

Faktum ist, dass der Glaube an Jesus Christus im Neuen Testament von Juden entworfen worden war, er aber dem nachbiblischen Judentum immer fremder wurde. Haben schon einige Verfasser neutestamentlicher Schriften vorgegebene Kategorien einer jüdischen Deutung Jesu und seiner Geschichte bzw. aus christlicher Sicht: des Handelns Gottes durch und an ihn überschritten? Inwiefern sind christologische Hoheitstitel und damit verbundene Motivkomplexe angemessene Deutungen der Geschichte Jesu? Bedarf es der geschichtlichen Rückbindung? Und: Haben es die neutestamentlichen Verfasser verstanden, ihre Überzeugungen so zu verbalisieren, dass ihre Hörer sie verstehen konnten? In diesem Kontext regte der Titel dieser Festschrift „König und Priester. Facetten neutestamentlicher Christologie“ die folgenden hermeneutischen Überlegungen an; begründet sind sie aber auch in der Breite der Veröffentlichungen des Geehrten. 4  Wie seine Bibliographie belegt, gehören aus seiner Sicht aber nicht nur wissenschaftliche Textanalyse, sondern auch Transformation und Elementarisierung komplizierter theologischer Reflexionen zur Aufgabe der Exegeten als Theologen.

Diese Spannbreite von Jesus und Jesus Christus spiegelt auch die unaufgebbaren theologischen Widersprüche im christlich-jüdischen Dialog, fokussiert in Christologien, die mit den Stichworten  „Bruder Jesus“ (Schalom Ben-Chorin) und „hohe“ Christologie angegeben werden können. Vom Beginn des christlichen Glaubens als jüdischer Glaube gab es diese Spannungen in  der Deutung des irdischen Jesus in seinem Verhältnis zum frühjüdisch bezeugten Gott Israels und aller Völker einerseits und andererseits in den gläubigen Reflexionen über das Wirken Gottes, des Einen, „durch“ Mittler wie Mose, Propheten und weitere Gesandte oder durch „Wirkweisen“ Gottes wie Geist, Logos in ihrer einzigartigen, oft präexistent geglaubten Beziehung zu Gott. Im Rückblick gibt es die eine Quelle und die vielfachen Ströme der jüdischen Deutungen in Hebräisch, Aramäisch und Griechisch, in Tora und Talmud, sodann in der Erweiterung der christlichen Deutungen im Neuen Testament und den weiteren christlichen Schriften. Diese beiden Zugangswege theologischen Nachdenkens können sich im Schnittpunkt treffen. Faktisch belegen die Texte im Neuen Testament sowie Glaubenszeugnisse heute, dass der eine oder andere hermeneutisch gewählte Zugang für das theologische Gesamtkonzept bestimmend bleibt. Christologische Konzepte in der Dogmengeschichte belegen diese These ebenso wie der momentane Widerspruch zwischen dem traditionellen, kirchenamtlich verkündeten Glauben bezüglich der „hohen“ Christologie und der immer stärker feststellbaren Verdunstung dieses Glaubens nicht nur in der jüngeren Generation der Noch-Kirchenmitglieder.



Hubert Frankemölle


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2. Zwei päpstliche Denkmodelle

Dass auch der theologische Denkansatz von Päpsten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit ihrer unterschiedlichen Hermeneutik das theologische Gespräch zwischen Juden und Christen und ihr Verhältnis zueinander heute erleichtern oder erschweren kann, zeigt sich an den beiden letzten Päpsten. Papst Johannes Paul II. hat wie kein anderer Papst vor ihm die Wirklichkeit der Menschwerdung Gottes als Judewerdung und das wahre Menschsein Jesu als Judesein betont. Wohl aufgrund der berechtigten Vermutung, dass der Satz „Jesus war Jude …“ aus der Erklärung der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum mit dem Titel  „Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche“ von 19855  mit all seinen theologischen Implikationen und Konsequenzen für christliche Theologie und Frömmigkeit kaum bestimmend wurde, monierte er etwa in seiner Ansprache an die Teilnehmer des vatikanischen Kolloquiums über die Wurzeln des Antijudaismus im christlichen Bereich am 31. Oktober 1997: „Manche Menschen betrachten die Tatsache, daß Jesus Jude war und daß sein Milieu die jüdische Welt war, als einfachen kulturellen Zufall, der auch durch eine andere religiöse Inkulturation ersetzt und von der Person des Herrn losgelöst werden könnte, ohne seine Identität zu verlieren. Aber diese Menschen verkennen nicht nur die Heilsgeschichte, sondern noch radikaler: Sie greifen die wahre Menschwerdung selbst an“. 6

Ohne die jahrzehntelangen Bemühungen der Exegeten um eine angemessene Deutung des geschichtlichen Jesus in seiner Zeit und in seinem Milieu (Exegeten können aus den Worten von Johannes Paul II. eine Ermunterung zu weiterem Bemühen um den geschichtlichen Jesus7  lesen) wäre eine solche Theologie nicht denkbar, aber auch nicht ohne die biographischen Erinnerungen an Auschwitz und die Erinnerung an den Glauben seiner jüdischen Mitschüler und die erfahrene Frömmigkeit der Synagoge in Wadowice. 8

Die Inkarnation Jesu Christi in das jüdische Volk bedingt auch eine bisher nicht gekannte Hochachtung jüdischen Glaubens und jüdischer Frömmigkeit, das heißt auch der heiligen Schriften Israels als deren Basis, wie Johannes Paul II. immer wieder betonte. Darin begründet sah er auch die von ihm in die kirchliche Sprache eingeführte Bezeichnung für Israel als „Volk des ungekündigten Bundes und der Lobpreisungen“ 9 , wobei er sich mit Nostra aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils auch auf Röm 11,29 berief, da Paulus mit den biblischen Schriften darin übereinstimmt: „sind doch seine (Gottes) Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich“ (Art. 4 mit dem weiteren Hinweis auf Röm 9,4-5).  Entscheidend für dieses Bekenntnis des Papstes waren auch hier die Vorarbeiten von jüdischen Theologen, christlichen Exegeten und christlich-jüdischen Organisationen.

Was die Berufung der konziliaren Erklärung zum erneuerten Verhältnis der katholischen Kirche zu den Juden auf Röm 9-11 und vor allem 11,28f betrifft, gab es vom ersten Entwurf der Grundsatzstudie an heftige Diskussionen. Vor allem der Rekurs auf eine einzige Theologie im Neuen Testament zum Verhältnis von Christen und Juden war manchen Bischöfen der Kritik bedürftig, die andere „klassische Schriftstellen“ für gegenteilige Meinungen anführten. 10

Nicht anders erging es Papst Johannes Paul II. mit seiner Wendung vom „Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes“. Vor allem die Wiederholung im Schuldbekenntnis in der großen Liturgie vom ersten Fastensonntag am 12. März 2000 im Petersdom in Rom im Beisein aller leitenden Kardinäle des Vatikans, erst recht die Hinterlegung der Vergebungsbitte beim Israel-Besuch vom 21. bis 26. März in der Westmauer des Herodianischen Tempels, wurde auch von Juden zu Recht als theologisch eindeutiges Bekenntnis und als nicht zu überbietende, unzweideutige Geste gedeutet. „Es hat um dieses päpstliche Wort, das sich besonders auf Römer 9-11 stützte, in römischen Kreisen eine Diskussion darüber gegeben, ob die päpstliche Position vom Neuen Testament gedeckt sei. Hochrangige Bibelwissenschaftler und Prälaten wandten ein, darin seien wichtige Aussagen etwa im Hebräerbrief (Hebr 8) oder im zweiten Korintherbrief (2 Kor 3) zu wenig bedacht. Diese Bedenken haben Johannes Paul II. nicht von seiner theologischen Linie abdrängen können. Vielmehr hat er seine Position bei weiteren Begegnungen mit Repräsentanten jüdischer Gemeinschaften wiederholt und bekräftigt.“ 11 

Solche Kritik fordert Exegeten nicht nur zu einer kritisch-theologischen Auslegung der genannten Stellen und zu ihrem Vergleich im Kontext des Neuen Testamentes heraus, 12  sondern erfordert auch eine hermeneutische Reflexion, wie berechtigt überhaupt die Berufung auf ein einziges Konzept neutestamentlicher Theologie innerhalb der Vielfalt des Neuen Testaments ist. Ist das nicht Biblizismus? Dennoch ist der Rekurs auf die Einbindung Jesu in die Geschichte seines Volkes sowie die Einbindung seiner Verkündigung und die der neutestamentlichen Deutungen in die lange Glaubensgeschichte der Juden durch einen Papst einzigartig.

Anders als der Ansatz Johannes Pauls II. bei Jesus dem Juden, seiner Einbindung in jüdische Frömmigkeit und Theologie (Letzteres gilt auch für die Theologie des Paulus) ist bekanntlich der theologische Ausgangspunkt von Papst Benedikt XVI. Der Öffentlichkeit bekannt wurde sie durch seine Vorlesung als Papst am 12. September 2006 in Regensburg. 13  Zwar erregte sie vor allem durch das ökumenisch unkluge Zitat aus dem Ende des 14. Jahrhunderts zur Verbreitung des Islam durch das Schwert viel Kritik, hermeneutisch für unsere Frage ist jedoch entscheidend seine These zur christlichen Theologie als einer „Synthese von Griechischem und Christlichem“, wobei diese durchaus berechtigte, für eine bestimmte Epoche zutreffende Feststellung dahingehend gedeutet wird, „daß das [durch die griechische Philosophie: H.F.] gereinigte Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört“, zu seinem „inneren Wesen“. Entsprechend sieht Papst Benedikt XVI.  in den vergangenen Jahrhunderten „drei Wellen des Enthellenisierungsprogramms“ als Abfallbewegungen: die Reformation im 16. Jahrhundert (gedacht ist wohl an den starken Rückgriff auf die Bibel, vor allem auf ihren hebräischen ersten Teil), die Aufklärung (in deren Folge sich die historisch-kritische Exegese entwickelte) und die liberale Theologie im 19. und 20. Jahrhundert (mit dem Erstarken der Religionswissenschaft, inklusive der Judaistik). Durch diesen Kontext sieht Papst Benedikt XVI. die Besinnung auf Jesus, „die zur Zeit“ umgeht, 14  auch der katholischen Neutestamentler bestimmt und daher kritisch.

Diesen Vorbehalt zum geschichtlichen Verständnis theologischer d. h. auch biblischer Texte ist in seinem theologisch systematischen Ansatz begründet, wie bereits seine Habilitationsschrift zu Bonaventura belegt. Zur geistlichen Schriftlesung kann der Mensch „nicht von sich aus kommen, sondern nur durch diejenigen, denen Gott es geoffenbart hat, d.h. durch die Schriften der Heiligen wie Augustinus, Hieronymus und anderer. […] Das geistliche Verständnis hat bereits seine verbindlichen Regeln, ja Inhalte, empfangen in den Schriften der Väter. Ihnen wurde dieses von Menschen allein nicht erreichbare Verständnis ein für allemal ‚geoffenbart‘“, so dass Offenbarung „als einmalig-abgegrenzte und objektivierte Wirklichkeit“ gefasst werden kann, „die ihre schriftliche Fixierung in den die Schrift auslegenden Werken der Väter gefunden hat.“ 15 

Diese These von 1959 ist die hermeneutische Konstante im Denken von Papst Benedikt XVI., wie etwa ein Beitrag zum Thema „Variationen zum Thema Glaube, Religion und Kultur“  aus dem Jahre 2003 belegt: „Das Auszeichnende der griechischen Philosophie war es, dass sie sich nicht mit den überlieferten Religionen und nicht mit den Bildern des Mythos begnügte, sondern in allem Ernst die Frage nach der Wahrheit stellte. Und so kann man an dieser Stelle vielleicht doch den Finger der Vorsehung erkennen – warum die Begegnung mit dem Glauben der Bibel und der griechischen Philosophie wahrhaft ‚providentiell‘ gewesen ist.“ 16 

Diese Synthese ist für Papst Benedikt folglich das Maß aller theologischen Dinge und die hermeneutische Brille, etwa in zwei Jesus-Büchern  über den „wirklichen“ und „historischen“ Jesus zu meditieren. Dieser Ansatz bedingt auch seine Skepsis nicht nur gegen jede Art der historisch-kritischen Exegese, sondern auch gegen alle Formen der soziopolitischen Verortung von Theologie (erinnert sei an sein Verhältnis zur Theologie der Befreiung). Auch seine Vorliebe für die Tridentinische Messe mit der Bitte um die Bekehrung der Juden17  ist letztlich in dieser Hermeneutik der „hohen“ Theologie und Christologie begründet, ohne dass man ihm vorwerfen kann, er verträte zugleich den bekannten Antijudaismus der Kirchenväter. Die platonisch-systematische, daher für geschichtliche und gesellschaftlich-soziologische Aspekte unsensible Theologie lässt es auch an Empathie mit den heute lebenden Juden fehlen: Die nicht nur Juden irritierende Aufhebung der Exkommunikation schismatischer Bischöfe der Pius-Bruderschaft, die bis heute wichtige Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnen und eine eindeutig antijüdische Theologie vertreten, kann wohl nicht anders gedeutet werden. Für Papst Benedikt ist die jüdische Religion (belegt im Alten Testament) nur die historische Wurzel des christlichen Glaubens, die erst durch die Christologie – und dies in der Deutung der Kirchenväter – Heilsbedeutung erhält; einen theologischen Eigenwert hat sie nicht. Zwar wurden unter seinem Vorsitz wichtige Schreiben zum jüdisch-christlichen Verhältnis wie das von 2001 zum Thema „Das jüdische Volk und seine heilige Schrift in der christlichen Bibel“ veröffentlicht, durch sein Vorwort werden zugleich aber wichtige hermeneutische und im christlich-jüdischen Gespräch oft zitierte Positionen wie die von der gleichberechtigten Lektüre des ersten Teils der Bibel durch Juden und Christen (Art. 22) relativiert. 18 

Erstaunlich ist auch, dass und in welcher Weise die in den kirchlichen Sprachgebrauch von Papst Johannes Paul II. eingeführte Metapher von den Juden als unseren „älteren“ bzw. „bevorzugten Brüdern im Glauben“  aufgenommen und umgedeutet wird. Im nachsynodalen apostolischen Schreiben „Verbum domini“ vom 30. September 2010 heißt es in Nr. 43: „Papst Johannes Paul II. hat zu den Juden gesagt: Ihr seid ‚unsere ´bevorzugten Brüder` im Glauben Abrahams, unseres Patriarchen‘. Natürlich bedeuten diese Worte keine Absage an den Bruch, von dem das Neue Testament in Bezug auf die Institutionen  des Alten Testamentes spricht, und erst recht nicht an die Erfüllung der Schriften im Geheimnis Jesu Christi, der als Messias und Sohn Gottes erkannt wird. Dieser tiefe und radikale Unterschied beinhaltet jedoch keineswegs eine gegenseitige Feindschaft.“ 19  Mit den Kirchenvätern wird das Verhältnis von Altem und Neuen Testament als „Erfüllung“ gedeutet, dieser Begriff enthalte aber eine dreifache Dimension: „den grundlegenden Aspekt der Kontinuität mit der Offenbarung des Alten Testaments, einen Aspekt des Bruches sowie einen Aspekt der Erfüllung und Überwindung20  – im Unterschied zu der Erklärung von 2001 (Nr. 64-65).

Wie hören Juden einen Satz wie „Jesus ist im Glauben der Christen die Tora in Person“ 21 ? In den Evangelien ist Jesus Lehrer der Tora, nach Röm 10,4 ist „Christus Ende“ bzw. „Ziel des Gesetzes“, keinesfalls mit ihm personal identisch. Die allgemeine jüdische Glaubensüberzeugung zur eigenen Identität lautet: „Die Juden wissen [von Gott] und dienen ihm durch die Tora und die jüdische Tradition“ 22 . Wem dient der im gesamten Neuen Testament unbekannte neue christologische Hoheitstitel? Es dürfte nicht unangemessen sein, ihn im Sinne der alten, überwunden geglaubten Substitutionstheorie zu lesen, die auch nach Überzeugung der Gegner der Israel-Theologie Johannes Pauls II. im Hebräerbrief belegt ist.

Die wichtigsten Stellen zur Tora und zum Bund, auf die sie sich berufen,  lauten: „Das frühere Gesetz wird nämlich aufgehoben, weil es schwach und nutzlos war“ (7,18) und: „Indem er [der Prophet Jeremia in 31,31-34 LXX] von einem neuen Bund spricht, hat er den ersten für veraltet erklärt. Was aber veraltet und überlebt ist, das ist dem Untergang nahe“ (8,13 nach dem längsten Zitat im NT in den Versen 8,8-12 aus Jer 31,31-34 LXX).

Was sagen die Exegeten? Stimmen sie dieser Deutung zu? In den vergangenen Jahren hat sich die hermeneutische Sicht auf den Hebräerbrief deutlich gewandelt, woran auch der Geehrte maßgeblich beteiligt war.



Hubert Frankemölle


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3. Aufgaben der Exegeten

Dass historisch-kritische Auslegung nur als theologische Auslegung zu verantworten ist, hat der Geehrte vielfach bewiesen, wie seine Bibliographie bestätigt.

Als Aufgabe der Exegeten kann man nach der historisch-kritischen Auslegung zu Recht mit ihm auch die Erschließung neutestamentlicher Texte für heutige Prediger angeben. Exemplarisch schreibt er zum Hebräerbrief:  Er „unterscheidet sich im Hinblick auf die Predigt von anderen Texten des Neuen Testaments. Er erscheint auf der einen Seite in der Denkweise eher fremder als andere Predigttexte, er ist aber auf der anderen Seite in der Grundorientierung den heutigen Problemen der Predigt erstaunlich nahe. Er weiß um die Barrieren bei den Hörern, die nur schwer zu überwinden sind. Er weiß aber auch um solche, die eigentlich Lehrer sein müssten, aber über die Anfangsrede nicht hinausgekommen sind und sich damit begnügen, Elementares immer wieder neu zu sagen.“ 23  Aufgrund der hohen spekulativen, vom (Mittel-)Platonismus beeinflussten Theologie seines Verfassers – insofern bietet der Text in der Tat „nicht Milch, sondern feste Speise“ (5,12) – “kann es deshalb nicht verwundern, dass dieses Schreiben vor aller konkreten Predigtarbeit zunächst einmal die Prediger anzusprechen und auf ihr Tun hin zu befragen scheint.“ 24  Auch wenn in der Regel bei der Frage nach den Adressaten dieser „Mahnrede“ (13,22) allgemein Christen, die in ihrer Identität verunsichert sind, angenommen werden, 25  deute ich diesen homiletischen Hinweis auch exegetisch auf zukünftige Prediger und Lehrer und nehme diese als Primärhörer an (vgl. 5,12: „der Zeit nach müsstet ihr schon Lehrer sein“). Entscheidend für mich ist die hohe Ebene der schriftgelehrten und philosophischen Reflexion zur soteriologischen Bedeutung des Heilswerkes Jesu Christi in Inkarnation und Sterben.

Im Hebräerbrief sind philosophisch Gebildete der damaligen Zeit angesprochen, deren Adressaten mit denen der Texte Philos von Alexandrien zu vergleichen sind; auf diese Parallelen wird in der Literatur durchgehend hingewiesen. Hier wie dort findet sich die vom Platonismus beeinflusste Überzeugung, dass die gegenwärtige Welt nicht nur vergänglich, sondern auch als „Abbild“ und „Schatten“ nicht die eigentliche Wohnstätte der Gläubigen ist (vgl. 8,5; 9,23f; 10,1; 13,14 mit Philo, conf 77f.82; her 82; Cher 120f). In der Tat kann man aufgrund der analogen Verwendung von antithetischen Typologien (vgl. Philo, All II 54-56; III 46; Mos II 117; Spec I 84; ebr 99) von einer „Aufnahme alexandrinisch-dualistischer Kategorien“ sprechen, auch wenn sie das „horizontal-eschatologische Denken“ nicht verdrängen. 26  Dies bestätigt allein schon das Stichwort „Verheißung“ in 6,12.15.17; 7,6; 8,6; 9,15; 10,36; 11,9ab.13.17.33.39, die ihre Erfüllung in Jesus Christus findet. In 6,13; 10,23 und 11,11 wird Gott sogar mit der partizipialen Gottesprädikation als „der Verheißende“ definiert.

Dieser kurze Hinweis auf einen Forschungsschwerpunkt des Geehrten mag als Beispiel einer „hohen“ Christologie im Neuen Testament genügen, da im Hebräerbrief in einer schriftgelehrten Typologie zu Melchisedek als „Hoherpriester“ 27  Jesus Christus als ewiger Sohn Gottes und „Hoherpriester“ diesen ersetzt. Mechisedek ist nach dem Hebräerbrief nicht, wie heute im interreligiösen Gespräch oft zitiert wird, „Urgestalt der Ökumene“ 28 , vielmehr gilt: Die christozentrische Fokussierung der vom Verfasser „entfalteten Soteriologie lässt keinen Raum für nicht auf Christus gegründete Heilswege.“ 29  Auf den Kult bezogen bedeutet dies: „Der Zugang zu Gott wird nicht irgendwie durch jeden Ritus eröffnet, sondern nur durch Jesus Christus selbst.“ 30  Damit ist der Heilsweg für Juden, solange sie Juden bleiben, ausgeschlossen.

Diese theologische Position ist in seiner absoluten Formulierung natürlich keine Basis für ein christlich-jüdisches Gespräch. Sie steht im fundamentalen Gegensatz zu Röm 9-11 oder zu anderen Deutungen der Geschichte und des Todes Jesu. Hatten der Evangelist Markus31  und nach meiner Überzeugung auch Paulus32  zum Beispiel den auch religiös skandalösen Tod Jesu am Kreuz durch die Römer vor allem mit Hilfe von Psalmen und von der biblisch und frühjüdisch vorgegebenen Paschatradition her gedeutet, so deutet der Verfasser des Hebräerbriefes umgekehrt vom Heilstod Jesu als des eigentlichen Hohenpriesters die biblischen Offenbarungen. Er vertritt ein Evangelium gegen das Evangelium der heiligen Schriften. Die über dreißig antithetischen Typologien im Hebräerbrief (Jesus – Mose, Jesus – Engel, Jesus – Melchisedek, Jesus – Leviten …) belegen diesen hermeneutischen Perspektivenwechsel. Dass der Verfasser bei seinem Versuch, die Identität der Adressaten zu stabilisieren, das zeitgenössische Judentum nicht erwähnt, ist hermeneutisch nicht harmlos. Kann die säuberliche Trennung: „Statt um die polemische Herabsetzung des Jüdischen geht es dem Verfasser um die theologische Relativierung des Irdischen“ 33  das konkrete Verhältnis zu den zeitgenössischen Juden ausschließen? Wenn gilt: Der Hebräerbrief „formuliert keine zeitenthobene Theologie Israels, sondern versucht ein ihm situativ so und nicht anders vorgegebenes Problem christlicher Identitätsbestimmung theologisch zu bewältigen,“ 34  so stellt sich die Frage, ob dies im luftleeren Raum geschehen kann oder ob dies nicht, ob man will oder nicht, auf Kosten anderer geschieht – gerade aufgrund der gewählten literarischen Gattung „Mahnrede“.

Der These, der Hebräerbrief ist „exegetisch erweislich keine antijudaistische Schrift  […], versteht man unter ‚Antijudaismus‘ eine solche literarische Äußerung, die textpragmatisch auf eine polemisch-apologetische Depotenzierung Israels – präziser: bestimmter jüdischer Gruppierungen oder religiöser und ethischer Geltungsansprüche dieser Gruppierungen – zielt“, 35  widersprechen in meiner Lesart Stellen wie 8,7-13 (mit einem Zitat von Jer 38,31-34 LXX) zur Ablösung des „ersten Bundes“ oder 7,18, demzufolge „das frühere Gesetz aufgehoben wurde, weil es schwach und nutzlos war.“ Mag die Intention des Autors unpolemisch sein wollen, so stellt sich doch die Frage, ob an diesen und anderen Stellen die Adressaten – nicht nur heute – dies nur als Relativierung der irdischen Wirklichkeit deuten (können) oder doch nicht als eine „Depotenzierung“ jüdischer Identität erschließen (müssen). Auch wenn man in jüngster Zeit unter Exegeten dazu neigt, dass der Hebräerbrief „auch nicht hintergründig einer wie auch immer gearteten Ablehnung der Juden das Wort redet“, 36  da er sich nicht an jüdische Adressaten richtet, es ihm vielmehr um eine schrifttheologisch begründete „Mahnrede“ zur christlichen Identitätsstärkung gehe, bleibt die Frage, ob er dies aus einer Position der überlegenen Stärke tut, wie sie sich im Laufe der langen, sehr unterschiedlich verlaufenen Trennungsprozesse im Judentum des 1. und 2. Jahrhunderts feststellen lässt. 37 

Ist überhaupt christliches Reden über den Glauben möglich ohne Nennung der jüdischen „Wurzeln“ und der Überzeugungen der „älteren Brüder“? Wie jedes Sprechen und Schreiben nur im kommunikativen Handlungsmodell verstanden werden kann, so gehört erst recht zu jedem Bekenntnis die interreligiöse Interdependenz. Für das christlich-jüdische Gespräch scheint mir diese Sensibilität nicht erst seit „Auschwitz“ unabdingbar zu sein. Was der Verzicht in der jahrhundertelangen „Zergegnungsgeschichte“ an theologischem Antijudaismus und Juden eliminierendem Antisemitismus ausgelöst hat, ist bekannt. Daraus ergeben sich hermeneutische Thesen für christlich-theologisches Sprechen – im Neuen Testament und heute, erst recht im christlich-jüdischen Dialog: für Päpste, wissenschaftliche Theologen, Prediger und allgemein für Christen. Im Hinblick auf den begrenzten Umfang können sie nur stichwortartig angedeutet werden.



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4. Hermeneutische Thesen

4.1.
Nimmt man nicht die spätere pharisäisch, immer stärker normativ gewordene Richtung jüdischen Glaubens zum hermeneutischen Maßstab, sondern das vielgestaltige hebräisch-aramäische und griechische Judentum, sind die im Neuen Testament belegten Denkmodelle auch der „hohen“ Christologie ohne Ausnahme jüdisch. Religionswissenschaftlich arbeitende jüdische Gelehrte können dies in aller Klarheit formulieren: „Jesu Lehre war jüdisch und das gleiche gilt für die Christologie und alle ihre Bestandteile. […] Die gesamte Christologie ist ein erhabener Ausdruck der Tendenz im Judentum zur Zeit des zweiten Gemeinwesens (des zweiten Tempels)“. 38  Ein normatives Judentum existierte noch nicht; konservative und reformorientierte Glaubensrichtungen (zu letzteren gehörten die Jesusanhänger) standen nebeneinander. Folglich stand jüdischer Glaube gegen jüdischen Glauben. 

4.2 Alle neutestamentlichen Texte sind Bekenntnisse. Sie enthalten Zeugnisse eines neuen jüdischen Glaubens, begründet in den Überzeugungen ihrer Verfasser – gerichtet an bestimmte Adressaten, um sie zum eigenen Glaubensweg zu führen. Die Vielfalt der Konzeptionen (nicht nur in den vier Evangelien) und Denkmodelle ist begründet in der Vielfalt der Lebenswelt der Adressaten und ihrer sprachlichen Voraussetzungen. 39  An den paulinischen Briefen kann man studieren, wie ein und derselbe Autor unterschiedliche Akzente setzt und ihm vorgegebene Traditionen ständig aktualisiert. 40  Eine systematische Theologie und systematische Lehraussagen entwirft kein Verfasser.  Die ab den 1950-ger Jahren unter Exegeten aufgebrochene Diskussion um den „Kanon im Kanon“ oder um die „Mitte der Schrift“ litt unter einer systemischen innertextlichen Hermeneutik. 41   

4.3 Aktualisierung bedeutet in der Bibel sowie im frühen Judentum (auch in Qumran) keine Kommentierung bzw. Auslegung der Texte (wie in der historisch-kritischen Exegese angestrebt), sondern Fortschreibung und Transformation – oft auch gegen den vorgegebenen, hier und da sogar zitierten Text, wie die abgeänderten Zitate von Ps 143,2 LXX in Röm 3,20 oder von Hab 2,4 in Röm 1,17 exemplarisch belegen können. 42  Diese Hermeneutik gilt auch für die Verfasser der Texte auf den ersten Konzilien. Nicht einmal der jüngere Teil der heiligen Schriften, das Neue Testament, wurde als maßgebend angesehen, wie aus der Diskussion mit den Arianern zu ersehen ist, denen „mit Schriftargumenten einfach nicht beizukommen war“. 43  Die Zuversicht der Kirchenväter, „zu wissen, was ‚schriftgemäß‘ sei und der ‚Glaubensregel‘ entspreche“, kann man „teilweise“ nur mit „naiv“ bezeichnen. 44 

4.4 Die Reflexion bzw. Relektüre des Glaubens mittels neuer Denkmodelle aus der Umwelt gehört zur geschichtlichen Einbettung der biblischen Texte. Die weisheitstheologische Literatur aus hellenistischer Zeit im Alten und Neuen Testament (etwa im Buch der Sprüche, in Jesus Sirach oder im Jakobusbrief) bestätigt diese Erkenntnis nicht weniger als die nachneutestamentlichen Reflexionen der Kirchenväter oder die dogmatischen Entscheidungen der ersten Konzilien mittels platonischer Philosophie. Die „Höhe“ und Abstraktheit der Gedanken ist nicht entscheidend und wird solange nicht gnostisch genannt werden können, wie der Bezug zum Grundbekenntnis Israels (Inhalt ist der als Handeln Gottes gedeutete Auszug aus Ägypten und die Offenbarung seiner Tora am Sinai) oder der Bezug zum erweiterten Grundbekenntnis des Christentums (der Glaube an das neue Handeln Gottes in Jesus von Nazareth) festgehalten wird.

Es existieren in der Bibel verschiedene theologisch gleichberechtigte Deutungen, mag man auf dieser geschichtlichen Basis stärker Anfang, Verlauf oder Ende der Geschichte reflektieren oder rituelle Praktiken und ethische Praxis. Gott ist in jedem Fall die Mitte der Schrift im Alten und Neuen Testament, für den spezifisch christlichen Glauben gebunden an seine Geschichte mit dem irdischen Jesus. Diese wird mit allen verfügbaren, jüdisch vorgegebenen Konzepten gedeutet, weniger mit nichtjüdischen. Wer die für christlichen Glauben einzigartige Verbindung von Gott und geschichtlichem Jesus bzw. gemäß 1 Joh 4,3 (varia lectio) wer „Jesus auflöst/außer Geltung setzt, ist nicht aus Gott.“ 

4.5 Christliche Glaubens- und Dogmengeschichte ist durch Jahrhunderte hindurch immer stärker „durch einen zunehmenden Verlust an geschichtlichem Realitätsbezug“ gekennzeichnet. „Die Lehre von Gott und von der Dreifaltigkeit wurde dargestellt noch vor jedem Bezug auf Schöpfung, Menschwerdung, Einwohnung und Heiligung, als ein Thema, das von der Offenbarungsgeschichte nicht mehr affiziert wurde.“ 45 

Für ein erneuertes, christlich-jüdisches Verhältnis hat entsprechend hermeneutisch zu gelten, „daß der einzige Ort einer sinnvollen gegenseitigen Verständigung nur die Offenbarungsgeschichte sein kann. Auf diesem Boden hat die jüdische Gotteslehre sich in eine spannungsvolle Beziehungsoffenheit Gottes hinaus gewagt; von diesem Boden aus ist aber auch die christliche Trinitätslehre zuerst als offenbarungs- und heilsgeschichtliche Trinitätslehre entwickelt worden. Nachdem sie sich verhängnisvollerweise in eine nur noch innergöttliche Spekulation einschloß, entfiel der gemeinsame Ort der Offenbarungsgeschichte. So gilt es, diesen gemeinsamen Ort wieder aufzusuchen, auf dem auch weitgehend die gemeinsame Sprach- und Symboltradition angesiedelt ist, mit der das Judentum schon von Gottes Lebendigkeit gesprochen hat, mit der das Christentum immer noch von Gottes Einheit sprechen muß. Die Herkunft der christlichen trinita-rischen Symbole und Begriffe aus der jüdischen Reflexion über Gottes geschichtliche Präsenz [...] stellt mehr als einen bloß religions- und theologiegeschichtlichen Zusammenhang dar, sondern führt in einen gemeinsamen Erfahrungsraum zurück.“ 46 

An dieser Hermeneutik sind auch neutestamentliche Christologien zu prüfen, ob und inwieweit sie den im Glauben bezeugten Bezug zu Gottes Handeln in Schöpfung und Geschichte sowie in Jesus von Nazareth festhalten oder ihn verdrängen bzw. inwieweit sie den theologischen Eigenwert der jüdischen heiligen Schriften in Hebräisch und Griechisch bezeugen oder ablehnen. 47  Das Verhältnis ist von Text zu Text sehr differenziert. Entscheidend ist, ob sie für heutige Christen in ihrer sehr komplizierten und unterschiedlichen Lebenssituationen weltweit die Wirklichkeit erschließen und so überhaupt Glauben ermöglichen. Der Aufruf zu echtem christlichen Leben in Hebr 13,1-19 zum Lobpreis Gottes und zum solidarischen Tun bleibt aktuell und ist in die Gegenwart zu transformieren. Ohne Rezeption und Aneignung durch neue Adressaten bleibt jedes theologische Konzept unwirksam. Was die Rezeption nach der Schoa betrifft, erwies sich Röm 9-11 als ökumene- und lebensfördernd und sollte maßgebendes Modell sein, das wert ist, theologisch weiterentwickelt zu werden.   

Ob dies auch für „König und Priester“ als christologische Hoheitstitel gilt (denkt man an den Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel und an seine kritischen Worte gegen einseitige Tempelfrömmigkeit), sei dahingestellt. Immerhin konnte das 1925 von Papst Pius XI. eingeführte Christkönigsfest für die Katholiken sehr wohl in der NS-Zeit gegen den totalen Machtanspruch des Faschismus glaubensstärkend sein. Ähnliche Worte sind im Neuen Testament gegen politische Davids-Erwartungen im Judentum und gegen imperiale, absolute Ansprüche der römischen Kaiser im frühen Christentum belegt. Diese kommunikative Sprachhandlung als Kontext bestimmt ihre Wahrheit; systematische Lehraussagen sind sie nicht. 

4.6 Jüdische Theologen (von den einfachen jüdischen Gläubigen ganz zu schweigen) mögen nicht daran interessiert sein, wie „hoch“ die christlichen Kirchen ihren christologischen Glauben ansetzen und mit welchen auch philosophischen Kategorien sie ihn deuten. Jedoch: Immer bleibt entscheidend, welchen Absolutheitsanspruch diese damit erheben, das heißt, ob dies auf Kosten des jüdischen Glaubens geschieht und ob damit der eigene jüdische Glaube theologisch – wie in der Karfreitagsfürbitte – abgewertet wird. Christologie im Sinne der Kirchenväter in der Beschränkung auf innerchristliche Reflexionen muss nicht antijüdisch sein, steht aber immer im Verdacht, aus einer absoluten Zusage im Glauben zu Jesus einen Absolutheitsanspruch des Christentums zu machen.

Innerchristlich ist aufgrund des hermeneutischen Prinzips „Schrift und  Tradition“ bei der Transformation christlichen Glaubens der Bezug zur Offenbarungsgeschichte zu wahren – gründend in Jesus Christus und in Gottes Handeln durch ihn und an ihm. Exegese ist daher immer eine historische Theologie im Dienst für andere theologische Fächer und für das Lehramt, ihr Gegenstand, die Geschichte und die historisch-theologischen Deutungen in der Bibel sind in ihrer Vielfalt bleibender Maßstab.

Was Johannes Paul II. im Kontext der schwierigen Aufarbeitung der Schuld der katholischen Kirche bei der Vernichtung der Juden in der Schoa am 1. September 1999 bei der Generalaudienz formulierte, gilt für die Theologie insgesamt: „Die Kirche fürchtet gewiss nicht die Wahrheit, die aus der Geschichte kommt, und ist bereit, Fehler anzuerkennen, wo diese festgestellt sind, vor allem, wenn es um die den Personen und Gemeinschaften geschuldete Achtung geht.“ 48



ANMERKUNGEN



1   Zur vielgestaltigen Wahrnehmung Jesu im Judentum vgl. den Überblick von Homolka, W., Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung, Berlin 2009; aus christlich-judaistischer Perspektive vgl. etwa Kampling, R., Jesus von Nazaret in jüdischer Sicht, in: ThGl 91 (2001) 390-408. 
2   Vgl. etwa die Überschrift „Auch das Trennende gehört in den Dialog: Jesus Christus“ in der Erklärung von Juden und Christen des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Juden und Christen in Deutschland, Bonn 2005, 19-21; vgl. auch die US-amerikanische jüdische Erklärung „Dabru emet“ von 2000, These 6. Dazu: Frankemölle, H. (Hg.), Juden und Christen im Gespräch über „Dabru emet – Redet Wahrheit“, Paderborn / Frankfurt 2005, 42.131-153 oder die erste der zwölf Berliner Thesen in der jüdisch-christlichen Erklärung „Zeit zur Neu-Verpflichtung. Christlich-jüdischer Dialog 70 Jahre nach Kriegsbeginn und Shoa“, Sankt Augustin / Berlin 2009, 17.
3   Zum Hebr etwa bestätigt dies seine antijüdische Rezeption durch den Barnabasbrief, durch Justin, Tertullian, Irenäus oder Origenes; an Konzilien sind zu nennen die Judendekrete des Vierten Laterankonzils (1215) sowie der Konzilien von Basel (1434) und Florenz (1442).
4   Fachwissenschaftlich sind sie geprägt von tiefschürfenden Untersuchungen zu ältesten Traditionen in der Logienquelle, zu den Überlieferungen der Passion Jesu und zur „hohen“ Christologie des Hebräerbriefes, pastoraltheologisch nicht weniger durch Transformationen ntl Themen für Predigten sowie für die Schriftlesung von Erwachsenen und Kindern heute, sodann sogar durch eigene Texte für geistliche Lieder und Oratorien. Die Veröffentlichungen belegen, dass der Geehrte in jeder Hinsicht ein Ausnahmeexeget ist, wobei nicht nur an seine „Büttenpredigten“ gedacht ist.
5   Zum Text vgl. Rendtorff, R. / Henrix, H.H. (Hg.), Die Kirchen und das Judentum I, Paderborn / München 1988, 98f. Dieser und der Folgeband hg. von Henrix, H.H. / Kraus, W., werden in diesem Beitrag zitiert als KJ I bzw. II.  Die Dokumente seit 2000 erscheinen als digitale Version hg. von Henrix, H.H. / Boschki, R.
6   KJ II 109. Zur Rezeption weiterer bibeltheologischer Erkenntnisse durch Papst Johannes Paul II. vgl. Frankemölle, H., Die Bedeutung der Christologie im christlich-jüdischen Dialog. Bibeltheologische (und päpstliche) Impulse, in: Diak 33 (2002) 105-113; zu einer systematischen Deutung. vgl. Henrix, H.H., Johannes Paul II. – Ein großer Freund des jüdischen Volkes, in: Ders., Zuspruch aus fremden Quellen. Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Judentum und Christentum, Kevelaer 2012, 88-101.
7   Genauer müsste man angesichts der Vielfalt des damaligen Judentums vom obergaliläischen Judentum sprechen. Zur Begründung vgl. zuletzt die Überblicke von März, C.P., Jesus. Sein Weg, seine Botschaft, seine Zeit, Leipzig 2007; Ebner, M. Jesus von Nazaret, Stuttgart 2007; Frankemölle, H., Das jüdische Neue Testament und der christliche Glaube, Stuttgart 2009, 35-118; Strotmann, A., Der historische Jesus: eine Einführung, Paderborn 2012.
8   Zur Begründung vgl. Kampling, R., „… eine Erfahrung, die ich heute noch in mir trage …“ Die Israel-Theologie des Papstes Johannes Paul II. Ein Versuch, in: Ders., Im Angesicht Israels. Studien zum historischen und theologischen Verhältnis von Kirche und Israel, Stuttgart 2002, 261-271.
9   Vgl. etwa KJ I 75f; II 108.154.161.
10   Zur äußerst umstrittenen (auch innerhalb des Vatikans) und langwierigen Entstehung der Erklärung vgl. Oesterreicher, J., Kommentierende Einleitung, in: LThK. Das Zweite Vatikanische Konzil II, Freiburg 1967, 406-478; zu den Auseinandersetzungen theologischer Art vgl. ebd. 422.426.440-447; zu einer theologischen Analyse vgl. Siebenrock, R.A., Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate, in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil III, hg. v. Hünermann, P. / Hilberath, B.-J., Freiburg 2005, 591-693. 
11   Henrix, Johannes Paul II. (s. Anm. 6) 92 mit Belegen.
12   Zur eigenen Deutung im gegenteiligen Sinn von 2 Kor 3 vgl. Frankemölle, H.,  Die paulinische Theologie im Kontext der heiligen Schriften Israels. „So viele Verheißungen Gottes, in ihm ist das Ja“ (2 Kor 1,20), in: Ders., Studien zum jüdischen Kontext neutestamentlicher Theologien (SBA 37), Stuttgart 2005, 199-225.
13   Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. September 2006, 8.
14   Zur Deutung dieses Konzepts und sonstiger damit übereinstimmender Äußerungen und Handlungen des Papstes nach zweijähriger Amtszeit vgl. Frankemölle, H., Quo vadis, Benedicte? Theologische Prinzipien des Papstes und ihre kirchlichen Folgen, in: Compass-Infodienst. Online-Extra Nr. 57 vom September 2007 (abrufbar unter: http://www.compass-infodienst.de/Hubert_Frankemoelle__Quo_vadis__Benedicte.3872.0.html).
15   Ratzinger, J., Offenbarungsverständnis und Geschichtstheologie Bonaventuras. Habilitationsschrift und Bonaventura-Studien, Freiburg 2009, 536f.
16   Ratzinger, J. Kardinal, Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg 2003, 66-90, ebd. 78; dieses Kapitel wurde für das Buch neu verfasst; vgl. ebd. 46 Anm. 45.
17   Zu kritischen Stellungnamen vgl. Homolka, W. / Zenger, E. „… damit sie Jesus Christus erkennen“. Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden, Freiburg 2008 sowie die Erklärung des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen, Bonn 2009 sowie den umfangreichen Sammelband von Frankemölle, H. / Wohlmuth, J. (Hg.), Das Heil der Anderen. Problemfeld „Judenmission“ (QD 238), Freiburg 2010.
18   Bonn 2001; zum Vorwort vgl. ebd. 3-8; danach lieferte erst die werdende Kirche nach Festlegung des Kanons in Fortsetzung der Theologien von Matthäus und Paulus in Christus den „Deutungsschlüssel“ des AT (ebd. 5). Zu dieser These vgl. Frankemölle, H., Zur Auslegung des Neuen Testaments im Kontext des Judentums und die kirchliche Rezeption der Bibel heute, in: ThGl 101 (2011) 378-401.
19   Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini von Papst Benedikt XVI. über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche, Bonn 2010, 72.
20   Ebd. 69; vgl. Ders., Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart / München 2000, 17f: Das AT „bleibt […] ein unfertiges Fragment […], wenn es nicht ins Neue übergeht.“
21   Kardinal Ratzinger, J. / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg 2011, 108. Erstaunlicherweise wertet Henrix, H.H., Papst Benedikt XVI. und die Juden. Ein Verhältnis unter Argwohn – Zu Recht?, in: Ders., Zuspruch (s. Anm. 6), 18-34, ebd. 23 diese „fast titulare christologische Formel“ positiv. Insgesamt erscheint mir seine Skizze zu stark diplomatisch und zu wenig kritisch zu sein. So fehlt z.B. in seinem Beitrag von 2012 jeglicher Hinweis auf „Verbum domini“ vom September 2010 (s. Anm. 19).
22   So „Dabru emet“ (s. Anm. 2) These 6, in der es direkt vorher aus jüdischem Mund zu den Christen heißt: „Christen wissen von Gott und dienen ihm durch Jesus Christus und die christliche Tradition“. Durch den Satz Benedikts wird dieser Unterschied aufgehoben.
23   März, C.-P., Den Hebräerbrief  predigen. Exegetische Hinweise zur homiletischen Praxis, in: Ders., Studien zum Hebräerbrief (SBA 39),  Stuttgart 2005, 195-204, ebd. 204.
24   Ebd.
25   Zu den Einleitungsfragen vgl. etwa März, C-P., Hebräerbrief, Würzburg 1989 (NEB 16), 5-20. Ders., Studien (s. Anm. 23) 15-17. Zu einem Überblick über die kontroversen Thesen vgl. Kampling, R., Sich dem Rätsel nähern. Fragen zu den Einleitungsfragen des Hebräerbriefes, in: Ders. (Hg.), Ausharren in der Verheißung. Studien zum Hebräerbrief (SBS 204), Stuttgart 2005, 11-34.
26   März, Hebräerbrief (s. Anm. 25) 13.
27   Zur Christologie des Hebr vgl. etwa März, C.-P., Bibeltheologische Überlegungen zu den Melchisedek-Bezügen im Hebräerbrief, in: Ders., Studien (s. Anm. 23) 159-175 sowie Söding, Th., „Hoherpriester nach der Ordnung des Melchisedek“ (Hebr 5,10). Zur Christologie des Hebräerbriefes, in: Kampling, Ausharren (s. Anm. 25) 63-109; ebd. 85 lautet eine Unterüberschrift „Melchisedek – König und Priester“. Eine mit der Hohepriester-Theologie vergleichsweise entfaltete Königs-Theologie sehe ich im Hebr nicht.
28   Zur jüdisch-christlichen Deutung vgl. Petuchowski, J.J., Melchisedech. Urgestalt der Ökumene. Mit einem Nachwort von Franz Mußner, Freiburg 1979; zur Einbeziehung des Islam vgl. Bauschke, M., Der jüdisch-christlich-islamische Dialog, Norderstedt 2007.
29   März, Überlegungen (s. Anm. 27) 172 im Kontext der abschließenden hermeneutischen Überlegungen (ebd. 172-175).
30   Söding, Hoherpriester (s. Anm. 27) 108.
31   Zur Begründung vgl. die überzeugende Auslegung eines systematischen Theologen: Wohlmuth, J., Eucharistie als Feier des Bundes. Ein Versuch, das markinische Kelchwort zu verstehen, in: Theobald, M. / Hoppe, R. (Hg.), „Für alle Zeiten zur Erinnerung“ (Jos 4,7). Beiträge zu einer biblischen Gedächtniskultur. FS F. Mußner, Stuttgart 2006, 115-131, der ebd. 130 den Perspektivenwechsel im Hebr betont, in dem er „die Gefahr der Überlegenheit der christlichen Gemeinde gegenüber dem rabbinischen Judentum“ artikuliert sieht.
32   Zur Begründung vgl. Frankemölle, Auslegung (s. Anm. 18) 388-393 mit weiteren Literaturangaben; zum oft antijüdisch interpretierten Matthäusevangelium vgl. Ders., Jesus als Immanuel für Juden und Nichtjuden im Matthäusevangelium, in: Ders. / Wohlmuth, Heil der Anderen (s. Anm. 17) 235-261.
33   So Backhaus, K., Das wandernde Gotttesvolk – am Scheideweg. Der Hebräerbrief und Israel, in: Kampling, R. (Hg.), „… nun steht aber diese Sache im Evangelium …“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn 1999, 301-320, ebd. 312.
34   Backhaus, ebd. 319.
35   Backhaus, ebd.
36   Neben Backhaus ist für diese Deutung auch der Geehrte zu nennen: zum Zitat vgl. März, C.-P., Nachbarschaft im Glauben oder wachsende Distanz? Israel in der Sicht des Hebräerbriefs, in: Frankemölle / Wohlmut, Das Heil der Anderen (s. Anm. 17) 328-336, ebd. 335. Vgl. auch Theobald, M., Zwei Bünde und ein Gottesvolk. Die Bundestheologie des Hebräerbriefs im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs, in: ThQ 176 (1996) 309-325, der (wohl analog zur Konzeption in Röm 11,25-27) das „am Ende dieser Tage“ (Hebr 1,2) und  „Jesus als Anführer und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,2) auf die Endzeit deutet (ebd. 320-322).
37   Zu einem Überblick vgl. Frankemölle, H., Frühjudentum und Urchristentum. Vorgeschichte – Verlauf – Auswirkungen (4. Jahrhundert v.Chr. bis 4. Jahrhundert n.Chr.) (Kohlhammer Studienbücher Theologie 5), Stuttgart 2006, 222-369; zum Hebr ebd. 320-324.398f. 
38   So etwa Flusser, D., Das Schisma zwischen Judentum und Christentum, in: EvTh 40 (1980) 214-239, ebd. 216f; zu weiteren Stimmen von Leo Baeck, Jacob Neusner, Phillip Sigal vgl. Frankemölle, Neues Testament (s. Anm. 7) 19-22; ebd. 92-118 zur Vielfalt der Glaubensüberzeugungen der damaligen jüdischen Gruppen.
39   Zu Änderungen im atl  Gottesbild, in den Aussagen zur Schöpfung und zur Auferweckung im aramäischen und griechischen Judentum (als Voraussetzungen für die ntl Modelle) vgl. Frankemölle, Frühjudentum (s. Anm. 37) 128-221. Zur geschichtlich bedingten Vielfalt der ntl Konzeptionen (als Modell und Maßstab jeder Theologie) vgl. Theobald, M., Exegese als theologische Basiswissenschaft. Erwägungen zum interdisziplinären Selbstverständnis neutesta-mentlicher Exegese, in: JBTh 25 (2010) 105-139.
40   Zu Paulus vgl. zuletzt Theobald, M., „Geboren aus dem Samen Davids …“ (Röm 1,3). Wandlungen im paulinischen Christus-Bild?, in: ZNW 102 (2011) 235-260, der die Frage aufgrund der verschiedenen Adressaten bejaht und für den Röm eine judenchristliche Kontur in der Christologie vertritt (ebd. 258-260).
41   Zur Begründung vgl. Frankemölle, H., Schriftverständnis, Kanon, Mitte u.a., in: Handbuch theo-logischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt (2)2009, 42-48.264-266.321f. 
42   Zur christologischen Relektüre und zur typologischen Methode der Aneignung atl Stellen im Hebr vgl. Kowalski, B., Die Rezeption alttestamentlicher Theologie im Hebräerbrief, in: Kampling, Ausharren (s. Anm. 25) 35-62.
43   Sieben, H.J., Sola traditione? Zur Rolle der Heiligen Schrift auf den Konzilien der Alten Kirche, in: Schöllgen, G. / Scholten, C. (Hg.), Stimuli. Exegese und ihre Hermeneutik in Antike und Christentum. FS E. Dassmann (JAC 23), Münster 1996, 270-283, ebd. 282.
44   So Ritter, A.M., Ist die Dogmengeschichte Geschichte der Schriftauslegung?, in: Stimuli (s. Anm. 42) 1-17, ebd. 17.
45   Wiederkehr, D., Christusglaube und Glaube an den einen Gott. Zum Spannungsverhältnis zwischen Monotheismus und Trinitätslehre, in: Thoma, C. / Wyschogrod, M. (Hg.), Das Reden vom einen Gott bei Juden und Christen (JudChr 7), Bern 1984, 131-155, ebd. 132f.
46   Ders., Entfernungen – Annäherungen – Horizonte: Bewegungen eines Gesprächs um den einen Gott, in: Thoma / Wyschogrod, Reden (s. Anm. 44) 221-227 (Zusammenfassung eines jüdisch-christlichen Symposions zum Thema), ebd. 225.
47   Exemplarisch erinnert sei an die in den 1950-ger Jahren favorisierte doketisch-gnostische Deutung  der Christologie im Johannesevangelium und an die These eines hier vertretenen „naiven Doketismus“, dem zufolge Jesus als ein über die Erde schreitender Gott bezeugt werde; vgl. etwa Käsemann, E., Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen (3)1971. Zu Sinn und Grenzen mythischer Rede im NT vgl. Klauck, H.-J, „Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,24). Jüdische Weisheitsüberlieferungen im Neuen Testament, in: Ders., Alte Welt und neuer Glaube. Beiträge zur Religionsgeschichte, Forschungsgeschichte und Theologie des Neuen Testaments (NTOA 29), Freiburg 1994, 251-275, der ebd. 273f die „Bindung an die geschichtliche Person Jesu“ betont.
48   KJ II (s. Anm. 5) 129. – Diesen Zitathinweis verdanke ich einem Beitrag des Kirchenhistorikers Hubert Wolf, der eine analoge Hermeneutik zu der hier angedeuteten vertritt, wie ich nach Abschluss meines Manuskriptes feststelle; vgl Wolf, H., Es ging auch anders. Johannes Paul II. sagte: „Die Kirche fürchtet die Wahrheit nicht.“ Tut sie es doch? Jedenfalls wird es Zeit, dass sie sich bei Reformen an verdrängte Traditionen erinnert – und auf die Historiker hört, in: Süddeutsche Zeitung vom 14./15. August 2012, 10.



Der Autor

HUBERT FRANKEMÖLLE

Prof. em. Dr. theol.; katholischer Neutestamentler (1969-1979 in Münster, 1979-2004 in Paderborn). Von 2000 bis 2010 im Bundesvorstand des Deutschen Koordinierungsrates (DKR) der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit; seit 1997 Mitglied im Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), seit 2007 Mitglied der „Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum“ der Deutschen Bischofskonferenz. Zahlreiche Veröffentlichungen auch zu jüdisch-christlichen Themen.  


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