Hans Maaß rezensiert Jan Assmann: "Exodus"
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Nachfolgend lesen Sie einen Original-Beitrag des evangelischen Theologen Hans Maaß. Als Schuldekan und Kirchenrat war er über zwei Jahrzehnte im Evang. Oberkirchenrat Karlsruhe für alle Fragen zuständig, die den Religionsunterricht an Grund-, Haupt-, Sonder- und Realschulen betreffen. 1992 - 2003/2004 Lehrauftrag an der PH Karlsruhe für Neues Testament und Judentum. Maaß ist u.a. Vorstandsmitglied im Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Wiedergabe
seiner Rezension an dieser Stelle.
Exodus
Diese Begrifflichkeit zieht sich durch das ganze Buch. Als „ursprüngliche(s) Element des biblischen Monotheismus“ sieht er mit Recht den Gedanken des Bundes. Um in diesen „einzuziehen, musste aus Ägypten ausgezogen werden.“ Entsprechend benennt er sein Thema „der Auszug aus Ägypten und seine Folgen“. Dass Mythen grundlegende Menschheitsfragen beantworten wollen, ist seit langem bekannt. Dass der „Exodus-Mythos“ die Frage beantworte, wer „wir“ sind, müsste allerdings dahingehend präzisiert werden, „wer Israel ist“. Viele seiner interessanten Annahme klingen plausibel, auch wenn sie nicht belegbar sind. Dabei besticht Assmann häufig durch gekonnte Formulierungen, etwa das Neue am Exodus bestehe in „Revolution und Revelation“ oder es sei eine „Geschichte, die sich die Angekommenen erzählen, nicht die Aufgebrochenen“ und es gehe „um die Vergewisserung des Neuen und nicht um die bloße Emanzipation vom Alten.“ Auch der Hinweis, im Hebräischen werde Sklavendienst und Gottesdienst mit demselben Wort beschrieben, gehört hierher. – Aber Schluss mit diesen glänzenden Zitaten, sonst müsste man fast das gesamte Buch abschreiben! Es muss der Hinweis genügen, dass bereits die Einleitung eine Fülle auch theologisch bedeutsamer und treffend formulierter Feststellungen und Notizen enthält. Dr. Hans Maaß
Jedem Kapitel sind Zitate vorgeschaltet. Zunächst gibt Assmann die Erzählung des Exodusbuches wieder mit Hinweisen auf besonders bemerkenswerte Einzelheiten, die auch für Theologen als Kurzcharakteristik der Exodusgeschichte lesenswert sind, auf strukturelle Parallelen zu späteren Ereignissen bis in die Neuzeit: (Genozid, Überfremdungsmotiv) sowie auf allgemeine religionsphänomenoloische Motive (göttlicher Offenbarungen).
Der Einzug in das Neue bedeutet noch nicht Einzug in des verheißene Land, sondern in den Bund. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Sinaioffenbarung samt den Krisen auf dem Weg dahin referiert und reflektiert. Bei der Sinaioffenbarung im engeren Sinn weist er auf den Übergang von narrativen zum normativen Sprachstil hin, eine wichtige Beobachtung.
Bei der Frage nach dem historischen Hintergrund beweist sich der Ägyptologe. dabei fragt er, was diese Erzählung „ihren jeweiligen Zeitgenossen und uns bis heute unter Berufung auf die Vergangenheit sagen will“; denn die „Fragen nach der historischen Wirklichkeit führen ins Leere.“ Demgegenüber frage die „Gedächtnisgeschichte“ nicht danach, „»wie es eigentlich gewesen ist«, sondern danach, wie es erinnert wurde“, zwei hermeneutisch wichtige Gesichtspunkte. Im weiteren geht er auf die Hyksos-These und Beziehungen zwischen Ps 104 und dem Echnaton-Psalm als weitere Beispiele für Israels Erinnern an die Ägyptenzeit ein, weiß aber, dass dies umstritten ist. Hinweise auf die Habiru und die „Seevölker“ fehlen ebensowenig.
Unter dem Leitgedanken einer wunderbaren Rettungserfahrung werden mit bedenkenswerten Hinweisen sowohl rituelle als auch geschichtliche Haftpunkte dieser Tradition erörtert. Die Priesterschrift sieht er nicht als Quelle, sondern als die kanonische Endgestalt und „Grundschrift des frühen Judentums“, die komponierend und kommentierend die unterschiedlichen Überlieferungsstufen zusammenfasst. Er unterscheidet mehrere im Bibeltext erhaltene Gesamtkompositionen. Wichtig ist ihm die Unterscheidung von „Textpflege“ und „Sinnpflege“, die er im Vergleich anderer Kulturen mit der biblischen Tradition (bis hin zur „mündlichen Tora“) deutlich macht. So entsteht ein interessantes Gesamtbild mit unterschiedlichen Sichtweisen Ägyptens, wenn auch nicht alle Details unanfechtbar sind. Wichtig ist jedoch die Betonung, dass das Gedächtnis selektiv erinnert, was in jeweiligen Situationen von Bedeutung ist. Wichtig ist die mit dem Bundesschluss verbundene Unterscheidung zwischen innen und außen, Volk Israel und Völkern, wobei er feststellt: „Diese Unterscheidung, das muss ausdrücklich betont werden, hat nichts mit Intoleranz und Gewalt zu tun“, sondern mit Vorbild. Dies gilt jedoch nicht für das Verhältnis zu kanaanäischen Völkern – übrigens eine Unterscheidung, die auch Martin Buber traf. Dieses Kapitel ist angesichts heutiger Diskussionen auch theologisch besonders lesenswert.
Nach diesen grundsätzlichen Erörterungen wendet sich Assmann im zweiten Teil unter dem Titel „Der Auszug“ detailliert einzelnen Elementen z.B. Leiden der Israeliten in Ägypten, die Namensoffenbarung am Sinai, aber auch „Vertrag und Gesetz“ oder die „Institution der Gottesnähe“, wobei bereits die Kapitelüberschriften neugierig machen.
So erörtert er etwa die Zwangsarbeit in Ägypten anhand damaliger Rechtsverhältnisse, und stellt fest, die Schilderung der Verschärfung der Fron in Ex 5 sei dabei „besonders reich an genuin ägyptischen Details“ – bis dahin, dass Erhöhung von Arbeitsnormen als schwere Sünde galt. Von hier aus betrachtet er Bibeltexte, nach denen Israeliten eigene Volksgenossen als Sklaven hielten, und erhebt die theologische und soziale Bedeutung der Erinnerung an die Unterdrückung in Ägypten, aber auch die Betonung der „Allochthonie“. Diese Erfahrungen behalten ihre Bedeutung bis in die Zeit der römischen Unterdrückung und die Neuzeit. Interessante Aspekte gewinnt er auch den Erzählungen vom Gebot der Kindestötung und der Geburt Moses ab, prophetischen Texten, bei denen er zwischen Bundesbruch und Treuebruch unterscheidet u.v.a.m.
Die Offenbarung des Gottesnamens stellt Assmann in einen größeren biblischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhang bis hin zu Schiller und Schönbergs Oper „Moses und Aron“, die er auch in anderen Zusammenhängen heranzieht. Die als „Zauberwettkampf“ beschriebenen „ägyptischen Plagen“ versteht er zusammen mit der Einsetzung des Pessach und dem Schilfmeerwunder als „Gottes Machtoffenbarung“.
Die Rezension darf sich nicht in zu viele Details verlieren. Generell ist festzustellen, dass Assmann sich in die repräsentative theologische Diskussion gründlich eingearbeitet hat, die er auch am Ende des Buches aufführt in zahlreichen Fußnoten zitiert – allerdings meist affirmativ nicht diskursiv. Stattdessen kommt sein reiches kulturgeschichtliches, altorientalisches, vor allem ägyptologisches Wissen zum Tragen und hilft, die biblischen Texte zeit- und religionsgeschichtlich einzuordnen und besser zu verstehen.
Für die Identität Israels stellt er fest: Die Israeliten wussten sich im Unterschied zu anderen Völkern „zusammengehörig durch die Erwählung in den Bund mit JHWH und die Annahme des Gesetzes“, nicht durch territoriale Abgrenzung. Außerdem betont Assmann die Bedeutung der Zeugenschaft und spricht von der Tora als „nationalem Gedächtnis“.
Theologie und Religionspädagogik werden künftig gut daran tun, bei der Behandlung dieser Texte und Fragen, jeweils Assmanns Exodus-Darstellung in ihre Überlegungen einzubeziehen, zumal die markanten Kapitelüberschriften die Orientierung erleichtern.
Zusammenfassend kann man nur dem katholischen Alttestamentler Bernhard Lang zustimmen, dessen Urteil auf dem Umschlagstext lautet: „Noch keine hat über das Buch Exodus, den Mann Mose, den Auszug aus Ägypten und die von Gott verfügten Gebote – und die Wirkungsgeschichte all dessen in unserer Kultur – so elegant und überzeugend geschrieben wie Jan Assmann. Nimm und lies!“ Man kann nur hinzufügen: „Immer wieder“.
Jan Assmann:
Exodus.
Die Revolution der Alten Welt.
München 2015
C.H. Beck Verlag
493 S. - Euro 29,95
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