Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
12.07.2023 - Nr. 2037

ACHTUNG:

Am 21. Juli 2023 verabschiedet sich COMPASS mit einem ONLINE-EXTRA in die Sommerpause.

Vom 24. Juli 2023 bis einschließlich 5. September 2023 erscheint KEIN COMPASS.


Guten Tag!

Nr. 2037 - 12. Juli 2023



Nach dem Ende der großangelegten Militäraktion des israelischen Militärs (IDF) in Dschenin, versucht man hier und da Bilanz zu ziehen. War die Aktion gerechtfertigt? War sie ein Erfolg? Der israelische Journalist Tal Leder bewertet sie in seiner Analyse für CICERO als "Teilerfolg", der freilich ein Fortdauern der Gewalt nicht verhindern werde, denn hinter den meisten Terrorgruppen stehe der Iran:
"Mit der Operation hat die IDF bewiesen, dass sie schnell und mit minimalen Verlusten ein begrenztes militärisches Ziel erreichen kann. Langfristig aber ist es nur ein weiteres Kapitel in einem Konflikt, der ohne eine diplomatische Lösung zu einem unvermeidlichen Showdown zwischen Israel und dem Iran führen wird."
In einem Beitrag für MENA-WATCH zeigt sich der Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel ebenfalls skeptisch. Die meisten Terroristen Dschenins seien bei der Militäraktion davon gekommen. Somit bleibe Dschenin als Terror-Hochburg weiterhin intakt, solange das aktuelle Machtvakuum, das durch eine entmachtete Palästinensische Autonomiebehörde (PA) entstanden sei, weiterhin Bestand habe. Im Blick auf die PA bemerkt er insgesamt:
"Während sich PA-Vorsitzende Mahmoud Abbas altersbedingt dem Ende seiner Amtsausübung nähert und die Fatah-Führer sich auf einen Kampf um die Nachfolge vorbereiten, stellen sich ernste Fragen für die Zukunft der Palästinensischen Autonomiebehörde und ihrer Funktionsfähigkeit. Für Israels Verteidigungsministerium liegt es im Interesse der Sicherheit des jüdischen Staates, dass die PA und nicht die Hamas oder der Islamische Jihad die unter vollständiger palästinensischer Administration stehende Zone A im Westjordanland beherrscht, und es ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung, dass palästinensische Zivilisten, die nicht an Gewalttaten beteiligt sind, weiterhin in Israel arbeiten können. Mehr als 100.000 Palästinenser, darunter Tausende aus Dschenin, pendelten selbst während der IDF-Operation nach Israel, um dort zu arbeiten."
Und Benjamin Hammer kommentiert für DEUTSCHLANDRADIO enttäuscht und bitter, dass über die Frage, "wo die Gewalt im Nahen Osten enden soll, ... verblüffend wenig gesprochen" werde. Sein Fazit:
"In den kommenden Wochen und Monaten wird es im Nahen Osten zu neuer Gewalt kommen. Moshe Tamir, der ehemalige israelische Armeegeneral, sagte vor einem Jahr, in dieser Geschichte gebe es kein Happy End."
Die Links zum Thema in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

"Eine Einigung ist machbar. Und dennoch ist niemand bereit, sich hinzusetzen und zu reden - jetzt, ohne Vorbedingungen. Das ist ein Fehler von historischem Ausmaß. Ich frage unsere Vertreter in der Knesset: Ist es das wert? Ist es das wirklich wert? Die Zahlen, die Daten, die Umfragen und die Debatten spiegeln ein echtes und bedeutendes Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Dialog und Konsens wider. Lassen Sie Ihre Egos beiseite. Kommt und redet."
Der beschwördende Aufruf des israelischen Präsidenten Herzog am vergangenen Sonntag vor der für Dienstag angesetzten ersten Lesung des umstrittenen Justizgesetzes im israelischen Parlament stieß bei Ministerpräsident Netanjahu und seiner parlamentarischen Mehrheit auf taube Ohren. Dienstag-Nacht billigte das Parlament nach stundenlangen Debatten einen Gesetzentwurf der Justizreform in der ersten von drei Lesungen. Wenige Stunden später strömten Zehntausende wütende Israelis zu einem «Tag der Störung» auf die Straßen. Laut israelischen Medienberichten haben einige Arbeitgeber, darunter Banken, Universitäten und Technologieunternehmen, ihren Beschäftigten den Tag freigegeben, damit diese an den Protesten teilnehmen können. Bei den Protesten kam es zu einem ungewöhnlich harten Vorgehen der Polizei, wie Maria Sterkl für die FRANKFURTER RUNDSCHAU berichtet:
"Die Sicherheitskräfte setzten die Ankündigung des Nationalen Sicherheitsministers Itamar Ben Gvir, man solle mit harter Hand vorgehen, in Taten um. Gegen 15 Uhr gab es bereits über 60 Festnahmen wegen öffentlicher Störung, aber auch einige Verletzte. Immer wieder prügelten Polizisten auf Demonstrant:innen ein. Auf der Kaplan-Straße war berittene Polizei auf den Gehwegen unterwegs, Passanten klagten über Verletzungen durch Pferdetritte, mehrere Demonstrant:innen über Gesichtsverletzungen durch Wasserwerfer. Protestplattformen sprachen von „schrecklicher Polizeigewalt“. Sie riefen die israelische Polizeiführung auf, „sofort einzuschreiten, bevor es Menschenleben kostet“."
Links zum Thema in der Rubrik ISRAEL INTERN.

Nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, beschloss eine Gruppe von Juden Ende 1933 nach Palästina zu gehen, um sich dort auf das anstrengende Landleben vorzubereiten. Nachdem sie den arabischen Grundbesitzern Land abgekauft hatten, gründeten sie 1936 im Norden Israels den Kibbuz Hasorea, wo sie als klassische Agrarkommune lebten und ihren eigenen Wald pflanzten, angeblich weil sie den Schwarzwald in Deutschland so sehr vermissten. Seitdem hat sich viel verändert, auch in den israelische Kibbuzzen, von denen viele untergegangen sind, aber die Kommune Hasoera existiert bis heute. Sie wurde modernisiert und blieb sich trotzdem treu. Nicht alle halten das Leben dort aus, einige suchen als Erwachsene das Weite, sobald sie können. Andere kehren zurück. Zelda Biller hat für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG den Kibbuz besucht und kam mit vielen ihrer heutigen Bewohner ins Gespräch: "Der Kibbuz-Kommunismus war weniger verlogen als der Sowjetsozialismus. Er hat nicht bloss fortschrittlich getan, sondern war es wirklich".
Der Link zur Reportage in der Rubrik ISRAEL INTERN.

Wegen ihres zweieinhalbstündigen Interviews bei "Jung & Naiv", der Sendung des Moderators Tilo Jung, ist die Wissenschaftlerin und Nahost-Expertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik massiv in die Kritik gekommen, unter anderem von Seiten der israelischen Botschaft in Berlin. "Verschwörungsfantasien" werden ihr vorgeworfen und "Israelbashing". Für Frau Asseburg sei "Terror kein Terror, Israel irgendwie wie Russland, und der Bundestag steht unter der Kontrolle der israelischen Regierung», so die israelische Botschaft. Worum es in dem Konflikt geht und wie die Reaktionen ausfallen, schildern Rewert Hoffer in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG und ein Beitrag in ISRAELNETZ. In der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG schließt sich Lisa Badum, Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen, der Kritik der israelischen Vertretung an und spricht im Blick auf Asseburg von einer "Schwarz-Weiß-Sicht auf den Nahostkonflikt". Badum räumt zwar ein, dass in dem Gespräch "auch richtige Punkte angesprochen (wurden): So etwa die problematische Beziehung der aktuellen Regierung zu den Siedlern." Das alles aber trete in den Hintergrund, "wenn zwei Deutsche aus bequemer Entfernung darüber sinnieren, welche Verteidigung Israel nun gestattet sei und welche nicht." Einigermaßen fassungslos nimmt hingegen Lea Frehse den Streit wahr, wie sie in der ZEIT darlegt. Asseburg habe zwar durchaus kontroverse und streitbare Thesen vertreten, tue dies aber sehr sachlich. Asseburg sei eine Frau, "die sehr stark ihre Worte wägt". Was sich hingegen derzeit abspiele, sei ein "Stellungsgefecht, dessen Front und Protagonisten aus vorherigen Runden zum Thema bekannt sind". Frehses benahe düsteres Fazit lautet:
"Überblickt man die Kontroverse, die jetzt um Asseburg entbrannt ist, muss man feststellen: Es geht hier gar nicht um das Interview bei Jung. Es geht nicht um die Sache. Es geht auch nicht um die einzelne Wissenschaftlerin Muriel Asseburg. Vielmehr geht es um den Ton, der gesetzt wird, um sie zu übertönen. Diesmal allen voran von der Vertretung Israels in Deutschland. Es ist ein Ton, der Angst verbreiten soll. Einschüchtern. Und der über die Jahre wesentlich mit dazu geführt hat, dass eine sachliche, empathische Debatte über den Nahostkonflikt kaum noch möglich ist."
Die Links dazu in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

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Vor fast genau 85 Jahren, am 6. Juli 1938, versammeltensich Repräsentanten von 32 Staaten und 71 Hilfsorganisationen im französischen Kurort Évian-les-Bains. Der Zweck ihrer Zusammenkunft lag eigentlich in dem humanitären Motiv, den rund 500.000 möglichen und überwiegend jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich zu helfen. Sehr schnell jedoch trat dieses Ziel in den Hintergrund und - schlimmer noch - verkehrte sich fast in sein Gegenteil. Denn die Vertreter einiger Staaten deuteten an, ihrerseits jüdische Menschen aus ihren Ländern ausweisen zu wollen, offenbar aus eigenen nationalistischen und antisemitischen Motiven. An die gescheiterte Konferenz von Evian erinnert Jan Kixmüller im TAGESSPIEGEL: "Die Rettung jüdischer Flüchtlinge wurde zur moralischen Katastrophe".
Der Link zum Beitrag in der Rubrik VERGANGENHEIT... 

Nahezu 50 Prozent der etwa zweihundert Verschwörer rund um das Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 stammten aus aristokratischem Haus, waren von adeliger Herkunft, am prominentesten gewiss der Hitlerattentäter Claus Graf Stauffenberg selbst. Einerseits. Und andererseits finden sich kaum weniger blaublütige Namen in den NSDAP-Mitgliederkarteikästen des Bundesarchivs in Berlin, ganz zu schweigen von der unheilvollen Rolle von Adel und Aristokratie im Kontext des Aufstiegs von Hitler und seiner Partei. „Ohne Adel hätte es keinen 20. Juli 1944 gegeben“, schreibt der deutsche Historiker Stephan Malinowski, Autor von "Vom König zum Führer: Deutscher Adel und Nationalsozialismus" und fährt fort, „aber eben auch nicht Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933“. Wie also verhielt es sich denn nun mit Adel und Nationalsozialismus? Was verband, was trennte sie? Andrea Schurian gibt in einem Beitrag für NU, dem in Österreich erscheinenden jüdischen Magazin für Politik und Kultur einen Einblick in das Problem: "Der Antisemitismus war der Klebstoff zwischen Aristokratie und Nationalsozialismus".
Der Link zum Beitrag in der Rubrik VERGANGENHEIT... 

Leonard Stöcklein forscht zum bundesdeutschen Umgang mit dem nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma und zur Rolle der Kirchen nach 1945. In seinem Dissertationsprojekt untersucht er die konfliktreichen Entstehungsgeschichten der Gedenkorte der Sinti und Roma im bundesdeutschen Raum seit Anfang der 1980er Jahre. In einem Beitrag für FEINSCHWARZ gibt er eine kleine Einführung und Überblick zum Problem. Im Blick auf die Rolle der Kirchen schreibt er:
"Die Vernichtung hunderttausender Menschen lässt sich nicht wieder gut machen, weder durch Gedenken noch durch finanzielle Entschädigung. Auch für eine Anerkennung der Überlebenden des Völkermordes ist es im Jahr 2023 zu spät. Nichtsdestoweniger liegt es in der Verantwortung der Kirche, die Verbrechen wenigstens symbolisch anzuerkennen und sich zu der historischen Verantwortung kirchlicher Würdenträger zu bekennen, die den Täter:innen allzu selbstwillig die Kirchenbücher öffneten, so dass diese wenig Mühe hatten, ihre Opfer für „rassehygienische Untersuchungen“ ausfindig zu machen oder direkt in den Tod zu schicken."
Der Link zum Beitrag in der Rubrik VERGANGENHEIT... 

Die Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht, der Kriegseintritt Mussolinis im Sommer 1940 sowie die deutsch-italienische Besetzung Griechenlands 1941 verschloss den Juden die Flucht über fast alle Mittelmeer-Häfen. Aus Südosteuropa blieb nur der schwierige Weg über Istanbul nach Palästina, um den Nationalsozialisten und dem Holocaust zu entkommen. Die formell neutrale Türkei war bestrebt, Nazideutschland nicht zu provozieren. Nur über ein vorwiegend informelles Netzwerk in Istanbul, in dem auch Angelo Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII., eine wichtige Rolle spielte, konnte die Flucht der südosteuropäischen Juden nach Palästina organisiert werden. In seinem im März erschienen Buch "Transit Istanbul–­Palästina. Juden auf der Flucht aus Südosteuropa“ beleuchtet der langjährig als Diplomat in Ankara und Istanbul tätige Reiner Möckelmann erstmals die Bedeutung der Türkei als als Transitland für jüdische Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs und die Rolle des späteren Papst Johannes XXIII. als vatikanischem Vertreter in Istanbul. Klaus Hillenbrand stellt die Studie in der TAZ näher vor: "Retter, Schwindler und Verfolgte".
Der Link dazu in der Rubrik VERGANGENHEIT...        

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In Debatten um den Antisemitismus tritt häufig eine problematische Moralisierung an die Stelle von Argumentation. Umso wohltuender, meint Baha Kirlidokme in der FRANKFURTER RUNDSCHAU, sei die Analyse der Soziologin Ilka Quindeau, die sich mit Theodor W. Adorno beschäftigte. Im Rahmen einer dreiteiligen Vortragsreihe des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, die am vergangenen Freitag in einem vollen Saal zu Ende ging, regte sie zur Selbstreflexion an: "Den Antisemitismus nur bei anderen sehen".
Der Link zum Bericht in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

In einem instruktiven Beitrag für das Portal BELL-TOWER erläutert Tilmann Vogel nicht nur die historischen und theologischen Hintergründe der judenfeindlichen "Judensau" am Wittenberger Dom, sondern auch die Kontinutität des in Stein gehauenen Antisemitismus bis in die Gegenwart hinein. Am Ende seiner Ausführungen kritisiert er folgerichtig die scharfe Trennung von „christlichem“ Antijudaismus und „modernem“ Antisemitismus und schreibt:
"Die übermäßige Historisierung der religiös geprägten Symboliken und Legenden verstellt den Blick auf ihre Kontinuität. Motive des christlichen Antijudaismus wurden und werden auch über die Aufklärung hinaus in einer modernen menschenfeindlichen Ideologie genutzt. Dieser Antisemitismus ist zwar nicht mehr an die christliche Religion gebunden, greift aber weiter auf deren Fundus judenfeindlicher Kultur zurück. Die „Judensau“ und der Umgang mit ihr ist deshalb kein Zeichen einer vergangenen Epoche und Ideologie, sondern ein Hinweis auf die Langlebigkeit und Anpassungsfähigkeit des ältesten Vorurteils unserer Kultur."
Der Link zum Beitrag in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

Julia Bernstein, die an der Frankfurt University of Applied Science eine Professur für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft inne hat, zeichnet in ihrem neuen Buch "Zerspiegelte Welten: Antisemitismus und Sprache aus jüdischer Perspektive" nach, wie der Antisemitismus in der Sprache sowohl mit Grenzziehungen und Zuschreibungen als auch mit Abwertungen und Dämonisierungen zum Ausdruck kommt, aber auch in einem Zusammenhang mit Migrationsprozessen und dem Erbe des Nationalsozialismus steht. Dadurch beleuchtet sie grundlegende und versteckte Mechanismen antisemitischer Diskriminierung und Feindschaft wie auch die häufig nicht wahrgenommenen Auswirkungen auf Jüdinnen und Juden in Deutschland. Olaf Glöckner hat es für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG gelesen: "Sensibilität für Wort und Bild".
Mehr dazu in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

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Zum dritten Mal nach 2013 und 2017 haben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die römisch-katholische Deutsche Bischofskonferenz gemeinsam einen Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit weltweit vorgelegt. Er wurde von Wissenschaftlern und Experten aus kirchlichen Organisationen vorbereitet und trägt den Titel „Eine christliche Perspektive auf ein universelles Menschenrecht“. Der Bericht bilanziert den derzeitigen Stand der Verwirklichung und Verweigerung der Religionsfreiheit weltweit. Dabei gerät auch Deutschland in den Blick, wo man die Religionsfreiheit durch Beschneidungen oder Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten und Extremisten in Gefahr sieht. Im Interview mit dem SONNTAGSBLATT sagt etwa die Beauftragte für interreligiösen Dialog der Bayrischen Landeskirche, Mirjam Elsel:
"AfD, Pegida und die Querdenkerbewegung berufen sich auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, um ihrerseits Menschen aufgrund ihrer Religion abzuwerten, auszugrenzen und zu bedrohen."

Und sie warnt davor, dass eine "Konzentration auf Christenverfolgung ... der Vielschichtigkeit des Themas nicht gerecht" würde, denn:
"Religionsbezogene Menschenfeindlichkeit betrifft in unserem Land vor allem Menschen, denen zugeschrieben wird jüdisch oder muslimisch zu sein."
Links zum Thema sowie zu dem Bericht selbst, der als pdf-Version zum Download bereit steht in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

Gerade einmal drei Jahre nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes und der Befreiung der Überlebenend aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern wurde ausgerechnet in der vom NS-Regime erkorenen "Hauptstadt der Bewegung", in München, die erste Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegründet. Wenig später folgten Wiesbaden, Stuttgart, Frankfurt - und bis heute über 80 weitere "Gesellschaften" im ganzen Bundesgebiet. Dieser Tage feierte die Münchner Gesellschaft ihren 75. Geburtstag und erinnerte an die mutigen Gründer der ersten Stunde: Julius Spanier, Hans Gensert, Karl Scharnagl. Ihre Ziele waren damals so nötig wie leider auch immer noch heute: Die "Beseitigung von Vorurteilen zwischen Menschen verschiedener rassischer, nationaler, religiöser und sozialer Herkunft", wie es in der ersten Satzung der am 9. Juli 1048 gegründeten "Gesellschaft" hieß. "München hat sich vom Stigma des infamen Ehrentitels 'Hauptstadt der Bewegung' befreien können – sicherlich auch durch die Aktivitäten der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit", sagte Stadthistoriker Andreas Heusler in seiner Ansprache beim Jubiläumsfestakt. Die Stadtgesellschaft könne dankbar sein, "dass jüdische Menschen nach 1945 diese ausgestreckte Hand dann auch angenommen haben". Der BAYRISCHE RUNDFUNK und das SONNTAGSBLATT waren bei der Feierstunde dabei, in der an die Geschichte der "Gesellschaft" erinnert, aber auch die Herausforderungen für Gegenwart und Zukunft thematisiert wurden: "München 'vom Stigma befreit' – dank christlich-jüdischen Dialogs".
Die Festrede beim Jubiläum hielt Dr. Sergey Lagodinsky, Grünen-Abgeordneter im europäischen Parlament. Er begann seine Rede, die auf HAGALIL nachzulesen ist, mit den Worten:
"Ich bin Jurist, ich bin Berliner, ich bin Abgeordneter, aber für viele von Ihnen, für viele von den Menschen da draußen, bin ich in erster Linie ein Jude und somit eine Kuriosität."
Die Links zum Thema in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

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Fast genau vor 50 Jahren, am  7. Juli 1973, starb in Nürnberg im Alter von 78 Jahren Max Horkheimer. Zusammen mit Theodor W. Adorno gilt er als «Vater» der «kritischen Theorie», die das Denken und Handeln vieler bis heute beeinflusst. In einem Porträt ihm zu Ehren in der schweizer-jüdischen Wochenzeitung TACHLES zeichnet Martin Dreyfus Horkheimers Leben und Wirken nach und macht deutlich, was wenig bekannt ist, nämlich wie sehr Horkheimer sich in der Emigration und Nachkriegszeit jüdischen Themen und religiösen Fragen zuwandte. Dreyfus gibt in diesem Zusammenhang ein Zitat Horkheimers wieder, das aus einem SPIEGEL-Interview im Jahre 1970 stammt:
«Theologie bedeutet das Bewusstsein davon, dass die Welt Erscheinung ist, dass sie nicht die absolute Wahrheit, das Letzte ist. Theologie ist – ich drücke mich bewusst vorsichtig aus – die Hoffnung, dass es bei diesem Unrecht, durch das die Welt gekennzeichnet ist, nicht bleibe, dass das Unrecht nicht das letzte Wort sein möge (...) sondern Ausdruck einer Sehnsucht, einer Sehnsucht danach, dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge.»
Der Link zum Porträt in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

Fritz Perls, am 8. Juli 1893 in Berlin geboren, gilt als Begründer der Gestalttherapie. Diese entwickelte der jüdische Emigrant im Exil: In Südafrika sowie in den USA. Zu seinem 100. Geburtstag widmet ihm Roland Kaufhold für HAGALIL ein Porträt, das er mit einem Zitat aus der Biografie von Perls einleitet, die der Gestalttherapeut Bernd Bocian schrieb:
„Hinter dem `dirty old man´, wie Perls sich manchmal selber nannte, der sich in seinen letzten Lebensjahren äußerlich als eine Mischung aus Rabbi, Weihnachtsmann und Rasputin, mit weißem Rauschebart und Latzhose präsentierte und dessen Begräbnisfeier 1971 in San Francisco einem alten Hippiekönig alle Ehre gemacht hätte, findet sich das Leben des 1893 in Berlin in einer jüdischen Familie geborenen Friedrich Salomon Perls“.
Der Link zum Porträt in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

Erstmals in der Geschichte der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) steht an der Spitze eine Frau: Rabbinerin Elisa Klapheck. Die Frankfurter Rabbinerin wurde kürzlich vom neuen Vorstand in seiner konstituierenden Sitzung einstimmig zur Vorsitzenden gewählt (siehe Compass 05.07.2023). Im Gespräch mit der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG gibt sie Auskunft über ihre zukünftigen Aufgaben und ihre Motive für das neue Amt, bei denen die jüngsten Verwerfungen im Zuge der Homolka-Affäre für sie einen wichtigen Aspekt darstellen. Sie sagt u.a.:
"Die Homolka-Ära muss jetzt wirklich vorbei sein, und das muss auch personell deutlich werden. Ich denke, die ARK brauchte ein neues Zeichen, um den nötigen Wandel in die Wege zu leiten. Wir müssen das Thema Machtmissbrauch aufarbeiten und verstehen, wie es zu so einem System kommen konnte – aber nicht, indem wir die Zerwürfnisse vertiefen und noch mehr Schmerz erzeugen. Dafür verwende ich das Wort Teschuwa, Umkehr."
Der Link zum Interview in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

Sie trägt Shtreimel und den wuchtigen Pelzhut der ultraorthodoxen Juden - und tritt damit auf, singt, tanzt und rappt. Ihre Museik eine Mischung aus jüdischer Folklore, Klezmer, Jazz, Salsa und Hip-Hop, ihre Texte in Englisch, mal in Deutsch, mal Hebräisch und immer öfter Yiddish: Lea Kalish. Während liberale Juden sie feiern, wird sie von orthdoxen Juden angefeindet. In einem ihrer besten Songs, «Eshet Chayil of Hip Hop», überträgt Lea Kalisch das traditionelle Schabbat-Loblied auf die tüchtige Frau in einen Rap. Reimend vergleicht sie ultraorthodoxes Judentum mit der Hip-Hop-Kultur und baut ausserdem auch noch Rilkes «Panther» ein – als Sexobjekt hinter tausend Stäben. Dazu trägt sie ein pinkes Bomberjäckchen, darunter ein Top mit der Aufschrift «Juicy». Susanna Petrin widmet ihr in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ein lebendiges Porträt, bei dem auch Kalishs Motive für ihre Performance deutlich werden:
"Lea Kalisch aber will ausbrechen aus diesem homogenen Kreis und die jüdische Kultur für Neues öffnen – somit auch für Nichtjuden: «Für mich ist es spannender, jüdischen Inhalt auch Nichtjuden zu präsentieren. Wenn in einem meiner Songs Salsa dazukommt, kann ich zu meinen Salsa-Friends sagen: Why dont you come to my show, I am salsa dancing.» Das sei auch ein undogmatischer Beitrag gegen den Antisemitismus, «ohne dieses Wort überhaupt nennen zu müssen»."
Der Link zum Porträt und einem sehenswerten Video in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

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Der Theologe, Redner, Prediger und Publizist Fulbert Steffensky feierte am 7. Juli 2023 seinen 90. Geburtstag. Auch weit über christliche Kreise hinaus bekannt wurde er 1968, als er gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau und Theologin Dorothee Sölle Mitbegründer des Politischen Nachtgebets war. Von 1954 bis 1968 war er Benediktinermönch und konvertierte 1969 zur evangelisch-lutherischen Kirche. Und von 1975-1998 lehrte er als Professor für Religionspädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg. Seit 2011 lebt Fulbert Steffensky mit seiner zweiten Frau, der römisch-katholischen Theologin Li Hangartner in Luzern. Am 5. Juli 2023 hielt er auf Einladung der Reformierten Kirche der Stadt Luzern einen Vortrag, in dem er eine "Reise durch meine religiösen Welten" unternahm. Dast theologische Portal FEINSCHWARZ hat seinen Vortrag veröffentlicht. Flankiert wird der Text von einer Würdigung von Leben und Werk Steffenskys von Odilo Noti, der eine Stelle aus Steffenskys jüngstem Buch "Schutt und Asche" zitiert, die ihren Autor wohl zutreffend beschreibt:
«Ich bin ein Freigeist. Die Tradition ist meine Lehrerin, aber ich bin nicht ihre Beute. Zur Tradition kann man nur ein Verhältnis haben, wenn man auch mit ihr brechen kann und wenn wir uns nicht in falscher Faszination jedes Urteil über sie verbieten. Je mehr ich mich einarbeite, einlese, hineindenke in die Texte jener Tradition, umso mehr lerne ich mit ihrem Geist einzelne ihrer Sätze zu kritisieren.»
Die Links zum Thema in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.

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Der jüdische Cellist Erich Krakau wird Opfer einer gnadenlosen Intrige, an der sich bald eine ganze Stadt beteiligt: Kleinbürger, Emporkömmlinge und Spießer. Der von Peter Graf entdeckte, bislang unveröffentlichte, meisterhafte Roman "„Requiem“ aus den Dreißigern von Karl Loeser wirkt beinahe prophetisch. Denn geschrieben wurde er, bevor die Vernichtung der europäischen Juden ins Werk gesetzt wurde. Der Roman zeigt, wie die Nazis die Macht übernehmen konnten. Und dabei erkennt man in Zeiten der AfD-Erfolge manches wieder, meint Katharina Granzin, die das Buch und die Geschichte seiner Entdeckung in der TAZ vorstellt: "Wie konnte es dazu kommen?".
Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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