Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
02.11.2023 - Nr. 2046

Guten Tag!

Nr. 2046 - 02. November 2023



"Wer den Hamas-Terror gegen Israel und Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine getrennt voneinander betrachtet, lässt sich in die Irre führen. Moskau und Teheran bilden eine enge strategische Allianz zur Zerstörung der demokratischen Zivilisation", schreibt Richard Herzinger in einem Beitrag für die Zeitschrift INTERNATIONALE POLITIK:
"In Wahrheit können beide Kriegsschauplätze nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Zwar ist in den aktuellen Debatten über die Lage in Israel und Gaza häufig davon die Rede, dass der Hamas-Terror von der Islamischen Republik Iran unterstützt, wenn nicht initiiert und angeleitet wird. Kaum jedoch wird thematisiert, wie eng die wachsende Aggressionsbereitschaft des iranischen Regimes mit dem globalen Kriegskurs Russlands verwoben ist."
Das Fazit seiner Analyse ist deutlich:
"Die Zerstörungsenergie Russlands und seiner Verbündeten kann nur dadurch gebrochen werden, dass ihnen exemplarische militärische Niederlagen zugefügt werden. So wie ein Sieg der Ukraine Putins Russland ins Wanken bringen würde, so wäre die Zerschlagung der Hamas durch Israel ein empfindlicher Rückschlag für die Hegemonialpläne des Iran. Im eigenen Überlebensinteresse muss der Westen alles daransetzen, dass beides gelingt."

Der israelische Militär- und Hamas-Experte Assaf Moghadam sieht im Interview mit der TAZ auf Israel eine äußerst schwere Aufgabe zukommen: Hamas sei nicht nur eine Organisation, sondern eine Ideologie. Zudem gelte es für Israel, die ungeheure Sicherheitslücke aufzuarbeiten, die sich am 7. Oktober aufgetan hat - und dazu äußert er einen bestürzenden Verdacht :
"Die Hamas war selbst überrascht vom Erfolg ihrer Operation. Sie hatte Karten der Umgebung und der Kibbuzim, die sie angegriffen hat. Sie kannte sogar die Namen der Bewohner, wusste, in welchen Räumen Waffen lagerten und wo die Sicherheitskräfte sitzen. In manchen Kibbuzim wollten sich die Bewohner verteidigen, liefen zu den Waffendepots - nur dass dort schon Hamas-Mitglieder auf sie warteten. Die offene Frage ist: Woher hatten sie diese Informationen? Gab es Verräter innerhalb Israels? Ich glaube, ja."

Im Interview mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG stellt der britische Historiker und Jude Simon Sebag Montefiore seine Lösung für die Nahost-Region vor, kritisiert sowohl die israelische Regierung als auch linke Intellektuelle aufs Schärfste und verurteilt die Hamas als Terrororganisation. An einer Stelle bekennt er offen:
"Die vergangenen Tage haben mir das Herz gebrochen. Was gerade passiert, ist eine vielschichtige Tragödie. Erstens für all die unschuldigen Israeli, die getötet wurden. Es ist eine Tragödie, weil das mehr als ein politischer Akt ist. Die Hamas hat die Jagd auf menschliche Trophäen eröffnet. Als das sieht sie die israelischen Opfer nämlich. Gleichzeitig sind die palästinensischen Zivilisten, die nun im israelischen Bombenhagel sterben, genau gleich zu beklagen. Die Hamas hat ihr eigenes Volk ihrem Eliminierungsprogramm preisgegeben. Dafür muss sie Verantwortung übernehmen."

Ebenfalls in der TAZ meint Karim El-Gawhary, dass der Kampf Israels gegen die Hamas letztlich auf eine Vertreibung der Palästinenser aus Gaza zielt. Das aber werde nicht zum Frieden führen und gibt zu bedenken:
"Die einzige wirksame Methode ist, der Hamas politisch das Wasser abzugraben. Dazu müssten aber echte Alternativen für die Palästinenser geschaffen werden, eine Perspektive ohne Militanz. Das bedarf eines völligen Umdenkens auch in der israelischen Gesellschaft. Die Prämisse müsste lauten: Ohne Einbezug der Rechte der Palästinenser wird es für Israel keine Sicherheit geben. Erst wenn dieser Punkt erreicht ist, wird die 'Idee Hamas' im Mülleimer der Geschichte landen."

Das militärische Vorgehen Israels kann nicht als Völkermord qualifiziert werden, sagt der Historiker Manfred Kittel im Gespräch mit der TAZ. Er warnt vor einer  "Inflationierung des Begriffs unter dem Vorzeichen postkolonialer und identitätspolitischer Positionen" und fährt fort:
"Der weite Genozidbegriff beschreibt - im Wortlaut der UN-Genozidkonvention von 1948 - Handlungen, die darauf abzielen, eine 'nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche', das heißt in ihrer Einheit und Geschlossenheit, 'ganz oder teilweise zu zerstören'. Nach der engen Definition - die auch von Völkerrechtlern vertreten wird, sich aber 1948 bei der Erarbeitung der Genozidkonvention keineswegs klar durchgesetzt hat - bedeute Völkermord ausschließlich die physische Ausrottung nationaler Gruppen oder ganzer Völker. Beides aber, sowohl die Absicht der Zerstörung der Gruppe als solcher wie die der physischen Ausrottung, trifft auf die Gaza-Politik Israels nicht zu: Das Vorgehen des demokratischen Israel zielt ganz klar auf die militärischen Kapazitäten der zutiefst freiheitsfeindlichen islamistischen Hamas. Eine israelische Absicht, die nationale Gruppe der Palästinenser im Gaza-Streifen als solche zu zerstören, habe ich bisher nicht erkennen können. Wer dies behauptet, betreibt eine Täter-Opfer-Umkehr in ihrer übelsten Form."

Alle Links zu den Themen in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

In einer eindrücklichen Reportage für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schilder Katharina Bracher, dass seit der Hamas-Terrorattacke der muslimischen Bevölkerung Israels noch grösseres Misstrauen ihrer jüdischen Mitbürger entgegen schlägt. Und auf der anderen Seite fürchten sich auch die palästinensischen Israeli sich vor Vergeltungsaktionen der Juden. In dieser vergifteten und mit Angst besetzten Athmosphäre drohe die Stadt Lod zum nächsten Kriegsschauplatz zu werden: «Ich glaube nicht mehr daran, dass Juden und Araber miteinander leben können».

Für die FRANKFURTER RUNDSCHAU berichtet Sonja Thomaser, dass die Kritik an Netanjahu immer lauter werde - und referiert ausführlich ein Interview des us-amerikanischen Politmagazins MEDIAITE mit derm in Jerusalem ansässigen israelisch-amerikanischer Historiker und Journalist Gershom Gorenberg, der seit mehr als 30 Jahren aus dem Nahen Osten berichtet. Gorenberg benennt und bewertet in dem Interview die seiner Meinung nach schwerwiegenden und vielschichtigen Fehltritte Netanyahus, seine vom Ego getriebenen politischen Fehleinschätzungen bis hin zur Unterschätzung der Fähigkeit der Hamas, ein solches Massaker in seinem Heimatland durchzuführen: "'Selbstgefällig' und 'schlecht informiert': Kritik an Netanjahu in Israel wächst weiter".

Noch härter fällt das Urteil der Soziologin Eva Illouz aus, die jahrelang an der Seite internationaler Linker israelkritische Positionen vertrat. So gehörte sie etwa zu den Unterzeichnerinnen des "Weltoffen"-Papiers und der "Jerusalemer Erklärung", die BDS-Positionen als "nicht per se" antisemitisch einstufte. In einem lesenswerten Interview mit der FRANKFURTER RUNDSCHAU wirft sie der globalen Linken vor, nach den Pogromen der Hamas "moralisch und intellektuell eine sehr wichtige Prüfung nicht bestanden" zu haben - und ist überzeugt: "Die Linke wird sich von diesem Zusammenbruch nicht erholen." Eigentlicher Schwerpunkt des Interviews ist freilich die Situaion in Israel, die Folgen des Hamas-Anschlags für die israelische Gesellschaft und die vor dem Krieg erstarkte zivilgeselschaftliche Protestbewegung. Und sie rechnet scharf mit Netanjahu ab:
"Er wird als derjenige in die Geschichte eingehen, der die größte Katastrophe über Israel gebracht hat (…) Ich persönlich bin der Meinung, dass bereits jetzt alles getan werden sollte, um ihn aus dem Amt zu entfernen, denn er hat auf so spektakuläre und massive Weise versagt. Seine gesamte Sicherheitsarchitektur ist auf spektakuläre Weise gescheitert. Netanjahu nutzt den Staat für seine privaten Interessen, das ist das Zeichen eines korrupten politischen Führers. Er hat politische Lösungen mit den Palästinensern aktiv verhindert, weil er die Hamas gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde privilegiert hat. Im Nachhinein ist es so offensichtlich, dass dies eine ahnungslose Politik war. Er glaubte, dass die Hamas mit den Millionen von Dollar, die Katar einschleuste, gekauft werden könnte. Er hat sich geirrt. Er hat die Macht der PLO im Westjordanland ständig beschnitten. Er paktiert mit Siedlern, deren Ziel es ist, die Macht in Israel zu ergreifen, und die nichts gegen einen regionalen Konflikt haben."

Zu einem ähnlichen Urteil wie Ilouz kommt auch der in Jerusalem lebende Historiker mit deutschen Wurzeln Moshe Zimmermann. Im Interview mit der TAZ, in dem es ebenfalls um die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise auf die Zukunft der israelischen Gesellschaft, aber auch um das aktuelle Verhalten der politischen Elite in Deutschland geht, urteilt er über die Regierung Netanjahu wie folgt:
"Die Regierung hat sich in erster Linie um die jüdischen Siedlungen im Westjordanland gekümmert und nicht um den Schutz der israelischen Staatsbürger im Kernland Israel, für den der Staat gegründet wurde. Die Prioritäten der Regierung sind die falschen. Das ist eine rechtsextreme Regierung, eine Regierung von nationalistischen Fanatikern. Ihr Versagen hat sich schon vor der Katastrophe gezeigt und zeigt sich jetzt nach der Katastrophe weiter."

Alle Links zu den Themen in der Rubrik ISRAEL INTERN.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries forderte kürzlich, dass "jeder Empfänger staatlicher Fördermittel ... nicht nur ein schriftliches Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgeben [muss], sondern auch zum Existenzrecht Israels und zur Ablehnung von Antisemitismus". Damit ergänzte er gewissermaßen die Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz, derzufolge künftig Menschen in Deutschland nur noch eingebürgert werden sollen, wenn sie das Existenzrecht Israels anerkennen. Alan Posener hält davon wenig, wie er in seinem Kommentar für die ZEIT deutlich macht, denn der Vorschlag von Merz löse "kein einziges bestehendes Problem ..., weder mit dem eingewanderten noch dem einheimischen Antisemitismus. Werden aber diese Probleme nicht angegangen, hilft auch kein papiernes Bekenntnis bei der Einbürgerung." Posener verweist sodann auf die Beobachtung, dass die pro-palästinensisch-anti-israelischen Demonstranten etwa in Berlin
"keineswegs neu Zugewanderte [sind], sondern vor allem Menschen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund, die gut Deutsch sprachen. In den Straßen Kreuzbergs fuhren modisch gekleidete junge Männer und Frauen in Mercedes und BMW herum und schrien: "Free, free Palestine!" Das waren Menschen, die einiges zum Bruttosozialprodukt beitragen und die hiesigen Schulen nicht ohne Erfolg durchlaufen haben. Die nicht nur in einer Parallelgesellschaft leben, wo der Hass auf die Juden im Satelliten-TV und in der Moschee gepredigt wird, sondern die sich gut integriert haben in ein Milieu, in dem der traditionelle Antisemitismus zwar verpönt ist, aber als Israel-Hass toleriert oder geteilt wird. Und zwar seit Jahrzehnten."

Seit den Terrormorden der Hamas auf israelischem Boden und während die Zahl der Todesopfer der israelischen Gegenoffensive in Gaza steigt, befinden sich die Kommunikationsabteilungen vieler Unternehmen im Krisenmodus. In einem informativen und interessanten Beitrag auf EURONEWS erfährt man, wie beispielsweise Disney, Amazon, Pfizer oder McDonald auf die Krise in Nahost reagierten - und in welchem Dilemma sie dabei stecken. Darin spiegelt sich auch eine grundsetzlich veränderte Situation wieder: viele Unternehmen waren früher der Meinung, dass es nicht notwendig (oder besonders klug) sei, sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern. Doch mit dem Aufschwung der sozialen Medien in den Nullerjahren vollzog sich ein gewaltiger kultureller Wandel, der auch die Unternehmen immer mehr unter Druck setzte, bei gesellschaftlichen Fragen (Rassismus, Abtreibung, LGBTQ+) Stellung zu beziehen. So auch aktuell in Fragen des Krieges, wobei für Unternehmen die große Herausforderung darin liegt, auf den Krieg zu reagieren, ohne einen Teil ihrer Kundschaft zu verprellen oder zu beleidigen: "Farbe bekennen? So reagieren Unternehmen auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas".

Mehr als 1000 Schriftsteller - darunter Thea Dorn, Durs Grünbein, Terézia Mora, Bov Bjerg, Judith Schalansky und Dirk von Lowtzow - werfen dem Literaturbetrieb in einem Offenen Brief "ein an Bräsigkeit nicht zu überbietendes Schweigen" nach dem antisemitischen Massaker der Hamas vor und fordern zu Solidarität mit Israel auf, wie die FAZ berichtet. Der Brief inklusive aller Unterzeichner ist im Wortlaut nachzulesen: "Literaturbetrieb, jetzt!"

Alle Links zu den Themen in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

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Robert Habeck hat in einem Video Israels Sicherheit als „Staatsräson“ verteidigt und Antisemitismus verurteilt – auch unter Muslimen und linken Aktivisten. Das Video, das das Wirtschaftsministerium am Mittwochabend auf X stellte, hat eine enorme Resonanz ausgelöst: bisher gibt es mehr als 2,6 Millionen Aufrufe zu verzeichnen, wie die WELT berichtet, die zugleich eine sehr ausführliche Textzusammenfassung des Videos liefert. Daniel Friedrich Sturm kommentiert im TAGESSPIEGEL, das sei eine "Rede, die Bundespräsident oder Bundeskanzler längst hätten halten sollen." Und weiter:
"Eine auf den Punkt gebrachte Geschichtsstunde. Er schildert, woran es in Deutschland nach dem Terror gegen Israel mangelt: Solidarität mit dem angegriffenen Staat, vor allem aber Solidarität mit den Juden in Deutschland und einer entschiedenen Haltung gegen Antisemitismus."

Ist es das, was es braucht, um die Klimakrise zu bekämpfen: Antisemitismus und Israelfeindlichkeit? Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man die Äußerungen von Fridays for Future International und ihrer Ikone Greta Thunberg liest. Die weltweiten Medien  seien "von imperialistischen Regierungen finanziert, die hinter Israel stehen". Die Gruppierung sprach von einer "Gehirnwäsche" und bezeichnete Israel als "Apartheids-System". Die von der radikalislamischen Hamas ermordeten Israelis wurden in den Posts mit keinem Wort erwähnt. Auch wenn die deutsche Sektion von Fridays for Future und insbesondere deren Leitfigur Lisa Neubauer sich sehr klar von diesen unsäglichen Posts distanziert haben, gerät die Bewegung hierzulande zunehmend unter Druck. „Ich erwarte von Luisa Neubauer und Fridays for Future Deutschland eine wirkliche Abkoppelung, eine Namensänderung der Organisation und den Abbruch jeglicher Kontakte zu Fridays for Future International“, sagte etwa Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Denn von Fridays for Future International könne man nichts anderes mehr erwarten „als krude Geschichtsverdrehung, Dämonisierung Israels und nun auch noch Verschwörungsideologie“. Und Klaus Hillenbrand kommentiert in der TAZ:
"Da kann Luisa Neubauer noch so häufig wiederholen, dass die deutsche Sektion der Klimaschützer ausschließlich hehre Ziele verfolgt – die Glaubwürdigkeit ist dahin. [...] Zumal Bewegungsikone Greta Thunberg nicht in der Lage ist, zwischen Angreifern und Angegriffenen zu unterscheiden. Das ist mehr als ein PR-Problem. Das ist Antisemitismus pur."

Vielleicht wären sie doch besser Freitags in die Schule gegangen als auf der Straße zu demonstrieren. Mit diesemm etwas salopp-süffisanten Gedanken weist Kaja Klapsa in der WELT dann aber doch sehr ernsthaft auf einen übergeordneten Aspekt des Problems hin, dass sie in der "gefährlichen Ahnungslosigkeit junger Menschen beim Nahost-Konflikt" festmacht. Denn die antisemitischen Ausfälle der Klimaschützer zeugten "nicht nur von Antisemitismus, sondern auch von einer verstörenden Wissens- und Bildungslücke der jungen Generation." Ursache dafür sei ein "eklatanter Mangel an Politikunterricht. Kaum ein Schüler dürfte sich während seiner Schullaufbahn jemals mit dem Nahost-Konflikt befasst haben, die Geschichte der Juden beginnt und endet meist mit dem Holocaust. Ein Skandal, über den viel zu selten gesprochen wird." Und sie verweist auf eine Studie der Universität Bielefeld, alljährlich ermittelt, wie oft in den jeweiligen Bundesländern eigentlich Politikunterricht stattfindet:
"Das Ergebnis ist niederschmetternd. In Berlin etwa macht politische Bildung in der Oberstufe 1,5 Prozent der gesamten Wochenstunden aus. In den Bundesländern Hamburg, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gibt es in der Oberstufe gar keinen verpflichtenden Politikunterricht. Zehntausende Abiturienten schließen also ihre Schullaufbahn ab, ohne ernsthaft über grundlegende politische Zusammenhänge aufgeklärt worden zu sein."


Und dann kommt schließlich noch Luisa Neubauer, die deutsche Fridays for Future Frontfrau, selbst zu Wort in einem zieeeemlich langen, interessanten Interview mit der ZEIT. "Ich bin entsetzt" so Neubauer, "von der Intensität, mit der gerade jüdisches Leid negiert wird. Das hätte ich mir nicht ausmalen können. So geht es wahrscheinlich gerade vielen. Meine Social-Media-Kanäle werden plötzlich überrannt von Leuten, die Hamas-Terrorismus verharmlosen und Israel das Existenzrecht absprechen." Als Erklärung für den antisemitischen Impetus bei Friday International, in den Israelis schlicht die Unterdrücker und Privilegierten zu sehen, während die Palästinenser als Unterdrückte, für die man einstehen muss, betrachtet werden, sagt Neubauer:
"Das ist nicht meine persönliche Meinung, aber ein Auswuchs von einem Diskurs, wie ich ihn international mitbekomme. Dazu kommt, dass Palästinenser in weiten Teilen des internationalen Diskurses als Indigene gelesen werden. Und wenn wir über Klimagerechtigkeit sprechen, dann sind indigene Menschen im Zentrum vieler Kämpfe, sie gehören zu denen, die enorme Ungerechtigkeiten erfahren, obwohl sie auch diejenigen sind, die weite Teile der Ökosysteme und Artenvielfalt schützen."

Und zur Ikone der Bewegung Greta Thunberg sagt sie: "Dass Greta Thunberg bisher nichts Konkretes zu den jüdischen Opfern des Massakers vom 7. Oktober gesagt hat, enttäuscht mich." Gefragt, ob sie nicht der Forderung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden nach einer Umbenennung nachkommen müsste, antwortet sie:
"Ich habe Herrn Schuster eine Mail geschrieben und die Lage geschildert. Für uns geht es jetzt darum, zu schauen, mit wem wir noch eine Arbeitsgrundlage auf Basis gemeinsamer Werte finden und wo die sein könnte. Ich verstehe den Fokus auf den Namen, aber für uns als Bewegung ist das zweitrangig, eine Namensänderung löst nicht das eigentliche Problem, vor dem wir stehen. Wenn wir uns jetzt nur noch auf Deutschland fokussieren würden, widerspricht das dem Umstand, dass die Klimakrise global ist. Es braucht also eine Form von globaler Bewegung. Und wir müssen jetzt herausfinden, wie das funktionieren kann."


Einen tiefen und verstörenden Einblick in die Zerissenheit der politischen Linken weltweit und in Deutschland im Blick auf deren Reaktionen auf die Greueltaten der Hamas, das Verhältnis zu Israel und mithin zum Antisemitismus geben Jean-Philipp Baeck und Christian Jakob in einer unbedingt lesenswerten, längeren Reportage für die TAZ. Sie waren in den einschlägigen Kreisen etwa in Berlin und Hamburg vor Ort und haben mit unterschiedlichen Aktivisten der linken Szene, aber auch mit betroffenen Juden und Jüdinnen gesprochen. Die Ausgangslage der linken Zerrissenheit, die sie am Beispiel ihrer persönlichen Begegnungen und vieler Dispute darstellen, beschreiben sie so:
"Häufig geprägt von den Postcolonial Studies, gibt es viele, die der Meinung sind, es stehe ihnen nicht zu, darüber zu urteilen, auf welche Weise andere Widerstand leisteten... Auf Instagram, Twitter, Facebook und Tiktok bejubeln manche Linke den Hamas-Terror – oder wollen ihn nicht verurteilen, wie etwa der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis: Wer versuche, ihm eine Verurteilung der Hamas-Guerilla zu entlocken, „wird sie nie bekommen“, schrieb er. Das Problem sei die „Apartheid, die die Gewalt hervorruft“, so Varoufakis. Und dann gibt es jene Linken, für die – mit Blick auf die Geschichte –, klar ist: „We stand with Israel“. Dieser Streit zeigt sich seit dem 7. Oktober im gesamten Westen. Allerdings nicht als innerlinke Diskussion. Denn Solidarität mit Israel von nichtjüdischen Linken ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein Phänomen im deutschsprachigen Raum. International hingegen stellen sich linke Aktivist:innen, progressive Akademiker:innen und postkolonial Denkende im Kunstbetrieb meist an die Seite der Palästinenser:innen. Und bei einigen endet dies in einer Glorifizierung der Gräueltaten der Hamas."

Der Befund einer zerrissenen Linken deckt sich auch mit der ebenfalls sehr interessanten Analyse von Thomas Assheuer in der ZEIT über den "kalten Blick des Postkolonialismus". Asseheuer konstatiert zunächst ähnlich wie die TAZ-Autoren, dass die globale Linke keine "moralische Gemeinschaft" mehr bilde und in das Lager der Universalisten, die an den Werten der Aufklärung festhalte, und jenes der Postkolonialisten, die in diesen Idealen nur noch eine typisch westliche, mit "Moral verkleisterte Herrschaftstechnik" sehen wollen. Insbesondere das postkoloniale Lager sei nicht bereit, in dem Hamas-Massaker das zu erkennen, was es ist: "das radikal Böse". Und dies habe sich im Falle der Hamas wie folgt gezeigt:
"Keine Tat, das ist banal, findet in einem historischen Vakuum statt, aber damit ist nichts entschuldigt. Monatelang hat die Hamas die Massenexekution von Zivilisten geplant, sie hat ihre mörderische Orgie akribisch vorbereitet und das Barbarische minutiös und bis ins Detail einstudiert. Die Killer haben das Grauen nicht entfesselt, sie haben es organisiert, ihr Sadismus war Kalkül. Die monströse Tat sollte das jüdische Traumagedächtnis aufwühlen und sich zugleich so tief und so unverzeihlich darin eingraben, dass ein künftiges Zusammenleben undenkbar wird. Indem die Todesschwadronen der Hamas ganze Familien auslöschten, bestritten sie den Israelis nicht nur das Recht auf staatliche Existenz, sondern das Recht auf Leben selbst. Juden sollten erfahren, was sie längst wussten: Sie sollten wissen, was ein Todfeind ist."
In Anlehnung an Kant schlussfolgert er im Blick auf das Handeln der Hamas:
"Mit voller Absicht und bei klarem Bewusstsein macht sie das Böse zu ihrer "Triebfeder"; sie begeht die Tat nicht obwohl, sondern weil sie gegen das Moralgesetz verstößt. Oder noch anders gesagt: Die Wahl einer teuflischen Maxime beruht auf einem "Actus der Freiheit" und muss dem Täter moralisch zugerechnet werden. Eine Maxime, die der freien Wahl des Bösen entspringt, kann man weder kontextualisieren noch relativieren. Sie war gewollt."
Vor diesem Hintergrund, so Assheuer, laute die Kritik an der postkolonialen Linken:
"Wer das Faktum moralischer Freiheit mit Hinweis ausblendet oder als Ideologie toter weißer Männer denunziert, der bekommt den kalten Blick. Er löst den Hamas-Terror von seinen bestialischen Motiven und erklärt ihn zur logischen Folge historischer Unterdrückung, dem schreienden Unrecht der israelischen Besatzung beziehungsweise ihrer gesichert rechtsradikalen Regierung. In dieser Sichtweise sind die unzähligen Opfer und das namenlose Leid der Hinterbliebenen gewiss beklagenswert; doch letztlich sind sie nur Kollateralschäden im asymmetrischen Abwehrkampf gegen den "israelischen Siedlerkolonialismus". In der moralischen Arithmetik ist die Schuld ohnehin eindeutig verteilt: Sie liegt aufseiten Israels."

In einem bemerkenswerten Interview mit der TAZ erklärt der jüdische Künstler Leon Kahane, Mitbegründer des „Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst“, dass seines Erachtens die Solidaritätsbekundungen von Kulturschaffenden mit der Hamas repräsentativ für den gesamten Diskurs in der überwiegend linken Kulturszene seien. Dass die hierbei überwiegend postkoloniale Linke so anfällig für Antisemitismus ist, erklärt er sich auch mit einer unter linken Kulturschaffenden zu beobachtenden Abwertung von Aufklärung und Moderne:
"Die Geschichte der Moderne ist auch – nicht nur, aber auch – eine Geschichte des Judentums, und die Geschichte der Antimoderne ist immer eine Geschichte des Antisemitismus. Ich sage ganz bewusst Antimoderne und meine nicht den kritischen Ansatz, dass man mit Mitteln der Aufklärung die Schuldzusammenhänge der Moderne aufklärt. Sondern ich meine die Abwicklung der Aufklärung. Am Ende dessen steht dann nicht eine bessere Welt, sondern nur noch Autoritarismus. Wenn man eine Antimoderne mit modernen Mitteln erwirken will, dann ist man bei der Hamas".
Diese Haltung spiegele sich auch in der  Vorliebe für identitäre Kunst:
"Oft wird das Indigene zum Gegenstand von Projektionen. Das geht einher mit der Überhöhung einer Idee von Ursprünglichkeit und Authentizität. Sehr viel wird über die Kategorie des 'Volks' verhandelt. Anstelle des Individuums tritt das Kollektiv: Wir sind, was wir sind, und das ist ungebrochen und unhinterfragbar. Ich glaube, das ist das, was gerade Deutsche attraktiv finden am Postkolonialismus, weil sie sozusagen ein Verantwortungsverhältnis nach außen verschieben."

Mit dem Phänomen, dass gerade eigentlich "große" Künstler und Intellektuelle über Israel schreiben, als habe es den 7. Oktober nie gegeben, befasst sich auch Roman Bucheli in einem scharf formulierten Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, führt eine Reihe hanebüchener Beispiele an und kommentiert an einer Stelle:
"Das Massaker der Hamas wird verharmlost oder gleich ungeschehen gemacht, indem es aus dem Gedächtnis gelöscht wird. Es erforderte keine besondere prophetische Gabe, um schon am Morgen nach dem 7. Oktober voraussagen zu können, dass Israel für das Massaker würde büssen müssen. Es würde dafür bestraft werden, das Opfer einer schändlichen Bluttat geworden zu sein. Denn die Terroristen der Hamas, so insinuieren heute manche Formulierungen, hatten keine Wahl, sie mussten einfach morden."
Neben den erschreckenden Negativ-Beispielen aus Kunst- und Intellektuellen Szene weiß er aber auch wenigstens ein positives Beispiel zu benennen. Die Schweizer Musikerin Sophie Hunger habe sich vor ein paar Tagen mit einem eindrücklichen Tweet gemeldet, in dem sie jene Künstler, die sich heute alle Mühe gäben, die Gefühle von Hamas-Anhängern nicht zu verletzen, daran erinnerte, dass genau sie in einem von der Hamas geführten Staat als Erste ihr Leben verlören:
"An diese Menschen richtet sie nun diesen fast verzweifelten Appell: 'Hamas hört eure Musik nicht, sie kümmert sich nicht um Freiheit, sie hasst alles, wofür wir stehen. Darum greift sie nicht militärische Einrichtungen an, sondern ein Musikfestival und linke Kibbuz-Familien, die selber Gegner der rechten Regierung sind.' Sie habe begonnen, niemandem mehr zu folgen, der in dieses Fahrwasser geraten sei. Aber sie komme gar nicht mehr nach, so viele seien es. Auch Künstler, mit denen sie zusammengearbeitet habe."

Die Links zu den Themen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

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Was "Religion" oder "religiös" ist, ist keineswegs so eindeutig, wie es vielen erscheinen mag. Daher wundert es kaum, dass die Frage nach "Religion" oder "religiös" auch Gegenstand einer wissenschaftlichen, medialen, aber auch ganz alltäglichen Debatte ist. Sind Atheist:innen insgeheim religiös? Sind «Sekten» Religionen? Sind Umweltbewegungen religiös? Ist Politik auch Religion oder doch etwas ganz anderes? Wenn ich an Gott oder etwas Höheres glaube, mich aber keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühle, bin ich dann religiös oder einfach nur gläubig oder spirituell? Rafaela Estermann, Religionswissenschaftlerin geht in einem längeren, sehr instruktiven Beitrag für das schweizer Portal RELIGION.ch, zu deren Redaktionsleitung sie gehört, diesen Fragen und ihrer Bedeutung für den interreligiösen Dialog nach. Dabei stellt sie ein Konzept vor, in dessen Mittelpunkt nicht "die Religion" und mithin "das Christentum", "der Islam" oder "das Judentum" steht, sondern vielmehr das Individuum und dessen je individueller Zugang zur Welt. Daher spricht sie von religiösen und nicht-religiösen "Weltzugängen". Denn nicht jeder und jede ist religiös, einen Weltzugang haben aber alle. Was diese veränderte Perspektive für das Verständnis von "Religion" und "religiös" bedeutet und wie es sich auf den interreligiösen Dialog auswirkt, erläutert sie in ihrem Beitrag: "Was ist Religion? Eine Idee für den Interreligiösen Dialog".

Der nächste Weltgebetstag der Frauen (WGT) findet im März 2024 statt und wird von Christinnen aus Palästina gestaltet. Das Motto lautet "...durch das Band des Friedens". Klingt unverfänglich, aber nun hat der Deutsche Koordinierungsrat, Dachverband der mehr als 80 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland, in einer Presseerklärung vom 30. Oktober den Organisatoren des WGT „christlichen Antisemitismus schlimmster Art“ vorgeworfen. Das bekannt gewordene Material zur Vorbereitung und Durchführung des WGT enthalte "falsche und tendenziös politische Aussagen, die im Zusammenhang als antisemitisch zu klassifizieren sind". Auch die WELT greift den Fall auf und kritisiert die "starke antiisraelische Schlagseite" auf der internationalen Ebene des Weltgebetstages. So sei etwa die Hamas in Gaza kein Thema und von der "Gewaltherrschaft und Frauenfeindlichkeit der Hamas" ganz zu schweigen. Zudem gehöre zu den drei in der Planung verantwortlichen palästinensischen Christinnen Nora Carmi, die sich für die BDS-Bewegung engagiere: "Wie christliche Frauen antiisraelische Propaganda verbreiten".

Der Konflikt um das Heilige Land ist erneut ausgebrochen, in einer noch nie dagewesenen Heftigkeit. Warum ist dieser Landstrich derart umkämpft? Wo liegen die Wurzeln dieses Konflikts? Welche Rolle spielen Religionen, welchen Stellenwert haben unterschiedliche Narrative? Und welcher Friede ist jetzt noch möglich? Über diese Fragen sprach Olivia Röllin im SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN mit dem Islamwissenschaftler Reinhard Schulze und dem Judaisten und Theologen Christian Rutishauser: "Israel/Palästina – Wie weiter im Land des religiösen Zwistes?"

In einem ebenso interessanten wie eigenwilligen Beitrag für die BZ BASEL setzt sich der Basler Theologieprofessor Georg Pfleiderer mit den Reaktionen auf das Hamas-Attentat und seine Folgen auseinander. Dabei hat er vor allem die diskursive und moralische Dimension der Debatte im Blick: "Wie urteilt und wie spricht man adäquat über ein solch monströses Ereignis wie das vom 7. Oktober und über das, was es als Reaktionen ausgelöst hat und noch auslösen könnte? Diese zweite Seite, der Streit über die Diskursmoral, ist sogar wichtiger als jene erste." Und hier beobachtet er u.a. zunächst einen bemerkenswerten Rollenwechsel. Während bislang die um political correctness bemühte, woke Linke in vielen der gegenwärtigen Diskurse auf eine klare Positionierung pocht und das liberal-bürgerliche Lager eher für kontextbezogene Differenzierung und Kompromiß plädiert, gebe ist im gegenwärtigen Israeldiskurs einen erstaunlichen Rollenwechsel: "Nun sind es überwiegend Linke (teilweise auch ganz Rechte), die für Differenzierung beim neuen Nahostkonflikt plädieren, und viele Bürgerlich-Liberale oder Konservative verlangen möglichst klare, eindeutige Bekenntnisse zu Israel." Gleichwohl stünden beide Lager aktuell stark unter dem Druck, Stellung zu beziehen für die eine oder die andere Seite. Und das wiederum erinnert ihn an ein Wort aus dem Neuen Testament: «Wer nicht mit mir ist, ist wider mich» (Mt. 12, 30). Das wiederum sei "von jeher das Credo apokalyptischer Weltsicht und Politik. Angesichts des drohenden Untergangs, der Vernichtung, gebe es kein Abwägen, da gebe es nur entschiedenen Kampf; koste er, was es wolle; Opfer sind in Kauf zu nehmen, zur Not auch den Verlust des eigenen (oder unschuldigen) Lebens." Und so sieht Pfleiderer eine "Tendenz zur «Apokalyptisierung» des öffentlichen Diskurses" am Werk, "die im neuen Nahost-Diskurs seit dem Fanaltag, dem 7. Oktober 2023, zumindest in Teilen zu beobachten ist." Das sei freilich nicht verwunderlich, denn "das schreckliche Ereignis hat in der Tat viele Ingredienzen des Apokalyptischen" aufzuweisen, die Pfleiderer sodann im einzelnen beschreibt: "Ohne Wenn und Aber? Der 7. Oktober als apokalyptisches Ereignis".

In einem kernigen Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kritisiert Martin Grichting, ehemaliger Generalvikar des Bistums Chur, das seines Erachtens weitgehende Versagen der gebildeten Öffentlichkeit, den Kern des islamistischen Überfalls der Hamas wirklich zu verstehen. Die Taten der Hamas - "Akte der Entmenschlichung" - würden "mit der Psychologie frustrierter und perspektivloser Männer oder mit dem Einsatz von Drogen 'erklärt'". Dem entegegen sei jedoch "der Elefant im Raum ... die Religion. Man ist offenbar nicht in der Lage, ihn zu sehen." Nehme man ihn jedoch zur Kenntnis, kommt unweigerlich der Islam ins Spiel. Zu dessen Bestandteil gehörten nicht nur Gewaltaufrufe, sondern auch eine elementar "desintegrierende" und "segregierende" Lehre. Er zitiert aus dem Koran: «Nehmt euch die Juden und Christen nicht zu Freunden! Sie sind einander Freunde. Wer von euch sich ihnen anschliesst, der gehört zu ihnen.» Daraus resultieren eine "Unterscheidung in Erst-, Zweit- und Drittklassmenschen", die "mit der Gleichheit aller Menschen sowie der voraussetzungslosen Geltung der Menschenrechte unvereinbar" ist und einen "Hochmut gegen nichtislamische Bewohner und Völker" generiere: "Hierin liegt die Wurzel vieler Übel, die sich politischen und sozialpädagogischen Herangehensweisen entziehen."
Ein gänzlich anderes Bild des Islam zeichnet dem entgegen im Interview mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG mit Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik und Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster. Auf die Frage der Haltung des Islams zu anderen Religionen sagt er: "Wenn Gott grösser ist und keiner die absolute Wahrheit besitzt, so bleiben wir alle Suchende, egal welcher Religion und Weltanschauung, wir bleiben alle Brüder und Schwestern im Menschsein an erster Stelle." Auf den Einwand des Fragestellers, dass man derzeit auf den Straßen doch eher das blanke Gegenteil erlebe und ob diese Menschen keine Ahnung vom Islam hätten, entegegnet Korchide:
"Die meisten der laut auftretenden Muslime beschäftigen sich nicht selbst mit dem Islam und verlassen sich auf das, was ihnen der Imam mitgibt. Viele von ihnen sind bildungsfern. An die Imame müssen wir deshalb unbedingt ran, sie haben sehr viel Einfluss. Ihre Ausbildung in Deutschland an deutschen Universitäten steckt noch in den Kinderschuhen. Werden sie weiter im Ausland oder in privaten Institutionen ausgebildet, haben wir keinen Einfluss auf die Inhalte."  

Alle Links und Informationen zu den Themen in der INTERRELIGIÖSE WELT.

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In einem sehr persönlichen Text für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG schildert Anetta Kahane, Senior Consultant und ehemalige Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung, wie sie sich in den ersten Tagen nach dem Überfall der Hamas auf Israel fühlte, "als wäre ich eine einzige Wunde. Dieses Gefühl begleitet seitdem jede banale Bewegung meines Alltags". Fassungslos und ratlos nimmt sie zur Kenntnis, wie das grausame Massaker von vielen verharmlost und der dahinter stehende Ungeist nicht erkannt wird:
"Wie kann es sein, dass westliche junge Leute, die nach Emanzipation streben und sehr sensibel auf jegliche diskriminierende Geste reagieren, jetzt diesen Hamas-Schlächtern hinterherlaufen, wie dem Rattenfänger von Hameln? Ich frage mich, welcher Selbsthass sie dazu führen kann? Wie stark muss das Gefühl sein, mit westlicher Freiheit und Wohlstand auf der falschen Seite zu stehen? Warum wollen sie, statt für alle Freiheit, Menschlichkeit und Wohlstand zu erstreiten, genau das Gegenteil? Mit all ihrer Bildung an den westlichen Unis könnten sie doch wissen, dass alles, was sie verkörpern, von der Hamas zutiefst verachtet wird. Wie kommen sie darauf, dass ausgerechnet die islamistische Hamas Gerechtigkeit brächte? Für wen?"

Der 1972 in Israel geborene, seit zehn Jahren in Berlin lebende Schriftsteller Mati Shemoelof beschreibt in einem längeren, spürbar betroffenen Text seine Zerissenheit und Verzweiflung in Anbetracht der Vorgänge in Israel und Gaza. In Berlin hat er sich auf verschiedene Weise für ein israelisch-arabisches Miteinander eingesetzt. Am Ende seines bewegenden Textes schreibt er:
"Aber jetzt befürchte ich, dass Israel und Palästina zu einem weiteren Irak oder Afghanistan werden. Aber woher soll ich das wissen? Ich habe das alles nicht wirklich kommen sehen. Ich hoffe, dass ich auch hier falsch liege – so, wie ich es nicht tat: indem ich nicht nach Israel fuhr und in Berlin blieb. Aber die Realität beißt sich mit der Möglichkeit des Friedens. Ich sage meiner Partnerin, dass die Chance auf Frieden mit den Palästinensern und den Israelis verloren ist. Und sie weint und sagt: „Sag das nicht!“ Und ich weine mit ihr."

Im Interview mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG bekennt Charlotte Knobloch, Präsidentin der jüdischen Gemeinde Münchens, dass der Terror der Hamas in Israel und die Gewalt gegen Juden auf Europas Straßen Erinnerungen an den Holocaust weckt: «Ich hätte nie geglaubt, dass der Holocaust noch einmal sichtbar wird». Mit einem Hauch bitterer Ratlosigkeit kommentiert sie die aktuellen Vorgänge und erzählt, dass sie sich derzeit um Menschen kümmere, die aus Israel nach Deutschland geflohen sind. Auf die Schlussfrage des Interviews, was für sie während der letzten Jahrezehnte, in denen sie als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München wirkte, Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses und Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland war, was für sie, wenn Sie nun zurückschaue, überwiegt, die schönen Momente oder die schlimmen, antwortet sie:
"Die schlimmen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hat die Stimmen von vier Personen aus der jüdischen Diaspora zusammengetragen, die erzählen, wie sich ihr Alltag seit dem Terrorangriff in Israel verändert hat: die Berliner  Literaturwissenschafterin und Journalistin Bettina Leder, den in in New York geborenen, heute in Dresden und Basel wirkenden Rabbiner Akiva Weingarten, die Frankfurter Familentherapeuting Susi Ajnwojner und den österreichischen Schriftsteller Robert Schindel. Letzterer etwa fordert in deutlichen Worten Härte von Israel im Kampf gegen den Terror:
"Viele warnen Israel vor den Opfern in der Zivilbevölkerung von Gaza. Dabei muss man das vor allem der Hamas sagen! Niemand kann von Israel erwarten, dass es seine eigene Bevölkerung töten lässt und sich nicht wehrt. Man kann nicht die ganze Zeit schreien: 'Die arme Zivilbevölkerung.' Wenn die Palästinenser sich die Anführer wählen - und immer wieder wählen -, die sie ins Verderben stürzen, dann kann man nachher nicht die anderen dafür verantwortlich machen. Ich will der Zivilbevölkerung nichts Böses. Aber wenn man sich für die Hamas entscheidet, zahlt man einen Preis. Natürlich hat die Bevölkerung dennoch nicht verdient, was passiert und vielleicht noch passieren wird in diesem Krieg."

Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik JÜDISCHE WELT

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Er versteht sich als ein Speaker von Gottes Gnaden: der frisch gewählte Sprecher des US-Repräsentantenhauses Mike Johnson. Mit dem Evangelikalen aus Louisiana hat die christliche Rechte so viel Einfluss im Kongress wie nie. «Gott ist derjenige, der die Obrigkeit einsetzt», sagte Mike Johnson bei seiner Antrittsrede am Donnerstag im Repräsentantenhaus. Bernd Tenhage stellt für das schweizer Portal KATH.CH den Mann vor, der nun das dritthöchste Amt in den USA begleitet: "Die Bibel ist sehr eindeutig".
Der Link dazu in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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