Guten Tag!
In einem Beitrag für den österrichischen STANDARD stellt Gudrun Harrer in kurzen Porträts die beiden wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Hamas näher vor. Zum einen ist das Yahya Sinwar, der politische Chef und mittlerweile wohl mächtigste Mann der Hamas, zum anderen Mohammed Deif, der Kommandant des militärischen Arms der Hamas. Israel will erklärtermaßen den Tod beider Anführer. Aktuell stellt sich freilich dabei auch das Problem, dass beide wohl noch benötigt werden, um einen Geiseldeal einzufädeln. Ohne Frage gelten jedoch auch beide als die entscheidenden "Drahtzieher des Angriffs auf Israel am 7. Oktober".
Im libanesischen Baalbek hat die Hisbollah ein Propaganda-Museum eröffnet. Seit Anfang August kann man dort, einige hundert Meter über der Stadt, ein sogenanntes Dschihad-Museum besichtigen – eine absurde Mischung aus Geschichtspropaganda und Waffenschau. Der Fokus liegt - es überrascht kaum - auf ihren Kampf gegen Israel, aber nicht nur, wie Leon Holly in seiner Reportage für die TAZ berichtet: "Gegen „IS“ und Israel zugleich".
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Die rechtsextremen Koalitionspartner von Israels Ministerpräsident Netanyahu fallen dieser Tage vor allem durch radikale Rhetorik auf. Israels Minister für nationale Sicherheit - und Mitglied der rechtsradikalen Partei "Jüdische Stärke" Itamar Ben-Gvir etwa will die 1954 abgeschaffte Todesstrafe wieder einführen. Und sein Parteikollege Amichai Elijahu, der Minister für Kulturerbe, erwägt in einem Radiointerview, eine Atombombe auf den Gazastreifen zu werfen. Für gewöhnlich lässt Netanjahu derlei Radikalismen unkommentiert, aber die Äußerung von Elijahu ging ihm dann doch zu weit und er schloß ihn vorerst von den Kabinettssitzungen aus. Dennoch steht der Regierungschef insgesamt weiter unter dem Druck der Ultrarechten, wie Björn Dake für TAGESSCHAU.de erläutert: "Von der Atombombe bis zur Todesstrafe".
Tausende Juden und Jüdinnen aus der Diaspora sind nach Israel gekommen, um das Land zu unterstützen. So haben sich etwa 7000 Ärzte und Ärztinnen aus dem Ausland laut Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums für den freiwilligen Dienst in Israel gemeldet, rund 200 von ihnen sind schon im Land. Darunter der international renommierte Arzt Teo Dagi. Der 75-jährige ist Professor an der Mayo Clinic in Minnesota und gilt als einer der renommiertesten Neurochirurgen der Welt. Seit sechs Wochen arbeitet er nun schon Seite an Seite mit den Chirurgen des Sheba-Krankenhauses. Maria Sterkl schildert für den STANDARD seine Beweggründe und seine Arbeit vor Ort in Israel: "Manchmal ist es besser, die Kugel nicht zu entfernen".
In Ashkelon, der am stärksten bombardierten Stadt Israels, schlagen immer wieder Raketen der Hamas ein – auch in das Spital. Die verbliebenen Einwohner leben mit Angst, Wut und dem konstanten Donnern des Kriegs im nahe gelegenen Gazastreifen, wie Karin A. Wenger und Dominic Nahr in ihrer Reportage die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG berichten: "Früher versorgten Israeli hier Patienten aus Gaza – jetzt ist das Spital von Ashkelon an der Frontlinie".
Von den rund 9,7 Millionen Einwohnern Israels sind etwa 75 Prozent jüdisch und damit eigentlich zum Wehrdienst verpflichtet, Männer wie Frauen. Doch seit jeher sind die Angehörigen der ultra-orthodoxen Bevölkerung seit der Zeit der Staatsgründung vom ersten Premierminister David Ben-Gurion davon freigestellt. Ihnen sollte ermöglicht werden getreu dem Motto „Die Tora ist unser Brot“ zu leben, d.h. sie sollten sich ungestört dem Studium von Tora, Talmud und anderen Schriften des Judentums widmen können. Ein Politikum, das gerade in den letzten Jahren immer wieder heftig umstritten und diskutiert wurde. Nun hat sich zur Überraschung vieler offenbar ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Seit dem 7. Oktober, dem Massaker der Hamas auf israelischem Boden, stehen ultr-orthodoxe Männer wie Frauen regelrecht Schlange vor den Rekrutierungsbüros des Militärs, wie Antje C. Naujoks in ihrer Reportage für ISRAELNETZ schildert: "Die ultra-orthodoxe Überraschung".
«Eretz Nehederet», was übersetzt «Ein wunderbares Land» heisst, ist die populärste politische Satireshow in Israel. Seit nun genau zwanzig Jahren wird sie wöchentlich ausgestrahlt, um die 30 Prozent aller Israeli schauen sie regelmässig. Dabei muss man sich auf einiges gefasst machen, denn ihr Humor ist schwärzer, aggressiver und härter, als man ihn in Europa oder den USA gewohnt ist. Dabei entlarvt ihr harter Humor gleichermaßen die Heuchelei westlicher Medien und linker Aktivisten im Palästinakonflikt, wie Birgit Schmid in einem beeindruckenden Porträt der Satiresendung für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG darlegt. "Berühmt wurde ein Sketch, der die israelisch-palästinensischen Friedensgespräche als Videogame «Angry Birds» zeigte. Die Parteien, dargestellt als Schweine und Hühner, grunzten und gackerten sich an." Dann kam der 7. Oktober - und es vergingen neunzehn Tage, bis «Eretz Nehederet» wieder auf Sendung ging. So lange hat die Show noch nie pausiert, nicht während der Corona-Pandemie, nicht während anderer traumatischer Ereignisse in Israel. Und nun scheuen die Satiremacher auch nicht davor zurück, die Hamas durch den Kakau zu ziehen: «Ich studiere im Hauptfach queere postkoloniale Astrologie».
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In einem sehr instruktiven Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG fasst Eike Hoppmann unterstützt von anschaulichen Grafiken eine Reihe von statistischen Daten und Meinungsumfragen zusammen, die einen bisweilen überraschenden, oft bestätigenden Eindruck liefern, wie es um die Stimmung im Blick auf Israel in Europa steht. So etwa was die Anzahl pro-israelischer im Vergleich zu pro-palästinensischen Demonstrationen in Europa betrifft oder bezüglich des Stimmungsbildes in europäischen Ländern bezüglich Solidarität mit Israel oder Sympathie für die Palästinenser. Während etwa europaweit dreimal so viele Pro-Palästina- wie Pro-Israel-Demonstrationen zu verzeichnen sind, ist das Verhältnis in Deutschland relativ ausgeglichen. Und was die Sympathien pro Israel oder pro Palästinenser betrifft, zeigt sich auf europäischer Ebene ein recht unterschiedliches Bild: In Spanien und Grossbritannien ist die Bevölkerung gespalten. Gleich grosse Teile halten es eher mit Israel oder mit den Palästinensern. In anderen Ländern, besonderes Deutschland, steht freilich eine deutliche relative Mehrheit an der Seite Israels: "In Europa häufen sich die Pro-Palästina-Demos. Aber der dadurch entstehende Eindruck täuscht".
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2018 veröffentlichte die Grimme-Preisträgerin Annette Hess das Buch «Deutsches Haus» und ist auch für die Drehbücher der gleichnamigen Mini-Serie verantwortlich, die zur Zeit auf Disney+ zu sehen ist. Gemeinsam mit den beiden Regisseurinnen Isabel Prahl und Randa Chahoud präsentiert sie in fünf Folgen eine packende und mutige Geschichte über eine junge Frau, die zum ersten Mal in Berührung mit den grausamen Morden in Auschwitz kommt. Im Mittelpunkt Eva Bruhns, die in behüteten Verhältnissen aufwuchs. Ihre Eltern Edith (Anke Engelke) und Ludwig (Hans-Jochen Wagner) betreiben die Wirtschaft „Deutsches Haus“, sie selbst arbeitet als Polnisch-Dolmetscherin und ist mit dem Versandhauserben Jürgen Schoormann (Thomas Prenn) verlobt. Diese Idylle nimmt jedoch zunehmend Schaden, als sie 1963 engagiert wird, um bei einem Gerichtsprozess in Frankfurt zu dolmetschen. Es ist der Auschwitz-Prozess. Die Serie mit weiteren hochkarätigen Schauspielern wie Iris Berben, Henry Hübchen und Heiner Lauterbach, findet bei den Kritikern ein geteiltes Echo. Marie-Luise Goldmann lobt in der WELT, die Serie "führt eine Vielfalt an Verdrängungsmechanismen vor, von denen die Generationen der Nachkriegszeit Gebrauch machten." Ähnlich Konstantin Sakkas, der in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG schreibt, die "herausragende Miniserie «Deutsches Haus» hält das verlogene Schweigen im Nachkriegsdeutschland fest." In der TAZ meint dementgegen Monty Ott kritisch, die Serie trete an, "um aufzuklären - und gerät doch in den Strudel deutscher „Wiedergutwerdung“. Harte Kritik kommt indes von Matthias Dell, der die Serie als massenkompatible "Form der im deutschen Fernsehen so beliebten Geschichtsverwurstung" qualifiziert u.a. schreibt:
"Die prominente Besetzung der Serie von Heiner Lauterbach bis Iris Berben mag im ersten Moment beeindrucken. Für die Regie (Isabel Prahl, Randa Chahoud) stellen sich die höchst unterschiedlichen schauspielerischen Register bald als Flohzirkus heraus, der nicht zu bändigen ist. Zumal alle Personen wirken, als seien sie frisch aus der Zellophanfolie geknispelt – der (reale) sadistische SS-Oberscharführer Wilhelm Boger sieht in der Verkörperung von Lauterbach aus wie ein Best Ager, der vor der nächsten E-Bike-Tour noch Werbung für Zahnpasta machen könnte."
Regisseur David Bösch inszeniert die Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ des russischen Komponisten Grigori Frid (1915–2012) mit Olivia Warburton an der Opera stabile der Hamburger Staatsoper, wie Stefan Grund in der TAZ berichtet. Das Stück vor dem Hintergrund des Krieges in Israel und im Gaza-Streifen, vor dem Hintergrund weltweiter antisemitischer Demonstrationen und Übergriffe zu inszenieren, sei „kaum auszuhalten“, erzählt Bösch, denn die Entwicklungen konnte niemand ahnen, als die Inszenierung geplant wurde: "Eines von sechs Millionen ausgelöschten jüdischen Leben"
Mala Zimetbaum wird 1918 in Brzesko, östlich von Krakau, in eine jüdisch-polnische Familie geboren. Nach einem Aufenthalt in Mainz vor 1918 leben die Eltern mit ihren vier Kindern ab 1928 in Antwerpen. Eine wirtschaftlich florierende Stadt, wo Mala in einem Modegeschäft arbeitet. Im Juli 1942 wird Mala bei einer Razzia festgenommen und im September ins Frauenlager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort hat sie als Läuferin und Dolmetscherin Einblick in alle Vernichtungsaktionen. Klug und risikobereit nützt sie ihre Informationen und leistet erfolgreich Widerstand: Sie rettet weibliche Häftlinge vor der Selektion ins Gas, verschafft Kranken leichtere Arbeit, knüpft Kontakte zwischen Widerstandsgruppen. Dann verliebt sie sich in den polnischen Häftling Edward Galinski. Ihnen gelingt die Flucht aus dem Lager, doch nach dreizehn Tagen werden sie wieder gefasst. Nun hat Barbara Beuys eine Biografie der "Heldin von Auschwitz" vorgelegt, wie Leonie C. Wagner für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG berichet: «Mörder, ihr werdet alle sterben!»
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Auch in unserem kleinen, so friedvoll erscheinenden Nachbarland Schweiz ist seit dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober eine Welle offener Judenfeindschaft zu beobachten, die die etwa 18 000 Menschen jüdischen Glaubens in der Schweiz in Angst und Schrecken versetzt. Eindrucksvoll dokumentieren das 15 schweizer Jüdinnen und Juden - vom Tech-Unternehmer und Bankangestellten über die Lehrerin bis hin zum orthodoxen Rabbiner - in ihren Statements, die die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zusammengetragen hat: «Ich muss meinen Kindern beibringen, wovor sie sich zu fürchten haben».
In einem Kommentar an gleicher Stelle kritisiert Marc Tribelhorn mit deutlichen Worten diese jüngste Entwicklung in der Schweiz und spricht von einem "verdrängten Antisemitismus". Die Ursachen des aktuellen Ausbruchs antisemitischer Feindseligkeiten sieht er in einem Versagen der schweizer Politik und einem fehlenden Geschichtsbewusstsein, das er in seinem Beitrag dann näherhin analysiert. Ebenfalls in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ein langes Interview mit Ralph Lewin, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, in dem er über krude linke Theorien, den Applaus der Rechten – und die Versäumnisse des schweizer Bundesrats im Blick auf Antisemitismus und den 7. Oktober spricht: «Es ist völlig absurd, dass gewisse linke Kreise oder Angehörige des Kulturmilieus Israel als kolonialistisches Projekt missdeuten».
Im schweizer TAGES-ANZEIGER kommt schließlich in einem lesenswerten Interview die schweizer Historikerin Stefanie Mahrer, Professorin für neuere und neueste Geschichte in Bern und Basel, zu Wort, die das Verhältnis der schweizer Linken zum Antisemitismus unter die Lupe nimmt. Angesprochen auf die auch in der Schweiz verbreitete Ansicht, man müsse das Massaker der Hamas im Kontext der Unterdrückung durch Israel verstehen, sagt sie unmißverständlich:
"Es ist ein Merkmal des Antisemitismus, Juden an allem die Schuld zu geben. Juden waren schuld an der Pest, am Ersten Weltkrieg, an der Weltwirtschaftskrise und nun eben auch an den Massakern der Hamas. Als Historikerin bin ich sehr für Kontext. Aber was ist der Kontext des Massakers vom 7. Oktober? Wenn man es einfach im Kontext des palästinensisch-israelischen Konflikts versteht, geht es um ein weiteres Ereignis in einer langen Reihe gewalttätiger Ereignisse. Aber der 7. Oktober ist ein Ereignis, das komplett singulär ist in seiner Brutalität, in seinem genozidalen Charakter. Wenn Babys vor laufenden Handykameras geköpft werden, fällt es mir schwer, das in irgendeinen Kontext zu setzen. Diese Schreckenstat muss als das verurteilt werden, was sie ist."
Der Medientheoretiker und Philosoph Gerhard Schweppenhäuser befasst sich in einem Essay für die TAZ mit dem Antisemitisms innerhalb der antiimperialistischen Linken, die Israel für "einen kriegsverbrecherischen Kolonisator im Dienst des Weltkapitals" hält. Ihnen hält er entgegen:
"Wer sich die Vernichtung des Staates Israel zum Lebenszweck macht, will niemanden von staatlicher Herrschaft befreien. Er will 'die eigenen Leute' einem - teils imaginären, teils realen - autoritären Staat unterwerfen. Was Hamas und Hisbollah als Befreiungskampf verkaufen, ist in Wahrheit Unterdrückung im Namen größenwahnsinniger religiöser Fantasien, namentlich Gottesstaat, Kalifat. Das seit Jahrzehnten andauernde Leiden der Palästinenser*innen ist ihre Verhandlungsmasse im Kampf um die Herrschaft. Indem sie die Verteidigungsschläge der israelischen Armee heraufbeschwört, nimmt Hamas nicht nur israelische Juden als Geiseln, sondern auch die Bevölkerung des Gazastreifens. Hat die antiimperialistische Linke einen blinden Fleck auf dem rechten Auge? Die Unterwerfung der Besitzlosen unter aufrührerische Anführer dient der Etablierung neuer, tendenziell faschistischer Klassenherrschaft."
Nachdem bereits zwei Mitglieder der Findungskommission der documenta vor dem Hintergrund des erneuten Antisemitismus-Skandal um Ranjid Hoskoté zurückgetreten waren (siehe Compass 15.11.2023), sind nun auch die übgriggebliebenen Mitglieder der Findungskommission komplett zurückgetreten. Die documenta befindet sich an einem Nullpunkt, selbst der Standort Kassel wird infrage gestellt, wie der HESSISCHE RUNDFUNK berichtet. Sarkastisch kommentiert Klaus Hillenbrand in der TAZ:
"Die Kräfte der Documenta samt ihren externen Beratern sind offenbar mit der Aufgabe überfordert, eine Kunstausstellung ohne Judenhass zu organisieren. Dann sollten sie es vielleicht einfach besser ganz lassen."
Unterdessen hat das Documenta-Institut unter Leitung des Soziologen Heinz Bude an vergangenem Wochenende zum Symposium nach Kassel eingeladen, um die Verwerfungen in der Kunstszene nicht zuletzt vor dem Hintergrund der weltwiten antisemitischen Folgeerscheinungen nach dem Hamas-Massaker in Israel zu diskutieren. „Kunst, Politik, Öffentlichkeit – Die documenta fifteen als Zäsur?“ lautete der Titel der Veranstaltung, an der u.a. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank und Ex-Documenta-Berater, und Nicole Deitelhoff, Konflikforscherin und fachwissenschaftliche Beraterin der Documenta 15, teilnahmen. Beide zeichneten laut FRANKFURTER RUNDSCHAU ein düsteres Bild der aktuellen Debattenkultur:
"Ab dem 7. Oktober sei klar geworden, dass man nicht dieselben Werte teile. Mitgefühl für Verletzte und unschuldig Getötete gelte bei einem Teil der Linken nur, solange sie zu den Kolonisierten gehörten. 'Diese zwei Weltanschauungen werden uns auch bei der Documenta begleiten', so Mendel. Austausch zwischen Kollegen sei nicht mehr möglich, bestätigt auch Deitelhoff. Jede Community setze als absolut, was sie für richtig halte."
Sämtliche Debattenbeiträge des Symposiums (mit Nicole Deitelhoff, Klaus Holz, Yael Kupferberg, Thomas Macho, Meron Mendel, Armin Nassehi, Maria Neumann, Natan Sznaider) sind online abrufbar:
https://www.documenta-institut.de/artikel/die-documenta-fifteen-als-zaesur-kunst-politik-oeffentlichkeit-symposium-in-kassel
Und Links zu Berichten und Kommentaren zum Thema in der Rubrik ANTISEMITISMUS.
Viele zeigten sich überrascht und bestürzt von Greta Thunbergs antisemitischen Anwandlungen. Das diese jedoch nicht vom Himmel vielen und sich bereits früher zeigten, meint Pauline Voss in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:
"Bereits 2021 teilte Thunberg einen Beitrag der Autorin und BDS-Unterstützerin Naomi Klein, die Israel 'ein Kriegsverbrechen nach dem anderen' vorwarf. Im selben Jahr drückte Fridays for Future International seine Solidarität mit den palästinensischen 'Märtyrern' und ihrem antikolonialen Kampf aus. Thunbergs Abdriften ist kein Ausflug, sondern eine zielstrebige Reise ins Reich des Antisemitismus. Seit Jahren verschreibt sich die Klimabewegung dem Konzept der 'Intersektionalität'. Dieses wissenschaftliche Konzept rückt die Verschränkungen unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen in den Fokus, um zum Beispiel Fragen des Geschlechts und der Rasse zusammenzudenken. Allerdings ist von der ursprünglichen Idee nicht mehr viel übrig geblieben. Intersektionalität dient heute vor allem als Rechtfertigung, um jeden politischen Konflikt auf einen Kampf von Unterdrückten gegen Unterdrücker zu reduzieren. Das Argumentieren haben die Anhänger der Intersektionalität schon lange verlernt, es geht ihnen lediglich darum, in einem Konflikt die Unterdrücker zu identifizieren und sie zu brandmarken. Im Nahostkonflikt haben sie ihre Fronten abgesteckt: Die Juden sind die Bösen. Dieses schematische Denken hat Thunberg offensichtlich übernommen."
Die Links zu den Themen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.
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Die Internetnutzung erfüllt bei jungen Schweizerinnen und Schweizern ähnliche Funktionen wie eine Religion. Sie ist laut einer neuen Studie rituell, mit mythologischen Vorstellungen verknüpft und führt zu übermenschlichen Erfahrungen. Zu diesem Schluss kamen Forschende der Universität Zürich (UZH) nach einer repräsentativen Befragung von Internetnutzerinnen und -nutzern, wie das Schweizer Nachrichtenportal WATSON berichtet: "Forschende der Uni Zürich sehen religiöse Tendenzen in der Internetnutzung".
Roshin Panikulam, Historikerin, Religionswissenschaftlerin und Gymnasiallehrerin im Kanton Zürich, befasst sich für das schweizer Portal RELIGION mit dem sogenannten Weltreligionenparadigma (WRP). Dahintr verbirgt sich die geläufige Aufzählung der «fünf grossen Weltreligionen», also Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Diese Auflistung folgt wiederum üblicherweise der «abrahamozentrischen Ordnung». Das heisst, die drei monotheistischen Religionen, die auf den Stammvater Abraham zurückgehen, werden zuerst genannt. Danach folgen der Hinduismus und Buddhismus. Diese fünf Religionen werden als homogene Einheiten dargestellt, sodass man dann eben von einem Weltreligionenparadigma (WRP) sprechen kann. Panikulam diskutiert in ihrem Beitrag die Schwachstellen an diesem Konzept, kritisiert die zugrundeliegenden Kriterien und schildert, wie mit dem Pardigma in Universität und Schulen umgegangen wird: "Das Weltreligionenparadigma".
In Deutschland gibt es immer weniger Familien, in denen Religion gelebt wird. Ein Befund, der mit dem allgemeinen Rückgang jener einhergeht, die noch einer christlichen Kirche oder einer anderen religiösen Gemeinschaft angehören. Gleichwohl gibt es natürlich immer noch Eltern, denen es wichtig ist, ihren Glauben zu vermitteln. Wie aber machen die das? Theresa Breinlich und Elisabeth Friedgen porträtieren für KATHOLISCH.de drei Familien, die ihre Kinder religiös erziehen, eine christliche, eine jüdische und eine muslimische Familie: "Wie religiöse Eltern versuchen, ihre Werte weiterzugeben".
Die Gewalteskalation im Nahen Osten führt auch hierzulande zu einer wachsenden Polarisierung zwischen pro-israelischen und pro-palästinensischen Gruppierungen. Dies sieht Pfarrer Andreas Goetze, Referent für den interreligiösen Dialog mit dem Schwerpunkt Islam im Zentrum Oekumene der EKHN und EKKW, mit großer Sorge und plädiert in einem Beitrag für das SONNTAGSBLATT gegen diesen Trend und für mehr Differenzierung und Empathie:
"Im deutschen Kontext wirken sich diese Polarisierungen unheilvoll auf das Zusammenleben aus. Pro-Israel gegen Pro-Palästina. Doch es hilft nicht, sich auf politische Richtigkeiten zurückzuziehen. Partizipation und Teilhabe an abstrakte Bedingungen zu knüpfen, ohne mit den betroffenen Menschen zu sprechen und ihnen zuzuhören, wird nichts bewirken außer verstärkter Aus- und Abgrenzung, Zunahme von Wut, Enttäuschung und entsprechend mehr Rückzug in das eigene Milieu. Teilhabe gelingt nur, wenn wir einander zuhören und unsere eigenen Empfindungen, Anschauungen, Einsichten teilen – und dies in der Demokratie in einer Streitkultur aushandeln und dabei gemeinsam (!) die "roten Linien" bestimmen."
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"Jüdisches Leben war, ist und… bleibt Existenz auf Widerruf", so der Historiker Michael Wolffsohn in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, die seine fraglos anregende und gleichwohl streitbare Dankesrede veröffentlich, die er bei der Entgegennahme des Israel-Jacobson-Preises der Union des liberalen Judentums am 19. November in Berlin gehalten hat. Die Leitfragen seiner Rede formuliert er zu Beginn so: "Wo waren und sind Juden sicher, wo werden sie sicher sein? Die Antwort: Juden sind nirgendwo sicher und werden es auch künftig nicht sein. Wohin? Wer weiss es?" Vor dem Hintergrund der langen historischen Überlebensgeschichte des Judentums und im Blick auf das Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober buchstabiert und befragt Wolffsohn die Faktoren, die für eine sichere jüdische Existenz zum einen in Israel und zum anderen in der jüdischen Diaspora maßgeblich sind. Dabei konstatiert er u.a. eine zunehmende "Ent-Israelisierung der Diaspora-Juden", die vor allem mit der innerjüdischen Spaltung in Israel zu tun hat, wie sie vor dem 7. Oktober überdeutlich geworden sei. Viel entscheidender sei jedoch die wachsende "allgemein weitgehend a- und antireligiöse Gegenwart von Diasporajuden und Nichtjuden". In dieser von äußeren und inneren Faktoren bedrohte jüdische Existenz seht er seine Hoffnung auf das liberale Judentum:
"Während in Israel etwa 30 Prozent der Juden im Sinne der religiösen Gebote leben - Tendenz aufgrund der hohen Geburtenrate steigend -, beträgt der Anteil religiöser Juden in der Diaspora nicht mehr als 10 Prozent. Die Synagogen sind sogar an den hohen Feiertagen (Neujahr und Jom Kippur) eher spärlich gefüllt. Unverdrossen bauen (aus schlechtem Gewissen) besonders deutsche Kommunen neue Synagogen, um zu beweisen, wie gut sie es mit den Juden meinen. Nennenswerten Zulauf verbuchen allein die inzwischen auch quantitativ beachtliche modern-orthodoxe und seelsorgerisch vorbildliche Chabad-Bewegung sowie die relativ immer noch kleine Gemeinschaft des liberalen Judentums. Das bedeutet: Jüdischer Geist bzw. jüdische Inhalte sind für die erdrückende Mehrheit der Diasporajuden ein Nichts. Ihr Jüdisch-Sein ist fremdbestimmt - allein durch die postchristlich rechten und linken sowie die islamischen Gefahren von außen. Nur Orthodoxie und Reformjudentum sichern dem Diasporajudentum eine jüdische Zukunft."
Und was ist mit der äußeren Sicherheit? Wo sind denn nun Juden sicher? Wolffsohns Antwort am Ende seiner Rede:
«The answer, my friend, is blowin’ in the wind.»
Der Bariton Simon Keenlyside, 1959 in London geboren, machte seine Gesangsausbildung am Royal Northern College of Music in Manchester, nachdem er vorher ein Studium der Zoologie an der Universität Cambridge abgeschlossen hatte. Sein professionelles Debüt gab er 1988 an der Hamburger Staatsoper, 1996 debütierte er an der Metropolitan Opera in New York und gastiert seitdem an praktisch allen großen Opernhäusern der Welt. 2017 wurde er zum Österreichischen Kammersänger ernannt, ein Jahr spätr von (damals noch) Prinz Charles zum „Ritter“ (Sir) geschlagen. Viele sehen in ihm einen typischen Briten, wogegen sich der charismatische Starbariton und leidenschaftliche Europäer mit jüdischen Wurzeln jedoch verwahrt, wie auch aus dem Interview hervorgeht, das das jüdische Stadtmagazin WINA mit ihm führte. Auf die Frage, was ihm Religion bedeute, antwortet er:
"Ich habe kein Talent für die Religion: Ich glaube, ich werde mich in das Universum verflüchtigen, wo ich hergekommen bin. Aber ich weiß genau, dass ich keinerlei Affinität zum Britischen habe. Ich verstehe weder sie noch ihre Kultur, alles ist eng und kalt. Schauen Sie auf den Brexit und die Corona-Pandemie: Sie haben alle Künstler und Künstlerinnen kaltherzig stehen lassen, sie hassen, was wir tun und wofür wir stehen. Ich bin in einem ganz anderen Umfeld aufgewachsen. Wir brannten für eine westliche Demokratie in unserem Europa, das Jüdischsein ist dabei ebenso wichtig, es ist ein Teil meiner Mischung. Ich amüsiere mich immer, wenn jemand zu mir sagt: „Du bist so typisch Englisch mit deiner ärmellosen Weste.“ Denn darauf reagiere ich so: „Ja, ja, und meine Mutter ist Ann Leonie Hirsch, schönen guten Tag!“
Im Oktober 1973 reiste der Dichter und Sänger Leonard Cohen – neununddreißig Jahre alt, berühmt, unglücklich und in einer kreativen Schaffenskrise – von seiner Heimat auf der griechischen Insel Hydra in das Chaos und Blutvergießen der Wüste Sinai, als Ägypten Israel am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, angriff. Mit einer Gitarre und einer Gruppe einheimischer Musiker zog Cohen an der Front umher und traf Hunderte junger Soldaten, Männer und Frauen, die sich im schlimmsten Moment ihres Lebens befanden. Diejenigen, die überlebten, haben diese Erfahrung nie vergessen. Und der Krieg veränderte auch Cohen. Er hatte angekündigt, seine Musikkarriere aufzugeben, aber stattdessen kehrte er nach Hydra und zu seiner Familie zurück und veröffentlichte eines der erfolgreichsten Alben seiner Karriere. In „Wer durch Feuer“ schildert der Journalist Matti Friedman diese Wochen im Sinai in fesselnder Weise. Er stützt sich dabei auf Cohens bisher unveröffentlichte Texte und Originalberichte, um eine kaleidoskopische Darstellung eines erschütternden, prägenden Moments sowohl für ein junges Land im Krieg als auch für einen Sänger am Scheideweg zu schaffen. Caspar Battegay und Jonas Engelmann haben das Buch für die schweizer jüdische Wochenzeitung TACHLES und die JUNGLE WORLD gelesen: "Krieg und Poesie".
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Paukenschlag in der evangelischen Kirche: Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus tritt zurück, weil ihr die Vertuschung eines Missbrauchsfalls vorgeworfen wird. Aber sie geht nicht sang- und klanglos, ganz im Gegenteil, wie u.a. Raoul Löbbert in der ZEIT von der Rücktrittspressekonferenz der Ex-Vorsitzenden berichtet, deren Beginn er so schildert:
"Punkt elf, die Bühne ist frei. Kurschuss drängt hinauf. Von der ersten Sekunde des acht Minuten langen Statements ist klar: Hier will jemand nicht einfach so aus dem Amt scheiden, weder demütig noch gedemütigt. Die Vorsitzende ist im Kampf- und Vorwurfsmodus. Das gefällt in Bielefeld. Es wird genickt. Kopfschütteln sieht man kaum. Mehrfach bekommt sie Szenenapplaus."
Und in Anbetracht ihrer Schlussworte schreibt Löbbert:
"Ihr Auftritt zeigt: In dieser Kirche steckt mehr Leben, als viele ihrer Kritiker denken. Nehmen wir Minute acht: Annette Kurschus ist fertig, beinahe jedenfalls. Es fehlt noch der Schluss, die letzten Worte. Sie sind kein Lebewohl, kein versöhnliches "Ich danke meinen Schwestern und Brüdern im Rat der EKD und darüber hinaus". Sie sind vielmehr ein Ausdruck des Trotzes und der Wut. Beides muss vergehen, bevor die Selbstreflexion erst wirklich beginnen kann. Dennoch sagt Annette Kurschus: "Mit Gott und mir selbst bin ich im Reinen, und so gehe ich sehr traurig, aber getrost und aufrecht." Sagt es und wirft die Notausgangtür hinter sich zu, wie es Luther nicht schwungvoller vermocht hätte. Es rumst."
Geschichten aus der Bibel neu erzählen. In Dialog treten mit biblischen Figuren – aus der Sicht lesbischer, schwuler, bisexueller und trans Menschen: Seit Kurzem gibt es in Luzern die "Queerbibel". Sie löst eine heftige Kontroverse aus: Darf man mit dem Buch der Bücher so frei umgehen? Marcel Friedli-Schwarz schildert im BERNER PFARRBLATT die Hintergründe und den Stand der Diskussionen: «ketzerisch!» – «wundervoll!»
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Yishai Sarid, von Hause aus Jurist, ehemaliger Offizier mit geheimdienstlichen Aufgaben und ehemals stellvertretender Staatsanwalt in Tel Aviv, schreibt seit einigen Jahren sehr erfolgreiche Bücher (Limassol, Monster, Die Siegrin), in denen er oft unangenehme Wahrheiten im israelischen und jüdischen Leben thematisiert. So auch im neuiesten Werk des 58-jährigen Israeli: "Schwachstellen". Die aufzufinden ist der Job des 23-jährigen Hackers Siv, dessen Begabung schon in der Armee auffällt. Und so wird Siv direkt von einer Firma rekrutiert, die ihn gut bezahlt, was ihm ermöglicht, seinem zerrütteten Elternhaus zu entkommen. Aber der Job, der ihm immer brisantere Aufträge beschert, schafft neue Abhängigkeiten und als er in einem autokratischen Land, das erkennbar osteuropäische Züge trägt, ein Abhörsystem installieren muss, das zum Auffinden von Regimegegnern gedacht ist, scheint er erstmals moralische Bedenken zu haben. Anita Pollak hat den Roman für das jüdische Stadtmagazin WINA gelesen: "Gefangen im Netz obskurer Mächte".
Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.
Einen angenehmen Tag wünscht
Dr. Christoph Münz
redaktion@compass-infodienst.de
(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)
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