Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
04.09.2024 - Nr. 2075

ACHTUNG:

Die nächste Tagesausgabe erfolgt am Donnerstag, 12. September 2024.


Guten Tag!

Nr. 2075 - 04. September 2024



Der in Jerusalem lehrende Rechtsprofessor Mordechai Kremnitzer legt in einem Beitrag für die FAZ einen Friedensplan für Israel und die Palästinenser vor, der
"folgende Elemente enthalten würde: einen stabilen Waffenstillstand an beiden Fronten, die Ablösung der Hamas durch eine andere Regierung im Gazastreifen, ein Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern auf Basis der Zwei-Staaten-Lösung, die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien sowie anderen arabischen und muslimischen Staaten."
Als derzeitiges Haupthindernis für diesen Plan benennt Kremnitzer die Tatsache, "dass Israel jedwede Verständigung mit den Palästinensern ablehnt. Diese Haltung ist bedauerlich." Beschwörend schließt er seinen Beitrag mit den Worten:
"Für Israelis und Palästinenser geht es um Leben oder Tod. Die Existenz Israels ist bedroht. Die größte Gefahr kommt von innen, von den Feinden von Frieden und Demokratie. Diese Kräfte zu unterstützen ist kein Ausdruck von Freundschaft mit Israel, im Gegenteil. Die Freunde Israels sind aufgerufen, die liberalen Demokraten in Israel und das wahre Israel gegen die friedens- und demokratiefeindliche Politik der israelischen Regierung zu unter­stützen. Dieser Appell ist ein SOS-Ruf."

Wie autoritäre Herrscher in der arabischen Welt versuchen, den Gaza-Konflikt zu nutzen, um ihr Image aufzupolieren, schildert Cathrin Schaer in einem Beitrag für die DEUTSCHE WELLE. Die arabischen Autokraten instrumentalisierten die Proteste gegen Israel, um gegen ausländische NGO's und die einheimische Opposition vorzugehen. Das treffe nicht nur auf Ägypten zu, sondern gelte auch für die Regierungen in Algerien, Tunesien, Libyen und Marokko: "Profiteure des Gaza-Konflikts".

Vor den Toren Jerusalems kommt es zu einer Tragödie, als ein mit palästinensischen Kindern besetzter Schulbus von einem Sattelschlepper gerammt wird und in Flammen aufgeht. Ungeklärte Zuständigkeiten und lähmende Bürokratie im Grenzgebiet verhindern ein schnelles Eingreifen der Rettungskräfte. Am Unfallort treffen israelische und palästinensische Menschen aufeinander, die gemeinsam versuchen den Kindern zu helfen. Ausgehend von diesem Ereignis erzählt Nathan Thrall ihre unterschiedlichen Lebensgeschichten in seinem auf Tatsachen basierenden und mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Buch. Kritiker loben, dass nur selten die Auswirkungen israelischer Siedlungspolitik für das tägliche Leben im Westjordanland so schonungslos und bewegend beschrieben worden seien. In Interviews mit der FRANKFURTER RUNDSCHAU und der TAZ äußert sich Thrall über die Katastrophe im Westjordanland, den Diskurs über Palästina und Israel, dieSituation der Palästinenser und die Entstehung des Buchs: „Ich hatte Tränen in den Augen“

Mehr dazu in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

In zwei bewegenden Texten nehmen ihre Autoren Abschied von zwei der sechs ermordeten israelischen Geiseln, die nun von der israelischen Armee tot geborgen wurden. In der FRANKFURTER RUNDSCHAU nimmt Dr. Melody Sucharewicz, ehemalige außenpolitische Beraterin und Sprecherin des ehemaligen Verteidigungsministers Generalleutnant a.D. Benny Gantz, stellvertretend für das Land Abschied von der 40-jährigen Israelin Carmel Gat. Sie war am 7. Oktober aus dem Kibbuz Be‘eri in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen verschleppt worden – ebenso wie ihr Bruder Alon Gat, seine Frau Yarden Roman-Gat und ihre dreijährige Tochter Geffen. Alon Gat gelang mit der Tochter vor dem Transport in den Gazastreifen die Flucht. Yarden kam nach 54 Tagen mit anderen Geiseln frei. Jetzt die traurige Gewissheit: Carmel wurde brutal ermordet. In der TAZ würdigt Nicholas Potter den ebenfalls ermordeten, 23-jährigen Hersh Goldberg-Polin, der nach seiner Entführung zunächst sogar die Amputation seines Armes überlebte. Er war auf einer mehrwöchigen Festivalreise, die im Juni mit dem Fusion-Festival in Deutschland begann und beim Nova-Festival in der israelischen Negevwüste ihr trauriges Ende fand: „Erinnerung an dich wird unsere treibende Kraft bleiben“

Nach dem Fund sechs ermordeter israelischer Geiseln haben bei den vermutlich größten Massenprotesten seit Beginn des Gaza-Krieges in Israel Hunderttausende ein sofortiges Abkommen mit der islamistischen Hamas zur Befreiung der noch lebenden Geiseln gefordert. Unterstützt wurden die die Proteste zunächst durch einen beispiellosen Großstreik, der erstmals in der Geschichte das Land mitten in einem Krieg die Gesellschaft in weiten Teilen zum Stillstand brachte, bevor der Streik vom höchsten Gericht Israels untersagt wurde. Ministerpräsident Netanjahu steht unter immer größeren Druck, teilweise auch aus den eigenen Reihen - und zeigt sich trotz einer Entschuldigung bei den Familien der getöteten Geiseln weiterhin kompromisslos in seiner Kriegsstrategie. In der ZEIT analysiert Steffi Hentschke die jüngsten Ereignisse und notiert einen Wandel in der Zielrichtung der Demonstrationen:
"Die Hamas hat Israel angegriffen. Sie hat damit den Gazakrieg ausgelöst. Sie hat insgesamt mehr als 240 Menschen verschleppt und entschieden, die sechs zu töten. Sie trägt die Schuld an dem Leid, das nun Hunderttausende Menschen in Israel auf die Straßen treibt. Wer den zunehmend mehr werdenden Protestierenden in den vergangenen Monaten aber zugehört hat, konnte beobachten, wie sich der Fokus ihrer Wut verschiebt. Weg von den Terroristen, hin zum eigenen Ministerpräsidenten, von dem sie verlangen, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um die Geiseln zu retten."
In der TAZ sieht Judith Poppe nun u.a. Militär und Geheimdienste in der Pflicht, um Netanjahu von seinem Weg abzubringen:
"Die Führung der Geheimdienste und des Militärs, die seit Langem mit Netanjahu angesichts seiner Kriegsführungsstrategie über Kreuz sind, sollten zurücktreten und so ein weiteres Erdbeben auslösen – mit mehr Wut und weniger Trauer."
Auch Jonas Roth verweist in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auf die Rolle des Militärs:
"Inzwischen drängen allerdings selbst die IDF-Generäle und der Verteidigungsminister auf mehr Flexibilität in den Verhandlungen. Sie vertreten den Standpunkt, dass Israel die Kämpfe auch nach einer Einigung auf einen Waffenstillstand bei Bedarf jederzeit wieder aufnehmen könne – die Hamas werde dafür ohnehin genügend Gründe liefern. Sie haben recht: Die Zerschlagung der islamistischen Organisation ist ein Unterfangen, das in jedem Fall Jahre in Anspruch nehmen wird. Die Geiseln jedoch können nicht mehr warten."
In der WELT kritisiert Daniel-Dylan Böhmer "Netanjahus gefährlichen Starrsinn", der nicht erkennen wolle, was die Demonstranten längst begriffen hätten:
"Wer wirklich etwas ändern wollte in Gaza, der müsste einen Plan für die Zukunft des Küstenstreifens vorlegen, der mehr Sicherheit, mehr Rechte und eine Lebensgrundlage für die Menschen dort liefert. Aber gerade über die Zukunft von Gaza will Netanjahu nicht reden. Er weigert sich, ein Exit-Szenario für den Krieg vorzulegen – aus Furcht, seine radikalen Koalitionspartner zu verlieren."

In Israel ist ein Streit um den Jahrestag des 7. Oktober entbrannt, wie Tim Aßmann für TAGESSCHAU.de berichtet. Die Regierung will mit einer staatlichen Zeremonie an das Massaker erinnern. Viele Überlebende und Geiselangehörige wollen die Veranstaltung jedoch boykottieren. Die Konfliktlinien verlaufen dabei wohl entlang des Grabens zwischen rechts und links in der weiterhin gespaltenen jüdisch-israelischen Gesellschaft und spiegeln mithin die Lagerbildung in "für oder gegen Netanyahu" wieder: "Das Gedenken an den 7. Oktober spaltet Israel".

Ultraorthodoxe Juden absolvierten bislang nur sehr selten den Militärdienst, denn von Beginn des Staates Israel an wurden streng gläubigen, sich täglich mit der Thora und dem jüdischen Schriftenkanon beschäftigenden Gelehrten eine Ausnahme vom Dienst gewährt. Im Juni dieses Jahres beschloss das Oberste Gericht Israels jedoch, dieser Praxis ein Ende zu setzen - und nun werden auch ultraorthodoxe Juden eingezogen. Doch wie integriert man sie und ihre speziellen, von der Religion geprägten Bedürfnisse in ein Militär, dass einer ganz anderen, eher säkularen Logik folgt? Und in eine Armee noch dazu, die mitten im Krieg ist? In einer längeren Reportage für die TAZ gibt Lisa Schneider einen Einblick in die komplexe und diffiziel Situation, die vor allem den Graben in der israelischen Gesellschaft zwischen säkular, liberal und religiös besonders aufscheinen lässt: "Israels Streit-Kräfte".

Die Links zum Thema in der Rubrik ISRAEL INTERN.

Seit fast einem Jahr herrscht Krieg in Gaza und Israel und genau so lange berichten Medien darüber - und ebenso lange werden die Medien für ihre Berichte immer wieder kritisiert. Eine Kritik ist dabei besonders laut: Deutsche Medien würden einseitig berichten, und zwar zugunsten Israels. Verlieren die deutschen Medien also gerade wichtiges Vertrauen? Vor diesem Hintergrund hat das NDR-Medienmagazin ZAPP bei Infratest Dimap eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben, über deren Ergebnis TAGESSCHAU.de ausführlich berichtet. Ein zentrales Ergebnis der Umfrage: 40 Prozent aller Befragten haben sehr viel oder viel Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum Krieg in Gaza und Israel. Aber 48 Prozent, also fast jeder Zweite, hat wenig oder gar kein Vertrauen.
Im Interview mit der TAZ setzt sich auch der Nahostwissenschaftler und Mitarbeiter an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg Tom K. Würdemann kritisch mit der Berichterstattung über den Nahostkrieg auseinander und kritisiert u.a., dass in der deutschen Berichterstattung über Israel und Palästina oft eher die eigene Geschichte verhandelt wird. Würdemann vergleicht des Weiteren die deutsche Berichterstattung mit der in England, den USA und Israel. Und er geht auf die problematische Darstellung des Konflikts in den sozialen Medien ein. Zu letzterem sagt er:
"Das Problem in diesem Kontext ist auch, dass von extremen Kräften auf beiden Seiten ein Narrativ gestrickt wird: Die andere Seite sei zu bösartig, um mit ihr zu koexistieren. Diese Narrative müssen faktisch dekonstruiert und humanistisch kritisiert werden. In den sozialen Medien geschieht aber das genaue Gegenteil. Oft denke ich: ohne die extremen Emotionen, die der Konflikt in aller Welt auslöst, wäre er vermutlich schon gelöst."
In der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN kommt schließlich deren langjährige Israel-Korrespondentin Sabine Brandes mit einer sehr persönlichen Schilderung darüber zu Wort, wie sie und ihre Familie in Tel Aviv mit der Bedrohung durch die Hisbollah umgeht. Je nachdem, wo man lebe, so erzählt sie, habe man bei einem Luftalarm 15 bis 90 Sekunden Zeit, um den nächsten Bunker zu erreichen:
"So schnell wir auch laufen, wir brauchen eineinhalb Minuten zum nächsten öffentlichen Bunker. 90 Sekunden. Dabei nicht eingerechnet ist die Zeit, die wir benötigen, um zur Haustür zu kommen. Oder was ist, wenn jemand gerade unter der Dusche steht … Außerdem ist nicht klar, ob die Bunker, meist jahrzehntealt, tatsächlich auch gegen die hochentwickelten Langstreckenraketen Schutz bieten."

Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat sich prinzipiell dafür ausgesprochen, einen demokratisch-palästinensischen Staat auf den Weg zu bringen. Prosor sagte im Interview mit DEUTSCHLANDRADIO, ein „arabisches Quartett“ bestehend aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Jordanien könnte dabei mithelfen. Außerdem verteidigte Prosor Netanjahu gegen den Vorwurf, dieser sabotiere die Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza und die Freilassung israelischer Geiseln. Ohne einen militärischen Hebel werde die Hamas die Geiseln nicht freilassen, meint Prosor. Prosor erteilte zudem einer möglichen Normalisierung der Beziehung seines Landes gegenüber der AfD eine Absage. Israels Regierung und die Botschaft des Landes in Berlin lehne Gespräche mit der in Teilen rechtsextremen Partei prinzipiell ab: „Ich glaube nicht, dass wir das in Zukunft ändern werden“.

Die Links zu den Themen in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

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Kapitän Gustav Schröder war 1933 der Hitler-Partei beigetreten. Dennoch riskierte er sechs Jahre später viel, um jüdische Deutsche zu retten. 1939: Voller Zuversicht verlassen 937 jüdische Flüchtlinge mit dem Schiff "St. Louis" den Hamburger Hafen. Ein Visum für Kuba verspricht ihnen ein Leben ohne Angst. Trotz Zusage, verweigert die kubanische Regierung den Passagieren die Einreise. Kapitän Schröder nimmt Kurs auf die USA, wo das Schiff ebenfalls nicht willkommen ist und nach Europa in die Fänge der Nazis zurückgeschickt wird. Kapitän Schröder jedoch schafft es, das Schiff in einen sicheren Hafen zu lenken. In der WELT erzählt Miriam Schaptke seine Geschichte, die als Spielfilm auch heute Abend im TV zu sehen ist: "Warum ein NSDAP-Mitglied 936 Juden rettete".

Dass der Judenhass der Hamas und anderer Islamisten nicht vom Himmel gefallen ist, sondern gerade im Nahen Osten eine Geschichte des eliminatorischen Antisemitismus aufweist, die in die Zeit vor 1945 führt und mit dem Transfer judenfeindlicher Stereotype aus dem nationalsozialistischen Deutschland zusammenhängt, hat in jüngerer Zeit u.a. Matthias Küntzel mit seinem Buch "Nazis und der Nahe Osten" (Hentrich & Hentrich, 2019) dargelegt. Dass dieser Einfluss von Nazis auf Judenhasser im Nahen Osten nicht mit der Niederlage von Hitler-Deutschland 1945 zu Ende ging, belegt auch ein Dokument von Simon Wiesenthal, das nach Meinung des Erziehungswissenschaftlers ehemaligen Leiters der Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Benjamin Ortmeyer. In der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN stellt Ortmeyer dieses Dokument, "das viel Aufmerksamkeit verdienen sollte", näher vor und ordnet es in seiner historischen Bedeutung ein: "Vergessene Verbindungen".

Im Blick auf den neuen Spielfilm "Führer und Verführer", in dessen Zentraum die von Goebbels dominierte NS-Propaganda steht, fragt sich Andreas Scheiner in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, warum in Hitler-Filmen die Person Hitlers eigentlich immer "schlecht" dargestellt werde. Er rekapituliert die Geschichte der Hitler-Filme von Chaplins "The Great Dictator" bis hin zu Bruno Ganz in "Der Untergang", um am Ende eigentlich nur einen Film in seiner Darstellung der Person Hitlers gelten zu lassen: Tarantinos "Inglorious Basterds", der als einziger Film den Mut hatte, sich im Blick auf Hitler eine innovative Frechheit zu erlauben: "Wieso sind Hitler-Filme so schlecht? Weil Hitler hohl war. Als Filmbösewicht bringt er’s nicht".

Im Blick auf die Wahlerfolge der AfD vor allem in Thüringen fragt sich Thomas Schmid in der WELT, ob dieser weit über dem Bundesdurchschnitt liegende Wahlerfolg nicht auch historische Wurzeln hat, "history matters". Und er erinnert daran, dass die Nationalsozialisten nirgendwo so früh erfolgreich waren wie in Thüringen. Historisch reiche diese "Anfälligkeit für völkische Parolen" sogar bis ins Jahr 1485 zurück. Vor diesem Hintergrund schlussfolgert er, dass der Ost-West-Gegensatz in Deutschland viel älter ist als die deutsche Teilung:
"Vor allem im Südwesten Deutschland kämpften sich in der frühen Neuzeit bis zu hundert große, kleinere und kleine Städte gegen die Fürsten frei. Sie erlangten eine bestimmte Form von Selbstverwaltung - eine Vorstufe der Demokratie. Das gab es im Osten Deutschlands und auch in Thüringen kaum. So fehlte dort die Tradition eines selbstbewussten Bürgertums, das die Geschicke seiner Stadt und der Region in die eigenen Hände nehmen wollte."
In Thüringen hingegen habe sich trotz der weltoffenen Episode der Weimarer Klassik eine Art "Röstbratl"-Patriotismus entwickelt:
"Dieser Patriotismus ist gemeinschaftlich, nicht gesellschaftlich. Wir sind wir: Die Parole hat in Thüringen schnell etwas Ausschließendes, Aggressives. Sie ist überhaupt nicht so kosmopolitisch, wie es Weimar, Gotha, Gera und Jena in der Epoche waren, die man die 'deutsche Klassik' nennt."

Aus 700 Kisten besteht der Nachlass von Regisseurin Leni Riefenstahl. NS-Filme wie „Olympia“ oder „Triumph des Willens“ machten sie berühmt wie umstritten. Regisseur Andres Veiel konnte ihren Nachlass sichten und drehte auf dessen Grundlage seinen Dokumentarfilm „Riefenstahl“, der kürzlich bei den Filmfestspielen Venedig Premiere hatte. U.a. die TAZ, DIE ZEIT und der FILMDIENST stellen den Film vor. Und im Gespräch mit der WELT urteilt Filmemacher Veiel über Riefenstahl:
"Sie war ein Prototyp von Fake News. Sie hat ihre Lügen so lange wiederholt, bis sie von vielen übernommen wurden. Zum Beispiel hat sie in einer Talkshow behauptet, sie sei nach Kriegsende drei Jahre in Gefängnissen gesessen und habe genug gelitten. De facto haben die Amerikaner sie vier Wochen in einer Edelunterkunft festgehalten. Und nach einer Woche luden ihre jüdischen Vernehmer sie zum Tee im Casino ein. Die Franzosen haben sie kurz inhaftiert und dann in eine Art 'Hausarrest' entlassen; sie durfte einen Landkreis im Schwarzwald nicht verlassen. Diese Legendenbildung können wir nun wie unter einem Mikroskop untersuchen."

Die Links zu den Themen in der Rubrik VERGANGENHEIT...

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In der WELT befasst sich Alan Posener mit der oft von studentischer Seite zu hörenden Forderung nach einer Einstaatenlösung für Israel und die Palästinenser. Posener nennt diese Idee antisemitisch und leichtgläubig. Dass verschiedene Kulturen durch ein gemeinsames Staatsgebiet zusammenwachsen würden, sei eher die Ausnahme als die Regel und fragt kritisch:
"Warum 'fordert' man nicht die Schotten, Flamen, Katalanen usw. auf, ihre Unabhängigkeitsbestrebungen aufzugeben? Warum 'fordert' man nicht die Wiedervereinigung von Tschechien und der Slowakei, Jugoslawiens, Pakistans und Indiens? Und so weiter. Warum sollen ausgerechnet die Juden gezwungen werden, in einem Staat zusammenzuleben mit Menschen, die seit 1948 - eigentlich seit 1929 - darauf aus sind, sie zu vertreiben oder zu töten? Wie ist diese Forderung nicht antisemitisch?"

Der deutsch-israelische Regisseur Amit Jacobi hat in der TAZ genug von jenen, die im Nahostkonflikt
"besessen von Virtue Signaling und vereinfachenden Aussagen, die nur die eigenen moralischen Werte zur Schau stellen sollen, aber niemandem helfen. ... Dabei gibt es klare Unterschiede zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik an Israels Regierung oder Geschichte. Kritik an der Instrumentalisierung des Holocausts ist legitim, Zionismus selbst als Holocaust umzudeuten ist es nicht. Dies ist keine semantische Re-Evaluation - es ist eine antisemitische Evolution. Israels komplexe Geschichte kann man nicht in eine vereinfachte Handlung von gut oder böse zwängen. Der aktuelle Diskursextremismus dient den Egos und Interessen vieler, aber nicht den Palästinensern oder Israelis selbst, die zusammenleben müssen. Die Debatte, wie sie hier in Deutschland und an anderen Orten weltweit geführt wird, ist in Wahrheit eine kolonialistische Geste par excellence - alle wollen besserwissend mitreden, über die Serie, die sie eifrig mitverfolgen, die aber nichts an ihrem eigenen Leben ändert."

Seit Monaten beraten die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU gemeinsam über einen Antrag für eine Entschließung mit dem Titel „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. Die Resolution soll noch vor dem 7. Oktober, dem Jahrestag des Hamas-Massakers 2023, beschlossen werden. Obwohl ihr endgültiger Wortlaut noch nicht feststeht, wird sie bereits heftig diskutiert, wohl auch, weil es darin direkt oder indirekt um die künftige finanzielle Förderung kultureller Projekte im Blick auf mutmaßlich antisemitische Inhalte geht. Vor wenigen Tagen nun veröffentlichte eine ganze Reihe von Kulturinstitutionen von Kampnagel, über die Akademie der Künste, lit.COLOGNE und andere einen Gegenappell, der vor der geplanten Resolution warnt. Man gibt seiner "großen Sorge" Ausdruck, dass Positionen, die einen Boykott Israels fordern, nun selbst nicht mehr unter dem Zeichen der Meinungsfreiheit inkludiert werden können sollen. Die geplante Resolution kollidiere mit dem Grundgesetz und "bringt eine mannigfaltige Rechtsunsicherheit, zweifelhafte Praktikabilität und die Gefahr der Diskriminierung mit sich. Durch die autoritative Verwendung der sehr weitreichenden und gleichzeitig unscharfen IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument, sowie durch die unklare Frage faktischer Bindung einer Bundestags-Resolution, droht sie enorme Verunsicherung mit sich zu bringen und zum Verstummen jener Stimmen zu führen, die durch entsprechende Ansätze geschützt werden sollen. Ein immenser Schaden für unsere Demokratie wäre die Folge."
Gestern nun der nächste Appell, diesmal zugunsten einer Resolution des Bundestages. Sie kommt vom „Netzwerk jüdischer Hochschullehrender“ und fordert „klare politische Zeichen sowie klare Richtlinien, die das Erkennen und den Umgang mit Antisemitismus erleichtern“. Es dürfe nicht möglich sein, "unter dem Deckmantel der freien Lehre und freien Meinungsäußerung zur Verbreitung antisemitischer Hetze" beizutragen. Und in der WELT meldet sich Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, zu Wort: "Die Resolution gegen Antisemitismus in der Kultur muss jetzt kommen"

Die Links zu den Themen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

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Nach den Veröffentlichungen der Deutschen Bischofskonferenz und der EKD zu ihren Mitgliederzahlen und weiterer Recherchen lassen sich die Religionszugehörigkeiten in Deutschland zum Jahresende 2023 beschreiben, wie einem Bericht der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) zu entnehmen ist. Dabei differenziert die Forschungsgruppe im Blick auf auf die formalen Zugehörigkeiten als auch im Blick auf die Glaubenspraxis. Demnach gab es Ende 2023 in Deutschland erstmals ebenso viele konfessionsfreie Menschen (46 Prozent) wie römisch-katholische und evangelische Kirchenmitglieder zusammengenommen (24 bzw. 22 Prozent). Zugleich besuchen nur noch 5 Prozent der Bevölkerung regelmäßig eine Kirche, Synagoge oder Moschee. Über die Ergebnisse und Trends insgesamt berichten fowid und HUMANISTISCHER PRESSEDIENST: "Religionszugehörigkeiten 2023"

In einem Beitrag ür die TAGESPOST befasst sich Hartmut Sommer mit Legenden, bei denen es sich um jene Rast- und Ruhelosen handelt, denen der Tod auf alle Zeit versagt ist. Für ihn verweisen sie zudem auf den Sinn des Sterbens und die Sehnsucht nach einer jenseitigen Heimat. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen steht dabei Sage vom „Fliegenden Holländer“, die wiederum eine interessante Quer-Inspiration zur späterhin antisemitsch funktionaliserten Legende vom "ewigen Juden" aufweist. Für diese Verbindung wiederum waren vor allem Heinrich Heine und Richard Wagner maßgeblich: "Von fliegenden Holländern und wandernden Juden".

Das Projekt „Bildstörungen“ der Evangelischen Akademie zu Berlin wird seit 2020 vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein finanziert, um antisemitische Zerrbilder von Juden:Jüdinnen an den christlichen Wurzeln zu stören und zu entstören. Es geht um judenfeindliche Bilder, die sich in Jahrhunderten christlicher Auslegungen biblischer Texte verselbstständigt haben: Juden als Feinde Jesu, als Verschwörer (Hohepriester) und Verräter (z.B. Judas und die Jerusalemer Menschenmenge). Die Berliner Theologinnen Karoline Ritter und Katharina von Kellenbach, die federführend in dem Projekt tätig sind, geben in FEINSCHWARZ einen akutellen Überblick: "Bildstörungen: Christliche Judenfeindschaft und der Gazakrieg".

Die Links zu den Themen in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT

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Die dramatischen Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen sorgen auch unter jüdischen Gemeindemitgliedern für Unruhe. Soll man auswandern oder neue Konzepte entwickeln? Christine Schmitt hat für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG mit Betroffenen vor Ort gesprochen und ihre Reaktionen aufgezeichnet. An gleicher Stelle berichtet Mascha Malburg von ihrem Besuch am Wahlabend bei der 89-jährigen  Renate Aris, die seit vielen Jahren in Sachsen lebt und kämpferisch zeigt. Sie habe die Schoa überlebt – da werde sie auch mit der AfD fertig werden. Und ebenfalls in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN blickt die Holocaust-Überlebende Eva Umlauf voller Wut und Unverständnis auf die Wahlerfolge der AfD in Thüringen und Sachsen. Doch Aufgeben ist keine Option für sie: "Wir müssen kämpfen".

Zu Tausenden reisen jüdisch-orthodoxe Feriengäste im Sommer nach Davos. Doch die Beziehung zwischen den Gästen und dem Bündner Bergdorf ist seit Jahren angespannt. So kam es erst Anfang Juli diesen Jahres erneut zu antisemitischen Vorwürfen und Vorfällen (siehe Compass, 10.07.2024). Der jüdische Bestseller-Autor Thomas Meyer wollte sich nun selbst ein Bild davon machen, wie jüdische Präsenz vor Ort wahrgenommen wird. Meyer wurde in Zürich als Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters geboren. Sein Debütroman «Wolkenbruchs wundersame Reise in der Arme einer Schickse» über die Liebesnöte eines jungen orthodoxen Juden war für den Schweizer Buchpreis nominiert und wurde 2017 verfilmt. Für die SCHWEIZER ILLUSTRIERTE schilder er nun die Eindrücke von seinem Besuch in Davos: "«Wolkenbruch»-Autor Thomas Meyer bei den Juden in Davos".

Rund 150 Jahre lang dienten jüdische Männer tapfer und pflichtbewusst in der Armee der österreichischen Monarchie beziehungsweise im Bundesheer der Ersten Republik. Eine Geschichte, die 1938 mit dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland und dem Menschheitsverbrechen der Shoa ein schreckliches Ende fand. In einem längeren, sehr informativen Beitrag erzählt Patrick Huber für das österreichische Magazin MILITÄR AKUTELL die Geschichte von Österreichs jüdischen Soldaten und wirft abschließend auch einen Blick auf jüngste Entwicklungen in Österreich: "Unter dem Davidstern für Kaiser, Volk und Vaterland".

In der schweizer-jüdischen Wochenzeitung TACHLES würdigt Andreas Mink den in Kalifornien am vergangenen Mittwoch im Alter von 81 Jahren verstorbenen Rabbiner Michael Lerner. Lerner wurde u.a. durch seine Freundschaft mit dem Boxer Muhammad Ali bekannt, bei dessen Beerdigung er auch eine Grabrede hielt. Neben Lerners Engagement in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gilt vor allem seine 1986 gegründete Zeitschrift «Tikkun», die schnell zur einflussreichen Plattform des liberalten Judentums in den USA wurde: «Löwe des progressiven Judentums».

Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik JÜDISCHE WELT

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Jährlich fließen staatliche Zahlungen in Millionenhöhe an die beiden großen Kirchen in Deutschland – völlig unabhängig von Kirchensteuer und der Kirchenmitgliedschaft einzelner. Was hat es mit dem Staatsgeld auf sich und wieso plant die Ampelregierung die Abschaffung der Staatsleistungen? SONNTAGSBLATT und HUMANISTISCHER PRESSEDIENST erläutern Hintergründe und den aktuellen Stand der Diskussionen: "Ablösung der Staatsleistungen an Kirchen ist Verfassungspflicht"

Die Links dazu in der Rubrik
CHRISTLICHE WELT.

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An einem Spätsommerabend des Jahres 1929 wird der jüdische Schriftsteller und Jurist Jizchak Josef de Vriendt in Jerusalem erschossen. Ein Attentat aus dem Hinterhalt. Kommt der Mörder aus den zionistischen Kreisen, die in dem klugen, auf Ausgleich mit der arabischen Seite bedachten Politiker einen Verräter an der nationalen Sache sehen? Oder aus der Familie des jungen Arabers Saûd, der für de Vriendt mehr war als ein Schüler? Mr. Irmin, Chef des Geheimdienstes bei der britischen Verwaltung von Palästina, ein Freund de Vriendts und eingeweiht in dessen Freigeisterei, will den Täter stellen. Seine Fahndungen konfrontieren ihn mit der explosiven Situation im Land, den rivalisierenden Bevölkerungsgruppen der Araber, Juden und Christen, mit einer überwältigenden Landschaft und einer historischen Tradition von mehr als dreitausend Jahren. Arnold Zweigs Palästina-Roman „De Vriendt kehrt heim“ aus den 1930er Jahren liegt nun in einer schmucken Neuausgabe vor, die aktueller nicht sein könnte, meint Wilhelm von Sternburg, der den Roman für die FRANKFURTER RUNDSCHAU gelesen hat: „Merkwürdig ist der naive und unkritische Nationalismus beider Seiten“.

Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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