Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
06.11.2024 - Nr. 2086

ACHTUNG:

Anlässlich des diesjährigen Gedenkens an die Novemberpogrome von 1938 erscheint am Montag, 11. November 2024 ONLINE-EXTRA Nr. 357 mit einem Beitrag des Historikers Wolfgang Benz: "November 1938 - Solidarität in der »Reichskristallnacht«".


Guten Tag!

Nr. 2086 - 06. November 2024



Politischer Paukenschlag in Israel: Mitten im Mehrfrontenkrieg entlässt Ministerpräsident Netanjahu seinen ungeliebten Verteidigungsminister Yoav Gallant. Damit ist wohl eine diplomatische Lösung des Gaza-Krieges in weite Ferne gerückt, wie Rewert Hoffer in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG meint. Netanjahu begründete seine Enltassung damit, der "Vertrauensbruch zwischen mir und dem Verteidigungsminister ist öffentlich geworden. Dieser Bruch verhindert, dass der Krieg richtig geführt werden kann. Das sage nicht nur ich; die meisten Minister und Kabinettsmitglieder, fast alle, sind der Meinung, dass wir so nicht weitermachen können." Gallant selbst sieht dies freilich anders und nennt in einem kurzen Statement drei Gründe, die für seine Entlassung ausschlaggebend waren, Gründe, die zugleich die Differenz zu Netanyahu und seiner Regierung implizit verdeutlichen: erstens handele es sich um seinen Widerstand gegen ein Gesetz, das viele strengreligiöse Männer in Israel vom Wehrdienst befreien soll, zweitens seine Forderung nach einem Deal zur Freilassung der Geiseln in der Gewalt der Hamas sowie drittens nach der Einrichtung einer staatlichen Kommission zur Untersuchung des Massakers im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres. Unterdessen gingen Tausende Menschen auf die Straße und protestieren gegen die Entlassung von Verteidigungsminister Joav Galant: "Entlassung im 'dichten Kriegsnebel'"

Berichte und erste Reaktionen in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST AKTUELL.

Ein Jahr nach Beginn des Gazakrieges zeigen sich die islamistischen Milizen im Gazastreifen wie auch im Libanon immer noch handlungsfähig. Zwar geschwächt, aber eben nicht besiegt. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG versuchen Anne Allmeling, Forrest Rogers und Jonas Roth die Verfasstheit von Hamas und Hisbollah zu analysieren. Was die Hamas betrifft, konstatieren sie:
"Der Umstand, dass sich der Krieg im Gazastreifen zu einem Guerillakampf entwickelt hat, spielt der Hamas in die Hände. Es ist eine effektive und schwer zu bekämpfende Art der Kriegsführung, die auch mit schlechter Ausrüstung über eine lange Zeit aufrechterhalten werden kann. So deutet zurzeit wenig darauf hin, dass Israel seine erklärten Kriegsziele bald erreichen kann. Denn auch eine Kapitulation der Hamas, wie sie Benjamin Netanyahu immer wieder fordert, zeichnet sich nicht ab."
Und zum Zustand der Hisbollah zitieren die Autoren den Terrorismus-Experte Steinberg mit folgenden Worten:
«Der Hizbullah operiert jetzt unter erschwerten Bedingungen – ganz einfach deshalb, weil die Befehlsstrukturen nicht klar sind. Aber die Tatsache, dass die Miliz noch Flugkörper abschiesst, mit denen sie auch gezielt angreifen kann, ist ein Indiz dafür, dass die Organisation nach wie vor handlungsfähig ist.»
Das Fazit ihrer informativen Analyse lautet am Ende des Beitrags:
"Der Hizbullah und die Hamas kämpfen vorerst weiter, weil es für sie ums Überleben geht."
Eine ähnliche Einschätzung hat auch der Libanon-Kenner Jacques Neriah, ehemals stellvertretender Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes und außenpolitischer Berater des Ministerpräsidenten Izchak Rabin. Im Interview mit der FAZ sagt er u.a.:
"Die Hizbullah kämpft um ihr Überleben. Und sie hat verstanden, dass ein Waffenstillstand zu israelischen Bedingungen ihr Ende bedeuten würde – militärisch und politisch. Aus diesem Grund kämpft sie mit aller Kraft und versucht, so viel Schaden zu verursachen wie möglich."

Die Links dazu in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

Fast auf den Tag genau vor 24 Jahren, am 4. November 1995, ermordete ein rechtsextremer Israeli den israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin. Niemand konnte wie er für Frieden im Nahen Osten plädieren wie der ehemalige israelische General und Kriegsheld. Seine Ermordung hatte gravierende Folgen, wie Sven Felix Kellerhoff in der WELT schildert und an den Tag des Attentats erinnert: "Als die Leibwächter wegsahen, feuerte der Attentäter seine Dumdum-Geschosse ab".

Ein Mann aus dem Umfeld von Netanjahu soll vertrauliche Militärdokumente an Medien weitergegeben haben, u.a. auch an die BILD-ZEITUNG. Der Fall sorgt derzeit in Israel für Schlagzeilen, wie SPIEGEL, die ZEIT und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichten. Inzwischen kam es zu ersten Festnahmen. Der Fall ist politisch brisant, denn die Natur der durchgestochenen Dokumente stützten gewissermaßen Netanjahus harte Linie gegenüber der Hamas im Blick auf die Verhandelungen in der Geiselfrage. Insofern gibt es die durchaus brisante Vermutung, dass Netanjahu selbst hinter dem Leak stecken könnte, was dieser freilich heftig dementiert: „Ernsthafte Gefahr für die nationale Sicherheit“

Für mindest ebenso viel Wirbel sorgen derzeit die Äußerungen von Amos Schocken, Verleger von Israels linksliberaler Tagesszeitung HA'ARETZ. Er hat bei der Eröffnung einer Konferenz in London die israelische Besatzungspolitik scharf kritisiert, forderte die internationale Gemeinschaft auf, Sanktionen gegen sein Land zu verhängen, und warf Israel vor, «palästinensische Freiheitskämpfer» getötet zu haben. Der Minderheitsgesellschafter der Zeitung, der russisch-israelische Ölmagnat Leonid Nevzlin, dem 25 % von Haaretz gehören, bezeichnete Schocken laut der schweizer-jüdischen Wochenzeitung TACHLES unterdessen als „entsetzlich, inakzeptabel und unmenschlich, was eine tiefe Gefühllosigkeit gegenüber den Opfern dieses tragischen Tages, den Opfern des andauernden Krieges, den Geiseln und ihren Familien und dem gesamten israelischen Volk zeigt“. Zudem laufen der Zeitung in Scharen Leser davon, wie MENA-WATCH berichtet: "Regierung attackiert Haaretz-Verleger nach Kritik an Netanjahus Politik".

Die Links zum Thema in der Rubrik ISRAEL INTERN.

Am 12. September lud Außenministerin Annalena Baerbok zum Dinner ein. Es gab Fingerfood für 661 Euro 50, ein paar Flaschen Softdrinks und Wasser, knapp 1900 Euro hat der Abend gekostet. Die Problematik liegt nicht in den Kosten begründet. Sondern, erstens, in den Gästen, von denen man bis jetzt weiss, dass sie teilgenommen haben, und die aus ihrer Feindseligkeit gegenüber Israel keinen Hehl machen. Zweitens, in Baerbocks strikter Geheimhaltung der weiteren Gäste; wie auch und zunehmend in der Begründung der Geheimhaltung. Bereits unmittelbar nach dem Dinner wurde öffentlicher Protest laut - etwa prominent durch die Fernsehmoderatorin Andrea Kiewel, die in einem offfenen Brief spitz fragte:
"Speisen Sie nur mit den Feinden Israels, werte Frau Außenministerin?" (siehe Compass 25.09.2024). Seitdem jedoch mauert das Außenministerium bei allen weitergehenden Fragen, wie Johannes Boie in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG berichtet: "Fingerfood für Israelfeinde: Je länger Deutschlands Aussenministerin über ihr fragwürdiges Dinner schweigt, desto schlechter sieht es für sie aus".

In einem Essay für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG beschäftigt sich Hannes Stein mit der Israelbegeisterung der amerikanischen Rechten - und warum auf sie kein Verlass ist. Die heutige Unterstützung der amerikanischen Rechten für Israel ruhe, so Stein, auf zwei Säulen:
"Erstens: dem Apokalypseglauben der christlichen Rechten. Die weißen protestantischen Fundamentalisten meinen, dass Jesus erst dann aus dem Himmel wiederkehren wird, wenn die Juden in ihrem eigenen Staat leben. Allerdings glauben sie auch, dass es vorher zu einem Endkampf zwischen Gut und Böse kommt, bei dem die Mehrheit der Juden in einem zweiten Holocaust verreckt; der Rest der Juden werde sich nach stattgehabter Katastrophe zum Christentum bekehren.
Die zweite Säule: die Islamophobie. Rechte Amerikaner sehen den Staat Israel als Bastion gegen die islamischen Horden, als weißen Staat, der von braunhäutigen Barbaren belagert werde."

Sodann lotete Stein die Ursachen und Folgen davon aus, wenn eintritt, was er in einer Frage wie folgt formuliert:
"Was ist, wenn diese beiden Säulen zusammenbrechen, weil die Israelis sich weigern, als Statisten die ihnen vorgeschriebenen Rollen zu erfüllen?"

Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

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Bundespräsident Steinmeier hat auf seiner jüngsten Griechenlandreise auch die griechische Insel Kreta besucht und dort um Vergebung für die deutschen Verbrechen während der NS-Zeit gebeten. Bei seinem Besuch in der Ortschaft Kandanos sagte er, es sei ihm wichtig, an diesen Ort zu kommen. Man könne das Leid nicht ungeschehen machen, aber die Erinnerung daran wachhalten. Steinmeier entschuldigte sich auch dafür, dass Deutschland die Ahndung der Verbrechen über Jahrzehnte verschleppt habe. Kandanos war 1941 von der deutschen Wehrmacht völlig zerstört worden. Mehr als 180 Bewohner wurden getötet. Der Bundespräsident legte an der Gedenkstätte einen Kranz nieder und traf Überlebende. Bereits vorher war Steinmeier erneut mit der Forderung Griechenlands konfrontiert, Reparationen für Kriegsschäden zu zahlen. Beim Steinmeier-Besuch sprach die griechische Präsidentin das Thema überraschend deutlich an. Deutschland hingegen hält die Frage für abgeschlossen. Berichte über die Reise sind online zu lesen sowie auch der Wortlaut von Steinmeiers Rede in Kandanos: "Ich bitte Sie um Vergebung".

Ein Kriegsziel der Nazis waren die reichen Kornkammern der Ukraine. Ausgerechnet dort stießen die Nazis auf Millionen osteuropäische Juden, die in kleinen Städtchen, den Schtetln, oft ein sehr traditionelles, religiöses Leben führten. Noch bevor das systematische Morden in den großen Vernichtungslagern wie Auschwitz begann, ermordeten Sonderkommandos der Nazis in diesem "Holocaust durch Kugeln" rund zwei Millionen Menschen, schätzt man heute. Daran erinnert ein Beitrag für den MDR, der zugleich eine 45-minütige Filmdokumentation von Susanne Brahms und Rainer Krause präsentiert und direkt online zu sehen ist: "Osteuropa nach dem Holocaust. Vom Verschwinden der Schtetl".

Die Links zu den Themen in der Rubrik VERGANGENHEIT...

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Seit etlichen Monaten diskutieren die Spitzen der Regierungsfraktionen und der Union im Bundestag um den Wortlaut einer Resolution "zum Schutz jüdischen Lebens". Nun haben sie sich geeinigt. Der Antrag, der am morgigen Donnerstag in den Bundestag eingebracht werden soll, trägt den Titel: "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken". Kaum ist die Einigung vollzogen und der Text bekannt, beginnt der Zwist in den Medien, begleitet von heftigem Widerspruch vor allem aus Kultur und Kunst. Knackpunkt ist die IHRA-Antisemitismus-Definition, auf die sich die Bundestagsresolution bezieht. In der TAZ befürchten Daniel Bax und Frederik Eikmanns, dass dieser Bezug auf die IHRA
"so ausgelegt werden kann, dass auch legitime Kritik an Israels Regierung finanziell ausgetrocknet wird. Insbesondere Wissenschaftler*innen und Künstler*innen drohe eine Art Gesinnungsprüfung. Der Resolutionsentwurf enthält aber auch einen Absatz, der explizit die Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit betont."
Mehr noch, der Entwurf fordere dazu auf, "Gesetze so zu verschärfen, dass Antisemit*innen schärfere Konsequenzen drohen". "Es besteht die Gefahr, dass auch denen die Gelder entzogen werden, die sich nur im Entferntesten kritisch mit Israels Politik auseinandersetzen", so Eikmanns in einem Kommentar. Ähnlich sieht es Heike Schmoll in der FAZ, die den Entwurf regelrecht: Die IHRA-Definition würde "zu einer grenzenlosen Gesinnungsschnüffelei führen, die den Kampf gegen Antisemitismus selbst zur repressiven Keule werden ließe".
Verantwortung dafür könne wohl nur eine "proisraelische" Lobby sein, vermutet unverblümt Stephan Detjen im DEUTSCHLANDRADIO:
"Hinter vorgehaltener Hand klagen Abgeordnete, Minister und Parteispitzen darüber, welchem Druck sie in den letzten Monaten von verschiedenen Seiten ausgesetzt waren: von proisraelischen Lobbyorganisationen, der israelischen Botschaft, dem Zentralrat der Juden auf der einen, von Juristen, Wissenschaftlern, Künstlern auf der anderen Seite. Die Debatte ist längst toxisch. Auch die Angst, von der Bild-Zeitung als Antisemit und Israelhasser diffamiert zu werden, wirkt in der Politik bis in die höchsten Ränge."
Das wiederum bringt Daniel Rotstein in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG auf die Palme. Er weist darauf hin, dass die Resolution keineswegs erst auf  den 7. Oktober reagiert - vorher gab es die Mbembe-Debatte, die Moses-Debatte, das "Weltoffen"-Papier, die Documenta 15. Rotstein kritisiert an Detjens Artikel vor allem die ewige Inanspruchnahme israelkritischer Juden und Israelis, die man gegen die Resolution schützen müsse:
"Ob sich diese Israelis gut verstanden fühlen, wenn sie als Alibi-Juden vereinnahmt werden, um die staatlich-deutsche Förderung von documenta-Plakaten zu rechtfertigen, auf denen orthodoxe Juden mit Fangzähnen und SS-Runen auf ihrem Hut dargestellt werden? Dies darf sicherlich bezweifelt werden."
Rüdiger Schaper sieht im TAGESSPIEGEL in der Resolution eine Gefahr für die Meinungsfreiheit:
"Auch wenn es im Resolutionstext anders steht: Die Meinungsfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft werden allerdings angetastet, wenn es, wie der Deutsche Kulturrat jetzt warnt, zu einer 'regulären Überprüfung von Antragsstellern durch den Verfassungsschutz kommt'. Ein neuer Radikalenerlass? Jüdisches Leben schützen, bewahren, stärken: Darum muss es gehen, das tut not. Aber kann ein deutsches Parlament festlegen, wie jüdisches Leben sich darstellt, hier und anderswo?"
Ähnlich klagen auch viele Intellektuelle und Künstler, die Bundestagsresolution schränke ihre Freiheit ein. Dem entgegnet Jürgen Kaube in der FAZ:
"Es ist einfach nicht wahr, dass die Resolution Juden, die Israels Politik kritisch sähen, in Gefahr bringt. Sie ist kein Gesetz. Sie schneidet keine Diskussion ab. Sie schreibt den Antisemitismus nicht einseitig zu. Sie verlangt Konsequenzen für antisemitische Vorfälle, etwa an Hochschulen. Sie fordert die Bundesregierung auf, eine Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen, die es der palästinensischen Bevölkerung ermöglichen soll, ein gleichberechtigtes Leben zu führen. Sie redet nicht von bedingungsloser Solidarität mit der israelischen Regierung, sondern ausschließlich von der Existenz Israels. Aber schon das ist manchen zu viel. Sie wollen nicht Antisemiten genannt werden, das ist verständlich. Doch deshalb sollten sie nicht behaupten, die Resolution und die IHRA-Definition mache sie zu solchen."
Ähnlich betont auch Boris Pofalla in der WELT, die Antisemitismus-Resolution werde dringend benötigt. Vor allem sei es ein deutliches Signal an Jüdinnen und Juden in Deutschland:
"Dass die überwältigende Mehrheit der im Bundestag vertretenen Parteien ein gutes Jahr nach dem 7. Oktober 2023, die Samthandschuhe endgültig abstreift, ist angesichts des erschreckende gewöhnlich gewordenen antisemitischen Übergriffe nur konsequent. Es wäre schöner gewesen, das Parlament hätte auf diesen Beschlussentwurf mit den darin enthaltenen Rufen nach mehr Repression und Kontrolle im Kulturbetrieb verzichten können. Allein, die Zeiten sind nicht so."

Fassungslos kommentiert der in Berlin lebende, israelische Schriftsteller Ron Segal die kürzlich erfolgten Aufrufe hunderter prominenter Autoren, die sich laut TAGESSPIEGEL und TAZ in einem Aufruf verpflichteten, nicht mit „israelischen Kultureinrichtungen zusammenzuarbeiten, die sich an der überwältigenden Unterdrückung der Palästinenser mitschuldig gemacht oder diese stillschweigend beobachtet haben“. Segal dazu:
"Ein Schriftsteller, der das literarische Sprechen boykottiert, ist wie ein Musiker, der die Musik boykottiert. ... Wie können Schriftsteller, deren Leidenschaft und Berufung es ist, die Grenzen der Sprache herauszufordern und zu erweitern, sich dafür entscheiden, sie zu boykottieren? Sie können die Sprache nutzen, um ein scharfes politisches Buch zu schreiben, um Lärm zu machen. Stattdessen entscheiden sie sich fürs Schweigen. Würden Sie Ihre eigene Sprache oder eine Übersetzung, mit der Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen, boykottieren? Der hebräische Markt ist klein und daher ökonomisch zu vernachlässigen. Die hebräische Kultur jedoch ist reich, weit über ihre Politik hinaus. Indem sie ihre Werke der israelischen Leserschaft vorenthalten, reduzieren die Autoren, die den Brief unterzeichnet haben, ihre Leser im Wesentlichen auf deren Nationalität - eine Schande, vor allem wenn es sich um Frauen und Männer der Literatur handelt."

Der Journalist, Musikkritiker und Sachbuchautor im Bereich Popkultur, Musik und Comic rechnet im Interview mit einer woken Linken und der Clubkultur ab, die sich vom Massaker der Hamas reichlich unberührt gezeigt habe:
"Schon in den vergangenen Jahrzehnten hat man gesehen, wie sich antisemitische Ressentiments ausbreiten in der Klubszene. Diese ist sehr divers, mit Expats von überall auf der Welt. Zumindest unmittelbar nach dem 7. Oktober hätte man innehalten müssen für einen Moment. Das war kein verdammter Befreiungskampf, sondern die Tat einer islamofaschistischen Terrorbande, die sexualisierte Gewalt als Mittel einsetzt. Doch was folgte, war dröhnendes Schweigen."
In seinem aktuellen Buch "After Woke" gendert er gleichwohl konsequent - auch die "palästinensischen Terrorist*innen". Darauf angesprochen sagt er:
"Unter den Frauen in Gaza hat es auch Täterinnen. Sie haben gejubelt, als die Terroristen die israelischen Geiseln nach Gaza brachten, sie haben sie in Empfang genommen. Die Geiseln waren bei Familien untergebracht, wo sie mit Palästinenserinnen zusammenlebten. Ich will die Frauen, Schwestern und Töchter der Hamas nicht aus der Verantwortung nehmen. Sie sind nicht bloß Opfer, nur weil sie in einer patriarchalen Gesellschaft leben."

Die Links zu den Themen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

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In einem Essay für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG beklagt der Schriftsteller und Kommunikationsberater Giuseppe Gracia, dass der Westen es verlernt habe, mit dem Bösen zu rechnen, was doch über Jahrhunderte zum "spirituellen Kompass des Abendlandes" gehörte:
"Der unfassbare Abgrund muss fassbaren Ursachen weichen: Armut, soziales Unrecht, Verführung durch Rechtspopulisten. Besonders beliebt ist die psychische Störung, die den Abgrund zu einem klinischen Problem reduziert. Unerwünscht ist die Ahnung einer Hölle, an der wir alle im Verborgenen arbeiten, umso mehr, je weniger es uns bewusst ist."
Gracia skizziert sodann die Ursachen und Folgen dieser Verdrängung des Bösen, in der er den Grund für die moralische Verwirrung unserer Tage sieht. Dem hält er entgegen:
"Die Wiederentdeckung des jüdisch-christlichen Realismus könnte die Kräfte zum Guten mobilisieren, auch bei jungen Menschen, die im Vergnügungspark der Gegenwart nach Tiefe und Sinn suchen. Eine Tiefe, zu der die Erfahrung gehört, dass Freiheit und Güte nicht selbstverständlich sind, dass man ihnen Sorge tragen muss. Und dass der Mensch nicht von Natur aus gut ist. Er kann viel Leid in die Welt bringen, aber auch viel Liebe. Mit den Worten des Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt: 'Die Liebe ist ein Wunder, das immer wieder möglich ist, das Böse eine Tatsache, die immer vorhanden bleibt.'"

In Aachen fand kürzlich eine Diskussion über gemeinsame Wurzeln und Zusammenhalt der abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum, Islam – statt. Eingeladen hatten das Aachener Institute for International Cooperation, Technological Diplomacy and Communication und das Institut für Katholische Theologie der RWTH Aachen. Auf dem Podium saßen Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Uni Münster, der Aachener Priester Christoph Stender und Aaron Malinsky, Rabbiner und Kantor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Peter Pappert schildert in der AACHENER ZEITUNG, wie die Diskussion verlief. Dazu gibt es dann noch an gleicher Stelle ein Interview mit Mouhanad Khorchide, der sich seit vielen Jahren gegen heftigsten fundamentalistischen Widerstand für einen aufgeklärten liberalen europäischen Islam einsetzt: „Die drei Religionen sind näher beisamen, als man denkt“

Der Penzberger Imam, Benjamin Idriz, hat zu einer interreligiösen Erklärung zum Frieden im Nahen Osten aufgerufen, berichten das SONNTAGSBLATT und der BAYRISCHE RUNDFUNK. "Eine vereinte Stimme aller Religionen gegen jede Form von Hass ist in der gegenwärtigen Zeit von entscheidender Bedeutung", sagte Imam Idriz am Sonntag laut Redemanuskript in seiner Kanzelrede in der evangelischen Erlöserkirche in München-Schwabing. Dazu wolle er einen Brief an führende Religionsvertreter mit dem Ziel einer "gemeinsamen Erklärung" schreiben.

Sie war das denkende Herz der Baracke und ihre Aufzeichnungen machten sie weltbekannt: Etty Hillesums Werk gehört zu den spirituellen Klassikern und zugleich ist sie als Persönlichkeit so faszinierend wie widersprüchlich. Mitten aus einem Leben gegen die damaligen Konventionen wird sie durch den II. Weltkrieg gerissen und von den Nazis später in Auschwitz ermordet. Ihr Leben und ihr Werk faszinieren Heiner Wilmer, seit 2018 Bischof von Hildesheim, schon lange. Und so schloß er sich Tage lang für Exerzitien ein und setzte sich dabei nur mit einem Menschen auseinander: mit der Jüdin Etty Hillesum. Er liest in ihren Aufzeichnungen, meditiert, denkt nach – und schreibt. Er schreibt einen fiktiven literarischen Dialog mit Etty, stellt Fragen, forscht nach. Nun kann man das alles nachlesen in seinem jüngsten Buch, das Michael Althaus und Esther von Krosigk für KATHOLISCH.de und die TAGESPOST näher vorstellen: "Bischof Wilmer begegnet der ermordeten Jüdin Etty Hillesum".

Die Links zu den Themen in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

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Was kommt danach und wie wird gestorben? Das Jüdische Museum Frankfurt erkundet in seiner neuen Ausstellung jüdische Sterberiten. Auf mehr als 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche widmet sie sich dem Themenkomplex in fünf Räumen: „Das Angesicht des Todes“, „Sterben“, „Beerdigung“, „Trauer“ und „Olam haba – Die kommende Welt“. Zu den zentralen Elementen der Ausstellung gehört auch ein Interview-Film zu den Frankfurter Jüdischen Friedhöfen, wie FAZ und FRANKFURTER RUNDSCHAU berichten. "Es ist eine verblüffend schöne, sehenswerte Ausstellung", meint die Andreas Hartmann in der FRANKFURTER RUNDSCHAU: "Aufbruch in das Land der Seele".

Auch die zehnte Ausgabe des jüdischen Filmfestivals "Yesh!" in Zürich erfährt viel Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil auch das Festival im Schatten des 7. Oktobers steht. Wie mit diesem Angriff auf die jüdische Gemeinschaft umgehen? Wie die Sprachlosigkeit überwinden? Diese Fragen stellte sich auch Michel Rappaport, der Festivaldirektor, während der Planungen. Das «Yesh!» steht seit seinen Anfängen für kulturellen Austausch und gelebte Vielfalt. Es wolle «vermitteln und verbinden», so Rappaport. Neben jüdischem Filmschaffen fanden auch stets Regisseure mit arabischem Hintergrund ihren Platz im Programm. Ob und wie das in diesem Jahr gelungen ist, beschreibt Oliver Camenzind in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, und im Gespräch mit der schweizer-jüdischen Wochenzeitung TACHLES wie auch mit der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG spricht Festivaldirektor Rappaport über die Gründungszeit des Festivals und die Frage, welche Filme man im Schatten des 7. Oktobers denn zeigen könne: »Wir stehen hinter jedem Film, aber nicht hinter jeder Aussage«,

Die Jüdische Akademie und die Goethe-Universität in Frankfurt am Main werden künftig in Forschung und Lehre eng zusammenarbeiten. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und Universitätspräsident Enrico Schleiff unterzeichneten am Mittwoch in Frankfurt einen Kooperationsvertrag. Die UNIVERSITÄT FRANKTURT veröffentlicht dazu einen Bericht mit reichlich Fotomaterial. Und in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG lotet der Gründungsdirektor der Jüdischen Akademie und wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland Doron Kiesel die Gründe und Chancen dieser Zusammenarbeit näher aus: "Raum für Debatten"

Kürzlich erhielt der Publizist Michel Friedmann die renommierte Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt. Oberbürgermeister Mike Josef lobte Friedman als "eine der stärksten Stimmen für Demokratie und Toleranz, gegen Rassismus und Antisemitismus". In der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG ist die bewegende Laudatio für Friedmann von der Publizistin Carolin Emcke nachzulesen, an deren Ende es heißt:
"Hier ist nicht allein ein jüdischer Autor, der gegen Antisemitismus schreibt, sondern hier ist ein Bürger, ein Demokrat, ein Humanist, der für uns aufbegehrt."

Clouds Hill, das Hamburger Indie-Label um Produzent und Autor Johann Scheerer, hat die Rechte am Gesamtwerk Wolf Biermanns gekauft, das sich auf etwa 300 Lieder beläuft – mit dem Ziel, seine Musik wieder zugänglich zu machen. Auf einem neuen Album erscheinen nun zum 88. Geburtstag des Ausnahmekünstlers am 15. November 22 Klassiker und weniger bekannte Titel, die von jüngeren Künstlern musikalisch interpretiert werden. Darunter sind Annett Louisan, Ina Müller, Meret Becker, Lina Maly und Alligatoah. Ziel ist es, diese immer noch relevante Musik, die in einem von Krisen gebeutelten Europa heute aktueller denn je wirkt, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen für eine nachwachsende Generation. Im Gespräch mit der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG, die das Album näher vorstellt, gibt auch Biermann selbst Auskunft über die Entstehung des Albums und wie er seinen 88. Geburtstag empfindet: "Biermann will sich nach seinem Tod nicht langweilen".

Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

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Bereits Mitte Oktober wehrten sich sogar die Nachkommen des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer gegen den Mißbrauch von dessen Namen und Botschaft durch Trump-Anhänger im US-amerikanischen Wahlkampf (siehe Compass 23. Oktober 2024). Nun, unmittelbar im Vorfeld der Premiere des Bonhoeffer-Films «Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin» in New York, eskaliert dieser Streit so sehr, dass sich sogar die Schauspieler des Films gegen den Mißbrauch von Bonhoeffers Namen durch rechte evangelikale Christen zur Wehr setzen, wie Carolo Mariani für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schildert: "'Tief besorgt über den Missbrauch durch christliche Nationalisten in den USA': Schauspieler des Films über den Nazi-Gegner Dietrich Bonhoeffer wehren sich".

Der Link zum Interview in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.

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Was wäre, wenn es ein jüdisches Schtetl gäbe, das vom Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust verschont geblieben ist? Kreskol liegt tief im polnischen Urwald und blieb jahrzehntelang unberührt und unverändert – ohne Autos, Strom, Sanitäranlagen und Internet. Doch dann gerät ein Ehestreit außer Kontrolle und die Beteiligten kommen erstmals wieder in Kontakt mit der Welt außerhalb ihres Schtetls. So die Ausgangslage des Romans von Max Gross. Ein "genialer Lesestoff", den Hannes Stein für die WELT näher vorstellt: "Juden – so gut versteckt, dass selbst der gründliche Deutsche sie übersah".

Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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