Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
28.11.2006 - Nr. 715

COMPASS-Original: Markus Weingardt antwortet auf das "Manifest der 25"



Wie deutsche Firmen Israel sehen


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Original-Beitrag


Nachfolgend lesen Sie einen Original-Beitrag des Politik- und Verwaltungswissenschaftlers Markus Weingardt, in dem er auf
das "Manifest der 25" antwortet. [siehe Compass 16.11.06 u. 22.11.06]

Eine leicht gekürzte Fassung veröffentlichte die FRANKFURTER RUNDSCHAU
in ihrer Ausgabe vom vergangenen Samstag.


Überdenken - aber ehrlich!

Das „Manifest der 25“ plädiert dafür, die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel neu zu überdenken. Viele Aussagen und Impulse sind höchst zutreffend und nicht zu beanstanden. Andere hingegen sind höchst beunruhigend und rufen eine Reihe von Fragen hervor.

Das Unbehagen beginnt im ersten Absatz. Warum zitieren die Autoren die israelische Außenministerin anstatt einen deutschen Politiker? Dutzende Politiker benutzen jährlich die völlig nichtssagende Formel von den „besonderen Beziehungen“ – nichtssagend, weil niemand erläutert, was darunter zu verstehen sei, und so jeder verstehen kann, was er mag. Und doch muss Frau Livnis Aussage herhalten, um daran eine Interpretation dieser Besonderheit der Beziehungen aufzuhängen. Soll damit vermittelt werden, dass die Besonderheit – wie sie die Autoren charakterisieren – eine israelische Forderung ist? Dass Israel auf eine Besonderheit besteht, die in Deutschland so niemand sieht? Immerhin war – offenbar – kein Zitat eines deutschen Politikers zu finden. Und so wird weiter formuliert: „Deutschland hat sich uneingeschränkt ... einzusetzen.“ Hat sich – also als Imperativ: Deutschland muss ... Warum? Wer sagt das? Das wird vielsagend offen gelassen und lässt damit Raum für unsägliche Spekulationen. Vor allem aber die Charakterisierung der Besonderheit ist irritierend, nein: viel zu eng gefasst und inhaltlich falsch. Sie wird festgemacht a) an einem ‚uneingeschränkten Einsatz’ für Israel, manifestiert in der Lieferung von Rüstungsgütern trotz israelischen Rechtsverstößen, und b) daran, dass „Kritik an Israel ... besser unterbleiben“ sollte.

Die Autoren erläutern nicht, was unter ‚uneingeschränktem Einsatz’ zu verstehen sei. Sie begründen ihre ‚Wahrnehmung’ auch nicht, es wird einfach eine – eindeutig negativ konnotierte – Behauptung aufgestellt. Dass man sich für Existenz und Sicherheit eines Staates oder Volkes ausspricht, dürfte eine Selbstverständlichkeit sein. Dass Deutschland anderen Staaten Kredite gewährt, ebenfalls. Was hat die Bundesrepublik also ‚uneingeschränkt’ aktiv getan? Bereits die unseligen Verhandlungen zum ‚Wiedergutmachungs’-Abkommen (1949-52) zeugen von höchst eingeschränktem Engagement für Israel. Im Jom-Kippur-Krieg 1973, als Israel am Rande einer vernichtenden (!) Niederlage stand, untersagte die Bundesregierung amerikanische Waffenlieferungen für Israel via Deutschland. Das geschah unter dem Deckmantel der Neutralität, faktisch aber aus Rücksicht auf die arabische Welt, aus Angst vor der ‚Ölwaffe’ und anderen wirtschaftlichen Nachteilen. Ist das ‚uneingeschränkter Einsatz’ für Israel?  Aber, so sagt uns dann das ‚Manifest’, der ‚uneingeschränkte Einsatz’ zeige sich ‚unter anderem’ (woran denn noch?) daran, dass Deutschland Israel mit Rüstungsgütern beliefert, trotz diverser Verstöße gegen internationales und Menschenrecht. Stimmt, Israel – und Dutzende andere Staaten auch. Darunter sogar arabische Staaten, die Israel keineswegs wohlgesonnen sind, gar den Kampf gegen Israel unterstützen (bspw. erhielt Saudi-Arabien in den Neunzigerjahren einige Dutzend ‚Fuchs’-Spürpanzer). Staaten, in denen die Menschenrechte in ganz anderer Dimension mit Füßen getreten werden, als dies in Israel geschieht. Staaten, in denen Frauen, Christen oder Homosexuelle vom Tod bedroht sind, weil sie Frauen, Christen oder Homosexuelle sind. Staaten, in denen Hunderte oder Tausende jährlich durch staatliche Gewalt zu Tode kommen. All diese und viel Rechtsbrüche mehr haben die verschiedenen Bundesregierungen bis heute nicht davon abgehalten, mit solchen Staaten Geschäfte zu machen oder zuzulassen, wie sie auch unbestreitbare Rechtsbrüche auf israelischer Seite hinnahm und hinnimmt. Das macht die deutsche Politik freilich nicht besser, doch sind Rüstungslieferungen trotz Menschenrechtsverstößen kein Charakteristikum, das die deutsch-israelischen Beziehungen von anderen bilateralen Beziehungen unterscheidet, mithin das Verhältnis zu Israel als ein ‚besonderes’ auszeichnet. Überdies stehen Rüstungslieferungen an israelfeindliche Staaten in krassem Gegensatz zu dem Postulat eines ‚uneingeschränkten Einsatzes für Israel’. Wie kommt es, dass die Unterzeichner diese Umstände ignorieren? Warum und zu welchem Zweck wird an Israel bzw. der deutschen Israelpolitik Kritik geäußert, während über vergleichbare, gar gravierendere Missstände hinsichtlich der arabische Staaten geflissentlich geschwiegen wird?

Weiter nehmen die Autoren als Kennzeichen der Besonderheit ein „unausgesprochenes Verbot offener Kritik“ an Israel wahr. Auch dies wird von den Autoren freilich nicht weiter begründet, doch zieht sich diese Behauptung wie ein Unterton durch den gesamten Artikel: Dieses ‚Verbot’ scheint ursächlich zu sein, dass kein offener, wirklich freundschaftlicher Dialog zwischen Deutschland und Israel gepflegt wird, wie es die Autoren sehen. Nun, diese These vom ‚Verbot deutscher Israel-Kritik’ ist so alt wie die Bundesrepublik – und ebenso lange schon falsch. Es ist nichts anderes als ein leider sehr etablierter und öffentlichkeitswirksamer, aber durch nichts gestützter Mythos. Was bedeutet denn überhaupt ‚Verbot’? Was geschieht mit jemandem, der dieses Verbot missachtet? Welche ‚Strafen’ oder Konsequenzen hat er zu fürchten? Der Protagonist offener Israelkritik war zeitlebens Jürgen W. Möllemann. Schon in den Siebzigerjahren attackierte er die israelische Regierungspolitik und wollte den damaligen Ministerpräsident Begin als Kriegsverbrecher vor einen internationalen Gerichtshof stellen – darauf hinweisend, dass auch der Umstand, dass Begin Jude sei, niemanden an dieser Feststellung hindern könne. Zur Strafe für diese ‚verbotene Kritik’ wurde er wenige Zeit später zum Staatsminister im Auswärtigen Amt ernannt. Als er in diesem Amt politische und private Geschäfte verquickte und zurücktreten musste, vermutete er öffentlich eine „zionistische Verschwörung“ gegen seine Person. Wiederum wenige Jahre später wurde er Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1987-1991), später gar Bundeswirtschaftsminister (1991-1993). Zahlreiche andere Politiker haben seit den Fünfzigerjahren und bis heute teils vehemente Kritik an Israel geäußert, davon geben zahllose Interviews und sogar die Bundestagsprotokolle beredt Auskunft. Doch keiner musste deswegen irgendein politisches Amt oder Mandat niederlegen, ganz im Gegenteil. Bundeskanzler Schmidt focht eine Kontroverse mit Begin aus und vermied jede Begegnung mit ihm, doch zierte sein Bild zeitlebens das Wohnzimmer des damaligen israelischen Botschafters Meroz. Joschka Fischer verurteilte mehrfach öffentlich Scharons Politik, und war in Israel angesehen wie kein deutscher Außenminister vor ihm. Und dennoch, dennoch wabert der Mythos vom angeblichen ‚Tabu deutscher Israel-Kritik’ weiterhin unaufhaltsam durch das Land. Dieser auffallende Umstand sagt mehr über Probleme vieler Deutscher im Umgang mit Deutschlands Vergangenheit als über tatsächliche deutsch-israelische Beziehungen, geschweige denn über israelische Erwartungen oder gar ‚Forderungen’. Doch so scheinbare Nebenbemerkungen wie im ‚Manifest der 25’ sind bestens dazu angetan, den Mythos – ohne jede Begründung! – am Leben zu halten und, angesichts der prominenten Unterzeichner, zu stärken.

Die Säulen, auf denen das Plädoyer für ein Überdenken der deutsch-israelischen Beziehungen aufbaut, sind tönern und tragen nicht. Positive Aspekte des bilateralen Verhältnisses, etwa das überaus intensive gesellschaftliche Beziehungsgeflecht in verschiedensten Bereichen der Kultur, Wissenschaft, des Jugendaustauschs und vieles mehr, werden gar nicht erwähnt. Dabei sind gerade sie es, die tatsächlich eine Besonderheit und Einmaligkeit unter den vielen zwischenstaatlichen Beziehungen Israels wie der Bundesrepublik darstellen. Stattdessen wird ein gefährlich klischeebesetztes und für Israel wenig schmeichelhaftes Bild von den deutsch-israelischen Beziehungen gezeichnet: Deutschland „hat sich uneingeschränkt für Israel einzusetzen“, unter anderem durch „staatlich geförderte Waffentechnologie“, und hat darüber hinaus Kritik zu unterlassen; im Klartext: Deutschland hat Israel jeden Wunsch zu erfüllen und ansonsten gefälligst den Mund zu halten. Wenn man die bilateralen Beziehungen wirklich neu ‚überdenken’ will, sollte man nicht nur Ausschnitte betrachten und sich vor allem von überkommenen Klischees und Mythen trennen und. Und wenn man Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Freundschaftlichkeit im Umgang anmahnt, sollte man nicht zugleich mit einseitigen und nicht begründeten Postulaten bzw. Unterstellungen – besonders gegenüber dem ‚Freund’ – argumentieren
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