Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
04.02.2008 - Nr. 877

INTERNATIONALE PRESSESCHAU
4. Februar 2008

zusammengestellt von
Julia Brauch



Die Vorwahlen und das jüdische Amerika

Welchem Präsidentschaftskandidaten kann man vertrauen, wenn es um die künftige amerikanische Nahostpolitik und die Pflege solidarischer Beziehungen zu Israel geht? Je mehr die Vorwahlen in den USA an Fahrt gewinnen, desto erregter diskutiert das jüdische Amerika diese Frage. Im Vorfeld des Super-Dienstags am 5. Februar gewinnt der Wettkampf um die jüdischen Wähler an Schärfe.


Am morgigen Dienstag werden in 23 Staaten etwa
zwei Drittel der amerikanischen Juden über ihren
Favoriten bei den Vorwahlen entscheiden.
Die Prozentzahlen in Klammern geben den
geschätzten Anteil der jüdischen Bevölkerung
in den jeweiligen Staaten an.
(Quelle:
http://elections.jta.org/blog/)



Noch im November konnte Hillary Clinton in einer Umfrage unter jüdischen Wählern 53 Prozent für sich gewinnen – Barack Obama hingegen nur 38 Prozent. Das Stimmungsbild in den Medien zeigt ein anderes Bild. Während es um Hillary Clinton deutlich ruhiger wird, beflügelt der Senator aus Illinois die Phantasie jüdischer Journalisten und Experten. Der bekannte Israel-Kenner Bernard Avishai überschrieb einen Artikel gar mit der Überschrift: “Barack Obama: America’s First Jewish President”.1 Der folgende Bericht macht mit den wichtigsten Entwicklungen und Meinungen der letzten Zeit bekannt und vermittelt einen Eindruck, wie die Kandidaten bewertet werden

In besonderer Weise erregte in den letzten Wochen eine Anti-Obama-Kampagne2 die Gemüter, die im Internet und per E-Mail mutmaßliche islamische Einflüsse auf den Kandidaten der Demokraten aufdecken wollte. Obamas Zweitname „Hussein“, sein muslimischer Vater (und Stiefvater) sowie seine in Indonesien verbrachte Kindheit gerieten dabei ins Visier. Auch Lügen wurden dabei in die Welt gesetzt, etwa die, Obama sei auf den Koran vereidigt worden. Tatsächlich ist Obama Christ. Mit einem offenen Brief3, unterzeichnet von neun Führungspersönlichkeiten fast aller wichtigen jüdischen Organisationen, wurde diese Art der Kriegsführung klar verurteilt: „Jews, who have historically been the target of such attacks, should be the first to reject these tactics,“ so die Unterzeichnenden. Zudem berief Obama eigens eine Telefonkonferenz ein, um jüdische Journalisten von der Haltlosigkeit der Vorwürfe zu überzeugen.4

Mit viel Akribie widmet sich Ed Lasky im American Thinker5 allen denkbaren anti-israelischen Einflüssen, denen Obama bislang ausgesetzt war: da ist sein problematisches Verhältnis zu Pfarrer Jeremiah Wright, den Obama einmal als seinen geistlichen Mentor bezeichnet hat: Wright hegt Sympathien zu Louis Farrakhan, dem antisemitischen Führer der Nation of Islam. Nach vielfachen Protesten6 hat Obama sich von ihm distanziert. Verdächtig sind Lasky auch all jene in Obamas Umfeld, die Israel wenig freundlich gesonnen sind: Dazu gehören George Soros, Zbigniew Brzezinsky und Robert O. Malley. Dennis Ross, ein ausgewiesener Freund Israels hingegen und ebenfalls in der Mannschaft von Obama, werde sich, so Laskys Überzeugung, gegen die Macht dieser Kräfte nicht durchsetzen können.

Auch Jonathan Tobin zeigt sich in der Jewish Press nicht beeindruckt von Obamas proisraelischen Bekundungen und empfiehlt, sich weniger mit der islamischen Religion seiner Väter zu beschäftigen, als mit seiner Unerfahrenheit und töricht schlichten Interpretation der Lage im Irak, Iran und in Pakistan.7 Noch schärfer kritisierte der ehemalige israelische Botschafter bei der UNO, Danny Ayalon, die wenig greifbaren Äußerungen Obamas zur Iranpolitik und zum Kampf gegen den Terror. Bei einem persönlichen Treffen habe er den Eindruck gewonnen, dass Obama sein Denken nicht ganz offen lege.8 
Wer sich für konkrete Aussagen Obamas zu seiner geplanten Politik Israel-Politik interessiert, dem sei das “Fact Sheet” empfohlen, das von seiner Website heruntergeladen werden kann.9

Ron Kampeas von der Jewish Telegraphic Agency10 sieht vor allem die vielfältigen Verbindungen, die Obama mit dem jüdischen Amerika pflegt. Jüdische Philantropisten unterstützen ihn, wie zum Beispiel Robert Schrayer, Lester Crowne oder Alan Solomont, der seine Spendensammlungen organisiert, und auch hochrangige religiöse Vertreter wie Rabbi David Saperstein und Nathan Diament. Lee Rosenberg, Schatzmeister des American Israel Public Affairs Committee gehört zu Obamas Finanzkomitee.

Jüdische Wähler machen insgesamt nur 2 Prozent der Bevöllkerung aus, doch ihr Gewicht bei der öffentlichen Meinungsbildung geht weit darüber hinaus – und ihr Anteil ist in den Staaten mit den meisten Delegierten besonders hoch. Dessen ist sich auch Obama bewusst, der als außenpolitisch unerfahren gilt. Er nutzt jede Gelegenheit, seine Glaubwürdigkeit in Sachen Israel zu stärken: So versicherte er, dass es kein palästinensisches Rückkehrrecht im wörtlichen Sinn geben werde und rief dazu auf, eine UN-Sicherheitsrats-Resolution abzulehnen, in der nur Israel für seine restriktive Politik gegenüber Gaza verurteilt werden sollte, nicht aber die Raketenangriffe von Gaza auf Israel.11

Obamas Anstrengungen, sein Image in Bezug auf Israel zu verbessern, sind nicht fruchtlos geblieben. In der letzten Woche vor dem Super-Tuesday mehren sich die Stimmen, die ihm sein Vertrauen aussprechen. In einem Haaretz-Editorial zeigt man sich überzeugt: “Obama is sensitive to Israel’s security needs, and he proved this through his Senate votes, his visit to northern Israel during the Second Lebanon War, and his unequivocal statements against both Hezbollah, which violated Israel's sovereignty in the North, and Hamas, which violated Israel's sovereignty in the South.”12  Emotionaler bringt Mel Levine, ehemaliges Kongressmitglied mit AIPAC-Vergangenheit, seinen Enthusiasmus zum Ausdruck: Obama sei der erste Kandidat seit 40 Jahren, der nachhaltig die Vorstellungskraft der jüdischen Amerikaner beschäftige. Er verkörpere das jüdische Ideal, die Welt zu verbessern (tikkun olam) und besteche durch Intellekt, Anständigkeit und Führungsstärke.13 

Nur vereinzelt finden sich in der jüdischen Presse dezidierte Plädoyers für republikanische Kandidaten. Dazu gehört ein Beitrag von Julia Gorin14  im konservativen Front Page Magazine, der, kaum zwei Wochen alt, schon wieder Geschichte ist: Gorin setzte sich für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Rudy Giuliani ein, der nach dem schlechten Wahlergebnis in Florida mittlerweile aus dem Rennen ausgestiegen ist. Sie zeigte sich beeindruckt von Giulianis politisch unkorrektem Auftreten, als er 1995 bei einer UN-Veranstaltung Yasser Arafat erblickte und ausrief: “Why is there a terrorist at my party?”

Ein wichtiger Faktor bei der Meinungsbildung sind die sogenannten “endorsements” – die öffentlichen Unterstützungsbekundungen von Prominenten und Institutionen. So wird Hillary Clinton von Steven Spielberg, Haim Saban und Barbara Streisand unterstützt. Ein endorsement der ungewöhnlicheren Sorte stammt von Joe Liberman. Der demokratische Senator aus Connecticut, der im Präsidentschaftswahlkampf 2000 im Team von Al Gore sich auf den Posten des Vizepräsidenten bewarb, erklärt in einem Beitrag für die Jewish Press, warum John McCain – also der republikanische Kandidat – seine “Wahl für das Präsidentenamt ist”.15  Überrascht hat auch das endorsement von Martin Peretz, dem bekannten Chefredakteur der neoliberalen Zeitschrift New Republic: Obamas Aussagen zum Umgang mit den Palästinensern haben ihn – anders als Ayalon, Lasky und Tobin – überzeugt, und er schließt sich seinem Ansatz an, dass man nicht einfach da weitermachen kann, wo Clinton einst aufhörte.16  

Im gleichen kritischen Geist gegenüber dem bisherigen Friedensprozess, mischte sich der ehemalige Nahostberater von Giuliani, Martin Kramer, bereits im vergangenen November in den Wettkampf um den besten Kandidaten für die jüdische Wählerschaft ein. In der Jerusalem Post17  wagte er eine kühne Analyse von Hillary R. Clintons außenpolitischem Nahostprofil, das in der November-Ausgabe der Foreign Affairs18  nachzulesen ist. Sein Vorwurf: Clintons Programm laufe darauf hinaus, dass unter amerikanischer Führung erneut endlose Friedensverhandlungen aufgenommen würden, die zu nichts führten. Sie versuche gezielt, einen Standpunkt der Neutralität einzunehmen, indem sie statt von “Terrorismus” nur von “Gewalt” spreche und den Palästinensern nichts außer Bekenntnissen abverlange. Die Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten: Ira N. Forman, Direktor des National Jewish Democratic Council, prangerte in seiner Replik19 Kramers Art der Beweisführung an und lobte Senatorin Clinton als “große Unterstützerin Israels”, die sogar die orthodoxe Wochenzeitung The Jewish Press überzeugt hätte.

Diese Zeitung, die sich selbst als „größte unabhängige jüdische Wochenzeitung Amerikas“ bezeichnet, fordert in einem Editorial20 alle Kandidaten dazu auf, in ihrer Israel-Politik konkreter zu werden. Heute reiche es nicht mehr aus, allgemein gehaltene Statements der Unterstützung für Israel abzugeben: Wie hält man es mit den Grenzen, was soll mit der Westbank und Jerusalem passieren? Und was ist mit dem palästinensischen Rückkehrrecht? Bei John McCain, Mitt Romney und Mike Huckabee vermisst die Zeitung klare Antworten. Clinton dagegen habe seit dem Jahr 2000 „viele richtige Dinge“ gesagt. Obamas Ausspruch, keiner habe so sehr gelitten wie das palästinensische Volk, sei zwar problematisch, aber dafür wolle er Israel großen Spielraum geben, wenn es um den Kampf gegen den Terror ging.

Der Super-Tuesday ist nur eine, wenn auch wichtige Station auf dem Weg zur Wahl des nächsten Präsidenten. Wer sich regelmäßig über die weiteren Entwicklungen aus jüdischer Perspektive informieren möchte, dem sei die Sektion “US Elections” der Jerusalem Post21  empfohlen. Viele gewichtige jüdisch-amerikanischen Stimmen schreiben auch jenseits der Wahlen für die JP, und diese Kontakte machen die englischsprachige israelische Zeitung zu einer hervorragenden Informationsquelle. Auch das Projekt “The Israel Factor” von Shmuel Rosner von Ha’aretz sei empfohlen, wo Experten verschiedenster politischer Provenienz einmal im Monat die Israel-Politik der Präsidentschaftskandidaten bewerten.22


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Quellennachweise



1 Bernard Avishai, Barack Obama: America’s First Jewish President, Jewcy.com, Jan 31 2008; Source URL: http://www.jewcy.com/posts/2008-01-31/barack_obama_and_new_jewish_problem
 
2 James D. Besser, Campaign Of Falsehoods On Obama Seen Sticking, The Jewish Week, 23.1.2008;
http://www.thejewishweek.com/viewArticle/c37_a3572/News/National.html#top
 
3 Open Letter to the Jewish Community, Original als PDF unter
http://i.a.cnn.net/cnn/2008/images/01/19/open.letter.to.jewish.community.pdf
 
4 Jennifer Siegel, As Campaign Surges, Obama Working to Quell Jewish Fears, Forward, Wed. Jan 30, 2008,
http://www.forward.com/articles/12581/
 
5 Ed Lasky, Barack Obama and Israel, The American Thinker, January 16, 2008;
http://www.americanthinker.com/2008/01/barack_obama_and_israel.html
 
6 Richard Cohen, Obama’s Farrakhan Test, Washington Post, January 15, 2008;
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2008/01/14/
AR2008011402083.html?hpid=opinionsbox1

 
7 Jonathan S. Tobin, Obama Should Be Treated Like Any Other Candidate, January 30, 2008
http://www.thejewishpress.com/displaycontent_new.cfm?contentid=29367&mode=
a§ionid=14&contentname=Obama_Should_Be_Treated_Like_Any_Other_
Candidate&recnum=1


8 Danny Ayalon, Who are you, Barack Obama?, THE JERUSALEM POST, Jan. 23, 2008, http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1201070769195&pagename=
JPost%2FJPArticle%2FshowFull

 
9
http://www.barackobama.com/issues/foreignpolicy/#onisrael

10 Ron Kampeas, Obama and the Jews, 3.1.2008, JTA; http://www.jta.org/cgi-bin/iowa/news/print/20080103obamaprofile20080103.html
 
11 Hilary Leila Krieger and Tovah Lazaroff, Obama: Palestinian refugees can't return, THE JERUSALEM POST, Jan. 29, 2008,
http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1201523779464&pagename=
JPost%2FJPArticle%2FShowFull

 
12 Obama and the Jewish question, Ha’aretz, 30/01/2008,
http://www.haaretz.com/hasen/pages/ShArtVty.jhtml?sw=Obama&itemNo=949364
 
13 Mel Levine, Why I support Obama, THE JERUSALEM POST, Jan. 28, 2008,
http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1201523778582&pagename=
JPost%2FJPArticle%2FShowFull

 
14 Julia Gorin, Giuliani is The Decider, FrontPageMagazine.com, 23.1.2008;
http://frontpagemag.com/Articles/Printable.aspx?GUID=6D347ACA-8929-4DC6-8F80-
CB95575B44ED

 
15 Joe Lieberman, Why John McCain Is My Choice For President, Jewish Press, January 30, 2008,
http://www.thejewishpress.com/displaycontent_new.cfm?contentid=29365&mode=
a§ionid=14&contentname=Why_John_McCain_Is_My_Choice_For_President&recnum=1
   

16 Martin Peretz, Can Friends of Israel – and Jews – Trust Obama? In a word, Yes, The New Republic, January 31, 2008 January 31, 2008,
http://tnr.com/politics/story.html?id=6bd11ed5-bf80-44a0-b683-a0563e11ab89
 
17 Ira N. Forman, Martin Kramer’s tawdry political stunt, THE JERUSALEM POST, Nov. 20, 2007;
http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1195546681696&pagename=JPost%2
FJPArticle%2Fprinter

 
18 Hillary R. Clinton, Security and Opportunity for the Twenty-first Century, Foreign Affairs, Nov./Dec. 2007,
http://www.foreignaffairs.org/20071101faessay86601/hillary-rodham-clinton/
security-and-opportunity-for-the-twenty-first-century.html

 
19 Ira N. Forman, Martin Kramer’s tawdry political stunt, THE JERUSALEM POST, Nov. 20, 2007;
http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1195546681696&pagename=JPost%2FJPArticle
%2Fprinter

 
20 More Needed On Mideast From Presidential Wannabes, Editorial, The Jewish Press, January 23, 2008;
http://www.jewishpress.com/print.do/29064/More_Needed_On_Mideast_From
_Presidential_Wannabes.html

 
21
http://www.jpost.com/servlet/Satellite?pagename=JPost/Page/
IndexSpecials&cid=1199120267723

 
22 The Israel Factor: Ranking the Presdential Candidates,
http://www.haaretz.com/hasen/pages/rosnerPage.jhtml




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