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Bilder des Grauens
Fotografieren war in Theresienstadt streng verboten – Kameras wurden den Häftlingen schon bei der Ankunft weggenommen. Welches Bild die Außenwelt sich vom Lager machte, bestimmte allein die SS. In ihrer Propaganda gab es kein bewachtes Lager, überfüllt von hungernden Häftlingen, sondern ein blühendes „jüdisches Siedlungsgebiet“. Zeichnungen, die diese Illusion in den leuchtendsten Farben ausmalten, wurden regelmäßig bei der Jüdischen Selbstverwaltung bestellt.
Ausführende waren Künstler wie Friedrich Taussig (Bedřich Fritta), Otto Unger, Ferdinand Bloch und Leo Haas. Sie gehörten zur Technischen Abteilung und fertigten im Zeichensaal Skizzen, Grafiken und Illustrationen zu Berichten der Selbstverwaltung an, darunter auch beeindruckende Trugbilder im Auftrag der SS. Nachts ging die Arbeit weiter – im Auftrag der Wahrheit entstanden nun andere Bilder. „Fritta [Taussigs Pseudonym], Unger, oft auch Bloch und ich waren von der furchtbaren Umgebung so bedrückt, dass wir uns bei Tag unseren amtlichen Pflichten widmeten, Nacht für Nacht dann aber in unserem abgedunkelten Arbeitsraum zusammenkamen und an unseren Skizzen arbeiteten, die zu Zyklen reiften“, erinnert sich der Illustrator Leo Haas.
Fritta setzte das Gesehene in mehr als 150 expressionistischen Tuschezeichnungen um, die Düsternis und Hoffnungslosigkeit ausstrahlen. „Alle großen Maler des Grauens waren beunruhigte Naturen […]. In Theresienstadt war die Beunruhigung gegeben, sie drängte sich auf und überwältigte“, berichtet der Ghetto-Chronist H.G. Adler, der einige der Künstler persönlich kannte. Über mehr als zwei Jahre entstanden Bilder von den traurigen Quartieren der Alten, der Leichenhalle, von Transporten und Massenbegräbnissen, von frustrierten Gesichtern und endlosen Schlangen an den Essensausgaben. Und immer mehr wuchs der Wunsch, der Welt die Wahrheit über Theresienstadt zu berichten. Dabei half der Häftling Leo Strass. Da der Kunstliebhaber mit einer „Arierin“ verheiratet war, zu der über hilfsbereite tschechische Gendarmen Kontakt gehalten wurde, konnte er Bilder aus Theresienstadt herausschmuggeln. Schließlich gelang es sogar, sie in der Schweiz zu veröffentlichen. Damit wuchs aber auch die Gefahr für die Künstler, entdeckt zu werden.
Ende Juli 1944 kam eine Warnung: Die SS sei nach dem Besuch durch die Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes auf sie aufmerksam geworden. Die vier Verschwörer reagierten blitzschnell und versteckten belastendes Material: Fritta vergrub seine Zeichnungen, die anderen mauerten ihre Bilder ein. Gerade noch rechtzeitig: Am 17. Juli wurden die Künstler verhaftet und in den „Bunker“ in der Kommandantur gebracht – Strass war durchsucht worden, die SS hatte Zeichnungen bei ihm gefunden und ihn in die Kleine Festung verfrachtet. Zum ersten Verhör der Künstler war sogar Adolf Eichmann aus Berlin gekommen – er spielte den tief Gekränkten und tat so, als ob die Motive erfunden worden seien. Dazu legte er den Beschuldigten einige ihrer Zeichnungen vor und fragte wiederholt, wie sie so schamlos Lügen verbreiten könnten. Da die Männer schwiegen, schob man sie mit Frauen und Kindern in die Kleine Festung ab – „R.u.“ (Rückkehr unerwünscht) stand routinemäßig auf den Überstellungsdokumenten. Nachträglich erfolgte auch die Anklage: Die Künstler wurden der „Gräuelpropaganda“ beschuldigt – ein Straftatbestand, den es seit 1934 im Deutschen Reich gab. Als Grundlage diente das „Heimtückegesetz“, ein Gummiparagraph: „Gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen“ gegen den Staat konnten mit Haft in unbestimmter Höhe bestraft werden. Dieses Gesetz schützte die Nazis wirkungsvoll vor Kritikern. COPYRIGHT-Hinweis zu den Bildern:
Mit den vier Zeichnern und dem Kunstliebhaber Strass wurde auch der Architekt Norbert Troller in das Gestapo-Gefängnis eingeliefert. Sein „Vergehen“: Ein Entwurf, den er im Auftrag der SS anfertigte, hatte nicht gefallen. In der Kleinen Festung wurden die Deportierten gefoltert und misshandelt. Ein Wärter erschlug Bloch nur wenige Tage später. Unger verkrüppelte man die rechte Hand, damit er nicht mehr malen konnte. Mit Fritta und Haas kam er nach Auschwitz. Fritta starb dort acht Tage nach der Ankunft am 5. November 1944, Strass starb kurz darauf. Unger erlebte noch das Kriegsende, starb aber am 27. Juli 1945 in einem Linzer Krankenhaus. Nur Leo Haas und der Architekt Norbert Troller überlebten.
Trotz aufwendiger Recherchen ist es nicht gelungen,
alle Rechteinhaber von Abbildungen ausfindig zu machen:
Leo Haas: Zeichensaal
Bedřich Fritta: Auf der Baustelle
Bedřich Fritta: Unterkunft der Alten im Kavalier
Bei allen anderen Bildern sind die Rechte geklärt.
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